Entscheidungsdatum
20.04.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W224 2140171-1/13E
Schriftliche Ausfertigung des am 03.04.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Martina WEINHANDL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2016, Zl. 1073791806-150679600, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.04.2018, zu Recht:
A)
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger. Er ist Vater von mj. XXXX , mj. XXXX und mj. XXXX und Ehegatte von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem. Er lebte bis zu seiner legalen Ausreise am 01.04.2015 in Damaskus Land, XXXX . Zuvor lebte er bis etwa 2012 in XXXX . Am 01.04.2015 reiste er legal mit dem PKW in den Libanon. Er reiste unter Verwendung seines syrischen Reisepasses aus Syrien aus. Im Reisepass befindet sich ein offizieller Ausreisestempel.
Am 15.06.2015 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.06.2015 gab der Beschwerdeführer an, er habe Syrien wegen des Krieges und der Bomben verlassen.
2. Am 19.07.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Er legte unter anderem seinen syrischen Personalausweis, seinen syrischen Reisepass, sein syrisches Militärbuch und eine Bestätigung über den geleisteten Militärdienst vor. Zu seinen Lebensumständen und seinem persönlichen Umfeld vor seiner Ausreise aus Syrien gab er an, er sei in XXXX geboren und habe dort maturiert. Er habe zwei Jahre die Ausbildung zum Lehrer gemacht und dann vier Jahre in XXXX unterrichtet. Seinen Militärdienst (zwei Jahre und sechs Monate) machte er in XXXX . Danach habe er beim Erziehungsministerium eine Stelle als Direktor angenommen und auch weiter unterrichtet. Im Jahr 2011 habe er geheiratet. Die finanzielle Lage seiner Familie sei sehr gut gewesen. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, in XXXX seien sehr viele Luftangriffe gewesen. Es habe viele Gruppierungen auf der Straße gegeben und Leute seien getötet worden. Sein Haus sei zerstört worden. Er habe Angst um seine Kinder und seine Familie gehabt und deswegen Syrien verlassen. Er habe Syrien von XXXX (Damaskus-Umgebung) aus verlassen und sei mit einem Taxi mit seiner Familie legal ausgereist. An der Grenze habe man Geld gezahlt und sei dann weitergewunken worden. Er sei nie persönlich vom Regime zum Mitkämpfen beim Militär aufgefordert worden, habe bis zu seiner Ausreise als Lehrer gearbeitet, sei nie konkret von einer Gruppierung bedroht oder verfolgt worden, habe keiner politischen Partei angehört, sei niemals politisch aktiv gewesen, es sei kein Gerichtsverfahren gegen ihn anhängig. Die Zerstörung seines Hauses mache einen Verbleib in Syrien unmöglich. Er habe an keinen Demonstrationen teilgenommen. Er sein nur Erzieher gewesen und habe für seine Familie gelebt. Den Dolmetscher habe er einwandfrei verstanden.
3. Das BFA wies mit Bescheid vom 07.11.2016, Zl. 1073791806-150679600, den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) ab. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III).
Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, es werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen Syriens geltend gemacht habe. Aus diesem Grund sei hinsichtlich des Beschwerdeführers keine asylrelevante Verfolgung erkennbar.
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides erwuchsen hingegen in Rechtskraft. In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer in einer eigenhändig in seiner Muttersprache verfassten Beschwerde im Wesentlichen vor, es bestehe eine Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur Bevölkerungsgruppe der Sunniten. Verwandte seien von der Hisbollah und iranischen Gruppen verfolgt, entführt und ermordet worden. Er werde von den bewaffneten oppositionellen Extremisten verfolgt, weil er keine Waffen tragen wollte. In manchen Herrschaftsgebieten des IS sei die Scharia eingeführt worden, dort werde ohne Gnade gemordet. Seine Heimatstadt sei komplett zerstört und unter der Kontrolle der Hisbollah. Er habe die Frage, ob er strafrechtlich verurteilt worden sei, nicht klar verstanden und aus diesem Grund mit "Nein" geantwortet.
5. Am 03.04.2018 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher Folgendes auszugsweise erörtert wurde:
"[...]
R: Wurden Ihnen die Niederschriften, die das BFA und die Polizei mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?
BF1: Bei der ersten Niederschrift war der D viel zu schnell, ich konnte nicht alles sagen. Beim BFA war der D Marokkaner und ich habe fast nichts verstanden. Er hat zwar Arabisch gesprochen, aber es war unverständlich. Ich habe nichts verstanden.
R: Ihnen wurde die Frage gestellt, ob Sie den Dolmetscher einwandfrei verstanden haben und Sie haben das bejaht.
BF1: Ich korrigiere meine Angabe. Es war eine Frau, die übersetzt hat. Sie hat mich auf Arabisch begrüßt, sonst habe ich nichts verstanden. Sie hat mir alles auf Deutsch erzählt, aber ich habe damals kein Deutsch verstanden. Ich habe Beweise, dass mich die Dolmetscherin nicht verstanden hat.
R: Nachdem Sie jede der gestellten Fragen beantwortet haben, ist mir nicht klar, warum die Dolmetscherin Ihnen alles auf Deutsch erzählt haben soll.
BF1: Ich bleibe dabei, ich habe nichts verstanden. Sie ist Marokkanerin und spricht einen anderen Dialekt.
R: Wie sind dann Ihre Antworten zustande gekommen? Hat sich die Dolmetscherin das ausgedacht?
BF1: Nein, sie hat sich das nicht ausgedacht. Sie hat vieles nicht verstanden und sie hat sogar meinen Beruf falsch angegeben. Sie hat nicht übersetzen können, dass ich bei der Baath Partei tätig war und ich war zuständig für die Jugendlichen in meinem Bezirk XXXX und zwar im Kreis XXXX . Das hat sie nicht übersetzen können. Ich habe als Lehrer nur zwei Jahre gearbeitet und dann bin ich Leiter des Ausbildungszentrums für Jugendliche in XXXX und Umgebung geworden. Die Dolmetscherin hat nicht verstanden, was mein Beruf ist.
R: Sie haben zwei Mal darauf geantwortet: Sie haben am Anfang und am Ende gesagt, dass Sie den Dolmetscher gut verstehen. Für mich ist Ihr Vorbringen jetzt nicht erklärlich.
BF1: Sie hat mich nicht verstanden, ich bleibe dabei. Ich habe auf Ihre Fragen geantwortet, was passiert, wenn ich nach Syrien zurückkehre. Ich sagte ich würde liquidiert, also getötet. Sie hat geschrieben, dass ich in Syrien niemanden mehr habe und ich will nicht nach Syrien zurückkehren.
