Entscheidungsdatum
19.04.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
1) W236 2192753-1/4E
2) W236 2192752-1/3E
3) W236 2192756-1/3E
4) W236 2192755-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER über die Beschwerden von
1) XXXX , geb. XXXX ,
2) XXXX , geb. XXXX ,
3) XXXX , geb. XXXX ,
4) XXXX , geb. XXXX ,
alle StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 05.03.2018, Zlen.
1) 1051968607-150177353
2) 1051968400-150177361
3) 1088573906-151424537
4) 1134000508-161493846,
zu Recht:
A)
Den Beschwerden gegen Spruchpunkt
1) IV. und V.,
2) IV. und V.,
3) IV.,
4) IV.,
der Bescheide wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, wird den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nach traditionellem islamischem Ritus verheiratet und die Eltern der in Österreich geborenen minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen (alle gemeinsam als Beschwerdeführer bezeichnet). Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe.
2. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin reisten am 16.02.2015 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Für die minderjährige Drittbeschwerdeführerin wurde am 24.09.2015 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt; für die minderjährige Viertbeschwerdeführerin wurde am 03.11.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
3.1. Der Erstbeschwerdeführer machte im Zuge seiner Einvernahme vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.02.2015 sowie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22.02.2018 zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen geltend, von 2005 bis 2009 bei der Polizei in XXXX bei einer Spezialeinheit gearbeitet zu haben, Seine Aufgabe sei gewesen, im Wald und in den Bergen Terroristen zu suchen. Aufgrund der psychischen Belastung habe er im Jänner 2009 schließlich gekündigt. Seinem Vorgesetzten habe dies offensichtlich nicht gepasst, da er am 08.02.2009 zu Hause von Kollegen festgenommen worden sei. Gleichzeitig hätten ihm diese Kollegen Drogen untergeschoben. Noch am 08.02.2009 habe eine Gerichtsverhandlung stattgefunden und er sei zu vier Jahren und drei Monaten Strafhaft verurteilt worden. Während der Haft in XXXX sei er geschlagen und gefoltert worden, es sei auch versucht worden, ihn sexuell zu misshandeln. Nach seiner Entlassung am 10.05.2013 habe er die Auflage bekommen, sich vier Monate (bis 10.09.2013) jeden Samstag auf der Polizeistation in XXXX zu melden, sich von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr immer zu Hause aufzuhalten und die nächsten zwei Jahre das Land nicht zu verlassen. Während dieser Zeit habe die Polizei mehrmals bei ihnen vorbei geschaut, Probleme habe er keine mehr gehabt. Aufgrund der Erlebnisse in der Haft, habe er der Heimat jedoch den Rücken gekehrt. Nach Ende der Frist sei er wieder zur Polizei vorgeladen worden, man habe ihm das Angebot gemacht, ihn wieder einzustellen. Er habe sich Bedenkzeit erbeten und sei dann mit seiner Familie geflüchtet. In Österreich leben sein Bruder und seine Eltern; er hoffe auf die Erteilung eines Aufenthaltsrechts und wolle hier arbeiten.
3.2. Die Zweitbeschwerdeführerin machte im Zuge ihrer Einvernahme vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 26.02.2018 sowie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 22.02.2018 zu ihren Fluchtgründen geltend, sich auf die Probleme ihres Mannes zu beziehen. Nach dem Gefängnisaufenthalt habe ihr Mann nicht mehr arbeiten wollen und leide seither an Stress. Er habe nach seiner Haftentlassung aber keine Probleme mehr mit den Behörden gehabt.
3.3. Für die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen wurden weder vom Erstbeschwerdeführer noch von der Zweitbeschwerdeführerin eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.
4. Mit Bescheiden vom 05.03.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkte I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab (Spruchpunkte II.) und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkte III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkte IV. derer Bescheide) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkte IV. bzw. V.).
Das Bundesamt fasste in der Beweiswürdigung die vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe zusammen und hielt darüber hinaus lediglich Folgendes fest: "Dieses Vorbringen entfaltet keinerlei Asylrelevanz. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in der Russischen Föderation einer Verfolgung durch staatliche Organe unterliegen. Es deutet nichts darauf hin, dass Sie im Rahmen der Ermittlungen hinsichtlich des Verdachts des Handels mit Waffen im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen und des Strafverfahrens aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung schlechter gestellt sind, als andere Personen, gegen die ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Wie oben ausgeführt, konnte eine Gefährdung hinsichtlich asylrelevanter Umstände nicht erkannt werden, sodass auch im Falle einer Rückkehr eine diesbezügliche Gefährdung nicht als gegeben anzusehen war."
