TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/22 99/01/0419

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Veröffentlicht am 22.03.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/02 Staatsbürgerschaft Staatenlosigkeit;

Norm

AsylG 1997 §4 Abs1;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
Dubliner Übk 1997 Art1 Abs1;
Dubliner Übk 1997 Art11 Abs1;
Dubliner Übk 1997 Art11 Abs3;
Dubliner Übk 1997 Art3 Abs6;
Dubliner Übk 1997 Art5;
Dubliner Übk 1997 Art9;
Dubliner Übk 1997;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der LH, geboren am 20. September 1972, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18. Oktober 1999, Zl. 212.911/0-XII/37/99, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages, Feststellung und Ausweisung gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien aus dem Kosovo, Angehörige der albanischen Volksgruppe, reiste am 25. Juli 1998 in das Bundesgebiet ein. Sie stellte am 4. Jänner 1999 den Asylantrag und wurde am 17. März 1999 niederschriftlich einvernommen. Hiebei gab sie im Wesentlichen zu ihrer Fluchtroute an, sie sei am 2. Jänner 1998 mit einem Reisebus vom Kosovo über Bosnien und Kroatien nach Slowenien gefahren. Sie habe sich bis 22. Jänner 1998 in Laibach aufgehalten. Dort sei ihr Sohn geboren worden. Ihr sei von der italienischen Botschaft in Laibach ein "Schengen-Visum" (diesbezüglich liegt im Akt das "Visto Nr. 102475709", gültig für "Stati Schengen", von der italienischen Botschaft Laibach am 13. Juli 1998, gültig ab diesem Tag bis 4. Jänner 1999) ausgestellt worden. Ihr in Österreich arbeitender und aufhältiger Ehegatte habe sie von dort abgeholt. Sie sei von Slowenien über den Loiblpass mit dem genannten Visum nach Österreich eingereist und nach Deutschland, in der Nähe von Traunstein zu ihrer Schwester gebracht worden. Dort sei sie zehn Tage aufhältig gewesen und sodann legal nach Österreich eingereist.

Mit Schreiben vom 29. Juni 1999 stellte das Bundesasylamt an das italienische Innenministerium unter Hinweis auf das von der italienischen Botschaft in Laibach ausgestellte Visum im Namen der Republik Österreich formal das Ersuchen, dass Italien die Übernahme der Beschwerdeführerin zur Entscheidung über ihren Asylantrag akzeptiere. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin am 22. Jänner 1998 ihren Sohn geboren habe. Bezüglich Letztgenanntem wurde hinzugefügt, dass man sehr dankbar sei, wenn Italien auch den Sohn der Beschwerdeführerin in Übereinstimmung mit Art. 9 des "Dubliner Übereinkommens" (Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997 - DÜ) akzeptiere.

Mit Schriftsatz des italienischen Innenministeriums vom 3. September 1999, eingelangt beim Bundesasylamt am 6. September 1999, wurde dem Übernahmegesuch vom 29. Juni 1999 betreffend beider Personen gemäß Art. 5 DÜ entsprochen. Die Behörde erster Instanz wies mit Bescheid vom 20. September 1999 den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 4/1999 - AsylG -, als unzulässig zurück. Für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 5 Abs. 2 DÜ Italien zuständig. Die Beschwerdeführerin werde aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Zusammen mit der dagegen erhobenen Berufung stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, es wolle gemäß § 75 Abs. 1 FrG 1997 festgestellt werden, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Italien und in alle von ihr auf der Flucht durchreisten Länder unzulässig sei. Unter Hinweis auf Art. 9 DÜ und die Tatsache, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin als Gastarbeiter in Österreich arbeite, schlug die Beschwerdeführerin vor, die belangte Behörde möge bei den zuständigen italienischen Asylbehörden anregen, sie mögen die österreichischen Asylbehörden ersuchen, aus humanitären, insbesondere aus familiären Gründen den Asylantrag zu prüfen.

Hierauf erließ die belangte Behörde, ohne weitere Schritte zu setzen, den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie legte den oben ausgeführten Sachverhalt ihrer Entscheidung zu Grunde. Nach Wiedergabe der angewendeten Normen führte die belangte Behörde aus, es sei der Tatbestand des Art. 5 Abs. 2 DÜ erfüllt. Die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt der Asylantragstellung im Besitz des von der italienischen Botschaft in Laibach gültig ausgestellten Schengen-Visums gewesen. Dieses Visum berechtige zum Aufenthalt in den Schengener-Vertragsstaaten und somit auch zum Aufenthalt in Österreich. Demnach liege die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrages vor, was auch von Seiten Italiens nach Durchführung des völkerrechtlich vereinbarten Konsultationsverfahrens bestätigt worden sei. Die belangte Behörde setzte fort:

