TE Bvwg Beschluss 2018/4/18 W204 2123118-2

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Veröffentlicht am 18.04.2018
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Entscheidungsdatum

18.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W204 2123118-2/23E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2016, Zl. XXXX, den Beschluss:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 11.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am selben Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab er an, er sei am XXXX in Maidan Wardak geboren. Als Fluchtgrund gab er an, sein Vater, der bei der Hezb-e Islami gewesen sei, sei eines Tages plötzlich verschwunden und man wisse nicht, was mit ihm passiert sei. Die Familie habe nun niemanden mehr, der sie ernähren könne.

I.3. Am 15.12.2015 erhob der BF durch seinen damaligen Rechtsvertreter Säumnisbeschwerde, die mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zu W151 2123118-1 vom 21.04.2016 abgewiesen wurde, da die Behörde kein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung traf.

I.4. Am 18.10.2016 wurde der BF von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu und seiner damaligen Rechtsvertretung niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde er u.a. zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Religionszugehörigkeit, seinen Familienangehörigen, seiner Herkunftsprovinz, seinem Leben in Afghanistan und seinem bisherigen Leben in Österreich befragt. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der BF wiederum aus, sein Vater, der bei der Hezb-e Islami gewesen sei, sei eines Tages plötzlich unauffindbar verschwunden. Er selbst habe von einem Mitglied der Hezb-e Islami dreimal einen gleichlautenden Brief erhalten, in dem er zur Mitarbeit aufgefordert worden sei.

Als Beilage zur Niederschrift wurden Deutschkursbestätigungen genommen.

I.5. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA vom 09.11.2016, dem Vertreter am 11.11.2016 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

In der Begründung des Bescheids gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben des Beschwerdeführers wieder und traf Feststellungen zur Lage in Afghanistan. Begründend führte die Behörde zu Spruchpunkt I. an, dass die vom BF vorgebrachte Bedrohung nicht glaubhaft sei und demnach auch nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und in weiterer Folge zur Gewährung des Asylstatus führen könne. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland wäre der BF keiner Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt, sodass ihm auch kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA eine Abwägung durch und kam dabei zu dem Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung im Falle des BF nicht als unverhältnismäßig anzusehen sei, weswegen eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 09.11.2016 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.7. Mit Schreiben vom 25.11.2016 erhob der BF durch seinen gewillkürten Vertreter Beschwerde gegen den Bescheid des BFA wegen mangelhafter Sachverhaltsfeststellungen, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Dabei wiederholte der BF im Wesentlichen seine Fluchtgründe. Außerdem sei der BF bei einer Rückkehr einer realen Gefahr der Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK ausgesetzt. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und in der Sache selbst zu erkennen sowie dem BF den Status eines Asylberechtigten in eventu den eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; in eventu den Bescheid aufzuheben und an das Bundesamt zurückzuverweisen.

I.8. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 01.12.2016 vorgelegt.

I.9. Am 17.01.2017 wurden die Verwaltungsakten der erkennenden Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

I.10. Der für den 18.12.2017 anberaumten Verhandlung blieb der BF entschuldigt fern.

I.11. Am 02.02.2018 langte eine Stellungnahme der neu bevollmächtigten Vertreterin ein, in der insbesondere ausgeführt wurde, der BF sei homosexuell und vom islamischen Glauben abgefallen. Als Beweis für dieses Vorbringen wurde unter anderem beantragt, einen männlichen Dolmetscher für die Verhandlung zu bestellen, da der BF große Hemmungen habe vor heterosexuellen Dolmetscherinnen aus seinem Kulturkreis über seine Homosexualität zu sprechen. Weiter wurde zum Beweis zur Einbettung des BF in die Schwulencommunity in Wien die zeugenschaftliche Einvernahme eines näher genannten afghanischen Asylberechtigten, dem internationaler Schutz aufgrund seiner Homosexualität zuerkannt worden sei, beantragt, sowie diverse Fotos und Unterlagen vorgelegt. Zum Beweis vom Islam abgefallen zu sein, legte der BF die Austrittserklärung aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vor.

I.12. Die erkennende Richterin erklärte sich aufgrund dieses neuen Vorbringens wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung für unzuständig.

I.13. Der Leiter der Gerichtsabteilung W258, dem die Rechtssache neu zugeteilt wurde, erklärte sich mit Verweis auf § 20 Abs. 2 erster Satz AsylG ebenfalls für unzuständig.

I.14. Durch Entscheidung des Präsidenten gemäß § 17 Abs. 4 Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes (im Folgenden: GO-BVwG) wurde die Rechtssache wieder der erkennenden Richterin zugewiesen, da ein Recht auf einen Richter des gleichen Geschlechts nur bestehe, wenn der BF einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung spätestens in der Beschwerde behauptet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

II.2. Zu Spruchpunkt A):

II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

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der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

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die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder

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mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11 mwN).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

II.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

-

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

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Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

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Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

II.2.3. Mit § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (wie auch schon mit der nahezu wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997) wurde die aus § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, speziell für das Asylverfahren weiter konkretisiert (vgl. dazu VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). Demnach verpflichtet § 18 Abs. 1 AsylG 2005 das Bundesamt (zuvor Bundesasylamt), in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

II.2.4. Nach § 20 Abs. 1 AsylG ist ein Asylwerber, der seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen. Nach Abs. 2 leg. cit. gilt Abs. 1 für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs. 1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen. Abs. 4 regelt die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit.

