Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §55;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision des Z G in H, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. August 2017, Zl. G313 2139967- 1/7E, betreffend (insbesondere) Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das bekämpfte Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt A I.; Abweisung der zugrunde liegenden Beschwerde des Revisionswerbers) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Der im Oktober 1986 geborene Revisionswerber ist serbischer Staatsangehöriger und gelangte bereits als Kind nach Österreich. Hier erhielt er dann Aufenthaltstitel, zuletzt eine bis 21. Oktober 2015 gültige "Rot-Weiß-Rot - Karte plus".
2 Der Revisionswerber wurde beginnend ab März 2005 insgesamt zwölfmal strafgerichtlich verurteilt, wobei drei Verurteilungen nach Maßgabe der §§ 31 und 40 StGB ergingen. Die letzte Verurteilung stammt vom 29. Juni 2016 und beruht darauf, dass der Revisionswerber am 5. Juni 2016 eine Körperverletzung zum Nachteil seiner damaligen Lebensgefährtin (nunmehr Ehegattin) begangen hatte; über ihn wurde deshalb nach § 83 Abs. 2 StGB eine sechsmonatige Freiheitsstrafe verhängt, aus der er nach vier Monaten am 5. Oktober 2016 unter Anordnung der Bewährungshilfe bedingt entlassen wurde. Seither lebt er wieder im gemeinsamen Haushalt mit seiner - österreichischen - Lebensgefährtin (nunmehr Ehegattin) und der gemeinsamen, am 27. April 2017 geborenen Tochter (ebenfalls österreichische Staatsbürgerin).
3 Angesichts der letzten Straftat des Revisionswerbers leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ein. Dieses Verfahren mündete im Bescheid vom 24. Oktober 2016, mit dem - unter gleichzeitigem Ausspruch, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde - gegen den Revisionswerber, spruchgemäß gestützt auf § 52 Abs. 1 FPG iVm § 9 BFA-VG, eine Rückkehrentscheidung sowie, wieder dem Spruch zufolge, gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 2 FPG ein achtjähriges Einreiseverbot erlassen wurden. Außerdem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien zulässig sei und setzte gemäß § 55 Abs. 2 FPG die Frist für eine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
4 Das BFA stellte u.a. fest, dass der Revisionswerber spätestens am 21. Februar 1993 in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei; er verfüge derzeit über keinen gültigen Aufenthaltstitel und sei somit illegal im Bundesgebiet aufhältig. Demgegenüber nahm das BFA aber im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung auf § 52 Abs. 4 FPG Bezug, wo an einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet angeknüpft wird, und hielt dann weiter fest, die Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 könne entfallen, weil eine solche gemäß § 58 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 nur stattzufinden habe, wenn sich der Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.
5 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 8. August 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt A I.). Außerdem wies es einen Antrag des BFA auf Kostenersatz zurück (Spruchpunkt A II.) und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Der Revisionswerber bekämpfte dieses Erkenntnis mit Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung mit Beschluss vom 24. November 2017, E 3006/2017-11, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Über die dann erhobene außerordentliche Revision - der fehlerhaft als "Ergänzung der Bescheidbeschwerde" bezeichnete Schriftsatz ist der Sache nach als solche zu werten - hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Einleitung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, erwogen:
7 Der Revisionswerber verweist zutreffend auf § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG. Gemäß dieser Vorschrift in der hier maßgeblichen aktuellen Fassung des FrÄG 2015 darf gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor.
8 Die im letzten Halbsatz der eben wiedergegebenen Bestimmung angesprochene Konstellation ist gegenständlich nicht gegeben. Für die Anwendung des Aufenthaltsverfestigungstatbestandes nach § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG kommt es daher fallbezogen nur darauf an, ob sich der Revisionswerber auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und ob ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG hätte verliehen werden können.