"Eine Prüfung nach § 4 AsylG (dh. hinsichtlich des Vorliegens eines sicheren Drittstaates) ist im Bezug auf Italien nicht vorzunehmen, da eine derartige Prüfung nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 AsylG nur hinsichtlich solcher Staaten zu erfolgen hat, mit denen kein Vertrag über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages besteht. Die Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Asylwerberin in Italien ein Verfahren nach der GFK offensteht, diese Refoulement-Schutz genießt und nicht nach Slowenien abgeschoben wird, ist daher rechtlich nicht relevant. Es besteht kein Zweifel daran, dass sich Italien als Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention zu deren Einhaltung verpflichtet hat. Auf Grund des Artikels 9 DÜ kann ein Mitgliedstaat, obwohl dieser gemäß den Kriterien der Art. 4 bis 8 für die Prüfung des Asylantrages zuständig wäre, einen anderen aus humanitären, insbesondere aus familiären oder kulturellen Gründen ersuchen, die Prüfung des Asylantrages zu übernehmen. Artikel 9 DÜ beinhaltet jedoch keinen Rechtsanspruch des Asylwerbers, sondern stellt diese Bestimmung zum Unterschied zu Artikel 4 eine 'Kann-Bestimmung' dar und liegt somit im Ermessen des jeweils zuständigen Staates."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin macht darin folgende Themen geltend:

1. inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge rechtsirriger Annahme, dass ein Tatbestand nach Art. 5 Abs. 2 DÜ vorliege;

2. Rechtswidrigkeit infolge rechtsirriger Nicht-Anwendung des Art. 5 Abs. 2 lit. b DÜ;

3.

Rechtswidrigkeit infolge Nicht-Anwendung des Art. 6 DÜ;

4.

Rechtswidrigkeit wegen Nicht-Anwendung des Art. 9 DÜ;

5.

Rechtswidrigkeit infolge Unterlassung der beantragten Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung bzw. der unterlassenen Non-Refoulement-Prüfung.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 4 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn der Fremde in einem Staat, mit dem kein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann.

§ 5 AsylG lautet:

"(1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Asylantrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat das Bundesasylamt auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Ein solcher Bescheid ist mit einer Ausweisung zu verbinden.

(2) ...

(3) Eine Ausweisung gemäß Abs. 1 und 2 gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat."

Die durch Staatsvertrag bestehende Zuständigkeit eines anderen Staates ist negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich der Prüfung des Asylantrages in Österreich. Der einzige derzeit existente Vertrag, auf den sich § 5 AsylG beziehen kann, ist das Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997, (DÜ). Die in diesem Abkommen enthaltenen Bestimmungen richten sich an die Vertragsstaaten, nicht aber an die einzelnen Asylbewerber. Aus ihnen resultieren somit keine subjektiv-öffentlichen Rechte für die Asylbewerber. Ein subjektiv-öffentliches Recht besteht nur auf Grund der Bestimmungen des § 5 Asylgesetz dahingehend, dass ein Asylantrag nur dann als unzulässig zurückgewiesen werden darf, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist.

Die Beschwerdeführerin zieht nicht in Zweifel, dass das DÜ ein Vertrag über die Bestimmung der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages und Italien Vertragspartei dieses Abkommens ist.

Die Beschwerdeführerin bestreitet auch nicht, dass Österreich im Sinne des Art. 11 DÜ innerhalb der Frist von sechs Monaten nach der Einreichung des Asylantrages Italien ersucht hat, die Asylbewerberin aufzunehmen und sich das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 3. September 1999 bereit erklärt hat, die Beschwerdeführerin zurückzunehmen und ihren Asylantrag in Italien zu prüfen.

Gemäß Art. 1 Abs. 1 DÜ gilt im Sinne dieses Übereinkommens als lit. e) Aufenthaltserlaubnis jede von den Behörden eines Mitgliedstaates erteilte Erlaubnis, mit der der Aufenthalt eines Ausländers im Hoheitsgebiet dieses Staates gestattet wird, mit Ausnahme der Visa und Aufenthaltsgenehmigungen, die während der Prüfung eines Antrages auf Aufenthaltserlaubnis oder eines Asylantrages ausgestellt werden, lit. f) Einreisevisum die Erlaubnis bzw. Entscheidung, mit der ein Mitgliedstaat die Einreise eines Ausländers in sein Hoheitsgebiet gestattet, sofern die übrigen Einreisebedingungen erfüllt sind, lit. g) Transitvisum die Erlaubnis bzw. Entscheidung, mit der ein Mitgliedstaat die Durchreise eines Ausländers durch sein Hoheitsgebiet oder durch die Transitzone eines Hafens oder eines Flughafens gestattet, sofern die übrigen Durchreisebedingungen erfüllt sind.

Gemäß Art. 1 Abs. 2 DÜ richtet sich die Beurteilung der Art des Visums ausschließlich nach den Definitionen des Abs. 1 lit. f und g.

