Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen N*****, vertreten durch den Verein V*****, über den Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch Dr. Gerhard Ebner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 17. November 2017, GZ 53 R 93/17s-65, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 19. Juli 2017, GZ 33 P 203/16b-63, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts, der hinsichtlich seines den erstgerichtlichen Beschluss bestätigenden Teils ebenso als unangefochten unberührt bleibt wie hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Wirkungskreises „Vertretung vor Gerichten“, wird im Übrigen dahingehend abgeändert, dass dem Einschränkungsantrag des Sachwalters auch insoweit stattgegeben wird, dass dessen Wirkungskreis um die Angelegenheit „Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen“ eingeschränkt wird.
Text
Begründung:
Das Erstgericht bestellte für die Betroffene mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 28. Dezember 2016 (ON 53) den Verein V***** zum Sachwalter mit dem Aufgabenkreis der Vertretung vor Ämtern, Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen sowie bei medizinischen Heilbehandlungen.
Der Sachwalter beantragte (ON 58) die Einschränkung seines Wirkungskreises auf die Vertretung im Obsorgeverfahren betreffend den am 16. August 2016 geborenen Sohn der Betroffenen. Sie habe alle nach der Sachwalterbestellung notwendigen Termine und Maßnahmen im Zusammenhang mit der Beantragung der AMS-Leistung und der Mindestsicherung selbständig – teilweise mit Unterstützung zweier Mitarbeiter eines sie laufend betreuenden Vereins – wahrgenommen. Rechtsgeschäfte, die über solche des täglichen Lebens hinausgingen, habe sie nicht abgeschlossen, insoweit bestehe kein Vertretungsbedarf. Die Betroffene sei bemüht, ihre gesundheitliche und psychosoziale Situation mit adäquater Hilfestellung zu stabilisieren, sie habe Initiativen zur Knüpfung eines geeigneten Netzes selbst gesetzt, nehme Termine bei Fachärzten für Psychiatrie wahr und habe Psychotherapie, deren Kosten von der Krankenkasse übernommen werden, beantragt. Ihre gesundheitliche Situation habe sich deutlich verbessert. Lediglich durch das Obsorgeverfahren für ihren Sohn fühle sie sich unverändert überaus belastet, in diesem Umfang sei eine Sachwalterschaft nach wie vor angezeigt.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Aus dem im Sachwalterbestellungsverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten gehe hervor, dass die Betroffene an einer ängstlich depressiv gefärbten polymorphen psychotischen Störung leide, die Eigeninitiative und selbst gestaltetes und überlegtes Handeln beeinträchtige. Aufgrund der letzten stationären Aufenthalte der Betroffenen habe sich ihre gesundheitliche Situation zwar verbessert, sie habe in Eigenregie bzw mit Unterstützung Anträge auf Gewährung von Mindestsicherung und Notstandshilfe gestellt und sorge von sich aus für die Einnahme der Medikamente und die Fortführung der Behandlungen. Allerdings sei die Krankheit noch nicht ausgeheilt und die Stabilisierungsphase nicht lange genug für eine fachliche Prognose über den weiteren Verlauf.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs teilweise Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass es den Wirkungsbereich des Sachwalters um die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie bei Geschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, einschränkte, sodass der Wirkungskreis des Sachwalters nur mehr die Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen und die Vertretung vor Gerichten umfasse.
Aus dem Akt ergäben sich keine Hinweise darauf, dass die Betroffene in der Vergangenheit nicht alltägliche Rechtsgeschäfte zu ihrem Nachteil abgeschlossen habe oder dies in Zukunft der Fall sein werde. Die Ausführungen des Sachwalters, die Betroffene habe im Umgang mit Ämtern, Behörden und Sozialversicherungsträgern anderweitig ausreichende Unterstützung gefunden, seien unwidersprochen geblieben. Für das Obsorgeverfahren und wegen eines „Vorfalls vom 2. August 2017“ sei die Vertretung vor Gerichten jedoch aufrechtzuerhalten. In Bezug auf die medizinischen Angelegenheiten sei die Behauptung des Sachwalters, der Allgemeinzustand der Betroffenen habe sich stabilisiert, im Hinblick auf einen Vorfall am 2. August 2017, der zu einem Einschreiten von Polizeibeamten und einer Unterbringung der Betroffenen in der Psychiatrie geführt habe, zu relativieren. Eine Sachwalterbestellung könne nicht nur deshalb unterbleiben, weil eine medizinische Behandlung gegen den Willen der betroffenen Person in diesem Umfang ohnedies nicht möglich wäre. Da anlässlich jeder Behandlung vorweg zu prüfen sei, ob die betroffene Person selbst zu einer Einwilligung fähig sei oder nicht, relativiere sich die Aufrechterhaltung der Vertretungsmacht des Sachwalters ohnehin.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde zur Frage zugelassen, ob bei der Beurteilung des teilweisen Wegfalls der Voraussetzungen für die Sachwalterschaft, insbesondere hinsichtlich der Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen, auch die zu erwartende zukünftige Entwicklung mitzuberücksichtigen sei, dazu liege bislang noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor.