R: Aus meiner Sicht ist dieses Vorbringen, wonach Sie nicht verstanden hätten, was der Dolmetscher beim BFA übersetzt hat, nicht zutreffend und ich möchte an dieser Stelle die weitere Diskussion darüber beenden.
R zitiert aus AS 49 über die Lebensumstände des BF vor seiner Ausreise.
BF1: Ich wurde nach vier Jahren als Lehrer freigestellt als Erzieher für die Jugendlichen.
R: Das steht nicht im Protokoll, eine Niederschrift hat öffentlichen Glauben, vergleiche dazu AVG, aus diesem Grund kann ich Ihren Aussagen jetzt keine weitere Bedeutung zumessen.
BF1: Mir wurde das Protokoll auf Deutsch vorgelesen und gesagt, dass ich es unterschreiben soll.
R: Das kann ich mir absolut nicht vorstellen, dass die Dolmetscherin Ihnen das Protokoll auf Deutsch vorgelesen hat.
BF1: Sie hat mir nur zusammengefasst auf Arabisch gesagt, was im Protokoll steht.
R: Dann haben Sie jetzt vorhin zu Unrecht gesagt, dass Ihnen das Protokoll auf Deutsch vorgelesen wurde.
BF1: Sie hat mir auf Deutsch vorgelesen und gesagt, das sind die Angaben, die du gemacht hast.
R: Haben Sie vor dem BFA und der Polizei die Wahrheit gesagt?
BF1: Ja.
[...]
R: Wo haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat gelebt bevor Sie ausgereist sind?
BF1: Ich habe in Damaskus Land gelebt, in einer Stadt namens XXXX .
R: Unter wessen Kontrolle steht die Stadt momentan?
BF1: Jetzt ist es unter der Kontrolle des Regimes, früher war es die Opposition.
Die Internetseite https://syria.liveuamap.com wird eingesehen. Der Stadtteil XXXX in Damaskus Land steht unter der Kontrolle des Regimes, was auch vom BF1 zur Kenntnis genommen wird.
R: Wie sind Sie aus Syrien ausgereist?
BF1: Ich habe einem Offizier Geld bezahlt, damit er für mich und meine Familie Reisepässe organisiert. Ich habe für jeden Reisepass 50.000 syrische Lire bezahlt. Er hat für mich die Ausreise aus Syrien in den Libanon organisiert, weil ich nicht legal ausreisen kann, weil ich an der Grenze gesucht werde.
R: Haben Sie in Ihren Reisepässen offizielle Ausreisestempel erhalten?
BF1: Ich bin nicht aus dem Auto ausgestiegen. Ich gab die Pässe dem Mann, den ich bezahlt habe, die Reisepässe wurden dann gestempelt, wobei ich nicht aus dem Auto ausgestiegen bin.
R: Also haben Sie in Ihren Reisepässe offizielle Stempel drinnen?
BF1: Ja.
[...]
R: Schildern Sie Ihre Fluchtgründe, also die Gründe, aus denen Sie die Syrien verlassen haben, abschließend.
BF1: Ich war in XXXX zuständig für die Jugendlichen um sie nach den Grundprinzipien der Baath-Partei zu erziehen. Ich habe auf YouTube, falls Sie Interesse haben, Vorträge über die Baath-Parteien in mehreren Bezirken von XXXX gehalten. Die Dörfer rund um XXXX , die an der Libanesischen Grenze liegen, waren hauptsächlich von Schiiten bewohnt. Im April 2011, Anfang der Revolution, wurden dann sehr viele Versammlungen der Baath-Partei Mitglieder abgehalten und wir wurden beauftragt, den Jugendlichen abzuraten, an Demonstrationen teilzunehmen. Ich war verantwortlich, dass die Jugendlichen nicht an Demonstrationen teilnehmen.
R: Könnten Sie uns sagen, für was die Baath-Partei zuständig ist?
BF1: Ich war zuständig für die Jugendlichen um sie zu organisieren und zu erziehen. Ich sollte durch die Bürgermeister und Bezirksvorsteher Druck ausüben, dass sie nicht an den oppositionellen Demonstrationen teilnehmen.
R: Sie haben meine Frage zwar nicht beantwortet, aber ich schließe daraus, dass die Baath-Partei eine "Pro-Regime" eingestellte Organisation ist. Das geht auch aus den Länderfeststellungen hervor.
BF1: Die Baath-Partei ist der Staat.
R: Bitte fahren Sie mit der Fluchtgeschichte fort.
BF1: Dann explodierte die Sache. Die Schiiten und die Mitglieder der Hisbollah mischten sich in die Unruhen. Es gab Kämpfe. Es wurde in der ganzen Gegend chaotisch. Das Militär ist gegen die Demonstranten vorgegangen und hat Schusswaffen eingesetzt und es sind hunderte Jugendliche, für die ich zuständig war, getötet worden. Die sunnitische Bevölkerung hat sich bewaffnet und sie sind gegen die Schiiten vorgegangen, die Mitglieder der Hisbollah sind brutal vorgegangen und haben Sunniten geschlachtet. Es wurde darüber berichtet. Ich wurde dann persönlich beauftragt, von Funktionären der Baath-Partei und führende Funktionäre des Sicherheitsdienstes, die jungen Leute zu bewaffnen. Man sagte mir, dass mir Maschinengewehre und Waffen nach XXXX geschickt werden und ich diese an die Jugendlichen weitergeben soll. Ich habe dies abgelehnt, weil ich mit eigenen Augen gesehen habe, dass die schiitischen Milizeinheiten der Hisbollah die Sunniten geschlachtet haben. Ich wurde dann gesucht und als Verräter abgestempelt und mir wurde der Hochverrat an der Partei und dem Staat angedichtet. So bin ich in Ungnade gefallen. Ich wurde dann von allen Seiten bekämpft. Zuerst von den Sunniten, weil sie mich verdächtigten, für die Baath-Partei zu arbeiten und von den Schiiten gleichzeitig. Sie haben mein Auto vor dem Haus angezündet. Es wurde auch auf mein Haus geschossen. Ich war die ganze Zeit zu Hause in XXXX . Ich habe mich nicht getraut auf die Straße zu gehen. Ich wurde von der Geheimpolizei gesucht, es wurde auf mich auch Kopfgeld ausgesetzt. Es war so, dass wir nicht aus dem Haus gingen, wir haben zwischen den Häusern Tunnel gebaut, weil die Straßen für die Kinder und uns gefährlich waren. Es gibt bei der syrischen Geheimpolizei eine Abteilung, die heißt Flugpolizei und ich wurde von dieser Abteilung gesucht. Die Schiiten wollten mich haben, die mit dem Regime zusammenarbeiteten und das Militär auch. Meine Schwester wurde festgenommen, weil sie nach XXXX übersiedeln wollte, weil ihre Ortschaft komplett zerstört wurde. Sie wurde festgenommen und sie wurde erst vor 20 Tagen aus der Haft entlassen. Sie war 3 Jahre in Haft. Ich habe das alles auf YouTube gespeichert. Sie wurde deswegen festgenommen, damit ich mich stelle. Ich wurde verdächtigt vom Regime, dass ich die jungen Leute, die unter meiner Kontrolle standen, hätte beeinflussen können, dass sie nicht an den Demonstrationen teilnehmen sollen. Das alles war Ende 2012.
