Entscheidungsdatum
04.04.2018Index
83 Naturschutz UmweltschutzNorm
AWG 2002 §73Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Hirn über die Beschwerde der Mag.a AA, Adresse 1, Z, vertreten durch RA BB, Y, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 30.01.2018, Zl ****, betreffend einen Entfernungsauftrag nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (belangte Behörde: Bezirkshauptmannschaft Y),
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG) nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit Schriftsatz vom 18.10.2017, GZ ****, hat die Polizeiinspektion (PI) Z der Bezirkshauptmannschaft Y mitgeteilt, dass sich vor dem Haus, Adresse 1, Z, „etlicher Hausrat“ befinde. Bei einem Blick in den Hausgang hat der ermittelnde Polizeibeamte zudem feststellen können, dass dieser mit Hausrat verstellt gewesen sei. Teilweise seien dort in Kisten Lebensmittel, wie etwa ? zum Teil bereits verfaulte ? Karotten und Bananen, gelagert gewesen.
Mit Schriftsatz vom 08.11.2017, Zl ****, hat die Bezirkshauptmannschaft Y Mag.a AA als Beschuldigte aufgefordert, sich zum Vorwurf der illegalen Lagerung von Abfällen, wie etwa verfaulten Lebensmitteln in Kisten sowie Plastik- und Metallfässern, zu rechtfertigen.
Mit Schriftsatz vom 14.12.2017 teilte die rechtfreundlich vertretene Beschwerdeführerin mit, dass es sich bei den in der Aufforderung zur Rechtfertigung angeführten Gegenständen nicht um Abfälle, sondern um genießbare Lebensmittel und kompostierbare Güter handle. Sie als Landwirtin sei zudem zur Kompostierung berechtigt.
Mit Bescheid vom 30.01.2018, Zl ****, hat die Bezirkshauptmannschaft Y Mag.a AA den Auftrag erteilt, „sämtliche vor dem Haus ‚Adresse 1‘ abgelagerten Abfälle bzw. als Sperrmüll zu qualifizierende Gegenstände (laut beiliegenden Fotos) bis zum 10.03.2018 zu entfernen und ordnungsgemäß zu entsorgen.“
Ergänzend dazu hat die Bezirkshauptmannschaft Y mit dem angefochtenen Bescheid der Beschwerdeführerin aufgetragen, den Nachweis einer ordnungsgemäßen Entsorgung vorzulegen.
Diesem Bescheid hat die belangte Behörde folgende Lichtbilder als Beilage angeschlossen:
Abbildungen 1 – 4 entfernt
Mit Schriftsatz vom 26.02.2018 hat Mag.a AA durch ihren Rechtvertreter Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 30.01.2018, Zl ****, erhoben und dessen ersatzlose Behebung beantragt. Die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides zu unbestimmt sei. Die belangte Behörde habe im Spruch des angefochtenen Bescheides auf Lichtbilder verwiesen, auf denen verschiedene bewegliche und unbewegliche Sachen erkennbar seien. Welche Gegenstände die Bezirkshauptmannschaft Y als Sperrmüll qualifiziere, bleibe jedoch offen.
Darüber hinaus stelle die Bezeichnung einer Sache als „Sperrmüll“ bereits eine rechtliche Qualifikation dar. Eine solche rechtliche Qualifikation habe die Abfallbehörde für genau bestimmte Gegenstände vorzunehmen. Zudem habe es die Bezirkshauptmannschaft Y unterlassen zu begründen, warum sie [= die Beschwerdeführerin] als Verpflichtete im Sinne des § 73 Abs 2 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) zu qualifizieren sei.
Mit Schriftsatz vom 28.02.2018, Zl ****, hat die Bezirkshauptmannschaft Y den behördlichen Akt mit Ersuchen um Entscheidung über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.01.2018, Zl ****, vorgelegt.
