TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/11 W266 2173646-1

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Veröffentlicht am 11.04.2018
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Entscheidungsdatum

11.04.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W266 2173646-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, Bakk. Phil. als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle NÖ, vom 18.07.2017, OB XXXX , betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer hat am 7.3.2017 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien (in der Folge: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.

1.2. In der Folge stellte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer am 11.7.2017 einen Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung in Höhe von 50% aus.

1.3. Am 17.7.2017 beantragte der Beschwerdeführer die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.

1.4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid wurde dieser Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass ein ärztliches Gutachten eingeholt worden wäre, nach welchem die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.

1.5. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer - unter Vorlage neuer Beweismittel - fristgerecht Beschwerde erhoben und bringt darin im Wesentlichen vor, dass der Befund des Orthopäden Dr. XXXX (Gehstrecke unter 200m) völlig ignoriert worden wäre. Zur Bestätigung dieses Befundes legte er einen neuen Arztbrief von Dr. XXXX vor.

1.6. Vom Bundesverwaltungsgericht wurde in der Folge ein unfallchirurgisches Gutachten eingeholt, welches dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben vom 7.3.2018 zur allfälligen Stellungnahme binnen zweier Wochen übermittelt wurde.

1.7. Während von der belangten Behörde keine Stellungnahme abgegeben wurde, hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 19.3.2018 mitgeteilt, dass er die Aussagen des Sachverständigen zu seinem Gangbild bzw. seiner Mobilität nicht nachvollziehen könne. Zu der bewältigbaren Gehstrecke und seinem Knieleiden legte er zwei Befunde vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt, insbesondere in das Gutachten des Sachverständigen für Allgemeinmedizin und die im Akt erliegenden Befunde sowie Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens und eines aktuellen Auszuges aus dem zentralen Melderegister, steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

1.2. Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger, am XXXX geboren wohnhaft in XXXX , XXXX und Inhaber eines Behindertenpasses.

1.3. Aufgrund des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" erfolgte am 27.6.2017 eine ärztliche Begutachtung des Beschwerdeführers. Das darauf basierende Gutachten des Sachverständigen für Allgemeinmedizin wurde dem Beschwerdeführer gemeinsam mit dem angefochtenen Bescheid gesendet.

1.4. Am 28.1.2018 erfolgte im Auftrag des BVwG eine weitere Begutachtung des Beschwerdeführers. Das darauf basierende unfallchirurgische Gutachten wurde sowohl dem Beschwerdeführer als auch der belangten Behörde zur Stellungnahme gesendet. Nur der Beschwerdeführer hat diese Möglichkeit ergriffen.

1.5. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes wird folgendes festgestellt:

Allgemeiner Status:

180 cm großer und 117 kg schwerer Mann in gutem Allgemein- und Ernährungszustand.

Thorax symmetrisch.

Relevanter Status:

Wirbelsäule im Lot. HWS in R 40-0-40, F 10-0-10, KJA 1 cm, Reklination 14 cm. Normale Brustkyphose, BWS-drehung 30-0-30, Schober Zeichen 10/ 14 cm, FKBA 25 cm, Seitneigung bis 10 cm ober Patella.

Obere Extremitäten:

Schultern in S 40-0-170, F 170-0-40, R 70-0-70, Ellbogen 0-0-130, Handgelenke 60-0-60, Faustschluß beidseits möglich, KG 5.

Nacken- und Kreuzgriff durchführbar.

Untere Extremitäten:

Hüftgelenke in S 0-0-100, F 35-0-30, R 25-0-10,

Kniegelenke in S rechts 0-10-95 zu links 0-10-105, bandfest, reizfrei, verdickt. Sprunggelenke 10-0-45. Lasegue beidseits negativ.

Gangbild/Mobilität:

Gang in Straßenschuhen ohne Gehbehelfe gering kleinerschrittig möglich, Gangbild als durchaus flott zu bezeichnen. Zehenspitzen- und Fersenstand möglich.

Sitzen bei Untersuchung gut möglich, ebenso Aufstehen und Niedersetzen.

Funktionseinschränkungen:

1) Abnützung beider Kniegelenke mittleren Grades

2) Zustand nach Bruch des 1- Lendenwirbels und Abnützungs-erscheinungen der Lendenwirbelsäule

3) Diabetes mellitus Typ II

4) Koronare Herzkrankheit

Es liegen keine erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten und der Wirbelsäule vor, welche die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränken. Kurze Wegstrecken von 300 bis 400 Meter können, allenfalls unter Verwendung eines einfachen Hilfsmittels, zurückgelegt werden. Das Überwinden von Niveauunterschieden sowie das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist möglich. Eine maßgebliche Beeinträchtigung im Bereich der Lendenwirbelsäule, des rechten Kniegelenks und rechten Fußes liegt nicht vor. Ein sicheres Anhalten ist ebenfalls möglich; auch ein sicherer Transport ist möglich. Es liegen keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder Funktionen, keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vor. Es liegt auch keine erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen beruhen betreffend Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und Wohnadresse auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers am Antragsformular, auf den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem eingeholten ergänzenden Sachverständigengutachten und dem Auszug aus dem zentralen Melderegister.