R: Was war danach?
BF1: Es gab kein Essen, kein Trinken, keine Dienste mehr. Ich konnte nichts machen. Ich habe dann beschlossen gemeinsam mit meiner Frau XXXX zu verlassen. Wir hatten einen Nachbarn, mit dem ich gemeinsam aufgewachsen bin, der uns geholfen hat, von XXXX Richtung Damaskus fliehen. Er hat einen kleinen PKW. Wir sind dann nachts in Richtung XXXX geflüchtet. Wir hatten Glück, es ist unterwegs nichts passiert. Das war im Juni 2012.
R: Vorhin haben Sie gesagt, dass sie Ende 2012 noch in XXXX waren.
BF1: Ich war bis Mai oder Juni 2012 in XXXX .
R: Wie ging es weiter ab Mai/Juni 2012 in XXXX ?
BF1: Diese Ortschaft XXXX und noch zwei weitere Ortschaften waren unter Kontrolle der Opposition. Der Nachbar hat uns vor einer Schule aussteigen lassen. Wir warteten bis zum nächsten Tag, bis die Schule aufmachte. Ich habe dann eine Nacht dort in der Schule verbracht. Dann habe ich ein Zimmer in der Nähe der Schule gemietet. Nach fünf bis sechs Monaten Aufenthalt in XXXX habe ich versucht, eine Arbeit zu finden und habe die Direktorin der Schule gefragt, ob sie Arbeit hat. Ich war ja eine Zeit lang als Lehrer tätig und die Schule war nicht mehr unter der Kontrolle des Staates und dann habe ich dort gearbeitet. Es wurden sehr viele Kinder getötet, sehr viele Menschen umgebracht. Dort war alles Chaos in XXXX . Ich habe dann gehört, dass das Regime mit den Hisbollah Kämpfern immer näher rückte von Sabadani. Als ich hörte, dass XXXX in den Händen des Regimes ist, und mein Bruder dann dort meinetwegen festgenommen wurde, beschloss ich, das Land zu verlassen. Meine Frau hat mich auch bestärkt mit dem Beschluss Syrien zu verlassen, weil sie eine Rechtsanwältin war und sie hat für meinen Bruder und für ihre zwei Brüder die Fälle übernommen, weil diese an den Demonstrationen teilgenommen haben. Meine Frau wurde dann gesucht. Meine Frau hat einen illegalen Vermittler von Dokumenten aufgetrieben, der die Reisepässe über einen Offizier organisiert hat, sodass wir nicht zum Passamt gehen mussten. Dieser Mann war in der Lage uns bis zur Grenze zu bringen, die Pässe zu Stempeln und uns in den Libanon zu bringen. Dann sind wir mit einem Schiff in die Türkei gefahren und von dort aus nach Griechenland und weiter nach Österreich.
R: Haben Sie abschließend jetzt alles zu Ihrer Flucht geschildert?
BF1: Ja.
R: Wann verließen Sie Syrien endgültig?
BF1: Das war am 01.04.2015.
R: Sie waren nach eigenen Angaben ein Funktionär der Baath-Partei. Wie konnten Sie dann im Oppositionsgebiet eine Stelle als Lehrer annehmen, wenn Sie doch dem Regime zugeordnet werden?
BF1: Ich wurde ja von der Baath-Partei als Verräter eingestuft und ich hätte die jungen Leute bewaffnen sollen.
R: Im Oppositionsgebiet haben Sie dann als Lehrer gearbeitet, stimmt das?
BF1: Ja.
R: Zu diesem Zeitpunkt waren Sie ein Mitglied der Baath-Partei. Dass Sie als Verräter eingestuft wurden, konnte im Oppositionsgebiet niemand wissen. Dort galten Sie meiner Meinung nach weiterhin als regimetreu, weil Sie doch zuvor Baath-Partei Funktionär waren. Es ist für mich unplausibel, dass im Oppositionsgebiet eine öffentliche Stelle als Lehrer bekommen.
BF1: Die Leute in XXXX wussten nicht, dass ich Mitglied der Baath-Partei war und sie verlangten von mir, dass ich für die Opposition Waffen trage und für sie kämpfe. Das wollte ich auch nicht, deshalb wollte ich das Land verlassen.
R: Das heißt, Sie wurden als Lehrer eingesetzt, ohne dass jemand Erkundungen über Sie eingeholt hat?
BF1: Das war keine Schule im Sinne des Wortes. Das war eine Sammelstelle von mehreren Flüchtlingen von überall. Die Direktorin hat mir diese Stelle angeboten und ich habe diese akzeptiert, weil ich Geld brauchte. Die Leute kannten sich untereinander nicht. Ich habe sehr wenig verdient.
R: Sie haben eine selbst verfasste Beschwerde nachgereicht. In dieser selbstverfassten Beschwerde haben sie das nunmehr geschilderte Vorbringen, wonach Sie als Funktionär der Baath-Partei zur Schulung von Jugendlichen zuständig gewesen wären, in keiner Weise geschildert, obwohl Sie dazu von sich aus die Möglichkeit gehabt hätten. Für mich aus richterlicher Seite kommt dieses Vorbringen in dieser mündlichen Verhandlung zum ersten Mal und erscheint aus diesem Grund, weil Sie die vorherigen Gelegenheiten zu entsprechenden Schilderung nicht wahrgenommen haben, als unglaubwürdig.
