TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/23 99/20/0467

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Veröffentlicht am 23.03.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/04 Wahlen;
10/06 Direkte Demokratie;
25/01 Strafprozess;
25/02 Strafvollzug;

Norm

B-VG Art46 Abs2;
NRWO 1970 §38 Abs2;
NRWO 1970 §73 Abs1;
StPO 1975 §188 Abs3;
StVG §98 Abs2;
VBegG 1973 §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des HB in der Justizanstalt A, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 1d, gegen den Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes Linz vom 9. April 1998, Zl. Jv 3491 - 9/97, betreffend eine Angelegenheit des Strafvollzuges, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Justiz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Folgender Sachverhalt steht zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens als unbestritten fest:

Der Beschwerdeführer befand sich zum Zeitpunkt der Durchführung des sog. Frauen- und Gentechnikvolksbegehrens in Untersuchungshaft in der Justizanstalt B. Der Beschwerdeführer war von der Ausübung seines Stimmrechtes nicht ausgeschlossen. Er beantragte am 10. April 1997 die Ermöglichung seiner Teilnahme an den beiden Volksbegehren, welchem Antrag mit der ihm am 16. April 1997 verkündeten Entscheidung vom 14. April 1997 durch den zuständigen Strafvollzugsbediensteten nicht stattgegeben wurde, weil "Volksbegehren keine Wahlen (Volksabstimmungen oder Volksbefragungen) im Sinne des § 22 der Nationalratswahlordnung" seien.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Beschwerde an den Leiter der Justizanstalt, der seiner Beschwerde keine Folge gab. Der Justizanstaltsleiter begründete dies damit, dass besondere Wahlkommissionen, die Justizanstalten zur Ermöglichung der Stimmabgabe bei Wahlen durch deren Insassen aufsuchten, für die Eintragung in Unterschriftenlisten aufgelegter Volksbegehren nicht vorgesehen seien. Die Unterschriftleistung durch den Beschwerdeführer wäre somit nur in der jeweiligen Wohnsitzgemeinde im Zuge einer Ausführung gemäß § 98 StVG durchführbar gewesen. Abgesehen davon, dass eine solche Ausführung

"auf Grund der Wesensart des Beschwerdeführers sowie seiner Führung während der bisherigen Anhaltung nicht unbedenklich erschien und der Einschreiter zum fraglichen Zeitpunkt über keinerlei Eigenmittel verfügte, wäre eine Ausführung auf Eigenkosten gemäß § 98 StVG auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung, zumal sämtliche Untersuchungshäftlinge und alle Strafgefangenen mit nicht mehr als einjähriger Freiheitsstrafen wahlberechtigt sind, gemäß § 98 Abs. 2 StVG nicht stattzugeben gewesen".

Der Beschwerdeführer erhob eine Administrativbeschwerde gemäß § 120 f. StVG, welche die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abwies. In der Begründung verwies die belangte Behörde im Einklang mit der Behörde erster Instanz darauf, dass die Unterschriftsleistung durch den Beschwerdeführer nur in der jeweiligen Wohnsitzgemeinde und nur im Zuge einer Ausführung gemäß § 98 StVG auf eigene Kosten möglich gewesen wäre. Wenn der Leiter der Justizanstalt der Meinung sei, dass eine solche Ausführung auf Grund der Wesensart des Beschwerdeführers sowie seiner Führung nicht unbedenklich erschien, so sei dies nicht zu beanstanden.

Mit der vorliegenden Beschwerde ficht der Beschwerdeführer diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag an, den bekämpften Bescheid als rechtswidrig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der fristgerecht erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 Volksbegehrengesetz 1973, BGBl. Nr. 344 in der Fassung BGBl. Nr. 233/1982 (vor BGBl. I Nr. 160/1998), wird das Eintragungsverfahren von der Eintragungsbehörde (Gemeinden im übertragenen Wirkungsbereich) durchgeführt. Die Gemeinde hat die Eintragungsorte, in denen sich die Stimmberechtigten in die Eintragungslisten eintragen können, zu bestimmen. Gemäß § 7 Abs. 2 leg. cit. hat jeder Stimmberechtigte sein Stimmrecht grundsätzlich in der Gemeinde auszuüben, in deren Wählerevidenz er eingetragen ist. Nach § 7 Abs. 3 leg. cit. in der Fassung BGBl. Nr. 339/1993 können Stimmberechtigte, die im Besitz einer Stimmkarte sind, ihr Stimmrecht auch in einer anderen Gemeinde ausüben, sofern in dieser Gemeinde ein Eintragungsverfahren stattfindet. Für die Ausstellung von Stimmkarten und die Ausübung des Stimmrechtes mit Stimmkarten gelten die Bestimmungen der §§ 38, 39 Abs. 1, 2 und 4, 40 und 70 Nationalrats-Wahlordnung 1992 - NRWO, BGBl. Nr. 471, sinngemäß. Gemäß § 38 Abs. 1 NRWO haben Wähler, die sich voraussichtlich am Wahltag nicht am Ort (Gemeinde, Wahlsprengel) ihrer Eintragung in das Wählerverzeichnis aufhalten werden und deshalb ihr Wahlrecht nicht ausüben könnten, Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung haben Anspruch auf Ausstellung einer Wahlkarte für die Ausübung des Wahlrechtes ferner (unter anderem) Personen, denen der Besuch des zuständigen Wahllokals am Wahltag infolge ihrer Unterbringung in gerichtlichen Gefangenenhäusern, Strafvollzugsanstalten, im Maßnahmenvollzug oder in Hafträumen unmöglich ist, und sie die Möglichkeit der Stimmabgabe vor einer besonderen Wahlbehörde (§ 73 Abs. 1) in Anspruch nehmen wollen, sofern nicht die Ausübung des Wahlrechts gemäß § 72 oder 74 in Betracht kommt. Gemäß § 39 Abs. 1 NRWO ist die Ausstellung der Wahlkarte bei der Gemeinde, von der der Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis eingetragen wurde, beginnend mit dem Tag der Wahlausschreibung bis spätestens am dritten Tag vor dem Wahltag mündlich oder schriftlich zu beantragen. Im Fall des § 38 Abs. 2 hat der Antrag das ausdrückliche Ersuchen um den Besuch durch eine besondere Wahlbehörde gemäß § 73 Abs. 1 und die genaue Angabe der Räumlichkeiten, wo der Antragsteller den Besuch durch eine besondere Wahlbehörde erwartet, sowie bei Personen, die sich in öffentlichem Gewahrsam befinden, eine behördliche Bestätigung über die Unterbringung zu enthalten.

