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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Y L, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 8. August 2017, VGW-151/060/1219/2017- 15, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. November 2016 wurde der beim österreichischen Generalkonsulat in Shanghai gestellte Antrag des Revisionswerbers, eines chinesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wegen Vorliegen einer Aufenthaltsehe nach § 11 Abs. 1 Z 4 NAG abgewiesen.
2 In der dagegen erhobenen Beschwerde bestritt der Revisionswerber die Annahme, dass eine Aufenthaltsehe vorliege.
3 Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab und bestätigte den Bescheid mit der Maßgabe, dass anstatt der im Spruch angeführten Rechtsgrundlage als Gesetzesstelle "§ 11 Abs. 2 Z 1 NAG" anzuführen sei. Weiters sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 Das Verwaltungsgericht stellte - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in seiner Begründung fest, dass der Revisionswerber über einen chinesischen Reisepass mit Gültigkeitsdauer bis 26. September 2022 verfügte. Am 13. November 2015 habe er Frau Y.X. in Korneuburg geehelicht. Seine Ehegattin, ebenfalls chinesische Staatsangehörige, verfüge über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU". Nach erfolgter Eheschließung sei der verfahrensgegenständliche Antrag vom 11. Dezember 2015 gestellt worden. Der Revisionswerber habe jedenfalls bis 20. März 2002 in China gelebt, wo er sich auch gegenwärtig aufhalte. Zumindest seit dem Jahr 2005 habe sich der Revisionswerber in Österreich aufgehalten. Er habe während seiner Aufenthaltsdauer in Österreich über keinen Aufenthaltstitel und auch über keine Beschäftigungsbewilligung verfügt und habe seinen Lebensunterhalt zumindest teilweise durch Gelegenheitsarbeit finanziert.
5 In seiner Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht aus, dass sich die Feststellung, der Revisionswerber habe seinen Aufenthalt durch illegale Schwarzarbeit in Österreich mitfinanziert, durch mehrere Indizien ergebe. Der Vertreter des Revisionswerbers habe zu Protokoll gegeben, "dass dessen Ersparnisse durch Arbeit in diversen chinesischen Restaurants ohne Papiere während seines Aufenthalts in Europa entstanden sein dürften". Daraus lasse sich schließen, dass der Revisionswerber auf Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zur Finanzierung seines Lebensunterhalts angewiesen sein müsse. Bei einem langjährigen Aufenthalt in Österreich sei es naheliegend, dass der Revisionswerber auch in Österreich Schwarzarbeit ausgeübt habe. Schließlich habe der als Zeuge einvernommene J.Y. ausgesagt, dass er den Revisionswerber bei der Arbeit (Hilfe bei Umzügen) gesehen habe. Letztlich habe auch die Ehefrau des Revisionswerbers angegeben, dass er ihr gesagt hätte, er arbeite gelegentlich und zwar Putz- und Reinigungsarbeiten und würde "auch etwas tragen helfen".
6 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, dass aufgrund des langjährigen unrechtmäßigen Aufenthalts des Revisionswerbers und der Ausübung von Schwarzarbeit die Erteilung eines Aufenthaltstitels öffentlichen Interessen widerstreiten würde. Diesen öffentlichen Interessen sei angesichts des langjährigen Verstoßes gegen ein geordnetes Fremdenwesen ein solches Gewicht einzuräumen, dass - auch unter der Annahme, dass keine Aufenthaltsehe vorliege - dem Interesse auf ein Privat- und Familienleben kein Vorrang eingeräumt werden könne. Erst ein länger währendes Wohlverhalten könne dazu führen, dass § 11 Abs. 2 Z 1 NAG nicht mehr zur Anwendung komme. Selbst unter der Annahme, dass keine Aufenthaltsehe vorliege, sei die Beschwerde abzuweisen.
7 Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.
8 In der außerordentlichen Revision wurde zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe seine Begründungs- und Ermittlungspflicht verletzt. Ein angenommenes Fehlverhalten, welches unter den Tatbestand des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG subsumiert werden solle, müsse - insbesondere dann, wenn der Betroffene straf- und verwaltungsrechtlich unbescholten sei und es auch keine Strafanzeigen wegen irgendeines Fehlverhaltens gebe - konkret umschrieben und auch nachgewiesen werden. Es sei auf die Art und Schwere des zugrunde liegenden Fehlverhaltens abzustellen. Es habe dabei auch eine entsprechende Prognose hinsichtlich der aktuellen und künftigen Gefährdung öffentlicher Interessen zu erfolgen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
11 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn sein Aufenthalt nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Dies ist nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG dann der Fall, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
12 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist bei der Auslegung des § 11 Abs. 4 Z 1 NAG eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten. Im Rahmen dieser Prognoseentscheidung ist die Behörde (das Verwaltungsgericht) berechtigt, alle den antragstellenden Fremden betreffenden relevanten Umstände zu berücksichtigen, aber auch verpflichtet, diese einer auf ihn bezogenen Bewertung zu unterziehen (vgl. VwGH 3.10.2017, Ra 2016/22/0056, Pkt. 3.2, mwN).
13 Die einzelfallbezogene Beurteilung der Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 18.1.2017, Ra 2016/22/0117, Rn. 6).
14 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides (des Erkenntnisses) geführt haben (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, Rn. 5.2.1; und daran anschließend etwa 23.1.2018, Ra 2017/20/0187 bis 0189, Rn. 11).
15 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis - wie die Revision zutreffend ausführt - nicht gerecht.
16 Das angefochtene Erkenntnis enthält keine Feststellungen über die Lebensweise des Revisionswerbers im Sinn der angeführten Rechtsprechung. Das Verwaltungsgericht stellte lediglich fest, dass der Revisionswerber "seinen Lebensunterhalt zumindest teilweise durch Gelegenheitsarbeit" finanziert habe. Feststellungen zu Zeitraum, Dauer, Art und Weise der "Gelegenheitsarbeit", der Dauer eines etwaigen Wohlverhaltens sowie - vor dem Hintergrund seines festgestellten Aufenthaltes in Österreich seit 2005 - dem sozialen und familiären Umfeld des Revisionswerbers, insbesondere einer etwaigen Integration, finden sich nicht.
17 Aufgrund dieser fehlenden Feststellungen entzieht sich die oben dargestellte Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 NAG einer nachprüfenden Kontrolle.
18 Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19 Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 22. März 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017220193.L00Im RIS seit
26.04.2018Zuletzt aktualisiert am
27.04.2018