[Anzumerken ist, dass mit keinem einzigen Wort ausgeführt wird, wie das Bundesamt zu diesen Schlüssen kommt und auch nicht erklärlich ist, weshalb das Bundesamt von einem Handel mit Waffen spricht!] Die Zweitbeschwerdeführerin und die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen würden sich ausschließlich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers stützen, die jedoch keine Asylrelevanz entfalten würden. Da die Beschwerdeführer in der Russischen Föderation über zahlreiche (namentlich genannte) Verwandte verfügen, könne - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und dem Umstand, dass es sich bei den Beschwerdeführern um junge, gesunde und arbeitsfähige Personen handle und keiner der Beschwerdeführer an einer schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung leide - keine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer nach Art. 2 und 3 EMRK im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation erkannt werden. Eine der Rückkehr entgegenstehende Integration oder familiäre Anknüpfungspunkte der Beschwerdeführer in Österreich, die einer Ausweisung entgegenstünden, lägen nicht vor, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei, wobei die Abschiebung der Beschwerdeführer zulässig sei.
Hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und des auf eine Dauer von drei Jahren befristeten Einreiseverbots des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass die Aufzählung des § 53 Abs. 2 FPG lediglich demonstrativ sei. Es seien daher weitere Verhaltensweisen, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden, jedenfalls auch geeignet ein Einreiseverbot zu rechtfertigen. Gemäß Art. 11 Abs. 1 lit.a der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) gehen Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einher, falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt worden sei. Da die Beschwerdeführer "keine Fluchtgründe vorgebracht" (!) haben, sei die aufschiebende Wirkung einer gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG abzuerkennen gewesen (neuerlich wird hier von einem dem Erstbeschwerdeführer unterstellten Handel mit Waffen gesprochen??) und bestehe gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise. Darüber hinaus hätten die Beschwerdeführer nicht dargelegt, über entsprechende Mittel zu verfügen, um ihren Unterhalt zu sichern und sei auch zu bedenken, dass aus der sich aus dem "rechtskräftig negativen Abschluss des Asylverfahrens" (?) ergebenden Mittellosigkeit die Gefahr einer illegalen Mittelbeschaffung resultiere. Es sei daher ein Einreiseverbot zu erlassen gewesen.
5. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht vollinhaltlich das Rechtsmittel der Beschwerde, wobei die Zweitbeschwerdeführerin (samt minderjähriger Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen) und für den Erstbeschwerdeführer getrennte Beschwerden eingebracht wurden, da die Zweitbeschwerdeführerin wegen unterschiedlicher Vorfälle nunmehr vom Erstbeschwerdeführer getrennt lebe und zu diesem nur noch telefonischen Kontakt habe. Sie wolle auch nicht, dass der Erstbeschwerdeführer erfahre, wo sie mit den Kindern derzeit aufhältig sei. Durch die Trennung entstünden für die Zweitbeschwerdeführerin zusätzliche Probleme, da dies im Herkunftsstaat, wegen der strengen moslemischen Gesellschaft, zu einer zusätzlichen Verfolgung durch die Familie des Ehemannes aber auch die eigene Familie führe. Es bestehe die große Gefahr, dass der Zweitbeschwerdeführerin die Kinder weggenommen würden.
In den Beschwerden wird neuerlich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers verwiesen und ausgeführt, dass diese asylrelevant seien. Darüber hinaus leide die Zweitbeschwerdeführerin an psychischen Problemen. Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin leide seit ihrer Geburt an Klumpfüßen (entsprechende Befunde wurden mit der Beschwerde vorgelegt) und bedürfe auch zukünftig einer fachärztlichen ambulanten Versorgung durch einen Orthopäden.
Hinsichtlich der erlassenen Einreiseverbote wird ausgeführt, dass nicht dargelegt worden sei, worauf die Behauptung der belangten Behörde in den Bescheiden fuße, dass von den Beschwerdeführern eine "schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" ausgehen solle. Darüber hinaus müsse eine Richtlinie der EU von den nationalen Parlamenten umgesetzt werden. § 53 FPG normiere die Voraussetzungen für ein Einreiseverbot in der österreichischen Rechtsordnung. Daraus sei nicht ersichtlich, dass nur weil keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt worden sei, ein Einreiseverbot zu erlassen sei.
6. Die gegenständlichen Beschwerden langten samt Verwaltungsakten am 18.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nach traditionellem islamischem Ritus verheiratet und die Eltern der in Österreich geborenen minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin reisten am 16.02.2015 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Für die minderjährige Drittbeschwerdeführerin wurde am 24.09.2015 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt; für die minderjährige Viertbeschwerdeführerin wurde am 03.11.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Mit Bescheiden vom 05.03.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab und erteilte den Beschwerdeführern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Gegen den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurde ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen alle vier Bescheide die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerden.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerdeführer.
