TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/11 W266 2171950-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.04.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.04.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W266 2171950-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, Bakk. Phil. als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen,

Landesstelle NÖ, vom 24.8.2017, OB: XXXX , betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses in nicht öffentlicher Sitzung zu

Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Aufgrund des festgestellten Grades der Behinderung in Höhe von 50 von 100 liegen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Mit dem im Spruch zitierten Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle NÖ (in der Folge: belangte Behörde) wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 13.3.2017 auf Ausstellung eines Behindertenpasses abgewiesen.

1.2. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten zur Feststellung des Grades der Behinderung eingeholt worden sei und nach diesem Gutachten ein Grad der Behinderung von 30% vorliege.

1.3. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung würden als schlüssig anerkannt und in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

1.4. Da die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung in Höhe von 30% festgestellt habe, lägen die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vor, da gemäß § 40 Abs. 3 Bundesbehindertengesetz der Grad der Behinderung mindestens 50% zu betragen habe.

1.5. In der gegen diesen Bescheid erhobenen, fristgerechten Beschwerde führt die Beschwerdeführerin - unter Vorlage weiterer Befunde - im Wesentlichen aus, dass die Durchblutungsstörungen sehr verharmlost dargestellt würden, so trage sie schon bei Temperaturen von 16-18 Grad Handschuhe. Sie verwende verschiedenste Hilfsmittel um die Finger und Zehen zu schützen, wie zB Felleinlagen oder beheizbare Handschuhe. Dadurch seien alltägliche Tätigkeiten erschwert und zeitaufwendig. Zum erwähnten Sodbrennen bzw. Reflux führt sie näheres aus: unter anderem, dass zuletzt eine flächenhafte Barret-Metaplasie (Krebsvorstufe) in der Speiseröhre festgestellt worden sei, und dass unter anderen auch daran gedacht sei, einen Schrittmacher einzusetzen. Zu den Verdauungsstörungen mit häufigen Pilzinfektionen gibt sie an, dass dies teilweise auch zu unkontrollierbaren Durchfällen führe, was sie im Alltag, wie auch in der Arbeit einschränke. Aufgrund des sich verschlechternden Mundschlusses würde sie beim Sprechen sabbern, wenn sie nicht aufpasse. Dagegen mache sie jede Tag eine Stunde lang logopädische Übungen, gekoppelt mit Beckenboden- und Darmschlusstraining und Dehnübungen.

1.6. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt, Einholung eines Gutachtens durch einen Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arzt für Allgemeinmedizin, welches auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 17.1.2018 basiert, in die vorgelegten Befunde sowie Einholung eines aktuellen Auszuges aus dem zentralen Melderegister steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin ist österreichischer Staatsbürger, am XXXX geboren und wohnhaft in XXXX , XXXX .

Aufgrund ihres Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses erfolgte am 22.05.2017 eine ärztliche Begutachtung der Beschwerdeführerin. Das darauf basierende allgemeinmedizinische Gutachten wurde der Beschwerdeführerin gemeinsam mit dem angefochtenen Bescheid gesendet.

Am 17.1.2018 erfolgte, im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes eine weiter Untersuchung der Beschwerdeführerin und wurde das darauf basierende Gutachten mit Schreiben vom 7.3.2018 sowohl der Beschwerdeführerin als auch der belangten Behörde im Rahmen des Parteiengehörs zur allfälligen Stellungnahme binnen zweier Wochen übermittelt. Eine Stellungnahme langte bis dato nicht ein.

1.4. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes wird folgendes festgestellt:

Caput:

sichtbare Häute und Schleimhäute gut durchblutet, Bulbusmotorik seitengleich, beidseits, prompte Pupillenreaktion. Brillenträgerin. Die Haut perioral eher steif, nahezu faltenfrei, die Mundöffnung deutlich eingeschränkt, schmale Lippen, insgesamt die Gesichtsmimik abgeflacht.

Wirbelsäule:

bikonvexe Skoliose - linkskonvex LWS, rechtskonvex thoracolumbal, die Kopfachse zur Körperachse 2 cm nach rechts verschoben, kein Schulter- oder Beckenschiefstand, im Seitaspekt physiologischer Krümmungsverlauf, die linke Schulter etwas vorgeführt. Kein Klopfschmerz, FBA -5 cm.

Obere Extremitäten:

am linken Ellbogen zeigt sich bei Wundheilungsstörung nach Schleimbeutelentfernung ein angelegter Schutzverband. Die Finger beider Hände deutlich unterkühlt, geschwollen, teigig verändert, kleine Hämatome unterhalb des Nagels an den Fingern II und IV rechts. Es zeigt sich an allen Langfingern ein endlagiges Streckdefizit in den PIP-Gelenken, die aktive Fingerstreckung sowie der komplette Faustschluss möglich. Die unterkühlten Fingerspitzen auch etwas livid verändert, Handgelenk, Ellbogen und Schultergelenk beidseits mit altersentsprechend unauffälligem Bewegungsumfang

Untere Extremitäten:

sämtliche Gelenke werden altersentsprechend endlagig frei, schmerzlos bewegt, MER seitengleich prompt, periphere DMS in Ordnung.