II. Rechtslage:
1. Abfallwirtschaftsgesetz 2002:
Die entscheidungswesentliche Bestimmung des § 73 Abfallwirtschaftsgesetz 2002
(AWG 2002), BGBl I Nr 102/2002 in der Fassung (idF) BGBl I Nr 70/2017, lautet auszugsweise samt Überschrift wie folgt:
„Behandlungsauftrag
§ 73. (1) Wenn
1. Abfälle nicht gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, nach diesem Bundesgesetz erlassenen Verordnungen, nach EG-VerbringungsV oder nach EG-POP-V gesammelt, gelagert, befördert, verbracht oder behandelt werden oder
[…]
hat die Behörde die erforderlichen Maßnahmen dem Verpflichteten mit Bescheid aufzutragen oder das rechtswidrige Handeln zu untersagen.
[…]“
2. Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991:
Die entscheidungswesentliche Bestimmung des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl I Nr 51/1991 idF BGBl I Nr 158/1998, lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 59. (1) Der Spruch hat die in Verhandlung stehende Angelegenheit und alle die Hauptfrage betreffenden Parteianträge, ferner die allfällige Kostenfrage in möglichst gedrängter, deutlicher Fassung und unter Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmungen, und zwar in der Regel zur Gänze, zu erledigen. […]“
3. Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 idF BGBl I Nr 24/2017, lauten samt Überschrift auszugsweise wie folgt:
„Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
[…]“
„Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
[…]“
III. Erwägungen:
1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:
Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde vier Wochen.
Der angefochtene Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 02.02.2018 nachweislich zugestellt. Die Zustellung an die Beschwerdeführerin selbst war zulässig, da sich die von Rechtsanwalt Mag. BB mit Schriftsatz vom 14.12.2017 bekanntgegebene Vollmacht auf das gegen die Beschwerdeführerin eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren bezogen hat.
Die mit Schriftsatz vom 26.02.2018 durch den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 30.01.2018, Zl ****, erhobene Beschwerde ist am 26.02.2018 und damit innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist bei der Bezirkshauptmannschaft Y eingelangt.
2. In der Sache:
Ausgehend von § 59 Abs 1 AVG wird für den Spruch von Leistungsbescheiden ? insbesondere vor dem Hintergrund des Erfordernisses ihrer Vollstreckbarkeit ? im besonderen Maße Bestimmtheit (und nicht bloß Bestimmbarkeit) gefordert (VwGH 16.06.2004, Zl 2001/08/0034 mit Hinweisen auf die Judikatur). Der Spruch eines Bescheides, mit dem eine Verpflichtung auferlegt wird, muss so bestimmt gefasst sein, dass einerseits dem Bescheidadressaten die überprüfbare Möglichkeit gegeben wird, dem Leistungsauftrag zu entsprechen, und andererseits ohne weiteres Ermittlungsverfahren und neuerliche Entscheidung eine Vollstreckungsverfügung im Rahmen einer allfälligen, ihrem Umfang nach deutlich abgegrenzten Ersatzvornahme ergehen kann (VwGH 21.10.1999, Zl 99/07/0080).
Ausgehend von den eben dargestellten Anforderungen an den Spruch von Leistungsbescheiden hält das Landesverwaltungsgericht Tirol im gegenständlichen Fall Folgendes fest:
Die Bezirkshauptmannschaft Y hat der rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführerin aufgetragen, „sämtliche vor dem Haus ‚Adresse 1‘ abgelagerten Abfälle bzw. als Sperrmüll zu qualifizierende Gegenstände zu entfernen und ordnungsgemäß zu entsorgen“. Der Spruch enthält einen Hinweis auf beiliegende Lichtbilder.