§ 20 AsylG dient ganz grundsätzlich dem Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung (VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0119 mwN). Gleiches gilt für die Furcht vor Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung (vgl. VfGH 11.12.2013, U 1914/2012 ua.). Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits ausgesprochen hat, führt ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 AsylG dazu, dass die in der Folge erlassene Entscheidung durch einen unrichtig zusammengesetzten Spruchkörper getroffen wird und somit das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 83 Abs. 2 B-VG verletzt wird (vgl. etwa VfGH 18.09.2015, E 1003/2014). Auch nach der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 20 AsylG nicht nur einen bloßen Verfahrensmangel dar, sondern kann ohne Darstellung der Relevanz als Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts geltend gemacht werden (vgl. grundlegend VwGH 27.06.2016, Ra 2014/18/0161).

Der BF wurde aber hierzu durch das Bundesamt nicht in Kenntnis gesetzt und auch in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides findet sich kein Hinweis, wonach derartige Gründe spätestens mit der Beschwerde vorzubringen wären. Der Beschwerdeführer wurde zudem von einer Organwalterin unter Hinzuziehung einer Dolmetscherin befragt. Ihm konnte deshalb weder bewusst sein, dass er derartige Gründe vorbringen kann, wie er in der Beschwerdeergänzung aufzeigt, noch war es ihm unter Hinweis auf die oben angeführte Hemmschwelle insbesondere als Mann seines Kulturkreises, der als Sohn eines Mitglied der Hezb-e Islami besonders streng gläubig erzogen worden sein muss, zumutbar, hierzu aus Eigenem gegenüber einer weiblichen Organwalterin Stellung zu nehmen.

Zur Bedeutung eines solchen Vorbringens führte auch bereits der EuGH mit Verweis auf Art. 1, 3, 4, 7 und 8 der Grundrechtecharta aus, dass angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die persönliche Sphäre einer Person, insbesondere ihre Sexualität, betreffen, jedoch allein daraus, dass diese Person, weil sie zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren, ihre Homosexualität nicht sofort angegeben hat, nicht geschlossen werden kann, dass sie unglaubwürdig ist. Außerdem sei zu beachten, dass die in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 vorgesehene Pflicht, "so schnell wie möglich" alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen, dadurch abgemildert werde, dass die zuständigen Behörden nach Art. 13 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 und Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 bei der Anhörung die persönlichen oder allgemeinen Umstände des Antrags einschließlich der Verletzlichkeit des Antragstellers zu berücksichtigen haben und den Antrag individuell prüfen müssen, wobei die individuelle Lage und die persönlichen Umstände jedes Antragstellers zu berücksichtigen sind (EuGH 02.12.2014, C-148/13 bis C-150/13, ECLI:EU:C:2014:2406, Rn. 67ff.; vgl. auch EuGH 25.01.2018, C-473/16, ECLI:EU:C:2018:36).

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen und der nunmehr mittels Beweismitteln und Beweisanträgen vorgebrachten Homosexualität des BF ist nach Ansicht der erkennenden Richterin die Einvernahme des BF durch einen männlichen Organwalter geboten, um bestehende Hemmschwellen abzubauen und um eine mängelfreie Beweiswürdigung vornehmen zu können.

Darüber hinaus leidet das Ermittlungsverfahren an Mängeln, indem der BF auch im angefochtenen Bescheid nicht über die Möglichkeit des § 20 Abs. 2 AsylG belehrt worden ist. Weiter wird der BF aufgrund der Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul verwiesen, dazu nötige Feststellungen im Bescheid wurden jedoch nicht getroffen. Insbesondere wurden keine Feststellungen zur Frage der Behandlung beziehungsweise der wirtschaftlichen Situation von Binnenflüchtlingen getroffen, zu denen der BF bei einer Rückkehr nach Kabul zu zählen wäre. Auch fehlen im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Situation der verschiedenen Volksgruppen in Afghanistan und zur Praxis der Folter. Diese Feststellungen wären jedoch für eine mängelfreie Beurteilung des Sachverhalts, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung des subsidiären Schutzes, erforderlich, insbesondere um beurteilen zu können, ob der BF in Afghanistan einer realen Gefahr einer Verletzung des Verbots der Folter nach Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Zudem wurde der BF während des gesamten Verfahrens nicht zu einer möglichen Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit befragt, womit gegen die oben dargestellte amtswegige Ermittlungspflicht des § 18 AsylG verstoßen wurde.

Der angefochtene Bescheid leidet daher unter Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den BF gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des BF als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid der belangten Behörde im Ergebnis so mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Die Vornahme der angeführten Feststellungen und Erhebungen durch das BVwG selbst verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des VwGH und unter Effizienzgesichtspunkten, insbesondere unter dem Aspekt der nunmehr umfassend vorgebrachten Homosexualität des BF. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das BFA als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Es war daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides und einer Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.

Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA aktuelle und insbesondere um die obigen Punkte ergänzte Länderinformationen ins Verfahren einzubringen haben. Es wird zudem die Vorschrift des § 20 AsylG zu beachten und die Einvernahme durch einen männlichen Organwalter mit Übersetzung durch einen männlichen Dolmetscher durchzuführen und über die Beweisanträge des BF abzusprechen haben. Diesbezüglich ist auch auf die Judikatur des EuGH zu verweisen, wonach die anhörende Person der Behörde über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen muss, die persönlichen und allgemeinen Umstände des Antrags zu berücksichtigen, was u.a. die sexuelle Orientierung des Antragstellers einschließt (EuGH 25.01.2018, C-473/16, ECLI:EU:C:2018:36, Rn. 66f.)

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

II. 3. Zu Spruchpunkt B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung der Höchstgerichte auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der Verfassungsgerichtshofes und des Gerichtshofes der Europäischen Union bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Organwalter, Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W204.2123118.2.00

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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