Die Beinachse im Lot, keine Beinlängendifferenz. Die Zehen beidseits deutlich unterkühlt, blass.

Thorax:

symmetrisch, Herzaktion rein, rhythmisch, Pulmo beidseits VA.

Abdomen:

weich, auf Thoraxniveau, kein Druckschmerz, keine Abwehrspannung. Bland abgeheilte Narben nach Laparoskopie, etwas entzündlich veränderte Narbe im linken Unterbauch, der Ösophagus-Simulator unter der Haut tastbar.

Gesamtmobilität, Gangbild:

kommt alleine, selbstständig gehend zu Untersuchung, trägt normales Schuhwerk ohne orthopädische Einlagen, jedoch wärmende Felleinlagen, mehrere Socken, Handschuhe hat sie in der

Handtasche. Das Barfußgangbild sicher, etwas verlangsamt, bei der Belastung des rechten Fußes aufgrund der chronischen Achillodynie zeigt sich ein diskretes Hinken. Zehenspitzenstand, Fersenstand, Einbeinstand und Kniebeuge gut möglich, der Nackengriff rechts gut möglich, links bei liegendem Schutzverband eingeschränkt, der Schürzengriff beidseits endlagig.

Die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers entsprechen der folgenden Leidensposition

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Sklerodermie Unterer Rahmensatz, da systemische Bindegewebserkrankung mit chronischem Lymphödem der Hände mit Bewegungseinschränkung, Raynaud-Symptomatik, Mobilitätseinschränkung der Speiseröhre, Einschränkung der Mundöffnung, abgeflachte Mimik, Wundheilungsstörung. Insgesamt ausgezeichneter Bewegungsstatus, selbstständige Alltagsbewältigung

02.02.03

50

2

Funktionseinschränkung Wirbelsäule geringen Grades Unterer Rahmensatz, da skoliotische Fehlhaltung ohne funktioneller Beeinträchtigung

02.01.01

10

3

Hypothyreose Unterer Rahmensatz, da stabile Schilddrüsenwerte unter medikamentöser Substitutionstherapie

09.01.01

10

und beträgt der Grad der Behinderung 50%.

Leiden 1 wird durch die Leiden 2 und 3 nicht erhöht, da keine maßgebliche wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen beruhen betreffend Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und Wohnadresse auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers am Antragsformular, sowie auf den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister.

Hinsichtlich des Gesundheitszustandes und des Grades der Behinderung beruhen die Feststellungen auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachten, welches auf einer persönlichen Untersuchung am 17.1.2018 basiert. Dieses ist in sich schlüssig, nachvollziehbar und vollständig. Es wird darin vollständig und in nachvollziehbarer Art und Weise auf alle, von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Leidenszustände unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde eingegangen.

Der Sachverständige ordnet das Leiden 1, die Sklerodermie, schlüssig und nachvollziehbar der Position 02.02.03. der Einschätzungsverordnung mit dem unteren Rahmensatz des GdB in Höhe von 50% zu, da trotz eines insgesamt ausgezeichnetem Bewegungsstatus und selbstständiger Alltagsbewältigung eine systemische Bindegewebserkrankung mit chronischem Lymphödem der Hände mit Bewegungseinschränkung, Raynaud-Symptomatik, Mobilitätseinschränkung der Speiseröhre, Einschränkung der Mundöffnung, abgeflachte Mimik, Wundheilungsstörung vorliegt.

Auch die Leiden 2 und 3 werden schlüssig dem jeweils unteren Rahmensatz der Positionsnummern 02.01.01 und 09.01.01 in Höhe von 10% zugeordnet, da eine skoliotische Fehlhaltung ohne funktionelle Beeinträchtigung sowie stabile Schilddrüsenwerte unter medikamentöser Substitutionstherapie vorliegen.

Ebenso nachvollziehbar begründet der Sachverständige die Abweichung zum Ergebnis des von der belangten Behörde eingeholten Gutachtens damit, dass aufgrund der maßgeblichen organischen Begleiterscheinungen der Sklerodermie trotz ausgezeichnetem Bewegungsumfang eine maßgebliche Beeinträchtigung im Alltag gegeben ist und daraus der Behinderungsgrad von 50% resultiert.