3. Rechtliche Würdigung:
3.1. Zu A)
3.1.1. Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:
Gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG kann einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,
2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,
3. der Asylwerber das Bundesamt über seine wahre Identität, seine Staatsangehörigkeit oder die Echtheit seiner Dokumente trotz Belehrung über die Folgen zu täuschen versucht hat,
4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.
Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.
Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.
Ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen (§ 18 Abs. 6 BFA-VG).
3.1.2. Der Gesetzgeber novellierte § 18 BFA-VG zuletzt mit BGBl. I Nr. 145/2017 entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die zum Regelungsregime der aufschiebenden Wirkung in Asylrechtssachen gemäß dieser Bestimmung (in der vorangehenden Fassung) erging: In seinem Erkenntnis vom 20.09.2017, Ra 2017/19/0284 mwN, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 18 Abs. 5 erster Satz BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung unter den dort genannten Voraussetzungen zuzuerkennen habe. Ein gesonderter Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei in § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht vorgesehen. Im Rahmen des § 18 BFA-VG könne sich ein Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen den Ausspruch des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG wenden. § 18 Abs. 5 BFA-VG sei - als lex specialis zu § 13 Abs. 5 VwGVG - nur so zu lesen, dass das Bundesverwaltungsgericht über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG (bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheids des Bundesamts) gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde zu entscheiden habe. Neben diesem Rechtsschutz im Beschwerdeverfahren sei ein eigenes Provisorialverfahren betreffend eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 5 BFA-VG allerdings gesetzlich nicht vorgesehen und es könne dem Gesetzgeber auch nicht unterstellt werden, er habe im Hinblick auf die Frage der aufschiebenden Wirkung einen doppelgleisigen Rechtsschutz schaffen wollen. Ein (zusätzlicher) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 5 BFA-VG sei somit unzulässig. Eine Entscheidung über den die aufschiebende Wirkung aberkennenden Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids habe in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu erfolgen (vgl. auch VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014).
3.1.3. Für die vorliegenden Beschwerdesachen bedeutet dies Folgendes:
3.1.3.1. Die Beschwerdeführer stellten in ihrer Beschwerde unter anderem den Antrag, diesen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Aus den Ausführungen und dem Aufbau der Beschwerdeschriftsätze geht klar hervor, dass es sich dabei nicht um einen gesonderten Antrag handelt, der nach der dargestellten Rechtsprechungslinie des Verwaltungsgerichtshofes zurückzuweisen wäre; vielmehr wenden sich die Beschwerdeführer im Rahmen eines eigenen Beschwerdepunkts unter Hinweis auf eine ihnen in der Russischen Föderation drohende Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 und Art. 3 EMRK im Falle ihrer Rückführung dorthin auch gegen die Spruchpunkte IV. (minderjährige Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen) bzw. V. (Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin) der angefochtenen Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 05.03.2018 bzw. die darin verfügte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung. Das Bundesverwaltungsgericht hat nunmehr in Abspruch über die Beschwerden gegen diese Spruchpunkte darüber zu entscheiden, ob den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist oder nicht.
3.1.3.2. Die belangte Behörde erkannte den Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide die aufschiebende Wirkung mit der Begründung ab, dass die Beschwerdeführer keine Fluchtgründe vorgebracht hätten (§ 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG). Dies erfolgte jedoch aus folgenden Gründen zu Unrecht:
Der Erstbeschwerdeführer machte (wie oben dargestellt) geltend, als Polizist in XXXX in einer Spezialeinheit in den Jahren 2005 bis 2009 tätig gewesen zu sein, wobei es seine Aufgabe gewesen sei, im Wald und in den Bergen nach Terroristen zu suchen. Nach seiner Kündigung habe man ihm Drogen untergeschoben, weswegen er zu vier Jahren und drei Monaten Strafhaft verurteilt worden sei und sich von 08.02.2009 bis 10.05.2013 in Strafhaft befunden habe, wo er schweren Misshandlungen ausgesetzt gewesen sei. Nach seiner Haftentlassung habe er sich vier Monate lang samstäglich bei der Polizei melden und das Haus in der Nacht nicht verlassen dürfen, wobei Polizisten in der Nacht mehrmals Nachschau gehalten hätten, ob er wirklich zu Hause sei. Außerdem habe er die Auflage erhalten, das Land zwei Jahre lang nicht verlassen zu dürfen. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen machten für sich zwar keine eigenen Fluchtgründe geltend, bezogen sich bei ihren Fluchtgründen jedoch auf jene des Erstbeschwerdeführers, welche aufgrund der Familienangehörigeneigenschaft iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 der Beschwerdeführer zu einander auch zu berücksichtigen sind.