Ausgehend davon, dass dem Beschwerdeführer das Stimmrecht bei den erwähnten Volksbegehren nach den vorangeführten Bestimmungen unbestritten zukam, konnte er durch die Nichtentsprechung seines Antrags in Rechten verletzt werden. Die belangte Behörde hat den Antrag des Beschwerdeführers als einen solchen nach § 98 Abs. 2 StVG qualifiziert, weil die Ausübung des Stimmrechtes im Rahmen eines Volksbegehrens nicht vor einer besonderen Wahlbehörde im Sinne des § 73 Abs. 1 NRWO bzw. nicht entsprechend den §§ 72, 74 leg. cit. in Betracht komme und demnach der Beschwerdeführer sein Stimmrecht lediglich durch Eintragung in eine der Eintragungslisten der in einem Ort außerhalb der Justizanstalt, welcher von der Gemeinde als Eintragungsort bestimmt wurde, hätte ausüben können.

Gemäß § 98 Abs. 2 StVG ist eine Ausführung, um die der Strafgefangene ersucht, bis zum Höchstausmaß von 24 Stunden zu gestatten, soweit zur Erledigung besonders wichtiger und unaufschiebbarer Angelegenheiten persönlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Natur die Anwesenheit des Strafgefangenen an einem Ort außerhalb der Anstalt dringend erforderlich und die Ausführung nach der Wesensart des Strafgefangenen, seinem Vorleben und seiner Aufführung während der Anhaltung unbedenklich und ohne Beeinträchtigung des Dienstes und der Ordnung in der Anstalt möglich ist.

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen für die Bewilligung einer Ausführung nach § 98 Abs. 2 StVG hat die belangte Behörde beim Beschwerdeführer nicht angenommen. Ob diese Auffassung zutrifft, kann dahingestellt bleiben.

Indem die belangte Behörde über den Antrag des Beschwerdeführers inhaltlich im Sinne einer Abweisung entschied, anstatt die Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz aufzugreifen, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet:

Gemäß § 188 Abs. 1 StPO stehen die Entscheidung darüber, mit welchen Personen die Untersuchungshäftlinge schriftlich verkehren und welche Besuche sie empfangen dürfen, die Überwachung des Briefverkehrs und der Besuche, sowie alle übrigen Anordnungen und Entscheidungen, die sich auf den Verkehr der Untersuchungshäftlinge mit der Außenwelt (§§ 86 bis 100 des Strafvollzugsgesetzes) beziehen, mit Ausnahme der Überwachung der Paketsendungen, dem Untersuchungsrichter zu. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung wäre die Entscheidung über einen Antrag des Beschwerdeführers auf Ausführung nach § 98 Abs. 2 StVG zur Eintragung in die Eintragungslisten der beiden Volksbegehren an einem Ort außerhalb der Justizanstalt jedenfalls dem Untersuchungsrichter zugestanden. Aber auch wenn die Möglichkeit der Ausübung des Stimmrechtes vor einer besonderen Wahlbehörde im Sinne des § 73 Abs. 1 NRWO innerhalb der Justizanstalt in Betracht gekommen wäre, wäre die Entscheidung über die Teilnahme des Beschwerdeführers an den Volksbegehren zunächst grundsätzlich dem Untersuchungsrichter zugekommen, dessen Anordnungs- und Entscheidungskompetenz sich auf sämtliche Belange hinsichtlich des Verkehrs der Untersuchungshäftlinge mit der Außenwelt bezieht. Erst wenn eine - positive - Entscheidung über die grundsätzliche Gestattung der Teilnahme an den Volksbegehren, sei es im Wege einer Ausführung nach § 98 Abs. 2 StVG oder an einem Eintragungsort innerhalb der Justizanstalt vorgelegen wäre, hätte sich die weitere Durchführung der Teilnahme des Beschwerdeführers an den Volksbegehren nach den Anordnungen und Entscheidungen des zuständigen Anstaltsleiters (§ 188 Abs. 3 StPO) gerichtet.

Demgemäß war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. März 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999200467.X00

Im RIS seit

05.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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