TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/22 99/04/0181

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Veröffentlicht am 22.03.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §13a;
GewO 1994 §356 Abs3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 99/04/0182

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Breunlich, über die Beschwerden 1.) des E,

2.) der H, 3.) des D, alle in G, alle vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 3. August 1999, Zl. Ge-442461/4-1999-Ha/Sta, betreffend Zurückweisung von Berufungen in einem Verfahren gemäß § 81 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: K in G, vertreten durch D, Rechtsanwälte OEG in P), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Spruchpunkt II., soweit damit die Berufungen der Beschwerdeführer gegen den erstbehördlichen Bescheid als unzulässig zurückgewiesen werden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 3. August 1999 wurden unter anderem die Berufungen der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom 18. Juni 1999, mit welchem der mitbeteiligten Partei die gewerbebehördliche Genehmigung zur Änderung ihrer näher bezeichneten Betriebsanlage erteilt wurde, gemäß § 356 Abs. 3 in Verbindung mit § 81 GewO 1994 als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung führte die belangte Behörde, soweit dies für das verwaltungsgerichtliche Verfahren von Bedeutung ist, aus, mit Kundmachung der Erstbehörde vom 13. Jänner 1997 sei über das gegenständliche Genehmigungsansuchen der mitbeteiligten Partei für den 4. Februar 1997 die mündliche Augenscheinsverhandlung anberaumt und es seien hiezu unter anderem auch die Beschwerdeführer als Nachbarn persönlich geladen worden. Die Kundmachung habe auch den Hinweis enthalten, dass nur jene Nachbarn Parteistellung erlangten, welche spätestens bei der Verhandlung zulässige Einwendungen im Sinn des § 74 Abs. 2 GewO 1994 gegen die Anlage erheben. An der Augenscheinsverhandlung vom 4. Februar 1997 hätten die Beschwerdeführer persönlich teilgenommen, aber weder vor noch während der Verhandlung Einwendungen erhoben. Die Verhandlung sei auf unbestimmte Zeit vertagt worden. Mit Kundmachung der Erstbehörde vom 23. Juni 1997 sei die fortgesetzte mündliche Augenscheinsverhandlung für den 8. Juli 1997 anberaumt worden. Auch diese Kundmachung habe den oben genannten Hinweis enthalten und sei den Beschwerdeführern zugestellt worden. Diese hätten auch an dieser Augenscheinsverhandlung persönlich teilgenommen und anschließend an die Befundaufnahme eine Erklärung abgegeben, wonach sie ihre Stellungnahme zum Projekt erst nach Vorliegen des sanitätspolizeilichen Gutachtens abgeben wollten. Im weiteren Verlauf sei ein medizinisches Gutachten eingeholt worden, das den Beschwerdeführern mit der Einladung zur Stellungnahme zur Kenntnis gebracht worden sei. Mit Eingaben vom 29. bzw. 30. September 1997 hätten die Beschwerdeführer umfassende Einwendungen gegen das gegenständliche Projekt erhoben. Da die Beschwerdeführer nicht vor Schluss der mündlichen Augenscheinsverhandlung derartige Einwendungen erhoben hätten, hätten sie gemäß § 356 Abs. 3 GewO 1994 Parteistellung in diesem Verfahren nicht erlangt, weshalb ihre Berufungen gegen den erstbehördlichen Bescheid als unzulässig zurückzuweisen gewesen seien.