Selbst wenn der Erstbeschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 22.02.2018 angab, nach seiner Haftentlassung keine Probleme mehr mit den Behörden gehabt zu haben, so kann vor dem Hintergrund seiner sonstigen Angaben nicht der Schluss gezogen werden, er habe GAR keine Fluchtgründe vorgebracht. Die beweiswürdigende Ausführung in den Bescheiden der Beschwerdeführer, das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers entfalte keinerlei Asylrelevanz, ist bereits eine (rechtliche!) Würdigung seines Vorbringens und bedingt augenscheinlich, dass Fluchtgründe vorgebracht wurden, die zu würdigen waren. Die mangelnde Asylrelevanz (oder auch Aktualität) kann jedenfalls nicht gleichgesetzt werden mit dem Umstand, dass keine Fluchtgründe vorgebracht wurden.
Wenn die belangte Behörde in den rechtlichen Würdigungen der Bescheide des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zur Auslegung der Z 4 des § 18 Abs. 1 BFA-VG ausführt, dass deren Tatbestandsvoraussetzungen dann erfüllt sind, wenn eindeutig keine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK behauptet wird, so erscheint dem Bundesverwaltungsgericht die Heranziehung dieser Rechtsgrundlage in den gegenständlichen Fällen zur Begründung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung geradezu willkürlich. Es geht in diesem Zusammenhang nämlich nicht darum, dass sich das vom Asylwerber dargestellte Fluchtvorbringen nach entsprechender Würdigung ex post als nicht asylrelevant im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK erweist. Es ist vielmehr erforderlich, dass die zur Antragstellung geltend gemachten Gründe ex ante und für jedermann offensichtlich für ein Asylverfahren ohne Belang sind. Vgl hiezu auch Böckmann-Winkler in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 18 BFA-VG (Stand 1.3.2016, rdb.at) (Hervorhebung nicht im Original): "Nach Z 4 kann die aufschiebende Wirkung der Beschwerde aberkannt werden, wenn der Asylwerber keine Verfolgungsgründe vorgebracht hat (vgl dazu § 2 Z 11 AsylG 2005). Verwiesen wird an dieser Stelle auch auf das beschleunigte Verfahren nach Art 23 Abs 4 lit a VerfahrensRL (2005) ("[...] der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG
anzuerkennen ist, nicht von Belang sind [. . .]")."
Vor diesem Hintergrund sowie der gegebenen Aktenlage und dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers kann daher jedenfalls nicht von vornherein davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführer hätten gar keine Fluchtgründe vorgebracht, weswegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf der Grundlage des § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG jedenfalls verfehlt ist.
Die Spruchpunkte IV. (minderjährige Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen) bzw. V. (Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin) waren daher mangels Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der herangezogenen gesetzlichen Grundlage ersatzlos zu beheben.
3.1.2. Behebung der Einreiseverbote:
3.1.2.1. Die Erlassung der gegen den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin auf eine Dauer von drei Jahren befristeten Einreiseverbote wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, dass die Aufzählung des § 53 Abs. 2 FPG lediglich demonstrativ sei und daher auch weitere Verhaltensweisen, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden, geeignet seien ein Einreiseverbot zu rechtfertigen. Konkret verwiesen wird auf Art. 11 Abs. 1 lit.a der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde. Da den Beschwerden gegen diese Entscheidungen die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG aberkannt worden sei, bestehe gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine First für eine freiwillige Ausreise und sei deswegen ein Einreiseverbot zu erlassen gewesen.
3.1.2.2. Da die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung - wie oben dargelegt - nicht rechtmäßig erfolgte, diese den gegenständlichen Beschwerden mit der vorliegenden Entscheidung vielmehr zuerkannt wird, fällt die von der belangten Behörde den Einreiseverboten zugrundgelegte Rechtsgrundlage weg, weswegen die gegen den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin erlassenen Einreiseverbote ersatzlos zu beheben waren.
3.2. Abschließend wird angemerkt, dass in den angefochtenen Bescheiden offensichtlich Absätze aus anderen Bescheiden kopiert wurden (vgl. im Bescheid des Erstbeschwerdeführers etwa S. 131 zu den Ermittlungen des Verdacht des Handels mit Waffen, S. 157 vorletzter Absatz zur Anzeige wegen Schwarzarbeit sowie zu den Geld- und Haftstrafen wegen Eigentumsdelikten, S. 159 vorletzter Absatz erneut zum Waffenhandel), jedoch zur Begründung der Erlassung der Einreiseverbote und der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung herangezogen wurden.
3.3. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte zur Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.
3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
In den vorliegenden Fällen ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Regelungsregime der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 BFA-VG wurde durch den Verwaltungsgerichtshof in seiner angeführten Judikatur erläutert; die zuletzt erfolgte Novellierung dieser Bestimmung sieht eine Entsprechung dieser Judikatur im Gesetzeswortlaut vor (vgl. Erläut. 2285/A BlgNR 25. GP, 85).
Schlagworte
aufschiebende WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W236.2192756.1.00Zuletzt aktualisiert am
26.04.2018