Gemäß Art. 3 Abs. 1 DÜ verpflichten sich die Mitgliedstaaten, jeden Asylantrag zu prüfen, den ein Ausländer an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt.

Gemäß Art. 3 Abs. 2 DÜ wird dieser Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat gemäß den im DÜ definierten Kriterien geprüft. Die in den Art. 4 bis 8 aufgeführten Kriterien werden in der Reihenfolge, in der sie aufgezählt sind, angewendet.

Gemäß Art. 3 Abs. 6 wird das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der auf Grund dieses Übereinkommens für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, eingeleitet, sobald ein Asylantrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt wird.

Außer Streit steht im gegenständlichen Fall, dass die Beschwerdeführerin keinen Familienangehörigen besitzt, dem in einem Mitgliedstaat des DÜ die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Genfer Abkommens in der Fassung des Protokolls von New York zuerkannt worden ist und der seinen legalen Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat hat (Art. 4 DÜ).

Art. 5 DÜ lautet auszugsweise:

"(1) Besitzt der Asylbewerber eine gültige Aufenthaltserlaubnis, so ist der Mitgliedstaat, der die Aufenthaltserlaubnis erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrages zuständig.

(2) Besitzt der Asylbewerber ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig, soweit nicht einer der nachstehenden Fälle vorliegt:

a) Ist dieses Visum mit schriftlicher Zustimmung eines anderen Mitgliedstaates erteilt worden, so ist dieser für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Konsultiert ein Mitgliedstaat insbesondere aus Sicherheitsgründen zuvor die zentralen Behörden eines anderen Mitgliedstaats, so stellt dessen Zustimmung keine schriftliche Zustimmung im Sinne dieser Bestimmung dar.

b) Stellt der Asylbewerber, der ein Transitvisum besitzt, seinen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat, in dem er nicht visumpflichtig ist, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

c) Stellt der Asylbewerber, der ein Transitvisum besitzt, seinen Antrag in dem Staat, der ihm dieses Visum erteilt hat und der von den diplomatischen oder konsularischen Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats eine schriftliche Bestätigung erhalten hat, der zufolge der von der Visumpflicht befreite Ausländer die Voraussetzungen für die Einreise in diesen Staat erfüllt, so ist letzterer für die Prüfung des Asylantrags zuständig."

Art. 11 DÜ lautet auszugsweise:

"(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung dieses Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, in jedem Fall aber innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Einreichung des Asylantrags, letzteren ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen. Wird das Aufnahmegesuch nicht innerhalb von sechs Monaten unterbreitet, so ist der Staat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

(2) Das Aufnahmegesuch muss Hinweise enthalten, aus denen die Behörden des ersuchten Staates entnehmen können, dass ihr Staat gemäß den in diesem Übereinkommen definierten Kriterien zuständig ist.

(3) Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Staates wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. ..."

1. Die Beschwerdeführerin wendet ein, dass das von der italienischen Botschaft in Laibach ausgestellte Visum am 4. Jänner 1999 ausgelaufen sei und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Asylantrag nicht mehr gültig gewesen sei.

Gemäß Art. 11 Abs. 3 DÜ wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Staates von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung zeigt sich die Unrichtigkeit der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass es bei der Zuständigkeitsprüfung im Sinne des DÜ auf den Tag der Entscheidung über den Asylantrag ankäme.

Auch aus dem Zusammenhalt der Begriffsbestimmungen des Art. 1 Abs. 1 lit. e, f und g mit Art. 3 Abs. 6 und Art. 5 DÜ ergibt sich unmissverständlich, dass die Gültigkeit einer Aufenthaltserlaubnis bzw. eines Visums nicht zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde über den Asylantrag zu bemessen ist, sondern zu jenem Zeitpunkt, zu dem das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates eingeleitet (also der Asylantrag gestellt) wird. Denn käme es auf den Entscheidungszeitpunkt an, so wäre vor allem bei Gewährung eines Transitvisums mit - in der Regel - kurzer Laufzeit und dem Regelfall der Asylantragstellung während der Laufzeit das DÜ ad absurdum geführt, weil bei Ausnützung zustehender Rechtsmittel eine Entscheidung über den Asylantrag zumeist nicht vor Ablauf der Visumsfrist möglich wäre.

Sohin bedeutet "gültig" im Sinne des Art. 5 DÜ die Gültigkeit zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 6 DÜ).

Im konkreten Fall war das von der italienischen Botschaft Laibach erteilte Visum bis 4. Jänner 1999 gültig, die Beschwerdeführerin stellte noch vor Ablauf der Gültigkeit, nämlich am 4. Jänner 1999, den gegenständlichen Asylantrag in Österreich. Die belangte Behörde ging daher zu Recht bei ihrer Zuständigkeitsprüfung von einem gültigen Visum aus.