BF1: Ich wurde nicht gefragt, deshalb habe ich das nicht erwähnt. Niemand hat mich über meine Geschichte gefragt. Niemand hat mich gefragt, warum ich geflüchtet bin. Ich habe das Land deswegen verlassen, weil ich persönlich gesucht werde. Ich habe Angst, dass sie mich festnehmen. Ich kann nichts dafür, dass die Dolmetscherin damals nicht alles weitergesagt hat, wie ich es gesagt habe. Deswegen habe ich auch nicht geantwortet, weil sie mich nicht danach gefragt hat. Niemand hat mich gefragt, was ich gearbeitet habe.
R: Sie haben in der Einvernahme geantwortet, Sie gehören keiner politischen Partei an und Sie waren auch nie politisch aktiv (AS 51).
BF1: Das ist nicht mein Problem, dass es nicht so im Protokoll steht. Ich bin Mitglied der Baath-Partei, das können Sie auf YouTube einsehen. Ich habe mich von der Baath-Partei abgespalten. Mein Leben ist in Gefahr, ich werde von der Hisbollah und vom Regime gesucht.
R: Was wollten Sie noch sagen?
BF1: Warum soll ich nicht die Wahrheit gesagt, warum soll ich die Wahrheit jetzt verschweigen?
R: Von wann bis wann haben Sie ihren Militärdienst abgeleistet und was war ihre Funktion beim Militär?
BF1: Ich war in der Zivilpolizei. Ich glaube das war in den 90er Jahren, 1994 bis 1996.
R: Wurden Sie jemals zum Reservedienst einberufen?
BF1: Ja, ich wurde einberufen und ich hatte die Aufgabe, die Leute zu bewaffnen.
R: Sie meinen, dass Sie als Funktionär der Baath-Partei, die Aufgabe hatten die Leute zu bewaffnen? Oder wurden Sie selbst zum Militärdienst einberufen?
BF1: Ich wurde als Reservist einberufen und ich wurde auch aufgefordert, Menschen zu rekrutieren. Ich hätte auch eine Einheit gründen sollen und hätte auch Kommandant dieser Einheit sein sollen.
R: Das ist jetzt wieder ein Vorbringen, dass sie jetzt wieder zum ersten Mal, noch dazu auf meine Nachfrage, schildern.
BF1: Ich wurde nicht gefragt. Ich wurde nicht gefragt, ob ich zum Militär gehen musste.
R: Sie wurden zu Ihrer gesamten Fluchtgeschichte gefragt und konnten in freier Erzählung alles schildern. Woher soll ich als Richterin wissen, was in Syrien vorgefallen ist? Ich war ja nicht dabei.
BF1: Die Dolmetscherin hat immer alles geschrieben wie sie will. Ich sage ihr von Anfang an, dass ich für die Baath-Partei zuständig bin. Weil sie mich nicht nach meinem Militärdienst fragte, konnte ich diese Frage nicht beantworten.
R: Auf S. 50 der Niederschrift steht die Frage, ob Sie persönlich und konkret vom Militär und vom Regime aufgefordert wurden, beim
Militär mitzukämpfen und Sie haben gesagt: "Nein, ich persönlich nicht".
BF1: Diese Frage wurde mir nie gestellt.
R: Was würde passieren, wenn Sie wieder in den Herkunftsstaat zurück müssten?
BF1: Ich werde sicher verhaftet und sofort getötet.
R: Wenn Sie die geschilderten Probleme nicht hätten, könnten Sie dann im Herkunftsstaat leben?
BF1: In diesem Fall ist Krieg, dort kann ich nicht leben. Ich habe keine Angst vor dem Tod, es kann sein, dass ich überfahren werde. In Syrien würde ich aber gequält und gefoltert werden und davor habe ich Angst.
R: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?
BF1: Nein.
R: Ich habe zu Ihrem Verfahren vorerst keine weiteren Fragen.
R an BF1 und RV: Wollen Sie noch etwas Ergänzendes vorbringen oder Beweisanträge stellen?
RV: Nein.
BF1: Ich habe bereits die Wahrheit gesagt. Ich stehe zu allem was ich gesagt habe.
BF1 beginnt wieder zu wiederholen, was er bereits in der mündlichen Verhandlung angegeben hat.
R fragt den BF1, ob er den Dolmetscher gut verstanden habe; dies wird bejaht.
BF1: Ich bin begeistert von dem Dolmetscher. Er hat wortwörtlich übersetzt.
In der mündlichen Verhandlung verkündete die zuständige Richterin gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG, dass die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wird.
Am 16.04.2018 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, dass eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses ergehen möge.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger. Er ist Vater von mj. XXXX , mj. XXXX und mj. XXXX und Ehegatte von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem. Er lebte bis zu seiner legalen Ausreise am 01.04.2015 in Damaskus Land, XXXX . Zuvor lebte er bis etwa 2012 in XXXX . Am 01.04.2015 reiste er legal mit dem PKW in den Libanon. Er reiste unter Verwendung seines syrischen Reisepasses aus Syrien aus. Im Reisepass befindet sich ein offizieller Ausreisestempel.
Mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Heimatstaat Syrien wegen der realen Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens auf Grund der instabilen Sicherheitslage und des innerstaatlichen Konfliktes in Syrien zuerkannt.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe Syrien auf Grund des Krieges und der damit in Zusammenhang stehenden schlechten Sicherheitslage verlassen, ist glaubwürdig und wird der Beurteilung zu Grunde gelegt. Eine drohende asylrelevante Verfolgung ist aus dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hervorgekommen, auch nicht aus amtswegiger Wahrnehmung.
Das Bundesverwaltungsgericht kann nicht feststellen, dass dem Beschwerdeführer insofern eine asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen könnte.
Der Beschwerdeführer ist im 50. Lebensjahr, leistete seinen Militärdienst als einfacher Soldat ab und wurde auch nie vom Militär oder anderen Behörden als Reservist einberufen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer während der Ableistung seines Militärdienstes einen besonderen Rang oder eine besondere Position innegehabt hätte, die eine Einberufung als Reservist in Aussicht nimmt. Er konnte auch bis zu seiner Ausreise als Lehrer arbeiten.
Es kann festgestellt werden, dass der letzte Herkunftsort des Beschwerdeführers, der in XXXX , Damaskus-Land/Syrien liegt, unter Kontrolle des Regimes steht. Dieses Ermittlungsergebnis wurde dem Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung durch Einsichtnahme in die Karte https://syria.liveuamap.com/ vorgehalten und er ist diesem auch nicht entgegengetreten.