9 Was Ersteres anlangt, so ist zunächst anzumerken, dass der Bescheid des BFA vom 24. Oktober 2016 - wie dargestellt - widersprüchlich ist; einerseits wurde die Rückkehrentscheidung nämlich spruchgemäß auf den ersten Absatz des § 52 FPG gestützt, der einen nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzt, und wurde dann auch in der Bescheidbegründung zunächst erwähnt, der Revisionswerber halte sich "illegal" im Bundesgebiet auf; andererseits kommt in der Bescheidbegründung an anderer Stelle aber eine Bezugnahme auf den einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzenden § 52 Abs. 4 FPG und wird das Unterbleiben eines Ausspruchs nach § 57 AsylG 2005 damit begründet, dass sich der Revisionswerber nicht unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.
10 Das BVwG ist auf diese Diskrepanz nicht eingegangen, hat aber schlichtweg die gegen den Bescheid des BFA erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen, was darauf hindeutet, dass die spruchgemäß vom BFA vorgenommene Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 FPG bestätigt werden sollte.
11 Das BVwG hat aber jedenfalls festgestellt - insoweit in Übereinstimmung mit der Aktenlage -, dass der Revisionswerber zuletzt einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" mit Gültigkeit bis 21. Oktober 2015 innehatte. Der Aktenlage (IZR) hätte sich darüber hinaus jedoch auch weiter entnehmen lassen, dass der Revisionswerber am 1. Oktober 2015 einen Verlängerungsantrag gestellt hatte, über den noch nicht entschieden war. Gemäß § 24 Abs. 1 dritter Satz NAG war der Revisionswerber daher weiterhin - letztlich auf Basis des bis 21. Oktober 2015 gültigen Aufenthaltstitels - rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.
12 In Bezug auf das zweite Tatbestandselement des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 StbG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 (vgl. dazu das zur Vorgängerbestimmung des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG idF des FrÄG 2011 ergangene Erkenntnis VwGH 11.6.2013, 2012/21/0088, Punkt 3. der Entscheidungsgründe) einem Fremden die Staatsbürgerschaft verliehen werden konnte, wenn er seit mindestens 10 Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hatte. Dazu ging das BFA davon aus, dass sich der Revisionswerber - der einen ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet seit 1991 behauptet hatte - seit spätestens Februar 1993 in Österreich aufhalte. Das BVwG stellte demgegenüber zwar fest, dass der Revisionswerber ab 1993 nur mit Nebenwohnsitz in Österreich gemeldet gewesen sei und erst ab 1996 eine Hauptwohnsitzmeldung aufscheine; es ging dann aber im Rahmen der Interessenabwägung selbst davon aus, dass der Revisionswerber "als sieben- bis zehnjähriges Kind nach Österreich gekommen ist und seither im Bundesgebiet lebt". Das lässt, ungeachtet bestehender Meldungen, auch die Deutung zu, der Revisionswerber habe seit 1993 seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Das (zeitlich) erste, im angefochtenen Erkenntnis für die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot als maßgeblich erachtete strafbare Verhalten des Revisionswerbers führte zum Urteil aus dem März 2005, sodass dann insgesamt nicht auszuschließen ist, der Revisionswerber habe "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" seit mindestens 10 Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet gehabt. Träfe dies zu, dann hätte dem Revisionswerber bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG nach der genannten Bestimmung die Staatsbürgerschaft verliehen werden können, was der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und demzufolge auch eines Einreiseverbotes entgegengestanden wäre. Darauf hat das BVwG - wie auch schon das BFA - in Verkennung der Rechtslage nicht Bedacht genommen. Ebensowenig hat es - davon ausgehend, dass nur § 52 Abs. 4 FPG die Basis für eine Rückkehrentscheidung hätte bilden können - erkannt, dass keine Rechtsgrundlage existiert, aus Anlass der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen und darüber abzusprechen (siehe zu einem unter beiden Gesichtspunkten vergleichbaren Fall VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rn. 20 und 22).
13 Nach dem Gesagten ist die gegenständliche Revision zulässig und berechtigt und es war das bekämpfte Erkenntnis im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der Durchführung der vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
14 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGH iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Gemäß dieser Verordnung steht für das Verfassen der Revision nur ein Schriftsatzaufwand von EUR 1.106,40 zu, weshalb das darüber hinausgehende Mehrbegehren abzuweisen war.
Wien, am 15. März 2018
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017210260.L00Im RIS seit
26.04.2018Zuletzt aktualisiert am
09.05.2018