2. Die von der Beschwerdeführerin geforderte Anwendung des Art. 5 Abs. 2 lit. b DÜ ist im gegenständlichen Fall nicht zulässig.

Ob es sich bei dem gegenständlichen Visum der italienischen Botschaft Laibach um ein Einreisevisum oder um eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne des DÜ handelt, kann hier dahinstehen, weil in beiden Fällen gemäß Art. 5 Abs. 1 (im Falle der Aufenthaltserlaubnis) bzw. Abs. 2 Einleitungssatz DÜ (im Falle eines Visums) der Mitgliedstaat, der die Aufenthaltserlaubnis bzw. das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Nach Art. 5 Abs. 2 Einleitungssatz DÜ ist von der Grundregel nur dann eine Abweichung zulässig, wenn einer der taxativ unter lit. a bis c leg. cit. geregelten Sonderfälle vorliegt. Lit. b und c leg. cit. stellen ausdrücklich auf den Besitz eines Transitvisums ab. Beim gegenständlichen Visum handelt es sich jedoch keinesfalls um ein Transitvisum im Verständnis des Art. 1 Abs. 1 lit. g DÜ.

Da im konkreten Fall der Sondertatbestand des Art. 5 Abs. 2 lit. b DÜ nicht vorliegt, scheidet seine Anwendung - auch in der von der Beschwerdeführerin (früher) geforderten analogen Weise wegen Art. 5 Abs. 2 Einleitungssatz aus.

3. Zu der von der Beschwerdeführerin geforderten Anwendung des Art. 6 DÜ:

Dieser Einwand scheitert schon an der in Art. 3 Abs. 2 DÜ enthaltenen Reihenfolge der Anwendung der Prüfkriterien. Steht die Zuständigkeit eines bestimmten Vertragsstaates zur Prüfung des Asylantrages nach einer vorhergehenden Bestimmung des DÜ fest, so scheidet die Heranziehung einer nachfolgenden Zuständigkeitsnorm aus. Da die Zuständigkeit gemäß Art. 5 DÜ bereits feststeht, kann es auf Art. 6 DÜ nicht mehr ankommen.

4. Zur behaupteten Rechtswidrigkeit wegen Nichtanwendung des Art. 9 DÜ:

Diese Bestimmung lautet:

"Auch wenn ein Mitgliedstaat in Anwendung der in diesem Übereinkommen definierten Kriterien nicht zuständig ist, kann dieser auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats und unter der Voraussetzung, dass der Asylbewerber dies wünscht, aus humanitären, insbesondere aus familiären oder kulturellen Gründen, einen Asylantrag prüfen. Ist der ersuchte Mitgliedstaat bereit, den Asylantrag zu prüfen, so geht die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags auf ihn über."

Das Dubliner Übereinkommen regelt grundsätzlich nur die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, nicht aber Rechte von Asylbewerbern. Auch aus Art. 9 DÜ erfließt dem Asylantragsteller kein subjektiv-öffentliches Recht, dass ein nach den Zuständigkeitskriterien des DÜ für die Prüfung des Asylantrages unzuständiger Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages übernimmt. Auch Art. 9 richtet sich ausschließlich an die Mitgliedstaaten.

Ein subjektiv öffentliches Recht kann sich nur aus § 5 AsylG ergeben. Danach ist Tatbestandsvoraussetzung für die Zurückweisung eines nicht gemäß § 4 erledigten Asylantrages als unzulässig ausschließlich die vertragliche Zuständigkeit eines anderen Staates zur Prüfung des Asylantrages. Daher entsteht auch aus dieser Bestimmung kein subjektives öffentliches Recht eines Asylwerbers darauf, dass ein anderer als der vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständige Staat ein aus dem DÜ erfließendes zwischenstaatliches Ermessen zwecks Übertragung der Zuständigkeit von dem vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständigen Staat auf einen anderen Mitgliedstaat ausübt.

5. Das Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde habe in rechtswidriger Weise über den in der Berufung gestellten - auf § 57 Fremdengesetz 1997 gestützten - Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin nicht entschieden, geht schon im Hinblick darauf ins Leere, dass mit der gegenständlichen Bescheidbeschwerde nicht auch eine allfällige Säumnis der belangten Behörde geltend gemacht werden kann. Was hingegen den Vorwurf anlangt, die belangte Behörde habe keine "Non-Refoulement-Prüfung" durchgeführt, so ist der Beschwerdeführerin zu entgegnen, dass sie keine ausreichend konkreten Behauptungen aufgestellt hat, in Italien der Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Von daher kann dahinstehen, ob (inwieweit) die belangte Behörde im Rahmen des § 5 AsylG zu der angesprochenen Prüfung verpflichtet gewesen wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. März 2000

Schlagworte

Ermessen Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATION

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010419.X00

Im RIS seit

02.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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