Hinsichtlich seiner Ausreise droht dem Beschwerdeführer keine Verfolgung bzw. Bestrafung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch das Regime in Syrien, auch nicht im Zuge der Einreise. Denn der Beschwerdeführer hat in seinem syrischen Reisepass einen offiziellen Ausreisestempel, sodass er als legal ausgereist aufscheint. Ein anderer Grund, aus dem man dem Beschwerdeführer eine oppositionell-politische Gesinnung unterstellen sollte, ist nicht hervorgekommen.
Zur Lage in Syrien wird festgestellt (entnommen aus:
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation 3.3.2014 und 5.1.2017 sowie 25.1.2018; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung; UNHCR-Berichte: Relevante Herkunftslandinformation zur Unterstützung bei der Anwendung der UNHCR Richtlinien für Syrien, Februar 2017, sowie Syrien:
Militärdienst, November 2016):
1. Folter und unmenschliche Behandlung
Seit Beginn des Aufstands setzten die Sicherheitskräfte zehntausende Menschen willkürlichen Verhaftungen, ungesetzlicher Haft, dem Verschwindenlassen, Misshandlungen und Folter in einem breiten Netzwerk von Haftanstalten aus. Viele der Häftlinge sind junge Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren, jedoch sind auch Kinder, Frauen und ältere Menschen unter den Inhaftierten (HRW 27.1.2016). Berichten zufolge wurden Familienmitglieder durch die Sicherheitskräfte der syrischen Regierung festgenommen, darunter auch Kinder, um gesuchte Personen dazu zu bewegen, sich den Sicherheitskräften zu stellen (HRW 27.1.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Schätzungen zufolge sind seit 2011 in Gefängnissen der syrischen Regierung 17.723 Menschen durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedingungen ums Leben gekommen (AI 18.8.2016).
Freigelassene Gefangene und MitarbeiterInnen der Sicherheitskräfte, die sich abgesetzt haben ("defectors"), berichten von einer Anzahl von Foltermethoden, die von den syrischen Sicherheitskräften verwendet werden. Dazu zählen langes Schlagen - oft mit Schlagstöcken und Drähten - schmerzhafte Stresspositionen, Elektroschocks, sexuelle Angriffe, das Ziehen von Fingernägeln und Scheinhinrichtungen. (HRW 21.1.2014)
Bewaffnete Oppositionsgruppen begehen in wachsendem Ausmaß schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Folter. Ausländische Kämpfer und jihadistische Gruppen sind unter den schlimmsten Tätern. (HRW 21.1.2014) Aber auch die Freie Syrische Armee foltert einem Überläufer zufolge - manchmal mit tödlichem Ausgang. (UK 11.09.2013)
Von den Aufständischen gefangengenommene syrische Sicherheitskräfte oder ihre angeblichen UnterstützerInnen machen unter Folter Geständnisse. Dazu gibt es viele Videoaufzeichnungen, welche Gefangene mit Zeichen physischer Misshandlungen zeigen. (UK 11.09.2013)
Vergewaltigungen, meist von Frauen, aber auch von Männern und Buben, sind zu einer Kriegswaffe geworden. Laut Menschenrechtsgruppen werden die meisten Vergewaltigungen von Gruppen begangen, die den Regimekräften zuzuordnen sind. (FH 23.1.2014)
Regierungskräfte verhafteten, folterten und töteten Hunderte von Angestellten des Gesundheitsbereichs und PatientInnen. Sie griffen absichtlich Fahrzeuge an, die PatientInnen und Vorräte transportierten. (HRW 21.1.2014) Ambulanzfahrer, Krankenschwestern, ÄrztInnen und Helfer würden attackiert, verhaftet oder verschwinden. Auch Schwerverwundete wurden aus Krankenhäusern entführt, weil ihre Verletzungen als Beweise für oppositionelle Unterstützung gewertet wurden. Die extremsten Beispiele lieferte ein Militärkrankenhaus in XXXX . Dort wurden Verletzte gefoltert und ÄrztInnen befohlen, die Opfer am Leben zu erhalten, um sie weiter verhören zu können. (ARD 16.9.2013)
2. Risikoprofile
Werden Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis gemäß bestehenden Asylverfahren oder Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft geprüft, so ist UNHCR der Ansicht, dass Personen mit einem oder mehreren der unten beschriebenen Risikoprofilen wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der GFK benötigen, sofern keine Ausschlussklauseln anwendbar sind (siehe Absatz 39). Bei Familienangehörigen und Personen, die auf sonstige Weise Menschen mit den nachfolgend aufgeführten Risikoprofilen nahestehen, ist es je nach den Umständen des Einzelfalls ebenfalls wahrscheinlich, dass sie internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Sofern relevant, sollte besonderes Augenmerk auf jegliche Verfolgung gelegt werden, der Asylsuchende in der Vergangenheit möglicherweise ausgesetzt waren.
Personen, die eine oppositionelle Einstellung haben oder denen eine solche unterstellt wird: Die Regierung wendet für die Definition von oppositioneller Einstellung sehr breite Kriterien an: So kann jede Form von Kritik, Opposition oder mangelnde Loyalität der Regierung gegenüber, in welcher Art auch immer ausgedrückt, zu ernsthaften Konsequenzen für die Person führen. Viele Protestierende, Aktivisten/Aktivistinnen, Wehrdienst-verweigerer, Deserteure, partizipative (Bürger-) Journalisten/Journalistinnen ("citizen journalists"), Ärzte/Ärztinnen und Personen, die humanitäre Hilfe leisten, und denen eine oppositionelle Haltung unterstellt wurde, wurden willkürlich verhaftet, gefoltert, misshandelt und standrechtlich hingerichtet. Viele wurden unter Anti-Terrorismusgesetzen verurteilt, die schwere Strafen vorsehen, wobei "Terrorismus" in diesem Gesetz sehr vage und breit definiert wird. Die meisten Gefangenen werden nie angeklagt. Tausende Zivilisten/Zivilistinnen wurden vor Strafgerichten, dem Anti-Terrorismus-Gericht in Damaskus und Militärgerichten in Verfahren verurteilt, die keine internationalen Fairness-Standards einhalten; häufig nach mehrmonatiger Haft in Untersuchungshafteinrichtungen, die von Sicherheitsbehörden geführt werden, und auf Basis von erzwungenen Geständnissen. Strafen sind Berichten zufolge hart. Die Regierung überwacht politische Treffen, die Post und Onlineaktivitäten. Unzählige Personen wurden verhaftet, weil sie auf social media Fotos oder Videos "geliked" oder geteilt haben, die oppositionelle Meinungen vertreten oder unterstützen. Die sog. Syrische Elektronische Armee hackt Websites und social media Seiten von oppositionellen Gruppen, westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen.