2.2. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes bzw. den Funktionsstörungen beruhen die Feststellungen auf dem bereits von der belangten Behörde eingeholten Gutachten des Sachverständigen für Allgemeinmedizin, welches auf einer persönlichen Untersuchung basiert sowie auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten unfallchirurgischen Gutachten, welches ebenfalls auf einer persönlichen Untersuchung basiert. Diese sind im Hinblick auf die bestehenden Funktionseinschränkungen schlüssig und nachvollziehbar (zur Rechtsfrage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel siehe Pkt 3.).

2.3. Sowohl der von der belangten Behörde als auch der vom Bundesverwaltungsgericht beigezogene Sachverständige kommen unabhängig voneinander zu dem gleichen Ergebnis und erachten die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel durch den Beschwerdeführer aus medizinischer Sicht für möglich.

2.4. Soweit sich der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme zum Parteiengehör gegen die Feststellungen zu seinem Gangbild beziehungsweise seiner Mobilität wendet, ist festzuhalten, dass auch der von der belangten Behörde herangezogene Sachverständige das Gangbild des Beschwerdeführers wie folgt beschreibt: "kommt alleine, selbst gehend mit normalen Schuhen ohne Gehhilfe zur Untersuchung.

Gangbild: leicht breitbasiger, sonst unauffälliger, sichere Gang, geringe Belastungsdyspnoe."

2.5. Diese Beurteilung deckt sich mit jener des vom BVwG beigezogenen Sachverständigen, der das Gangbild als in Straßenschuhen ohne Gehbehelfe gering kleinschrittig möglich und durchaus flott bezeichnet. Insbesondere unter Berücksichtigung der Tagesverfassung und der immer etwas subjektiven Wahrnehmung stimmen die Gangbilder überein und wurden daher die obigen Feststellungen getroffen.

2.6. Zu den Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme hinsichtlich seines Knieleidens, nämlich dass der Sachverständige bei der Untersuchung geäußert habe, dass er die Schmerzen des Beschwerdeführers nachvollziehen könne, ist auszuführen: in seinem unfallchirurgischen Gutachten führt der Sachverständige aus, dass das Knieleiden zweifelsfrei die Mobilität des Beschwerdeführers einschränkt, es ihm aber sicher möglich ist, 300-400 m zurückzulegen, die notwendigen Niveauunterschiede zu bewältigen und auch sicher im Verkehrsmitteln unterwegs zu sein.

2.7. Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vorgelegten Befunde ist auszuführen: Der Arztbrief von Dr. XXXX vom 1.8.2017 wurde bereits in der Beschwerde vorgelegt und im gegenständlichen Gutachten berücksichtigt. Hinsichtlich des zweiten Patientenbriefes wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

3.3. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.4. Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3.5. Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

3.6. Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

3.7. Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

3.8. Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

* erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

* erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

* erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

* eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

* eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

3.9. Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

3.10. In den Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise):

Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128 und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242 und 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).

3.11. Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht. (vgl. u. a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014).

Daraus folgt:

3.12. Das gegenständliche Sachverständigengutachten entspricht den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und wird, aus den unter 2.2.ff näher ausgeführten Gründen, der Entscheidung zugrunde gelegt.

3.13. Hinsichtlich des Röntgenbefundes vom 15.3.2018, den der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme zum Parteiengehör vorlegte, ist auszuführen, dass dieser nach der Vorlage der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht einlangte und daher gemäß § 46 BBG nicht berücksichtigt werden kann.

3.14. Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

* erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

* erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

* erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

* eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

* eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

3.15. Beim Beschwerdeführer liegen, wie festgestellt, keine der oben genannten oder ähnlich gravierende Funktionsstörungen vor.

3.16. Unter Verweis auf die zuvor wiedergegebenen Ausführungen in den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen sowie der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, ist dem Beschwerdeführer sohin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

3.17. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

3.18. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.19. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

3.20. Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

3.21. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.22. Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

3.23. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt. Dies gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes umso mehr für den Fall einer von den Parteien nicht beantragten mündlichen Verhandlung.

3.24. In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).

3.25. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten unfallchirurgischen Gutachten sowie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten eines medizinischen Sachverständigen sowie aus den im Akt enthaltenen Befunden und war im Gegenstand lediglich eine reine Rechtsfrage betreffend der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu beurteilen.

ZU B) Unzulässigkeit der Revision:

3.26. Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.27. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.28. Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W266.2173646.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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