Gegen diesen Bescheid richten sich die zur hg. Zl. 99/04/0181 protokollierte Beschwerde der Erst- und Zweitbeschwerdeführer sowie die zur hg. Zl. 99/04/0182 protokollierte Beschwerde des Drittbeschwerdeführers. Mit beiden Beschwerden wird der angefochtene Bescheid nur in seinem Ausspruch über die Zurückweisung der Berufungen bekämpft.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete zu beiden Beschwerden eine gemeinsame Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligte Partei erstattete getrennte Gegenschriften mit dem Antrag, die jeweilige Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in den inhaltlich übereinstimmenden Beschwerden nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht auf meritorische Erledigung ihrer Berufungen verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringen sie vor, die belangte Behörde negiere das Verhandlungsergebnis, da schon in der Niederschrift über die Verhandlung vom 4. Februar 1997 angeführt sei, zur Fortsetzung der Verhandlung sei eine detaillierte Wärmebedarfsrechnung vorzulegen, um die Befürchtungen der Nachbarn, dass die Heizungsanlage zu groß ausgelegt wäre, überprüfen zu können. Dies sei ein eindeutiges Indiz, dass von den Beschwerdeführern begründete Einwendungen eingebracht worden seien. Außerdem habe der Verhandlungsleiter in dieser Verhandlung betreffend die Einwendungen sämtlicher Nachbarn insofern eine Verfügung getroffen, als er angeordnet habe, dass die Stellungnahmen der Nachbarn erst nach Vorliegen sämtlicher Gutachten einschließlich des noch einzuholenden Gutachtens des Amtsarztes erfolgen werde. Die Beschwerdeführer hätten daher aus guten Gründen davon ausgehen können, dass sie bei Einbringung ausdrücklicher Einwendungen nach Vorliegen dieser Gutachten ihrer Parteistellung nicht verlustig würden. Diese Verfügung des Verhandlungsleiters sei in der fortgesetzten Augenscheinsverhandlung vom 8. Juli 1997 nochmals wiederholt worden, wo es heiße, es werde den Nachbarn nach Erhalt der Stellungnahme des Amtsarztes das gesamte Verhandlungsergebnis mit der Einladung, hiezu binnen zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, zur Kenntnis gebracht. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits ausgesprochen, dass ein Nachbar als verschuldenslos gelte, wenn er auf Grund einer behördlichen Belehrung habe davon ausgehen können, dass er nach Erstellung des ärztlichen Gutachtens die Möglichkeit zur Erhebung substantiierter Einwendungen habe. Dazu komme noch, dass der Verhandlungsleiter die diskretionäre Gewalt habe, indem er die Reihenfolge, in welcher die Beteiligten zu hören bzw. die Beweise aufzunehmen seien, bestimme. Durch die genannten Verfügungen habe der Verhandlungsleiter diese diskretionäre Gewalt dahin ausgeübt, dass er den Nachbarn erst nach Vorliegen des amtsärztlichen Gutachtens die Möglichkeit zur Erhebung von Einwendungen eingeräumt habe. In einem mit der Beschwerde vorgelegten Aktenvermerk vom 30. August 1999 habe der Verhandlungsleiter selbst ausgeführt, dass die Nachbarn sehr wohl in den Verhandlungen am 4. Februar 1997 und am 8. Juli 1997 begründete Einwendungen vorgebracht hätten. Dass diese Einwendungen nicht protokolliert worden seien, könne den Nachbarn nicht als Nachteil angerechnet werden. Im Berufungsverfahren habe die belangte Behörde gegen den Grundsatz des Parteiengehörs verstoßen, weil sie die Beschwerdeführer mit ihrer Rechtsansicht überrascht habe, ohne ihnen vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bei einer entsprechenden Einvernahme des Verhandlungsleiters und des ebenfalls bei der Augenscheinsverhandlung anwesenden Bürgermeisters hätte die belangte Behörde zu dem Schluss kommen müssen, dass die Beschwerdeführer sehr wohl rechtzeitig Einwendungen eingebracht hätten.

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994 in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; ...

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen, ...