Syrer_innen, die im Ausland in regierungsgegnerische Proteste verwickelt waren, wurden systematisch überwacht, eingeschüchtert und teilweise physisch durch Botschaftsangestellte und andere angegriffen. Familienangehörige von Syrer_innen, die sich im Ausland an Protesten oder ähnlichen Aktivitäten beteiligen, wurden in Syrien befragt, bedroht, verhaftet, körperlich misshandelt oder sogar getötet.
Die echte oder unterstellte regierungsgegnerische Einstellung einer Person wird häufig auch Personen in ihrem Umfeld zugeordnet, wie Familienangehörigen, Nachbarn oder Kollegen/Kolleginnen. Familienangehörige von Aktivisten/Aktivistinnen, Mitgliedern von Oppositionsparteien, Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern wurden Ziel von willkürlichen Verhaftungen, Folter, Misshandlungen, auch sexueller Gewalt und standrechtlicher Exekution. In Fällen, in denen eine gesuchte Person, der eine oppositionelle Haltung unterstellt wird, nicht gefunden werden kann, werden Familienangehörige verhaftet und misshandelt, um zu erfahren, wo die Person ist, damit sie sich stellt, oder um ihre Handlungen zu bestrafen. Weibliche Familienangehörige werden Berichten zu Folge auch zum Tausch bei Gefangenenaustauschen mit regierungsgegnerischen bewaffneten Gruppen verwendet. Nachbarn, Freunde und Kollegen waren ebenfalls Ziele solcher Praktiken.
Aus Angst wird häufig Abstand genommen, sich über eine Verhaftung zu beschweren; stattdessen werden Bestechungsgelder bezahlt, um einen Verhafteten verlegen zu lassen oder freizubekommen. Präsidentielle Amnestien ermöglichten auch Bestechungen von Richtern/Richterinnen. In besonders schweren Fällen wurden ganze Familien von Oppositionellen oder Deserteuren verhaftet oder ermordet, zB während einer Hausdurchsuchung.
Personen, die leicht von den syrischen Behörden als regierungskritisch wahrgenommen werden, oder die Sympathisanten sind oder Verbindungen zur Opposition haben, werden wahrscheinlich internationalen Schutz wegen ihrer auch nur unterstellten politischen Gesinnung benötigen. Der reine Verdacht einer solchen Haltung reicht aus, um eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung auszulösen.
Die nachstehend aufgeführten Risikoprofile sind nicht unbedingt abschließend und können sich überschneiden. Die Reihenfolge der aufgeführten Profile impliziert keine Hierarchie. Die Profile basieren auf Informationen, die UNHCR zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Dokuments vorlagen. Ein Antrag sollte daher nicht automatisch als unbegründet erachtet werden, weil er keinem hier aufgeführten Profil entspricht.
* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder politischer Oppositionsparteien; Aufständische, Aktivisten und sonstige Personen, die als Sympathisanten der Opposition angesehen werden; Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen bzw. Personen, die als Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen angesehen werden; Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte; Mitglieder der Regierung und der Baath-Partei, die ihre Ämter niedergelegt haben; Familienangehörige von tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern sowie andere Personen, die mit tatsächlichen oder vermeintlichen Regierungsgegnern in Verbindung gebracht werden; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsfeindlichen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.
* Personen, die tatsächlich oder vermeintlich die Regierung unterstützen, einschließlich, jedoch nicht beschränkt auf Mitglieder von Parteien, die der Regierung verbunden sind; tatsächliche und vermeintliche Mitglieder von Streitkräften der Regierung sowie Zivilbürger, von denen angenommen wird, dass sie mit Streitkräften der Regierung zusammenarbeiten; Familienangehörige von Personen, die tatsächlich oder vermeintlich die Regierung unterstützen; Zivilisten, die in vermeintlich regierungsnahen städtischen Nachbarschaften, Städten und Dörfern leben.
* Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von ISIS sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen ISIS de facto die Kontrolle oder Einfluss ausübt.
* Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner bewaffneter oppositioneller Gruppen sind, und sich in Gebieten aufhalten, in denen diese Gruppen de facto die Kontrolle ausüben.
* Personen, die tatsächliche oder vermeintliche Gegner von PYD/YPG sind und sich in Gebieten aufhalten, in denen PYD/YPG de facto die Kontrolle ausüben.
* Angehörige bestimmter Berufsgruppen, insbesondere Journalisten und andere in der Medienbranche tätige Personen, Laienjournalisten;
Ärzte und andere im Gesundheitswesen tätige Personen;
Menschenrechtsaktivisten; humanitäre Helfer; Künstler; Unternehmer und andere Personen, die tatsächlich oder vermeintlich vermögend oder einflussreich sind.
* Mitglieder religiöser Gruppen, einschließlich Sunniten, Alawiten, Ismailis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen und Jesiden.
* Personen, die vermeintlich gegen die Scharia verstoßen und in Gebieten leben, die unter der Kontrolle oder dem Einfluss extremistischer islamistischer Gruppen stehen.
* Angehörige ethnischer Minderheiten, einschließlich Kurden, Turkmenen, Assyrer, Tscherkessen und Armenier.
* Frauen, insbesondere Frauen ohne Schutz durch Männer, Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt, von Kinder- und Zwangsheirat, häuslicher Gewalt, Verbrechen zur Verteidigung der Familienehre ("Ehrendelikt") und Menschenhandel wurden, oder einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.
* Kinder, insbesondere Kinder, die in der Vergangenheit festgenommen wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind; sowie Kinder, die Opfer von Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten, sexueller und häuslicher Gewalt, Kinderarbeit, Menschenhandel und systematischer Verweigerung des Zugangs zu Bildungsangeboten wurden, oder die einem entsprechenden Risiko ausgesetzt sind.
* Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder geschlechtlicher Identität.
* Palästinensische Flüchtlinge.
Prinzipiell können Syrer_innen unter Verwendung ihrer Pässe (oder ID-Karten für den Libanon) das Land über jeden Grenzposten, der in Betrieb ist, verlassen. Personen, die ohne gültige Ausweise, nicht über offizielle Grenzübergänge oder ohne Genehmigung ein- oder ausreisen, können mit Haft- oder einer Geldstrafe belegt werden.