2.1. Das gegenständliche Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist,.

3.3. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.4. Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3.5. Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

3.6. Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

3.7. Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

3.8. Gemäß § 1. Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) ist unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

3.9. Gemäß § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

3.10. Die relevanten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung lauten:

02.02 Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates

 

02.02.03

Mit funktionellen Auswirkungen fortgeschrittenen Grades

50 - 70%

50 %: Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Notwendigkeit einer über mindestens 6 Monate andauernden Therapie 70 %: Dauernde erhebliche Funktionseinschränkungen mit maßgeblichen Einschränkungen im Alltag, therapeutisch schwer beeinflussbare Krankheitsaktivität, Gehbehinderung

 

 

02.02.01

Mit funktionellen Auswirkungen geringen Grades

10 - 20 %

Mäßige Funktionseinschränkungen, je nach Art und Umfang des Gelenkbefalls, geringe Krankheitsaktivität

 

 

09.01 Endokrine Störung

 

 

09.01.01

Endokrine Störungen leichten Grades

10 - 40 %

Wenn therapeutische Maßnahmen die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen gewährleisten 10 - 20%: Medikamentöse Substitution/Inhibition gut einstellbar. Keine bis geringste Entgleisungswahrscheinlichkeit. Subjektive Wahrnehmbarkeit bei beginnender medikamentöser Überdosierung/Unterdosierung der Substitutions-, Inhibitionstherapie ist sehr gut. Die Erkrankung ist weitgehend stabil, Alltagsleben ist weitestgehend ungehindert möglich, Freizeitgestaltung ist nicht oder wenig eingeschränkt 30 - 40%: Medikamentöse Substitution/Inhibition gut einstellbar. Geringe Entgleisungswahrscheinlichkeit. Subjektive Wahrnehmbarkeit bei beginnender medikamentöser Überdosierung/Unterdosierung der Substitutions-, Inhibitionstherapie ist gut bis mäßig. Die Erkrankung ist weitgehend stabil, Alltagsleben ist weitgehend ungehindert möglich, Freizeitgestaltung ist gering eingeschränkt

 

 

3.11. Gemäß § 3 Abs. 1 Einschätzungsverordnung ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

3.12. Gemäß § 3 Abs. 2 Einschätzungsverordnung ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

3.13. Gemäß § 3 Abs. 3 Einschätzungsverordnung liegt eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

3.14. Gemäß § 3 Abs. 4 Einschätzungsverordnung ist eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

3.15. Gemäß § 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung bildet die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

3.16. Gemäß § 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung hat das Gutachten neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Daraus folgt:

3.17. Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten eines Facharztes für Anästhesiologie und Intensivmedizin und Arztes für Allgemeinmedizin entspricht den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und wird, aus den unter 2.2.ff näher ausgeführten Gründen, der Entscheidung zugrunde gelegt.

3.18. Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde auf die Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund einer Behinderung" eingeht, ist dazu auszuführen, dass der angefochtene Bescheid nicht über diese Zusatzeintragung abspricht und dieser Antrag demgemäß noch unerledigt ist.

3.19. Für die Ausstellung eines Behindertenpasses ist gemäß § 40 Abs. 1 BBG neben den formalen Erfordernissen ein Grad der Behinderung in Höhe von zumindest 50% Voraussetzung.

3.20. Die Funktionsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin betragen aufgrund des vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachtens, wie festgestellt, 50% da diese, wie bereits oben ausgeführt, vom Amtssachverständigen schlüssig und nachvollziehbar den oben genannten Positionen der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet wurden.

3.21. Da der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin sohin entsprechend § 2 Abs. 1 Einschätzungsverordnung iVm Punkt 02.02.03, 02.01.01 und 09.01.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung 50% beträgt und die Beschwerdeführerin über einen Wohnsitz im Inland verfügt, liegen alle Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vor.

3.22. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

3.23. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.24. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

3.25. Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

3.26. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

3.27. Wurde - wie im vorliegenden Fall - kein entsprechender Antrag gestellt, ist die Frage, ob von Amts wegen eine Verhandlung durchgeführt wird, in das pflichtgemäße und zu begründende Ermessen des Verwaltungsgerichtes gestellt, wobei die in § 24 Abs. 2, 3, 4 und 5 VwGVG normierten Ausnahmebestimmungen als Anhaltspunkte der Ermessensübung anzusehen sind (vgl. zur insofern gleichartigen Regelungsstruktur des § 67d Abs. 1 und 2 bis 4 AVG [alte Fassung] die Darstellung bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 17 und 29, mwH).

3.28. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt. Dies gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes umso mehr für den Fall einer von den Parteien nicht beantragten mündlichen Verhandlung.

3.29. In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).

3.30. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten und als schlüssig erachteten Gutachten eines medizinischen Sachverständigen gegen das die Beschwerdeführerin keine Einwände erhoben hat. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

ZU B) Unzulässigkeit der Revision:

3.31. Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.32. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.33. Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W266.2171950.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten