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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des FA in S, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. November 1998, Zl. 202.420/0-VI/18/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, reiste am 7. Februar 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 9. Februar 1998 einen Asylantrag, den er unter anderem damit begründete, für oppositionelle Parteien Flugblätter und Aufklärungsschriften verteilt und Papiere transportiert zu haben. Er sei mehrmals festgenommen worden, und zwar 1980 gemeinsam mit seinem Bruder, 1986 für einen Zeitraum von 45 Tagen und 1996 für einen Zeitraum von drei Monaten, weil er bei einer Grabrede die Hoffnung geäußert habe, dass die Trauergäste den oppositionellen Weg des Verstorbenen beschreiten würden.
Am 22. November 1997 sei er ein weiteres Mal von drei Zivilbeamten festgenommen worden, wovon einer ein alter Freund von ihm gewesen sei. Der Beschwerdeführer gab dazu an:
"Man band mir die Hände und brachte mich in ein Auto. Zwei Beamte gingen in das Haus und nahmen zwei Bücher und zwei Videofilme mit. Mein alter Freund wusste nämlich wo die sind.
Nach einer ca. 15-minütigen Autofahrt wurde ich in ein Gefängnis gebracht. In einem Zimmer wurde ich angehalten, es war ca. 4 x 5 Meter groß und leer. Es kam dann jemand und fragte mich nach meinen Personaldaten.
Nach einigen Stunden wurde ich wieder abgeholt und wurde ich wieder gefragt von wo ich die Sachen herhätte und wer sie mir gegeben hat.
Ich wurde gefoltert, die Folter heißt "Wasser kochen lassen". Man steckte mich in eine Art kleine Kabine aus Eisen, da ist es vollkommen dunkel. Da wird dann draufgeschlagen, das hallt dann alles wieder. Unter den Handschellen war ein Stück Stoff, damit man sich nicht wehtut. Ich verstehe nicht warum das so ist, es ist eigentlich ein Widerspruch zu dem was einem sonst angetan wird.
Sobald man gefragt wird und etwas in den Augen der Beamten leugnet wird man wieder in die Kabine gesteckt oder sonstwie gefoltert.
Ich wurde auch mit der palästinensischen Methode gefoltert. Ich war die ganze Zeit in einer Einzelzelle, da versuchte man, dass ich nicht schlafe und wurde z.B. plötzlich Wasser in das Zimmer geschüttet.
Ich war 65 Tage in Haft. Dann wurde ich wieder mit einem Auto abtransportiert und fuhr das Auto über eine Stunde. Unterwegs habe ich einen Knall gehört, es war ein Unfall.
Ich sah, daß ich in einem iranischen Auto saß. Ich habe die Fahrer des Wagens ein paar mal angesprochen, keiner antwortete aber. Die waren ganz blutig. Ich sah, daß ich an einer Ausfallstraße von Mashad war.
Ich wußte, daß ich nach Mahsad gebracht hätte werden sollen und daß dort Schlimmes auf mich wartet bis hinauf zur Hinrichtung. Ich hatte Angst vor Folter.
Ich kannte mich in der Gegend aus, ca. 6 km von Maschad entfernt gibt es ein Dorf namens Khanliq. Ich habe dort einen Freund, mit dem ich beim Militär zusammen war. Ich ging zu ihm hin und der half mir, er machte die Handschellen ab.
Es gibt zwei Straßen Richtung Teheran, eine geht über Maschad, die andere geht durch ein ödes Gebiet, ein Saharagebiet, die Straße heißt Simnan.
Mein Freund brachte mich zur Simnanstraße. Er gab mir etwas Geld und bin ich dann vor dort mit dem Autobus Richtung Teheran gefahren. Vor Teheran stieg ich aus und ging ich zu den alten Verwandten, wo ich dann weiter flüchtete."
Mit dem Bescheid vom 13. März 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers mit der Begründung ab, dass seinen Angaben - aus näher dargelegten Gründen - kein Glauben geschenkt werden könne.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vom 30. März 1998 brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor.
"Meine Einvernahme vor dem Bundesasylamt weist erhebliche Mängel auf, so daß ich meine Fluchtgeschichte noch einmal in geraffter Form zusammengefaßt habe.
Beweis: Vorlage eines in Farsi gehaltenen Schreibens über die Gründe meiner Flucht.
Das vorgelegte Schreiben werde ich von einem privaten Dolmetscher binnen der nächsten zwei Wochen übersetzen lassen und dem UBAS vorlegen.
Das Bundesasylamt hat mir nicht ausreichend die Gelegenheit eröffnet meine tatsächlichen Arbeiten und Dienste für die im Interview angeführten oppositionellen Gruppen darzustellen. Auch konnte ich nicht meine maßgeblichen Beweggründe, die mich zum Gegner der Regierung des Irans werden ließen, schildern.
Der vom Bundesasylamt offenbar angesetzte aber nicht näher konkretisierte Maßstab hinsichtlich meiner Aussagen über die Inhalte von Ideologien ist zu hoch angesetzt.
Daher stelle ich den Antrag mich über meine tatsächlichen Aktivitäten für die genannten Widerstandsgruppen und über meine Beweggründe und ideologischen Überzeugungen zu befragen."
Das in der Berufung genannte Schreiben des Beschwerdeführers lautet in der von der belangten Behörde eingeholten Übersetzung:
"Im Namen Gottes
Ich konnte ihnen meine Schwierigkeiten im Leben und meinen Lebenslauf nicht genau erklären, da kein Dolmetscher anwesend war.
Ich bin vier mal verhaftet worden:
1. Ich lebte mit meinem älteren Bruder in einer Militärbasis für Luftwaffe in 'Shahrabad', dort wurden wir gemeinsam verhaftet. Da ich jung war wurde ich enthaftet (Jahr 59 = 1980).
2. Während meines Militärdiensts habe ich an einem Fußmarsch als Soldat (der Ehrengarde) teilgenommen (zehnte FAJR). Da ich von einer Familie mit politischer Vergangenheit stamme, wurde ich verhaftet. Nachdem die Verantwortlichen verhaftet wurden, haben sich mich freigelassen.
3. Ich habe beim Begräbnis vom Ehemann meiner Tante gesagt, 'Ich hoffe, dass sein Name und sein Weg ewig bleibe', da er ein bekanntes Mitglied der Tudeh Partei war und sich selbst umbrachte. Ich wurde noch vor Ort verhaftet (Mai 96). Zum Glück haben sie gegen mich nichts in der Hand gehabt, deshalb wurde ich verhaftet. Aber ich habe in zwischen sehr viel mitmachen müssen, physisch sowohl seelisch als auch körperlich. Ein Beispiel ist mein gebrochener Kiefer. Ich habe auch nervlich noch Probleme.
4. Ich wurde durch meinen Freund/in verraten und verhaftet, da ich ihn/sie über politische Bücher und Videos informiert habe. Ich war in 'Bojnurd' im Gefängnis und wurde dort gefoltert. Sie haben mich in einen Metallbehälter* gesteckt und auf diesen Behälter geschlagen (*wie ein Elt. Boiler). An den Hoden haben sie ein Gewicht aufgehängt zwecks Geständnisses. Zusammen gebunden 'Gapani' oder 'Djujeh Kabab'. Sie wollten wissen mit wem ich was zu tun habe und meine Meinungen kennen.
Da Sie nichts von mehr erfahren haben, haben Sie mich nach 'Mashhaad' überstellt. Unterwegs haben wir (zum Glück) einen Unfall gehabt, bei dem meine Aufpasser bewusstlos wurden. Dadurch konnte ich fliehen. Ich kam nach Teheran, wo ich mit der Hilfe meines Onkels und einer seiner Bekannten, Namens "Ali", ein gefälschtes Dokument bekam. Mit ihrer Hilfe verließ ich das Land.
Ich habe am Anfang (in der Jugend) mit 'Mujahedin' zusammen gearbeitet, weil ich damit meinen Hass auf die Regierung zum Ausdruck bringen wollte, da sie meinen Brüdern und meiner Familie Unrecht getan haben. Später wollte ich mit meinen Landsleuten und deren Hilfe gegen Ungerechtigkeit, für Menschenrecht und Demokratie kämpfen. Ich habe es leicht gehabt, da mein Bruder viele Leute 'Mujahedin' kannte und sie über unsere Familie informiert waren. Ich wollte mich für den Frieden und für ein friedliches Zusammenleben einsetzen. Ich brachte ihnen (als Chauffeur) die Flugblätter von Mashhad nach Bojnurd und Gorgan und in meiner Stadt habe ich auch Flugblätter verteilt. Damit war ich der Organisation behilflich. Ich fuhr mit dem Bus, nach dem ein Passagier in dem Seitenfach des Busses eine Tasche deponierte und mit mir (als Kennwort) ein paar verschlüsselte Wörter wechselte stieg er aus dem Bus aus. In der nächsten Stadt stieg ein andrer Kamerad in den Bus ein. Nachdem bekannten Wortwechsel habe ich ihm die erwähnte Tasche übergeben. So wurden die Flugblätter und die Bände immer transportiert und der Uhrheber konnte nicht ausgeforscht werden.
Wir haben die Flugblätter in den Telefonzellen deponiert, oder unter Sitzbänken im Park (mit Hilfe eines Magneten). Die Blätter wurden von den Leuten genommen und gelesen. Entweder an vertraute Personen weiter gegeben oder sie wurden vernichtet.
Eine andere Art Zusammenarbeit mit dem Regierungsgegner war, dass ich die Funktion eines Vermittlers hatte, indem ich die Leute über die Störung der Versammlungen informierte. Der Ministerpräsident kam in unsere Stadt. Im Stadtfriedhof hielt er eine Ansprache. Wir haben während seiner Anspruch den Friedhof verlassen und ihm damit unsere Gesinnung gezeigt. Die 'Pasdaran' versuchten die Leute davon abzuhalten, jedoch ohne Erfolg.
Mit dieser kurzen Erläuterung, und meiner letzter Verhaftung (nachweislich), beweise ich, dass mein Leben absolut in Gefahr war, und das ich daher flüchten mußte."
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass die Angaben des Beschwerdeführers - aus näher dargelegten Gründen - nicht glaubhaft seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aus einem der Gründe des § 42 Abs. 2 VwGG aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Neben einer detailliert ausgeführten Rüge der Beweiswürdigung der belangten Behörde rügt die Beschwerde insbesondere die Unterlassung einer mündlichen Berufungsverhandlung. Bereits dies führt die Beschwerde zum Erfolg.
Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999, (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, folgende Aussage getroffen:
"Im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Jedenfalls im letztgenannten Fall ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig - gleichgültig ob in an sich schlüssiger oder unschlüssigere Beweiswürdigung - den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen."
Wird - wie im vorliegenden Fall - in der Berufung ein abweichender oder ein neuer, für die Rechtssache entscheidungswesentlicher Sachverhalt in konkreter Weise vorgebracht oder stellt die Berufungsbehörde von sich aus neue Ermittlungen an, so ist eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen.
Allerdings führt nicht jede Verfahrensverletzung zur Aufhebung eines damit belasteten Bescheides, sondern dazu kommt es nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ist die Relevanz eines solchen Verfahrensfehlers nicht offenkundig, so ist sie in der Beschwerde konkret darzulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1999, Zl. 98/20/0579). Dies ist im vorliegenden Fall geschehen, weil der Beschwerdeführer darlegte, dass er in der mündlichen Verhandlung zu seinem Berufungsvorbringen hätte befragt werden können und die belangte Behörde nach Aufklärung angeblicher Widersprüche in der Darstellung seiner Fluchtgründe zu einer anderen Beweiswürdigung und damit zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 23. März 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999200005.X00Im RIS seit
04.05.2001