TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/22 99/01/0036

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Veröffentlicht am 22.03.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des B M in L, geboren am 29. November 1978, vertreten durch Mag. Michael Poduschka, Rechtsanwalt in 4320 Perg, Dr. Schoberstraße 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Oktober 1998, Zl. 200.634/0-III/07/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 8. Oktober 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Er ist jugoslawischer Staatsangehöriger, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Am 9. Oktober 1997 zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er im Wesentlichen an:

Vor etwa einem Monat hätten uniformierte Polizisten versucht, ihm einen Befehl zur militärischen Musterung zuzustellen. Er habe den Befehl jedoch keine Folge geleistet, da er befürchte, während des Militärdienstes von einfachen Soldaten und von Vorgesetzten der serbischen Volksgruppe geschlagen zu werden.

Mit Bescheid vom 4. November 1997 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, ab.

In seiner dagegen gerichteten Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, sein Vater habe ihm zwischenzeitlich telefonisch mitgeteilt, die Polizei habe in der Folge noch dreimal versucht, ihn von zu Hause abzuholen. Sein Vater sei von der Polizei beschimpft und geschlagen worden, als er von der Flucht seines Sohnes erzählt habe. Weiters sei dem Vater aufgetragen worden, den Beschwerdeführer wieder zurückzuholen. Wie ihn sein Vater weiters informiert habe, sei der Beschwerdeführer bereits verurteilt worden. Der Beschwerdeführer werde versuchen, dieses Dokument aus seiner Heimat so schnell wie möglich zu bekommen und unverzüglich vorzulegen.

Die belangte Behörde brachte dem Beschwerdeführer einen Bericht der österreichischen Botschaft in Belgrad vom 23. Juni 1997 zur Kenntnis, wonach Albaner aus dem Kosovo in Jugoslawien kaum mehr zum Wehrdienst einberufen würden. Derzeit befänden sich nur etwa 100 ethnische Albaner in der jugoslawischen Armee. Einberufungsbefehle würden an Kosovo-Albaner im Wesentlichen nur versendet, um sie zum Verlassen des Landes zu bewegen. Ethnische Albaner würden wegen Wehrdienstverweigerung nicht strenger, sondern statistisch sogar weniger streng bestraft als Wehrpflichtige anderer Volksgruppen. Auf Grund der Fülle der Wehrdienstverweigerungen - nahezu alle Kosovo-Albaner folgten einem Einberufungsbescheid nicht - käme es überhaupt nur in Ausnahmefällen zu einer Verurteilung. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer weiters behaupteten Gruppenverfolgung verwies die belangte Behörde auf Informationen seitens der österreichischen Botschaft in Belgrad vom Juli 1997. Danach seien von der albanischen Gesamtbevölkerung Kosovos im Jahr 1994 lediglich ca. 0,6 % und im Jahr 1995 0,58 % der Bevölkerung von staatlichen Repressionsmaßnahmen betroffen.

Der Beschwerdeführer gab zu diesem Vorhalt keine Stellungnahme ab, übermittelte der belangten Behörde jedoch am 7. März 1998 ein angeblich vom Kreisgericht in Kosovska Mitrovica stammendes Urteil vom 24. November 1997. Demnach sei der Beschwerdeführer wegen "Beteiligung an feindlicher Tätigkeit" im Zusammenhang mit der Straftat "Gefährdung der territorialen Gesamtheit" zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden.

Die belangte Behörde übermittelte das vorgelegte Urteil über das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten der österreichischen Botschaft in Belgrad mit dem Ersuchen, das Dokument im Wege des Vertrauensanwaltes der österreichischen Vertretungsbehörde hinsichtlich seiner Echtheit und Richtigkeit überprüfen zu lassen. Mit Schreiben vom 9. Juni 1998 brachte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis, dass eine Überprüfung des vorgelegten Dokumentes bei der Geschäftsstelle des Landesgerichtes und jener der Staatsanwaltschaft in Kosovska Mitrovica, sowie eine Überprüfung des als Pflichtverteidiger in diesem Verfahren bestellten Rechtsanwaltes ergeben habe, dass das Urteil unecht sei, wobei insbesondere anzumerken sei, dass der in diesem Urteil aufscheinende Pflichtverteidiger seit bereits fünf Jahren nicht mehr als Rechtsanwalt arbeite.

Mit Schreiben vom 24. Juni 1998 entgegnete der Beschwerdeführer, die belangte Behörde stütze ihre Ermittlungen auf die österreichische Vertretungsbehörde in Belgrad, obwohl bekannt sei, dass sich die serbische Regierung in einer Art Kriegszustand mit dem Kosovo-Albanern befinde. Er ersuche daher, ihm mündliches Parteiengehör einzuräumen, um auf diese Weise seine Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen zu können.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 1998 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 7 AsylG ab. Die Behauptung des Beschwerdeführers, in seiner Heimat wegen "Beteiligung an feindlicher Tätigkeit" im Zusammenhang mit der Straftat der "Gefährdung der territorialen Gesamtheit" verurteilt worden zu sein, sei angesichts der Ermittlungsergebnisse unglaubwürdig. Die Einberufung zur Militärdienstleistung stelle keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Von den jüngsten Entwicklungen im Heimatland sei der Beschwerdeführer nicht unmittelbar persönlich betroffen, da er sich seit dem 8. Oktober 1997 in Österreich aufhalte. Ein asylrechtlich erhebliches Verfolgungsprogramm des serbischen Staates liege nicht vor. Im Zuge von Kampfhandlungen werde die albanische Bevölkerung lediglich mittelbar getroffen, indem sie die Folgewirkungen der kriegerischen Auseinandersetzungen zu tragen habe; darin könne jedoch keine asylrechtlich relevante Verfolgung gesehen werden.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Erlassung zu prüfen hat.

Es kann im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers Verfahrensvorschriften verletzt hat.

Denn der Verwaltungsgerichtshof sieht es in ständiger Rechtsprechung insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gingen auch mit vermehrten Übergriffen auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörde jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer stammt nach seinen unstrittigen Angaben aus einem Ort nahe Kosovska Mitrovica, somit einem Gebiet, das von den genannten Vorfällen im Zeitpunkt der Bescheiderlassung betroffen war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1999, Zl. 98/01/0634). Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid daher zu Unrecht auf diese Vorfälle nicht in ausreichendem Maße eingegangen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0378, weiters ausgeführt hat, hätte der Beschwerdeführer eine mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohende, asylrelevante Verfolgung nur dann nicht zu befürchten gehabt, wenn eine derartige Verfolgung bei ihm auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden könnte. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird zur näheren Begründung auf die angeführten Erkenntnisse vom 16. Juni 1999 und 22. Dezember 1999 verwiesen.

Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010036.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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