Der Spruch des angefochtenen Bescheid entspricht nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 59 Abs 1 AVG. Der von der belangten Behörde der Beschwerdeführerin erteilte Auftrag bezieht sich auf „Abfälle“ und „als Sperrmüll zu qualifizierende Gegenstände“, ohne aber konkret Gegenstände/bewegliche Sachen anzuführen. Auch die im angefochtenen Bescheid angeschlossenen Lichtbilder vermögen diese Unklarheit nicht zu beseitigen. Auf den Abbildungen 2 und 4 sind verschiedene Gegenstände zu erkennen. Bei einigen, etwa dem Anhänger, dem Fahrrad und den Blumentöpfen, ist davon auszugehen, dass sie noch verwendet werden. Unabhängig davon lässt sich eine zweifelsfreie Verbindung zwischen den Lichtbildern und dem Spruch des angefochtenen Bescheides nicht herstellen. Der erteilte Entfernungsauftrag umfasst „sämtliche vor dem Haus ‚Adresse 1‘ abgelagerten Abfälle bzw. als Sperrmüll zu qualifizierende Gegenstände“. Einen Bezug zum Spruch des angefochtenen Bescheides ist allerdings nur im Hinblick auf die Lichtbilder 2 und 4 nachvollziehbar. Demgegenüber sind auf Foto 1 drei Fahrzeuge, unter anderem ein Einsatzfahrzeug der Bundespolizei, abgebildet. Lichtbild 3 zeigt wiederum einen anderen als im Spruch des angefochtenen Bescheides angeführten Ort.
In der Begründung verweist die belangte Behörde im Wesentlichen auf den Bericht der PI Z vom 18.10.2017, Zl ****. Wörtlich führt die belangte Behörde aus:
„Der Bezirkshauptmannschaft Y, Umweltreferat, wurde mit Eingang vom 18.10.2017 von der Polizeiinspektion Z angezeigt, dass vor dem Haus, Adresse 1, etlicher Hausrat sowie div. Abfall, Kisten mit Lebensmittel in Form von Karotten und Bananen, von denen zahlreiche Stücke verfault waren, abgelagert wurden. Zu den abgelagerten Sachen vor dem Haus wurde eine Fotobeilage angeschlossen.“
Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die mangelnde Bestimmtheit des an die Beschwerdeführerin erteilten Entfernungsauftrages zu sanieren. Die weitere Begründung ist nicht weiter relevant, da lediglich die Äußerung der rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführerin vom 14.12.2017 und der Gesetzestext des § 73 Abs 1 Z 1 AWG 2002 wiedergegeben wird.
Bei dem angefochtenen Entfernungsauftrag vom 30.01.2018, Zl ****, handelt es sich um einen Leistungsbescheid, dessen Spruch die für eine Vollstreckung erforderliche Bestimmtheit aufweisen muss. Dieser Anforderung genügt der zitierte Bescheid aber nicht, da dessen Spruch nicht zu nicht entnehmen ist, welche vor dem Haus Adresse 1, Z, entgegen den Vorschriften des AWG 2002 (ab)gelagerten Gegenstände zu entfernen sind. Der angefochtene Bescheid (Entfernungsauftrag) ist somit rechtswidrig und war ersatzlos zu beheben (Spruchpunkt 1. des gegenständlichen Erkenntnisses).
Das Landesverwaltungsgericht Tirol weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass trotz der Aufhebung des angefochtenen Bescheides es der Bezirkshauptmannschaft Y nicht verwehrt ist, in dieser Sache neuerlich einen Entfernungsauftrag zu erlassen, sofern an der angegebenen Örtlichkeit als Abfall zu qualifizierende Gegenstände entgegen den Vorschriften des AWG 2002 (ab)gelagert sind. Allerdings setzt die Erlassung eines solchen Entfernungsauftrages ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und einen ausreichend bestimmt formulierten Spruch voraus.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte das Landesverwaltungsgericht Tirol von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung absehen.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Im gegenständlichen Fall hatte das Landesverwaltungsgericht Tirol zu prüfen, ob der Spruch des angefochtenen Leistungsbescheides (Entfernungsauftrag) hinreichend bestimmt ist. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat sich dabei auf die einheitliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 59 Abs 1 AVG gestützt. Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung war nicht zu beurteilen. Dementsprechend erklärt das Landesverwaltungsgericht Tirol die ordentliche Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt 2. des gegenständlichen Erkenntnisses).
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Hirn
(Richter)
Schlagworte
Abfall, Abfallbesitzer, subjektiver Abfallbegriff, Lagern, Ablagern, Leistungsbescheid, BestimmtheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2018:LVwG.2018.37.0537.2Zuletzt aktualisiert am
25.04.2018