Eine Ausreisegenehmigung benötigen Beamte/Beamtinnen (von ihrem Ministerium/ihrer Dienststelle); Berufssoldaten (die, die ohne Genehmigung das Land verlassen, werden wie Deserteure behandelt); Kinder (benötigen die schriftliche Zustimmung des Vaters); Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 42 (benötigen die Zustimmung der Einrichtung, die Einberufungen vornimmt. Nach Informationen des UNHCR betrifft diese Genehmigungspflicht auch Personen, die eine Ausnahmegenehmigung haben; nach Ablauf der Ausnahmegenehmigung wird erwartet, dass sie zum Militärdienst antreten, andernfalls werden sie als Wehrdienstverweigerer angesehen).
3. Religionsfreiheit
In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, und dass die islamische Rechtsprechung eine Hauptquelle des Gesetzes darstellt (USDOS 15.8.2017). Die Behandlung von Angelegenheiten des Personenstandsrechtes erfordert die Zugehörigkeit jedes Bürgers zum Christentum, Islam oder Judentum, und die Personen fallen unter die jeweilige Gesetzgebung ihrer religiösen Gruppe in Fällen von Eheschließungen oder Scheidung (USDOS 15.8.2017; vgl. Eijk 2013). Die Religionszugehörigkeit einer Person wird nicht auf der Identitätskarte vermerkt, muss jedoch beim Zivilregister registriert werden. Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu haben. Atheisten existieren in Syrien nicht, zumindest nicht laut dem Zvilregister (Eijk 2013). Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet auch "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften" (SWP 5.2014; vgl. USDOS 15.8.2017). Ein zum Islam konvertierter Erwachsener kann außerdem nicht zu seinem ursprünglichen Glauben zurück konvertieren (Eijk 2013).
Am Beginn des Konfliktes waren Angriffe auf Minderheiten kein zentraler Bestandteil des Krieges, wobei manche Minderheiten der Gewalt mehr ausgesetzt waren als andere. Die Handlungen von Seiten des Regimes haben jedoch dazu beigetragen, dass die konfessionelle Dimension des Konfliktes eskalierte, was zu willkürlichen Angriffen gegen Zivilisten, auf Basis ihrer Identität und wahrgenommenen Verbindung mit der Regierung oder der Opposition, führte (MRG 12.7.2016; vgl. Welt 4.4.2016). Auch die vermehrte Beteiligung von internationalen Akteuren verstärkte die konfessionellen Spannungen (MRG 12.7.2016).
Die syrische Regierung und die mit ihr verbündeten schiitischen Milizen töten, verhaften und misshandeln Sunniten und Mitglieder von bestimmten Minderheiten physisch, als Teil der Bemühungen den bewaffneten Aufstand von oppositionellen Gruppierungen niederzuschlagen. Laut mehreren Beobachtern des Konfliktes wandte das Regime Taktiken an, die darauf abzielten die extremsten Elemente der sunnitisch-islamistischen Opposition zu stärken, um den Konflikt dahingehend zu formen, dass dieser als ein Konflikt gesehen wird, in dem eine religiös moderate Regierung einer religiös extremistischen Opposition gegenübersteht. Die Revolution wurde somit mit der sunnitischen Bevölkerung assoziiert, die Regierung zielte Berichten zufolge auf Städte und Nachbarschaften mit Belagerung, Beschuss und Luftangriffen auf Basis der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab. Während sich Rebellen in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten identifizierten und eine Unterstützerbasis haben, die fast ausschließlich aus Sunniten besteht, und dadurch das Abzielen der Regierung konfessionell motiviert erscheint, merkten Beobachter jedoch an, dass zweifellos auch andere Motivationen für die Gewalt existierten. Experten argumentierten, dass Gewalt auf beiden Seiten oft religiös motiviert sei (USDOS 15.8.2017). Auch der IS ist für Menschenrechtsverletzungen Sunniten gegenüber verantwortlich (USDOS 2.6.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).
4. Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen
Für männliche Syrer und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 19.10.2016; vgl. FIS 23.8.2016). Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Wehrdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen (FIS 23.8.2016).
Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht (FIS 23.8.2016).
In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).
Oppositionsgruppen haben ihre eigenen Vorgangsweisen bei der Rekrutierung, und die Situation kann von der jeweils verantwortlichen Person abhängen (FIS 23.8.2016).
Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete oppositionelle Gruppen und terroristische Organisationen rekrutieren Kinder und nutzen sie als Soldaten, menschliche Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Henker und auch in unterstützenden Funktionen. Kinder werden als Zwangsarbeiter oder Informanten benutzt, wodurch sie dem Risiko von Vergeltungsakten oder extremen Bestrafungen ausgesetzt sind. Manche bewaffnete Gruppierungen, die auf der Seite der Regierung kämpfen, zwangsrekrutieren Kinder - manche nicht älter als 6 Jahre (USDOS 30.6.2016).
Der IS setzt aktiv Kinder - manche lediglich 8 Jahre alt - in Kampfhandlungen ein, teils auch bei der Enthauptung von Soldaten des syrischen Regimes. Der IS zielt bewusst auf Kinder ab, um diese zu indoktrinieren und nutzt Schulen für militärische Zwecke, wodurch Kinder gefährdet werden und ihr Zugang zu Bildung eingeschränkt wird (USDOS 30.6.2016).
Auch die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) rekrutieren Burschen und Mädchen, indoktrinieren sie und bringen sie in Trainings-Camps (USDOS 30.6.2016).
4.1. Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es werden Rekrutierungsschreiben verschickt, wenn Männer das wehrfähige Alter erreichen. Männer, die sich außer Landes oder in Gebieten, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, befinden, erhalten ihre Rekrutierungsschreiben häufig nicht (FIS 23.8.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, welche das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2016). Männer werden jedoch auch auf der Straße an Checkpoints oder an anderen Orten rekrutiert. Es gibt auch Massenverhaftungen und Tür-zu-Tür-Kampagnen, um Wehrdienstverweigerern habhaft zu werden (FIS 23.8.2016; vgl. UNHCR 30.11.2016). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden (USDOS 10.8.2016).
Bestechung als Mittel, um den Wehrdienst zu vermeiden, ist mittlerweile schwieriger geworden - zumindest wenn jemand keine großen Geldsummen zur Verfügung hat. Es gibt auch Männer im wehrpflichtigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).