Gemäß § 356 Abs. 3 leg. cit. in der hier im Hinblick auf den Zeitpunkt der mündlichen Augenscheinsverhandlung erster Instanz (8. Juli 1997) anzuwendenden Fassung vor der Verwaltungsverfahrensnovelle 1998, BGBl. I Nr. 158/1998, sind im Verfahren unter anderem zur Genehmigung der Errichtung und des Betriebes einer Betriebsanlage unbeschadet des folgenden Satzes nur jene Nachbarn Parteien, die spätestens bei der Augenscheinsverhandlung Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 erheben, und zwar vom Zeitpunkt ihrer Einwendungen an. Weist ein Nachbar der Behörde nach, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach dem ersten Satz zu erlangen, so darf er seine Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 auch nach Abschluss der Augenscheinsverhandlung und bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Angelegenheit vorbringen und ist vom Zeitpunkt seiner Einwendungen an Partei; solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Augenscheinsverhandlung anberaumt hat, und von dieser oder von der Berufungsbehörde in gleicher Weise zu berücksichtigen, als wären sie in der mündlichen Verhandlung erhoben worden.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 21. September 1993, Zl. 93/04/0017 ausgeführt hat, werden Nachbarn durch die (wenn auch inhaltlich rechtswidrige) Erklärung des Verhandlungsleiters, sie hätten auch noch nach Abschluss der mündlichen Augenscheinsverhandlung nach Einlangen eines in Auftrag gegebenen Gutachtens die Möglichkeit, Einwendungen im Sinn des § 356 Abs. 3 zu erheben und damit Parteistellung zu erwerben, im Sinn des § 356 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. ohne ihr Verschulden gehindert, die Parteistellung nach dem ersten Satz dieser Gesetzesstelle zu erlangen.

Im vorliegenden Fall enthält zwar die Verhandlungsschrift über die mündliche Augenscheinsverhandlung erster Instanz keine ausdrückliche Erklärung des Verhandlungsleiters über die Möglichkeit der Erlangung der Parteistellung für die Nachbarn durch Einwendungen, die erst nach Vorliegen des amtsärztlichen Gutachtens erhoben werden. Ob eine solche Erklärung abgegeben wurde, kann hier dahingestellt bleiben. Wäre diese Erklärung nicht abgegeben worden, wäre es Sache des Verhandlungsleiters gewesen, die Beschwerdeführer die die dort protokollierte Absicht bekundeten, erst nach Vorliegen des sanitätspolizeilichen Gutachtens ihre Stellungnahme zum Projekt abgeben zu wollen, über die mit einer solchen Vorgangsweise verbundene Rechtsfolge des Verlustes der Möglichkeit Parteistellung im Verfahren zu erwerben, im Sinn des § 13a AVG zu belehren. Auch in diesem Fall wären die Beschwerdeführer ohne ihr Verschulden im Sinn des § 356 Abs. 3 zweiter Satz GewO 1994 gehindert gewesen, rechtzeitig ihre Einwendungen zu erheben.

Bei dieser Sachlage wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen (wenn sie schon nicht auf Grund des Inhaltes der Verhandlungsschrift zu dem Ergebnis gelangte, dass den Beschwerdeführern vom Leiter der Verhandlung erster Instanz die Möglichkeit in Aussicht gestellt wurde, auch mit erst nach Vorliegen des sanitätspolizeilichen Gutachtens erstatteten Einwendungen Parteistellung zu erlangen), von Amts wegen durch entsprechende Erhebungen den wahren Sachverhalt festzustellen. Die Unterlassung dieser Erhebungen stellte eine der belangten Behörde unterlaufene Verletzung von Verfahrensvorschriften im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG dar, deren Relevanz von den Beschwerdeführern durch Vorlage des Aktenvermerkes des erstbehördlichen Verhandlungsleiters über die Vorgänge in der fraglichen Verhandlung dargetan wurde.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff , insbesondere § 53 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Umsatzsteuer zum Schriftsatzaufwand betreffende Mehrbegehren war im Hinblick auf die Pauschalierung dieses Aufwandersatzes in der genannten Verordnung, die ja auch die Umsatzsteuer umfasst, abzuweisen.

Wien, am 22. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999040181.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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