Nach der Massenwanderung von Syrern im Jahr 2015 wurde das Wehrdienstalter erhöht, und mehr Männer wurden an Checkpoints rekrutiert, auch solche, die ihren Militärdienst bereits beendet hatten. Für junge Männer im Alter von 16 und 17 Jahren ist es schwer, einen Reisepass zu erhalten, oder sie erhalten nur einen Pass, der zwei Jahre gültig ist (FIS 23.8.2016; vgl. UNHCR 30.11.2016).
Das Höchstalter für den Militärdienst betrug zuvor 42 Jahre, wurde jedoch inzwischen erhöht, wobei es hierzu keine offizielle Regelung und daher auch kein offizielles Höchstalter mehr gibt (FIS 23.8.2016).
Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2016).
Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit. Möglicherweise kommt es bei diesen Ausnahmen zum Wehrdienst derzeit jedoch auch zu Willkür (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015, UNHCR 30.11.2016). Durch den erhöhten Bedarf an Soldaten wird mittlerweile ebenso auf "geschützte" Gruppen wie Studierende, Beamte und Minderheiten zurückgegriffen (UNHCR 30.11.2016).
Entlassungen aus dem Militärdienst sind sehr selten geworden. Es gibt Männer in der Armee, die seit dem Beginn der Revolution 2011 in der Armee sind. Die Dauer des Militärdienstes hat sich verlängert, möglicherweise ist sie auch nicht mehr begrenzt. 2011 konnte der Wehrdienst noch um ein paar Monate verlängert werden, und danach wurde man entlassen. Mittlerweile ist Desertion häufig der einzige Ausweg (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015).
Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016).
4.2. Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF)
Die Kräfte der Nationalen Verteidigung (National Defence Forces - NDF), sind das größte Netzwerk von Milizen in Syrien (CMEC 2.3.2015; vgl. DIS 26.2.2015). Das Netzwerk verfügt über eine 2013 gegründete Dachorganisation für verschiedene, mit dem Regime alliierte Milizen und paramilitärische Gruppierungen. Die genaue Mannstärke der NDF ist nicht bekannt, Schätzungen reichen jedoch von 60.000 bis 100.000 Mitgliedern. Kämpfer der NDF gelten als dem Regime loyaler als die Wehrdienstleistenden in der Armee. Die Vorgehensweise der NDF variiert stark zwischen den einzelnen Gebieten. In manchen Gebieten sind Gruppierungen der NDF disziplinierter und in anderen agieren sie eher wie bewaffnete und gewalttätige Banden (FIS 23.8.2016).
In den NDF sind auch Gruppen organisiert, die auf religiöser Zugehörigkeit basieren. So gibt es zum Beispiel eigene Gruppen für Alawiten oder Christen. Manchmal findet die Rekrutierung zu den NDF auf Stammesbasis statt. Rekrutierung durch den Stamm ist vor allem in ländlichen Gegenden wichtig (FIS 23.8.2016). Die NDF sind unter Provinzkommandeuren organisiert (CMEC 2.3.2015). Indem man den NDF beitritt, kann man den Wehrdienst bei der syrischen Armee vermeiden und den eigenen Einsatzort besser beeinflussen und entscheiden, um in der Nähe der eigenen Familie stationiert zu werden. Dies macht den Dienst bei den NDF für jene attraktiver, die sich weigern, zur Armee zu gehen, weil sie dann von zu Hause weggeschickt würden (FIS 23.8.2016).
Der Beitritt zu den NDF ist grundsätzlich freiwillig und anders als in der Armee kann man einen Vertrag unterschreiben, um eine begrenzte Zeit bei den NDF zu dienen. Junge Menschen treten den NDF bei, um in der Nähe ihrer Familien bleiben zu können, um Geld zu verdienen oder eine Waffe zu bekommen. Die Bevölkerung traut diesen Gruppen mehr als der Armee, ihr Fundament sind regionale und lokale Netzwerke. Obwohl generell der Beitritt zu den NDF freiwillig geschieht, kann auch sozialer Druck herrschen, den NDF beizutreten (FIS 23.8.2016).
Milizen der NDF sollen auch Kinder zwangsrekrutiert haben (USDOS 30.6.2016). Es gab Fälle in denen junge Männer von 16 oder 17 Jahren rekrutiert wurden, da die NDF nicht dem Gesetz unterstehen. Rekruten der NDF bekommen einen Identitätsausweis. Als dezidiert Freiwillige sind Angehörige der NDF bei Rebellen verhasster, als reguläre Soldaten - die unter Umständen zwangsrekrutiert worden sind, weshalb diese in noch größere Gefahr laufen, bei Gefangennahme getötet zu werden (FIS 23.8.2016).
4.3. Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)
Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (FIS 23.8.2016). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen, sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen, oder zu rechtlichen Konsequenzen (KurdWatch 30.6.2016; vgl. SEM 21.12.2015). Das Grundproblem dieses Gesetzes besteht zum einen darin, dass es nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen wurde, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Beim bewaffneten Arm der PYD, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), handelt es sich nicht um eine quasistaatliche Armee, sondern um eine Parteimiliz. Zum anderen sieht das Gesetz keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor (KurdWatch 5.2015).
4.4. Wehrdienstverweigerung / Desertion
Es gab Amnestien der syrischen Regierung, um Deserteure und Wehrdienstverweigerer zu ermutigen, sich zum Dienst zu melden (FIS 23.8.2016; vgl. Reuters 20.7.2016). Es ist jedoch nicht bekannt, ob Männer, die dieses Angebot in Anspruch nehmen, Konsequenzen erfahren oder nicht (FIS 23.8.2016). Besonders aus dem Jahr 2012 gibt es Berichte von desertierten syrischen Soldaten, welche gezwungen wurden, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Falls sie sich weigerten, wären sie Gefahr gelaufen, erschossen zu werden (AI 6.2012).
Auf Desertion steht die Todesstrafe. Es ist jedoch nicht bekannt, wieweit die Todesstrafe wirklich angewendet wird. Ein Deserteur würde jedoch zumindest inhaftiert werden. Wenn ein Deserteur an einem Checkpoint rekrutiert wird, kann er direkt zum Dienst - auch an die Front - oder ins Gefängnis geschickt werden. Die Konsequenzen für Desertion hängen vom Bedarf an der Front und von der Position und dem Rang des Deserteurs ab. Für ‚desertierte', vormals bei der Armee arbeitende Zivilisten gelten dieselben Konsequenzen wie für einen Deserteur. Solche Personen werden als Verräter angesehen, weil sie über Informationen über die Armee verfügen (