Im ordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen wendet sie sich lediglich gegen die Aufrechterhaltung des Wirkungskreises im Umfang der Vertretung bei medizinischer Heilbehandlung. Sie beantragt die Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses dahin, dass der Wirkungsbereich dem Antrag des Sachwalters entsprechend auch insoweit eingeschränkt werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts der Korrektur im Einzelfall bedarf. Er ist auch berechtigt.
1. Einwilligungen in medizinische Behandlungen wurden durch das Sachwalterrechts-Änderungsgesetz 2006 (SWRÄG 2006 BGBl 2006/92) in § 283 ABGB ausdrücklich geregelt. Gemäß § 283 Abs 1 ABGB kann eine behinderte Person, soweit sie einsichts- und urteilsfähig ist, in eine medizinische Behandlung nur selbst einwilligen. Sonst ist die Zustimmung des Sachwalters erforderlich, dessen Wirkungsbereich die Besorgung dieser Angelegenheit umfasst. Ist somit eine psychisch kranke oder geistig behinderte Person mit Beziehung auf eine medizinische Behandlung – und sei sie auch schwerwiegend iSd § 283 Abs 2 ABGB – einsichts-
und urteilsfähig, so kann sie unabhängig vom Wirkungskreis eines allenfalls bestellten Sachwalters (Weitzenböck in Schwimann/Kodek ABGB4 § 283 Rz 1) nur selbst in die Behandlung einwilligen. Fehlt diese Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist – abgesehen von Gefahr im Verzug – die Zustimmung eines – allenfalls erst zu bestellenden Sachwalters – mit entsprechendem, präzise umschriebenen Wirkungskreis erforderlich (Hopf in KBB5 § 283 Rz 1). Die pauschale Anführung eines Wirkungskreises „Sicherstellung der sozialen und medizinischen Versorgung“ widerspricht § 283 Abs 1 ABGB, zumal einen bestellten Sachwalter unabhängig von seinem Wirkungskreis ohnedies gemäß § 282 ABGB die Verpflichtung trifft, sich darum zu bemühen, dass der behinderten Person die gebotene ärztliche und soziale Betreuung gewährt wird (1 Ob 83/11d = iFamZ 2012/16 [Parapatits]). Damit überhaupt ein Sachwalter mit dem Wirkungskreis „Einwilligung in medizinische Behandlungen“ bestellt werden darf, muss das Gericht zum Ergebnis gekommen sein, dass die behinderte Person diese Angelegenheiten krankheits- oder behinderungsbedingt nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann (Weitzenböck aaO § 283 Rz 2; 3 Ob 29/16k = iFamZ 2016/98 [Parapatits]). Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers des SWRÄG 2006 soll die Sachwalterbestellung gerade nicht zu einer ungezielten Reduzierung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen führen, weshalb das Ausmaß der fehlenden Einsichtsfähigkeit festzustellen und (nur) für genau diesen Bereich ein Sachwalter zu bestellen ist (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 268 Rz 22; 3 Ob 29/16k).
2.1. Dem Revisionsrekurs ist beizupflichten, dass sich aus den erstgerichtlichen Feststellungen eine Einschränkung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Betroffenen in Bezug auf ihre medizinische Behandlung (gemeint offenbar: in psychiatrischer Hinsicht) im Gegensatz zur Situation unmittelbar vor Sachwalterbestellung nicht (mehr) entnehmen lässt. Bei der Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit in eine medizinische Behandlung geht es darum, ob die behinderte Person hinsichtlich der Diagnose, der therapeutischen Möglichkeiten und der denkbaren Alternativen sowie hinsichtlich der jeweiligen Chancen und Risken den Wert der von der Entscheidung betroffenen Interessen erfassen und ihr Verhalten nach dieser Einsicht ausrichten kann, sodass zwischen einem kognitiven (Fähigkeit, Grund und Bedeutung einer Behandlung einzusehen; Einsichtsfähigkeit) und einem voluntativen Element (Fähigkeit, den Willen nach dieser Einsicht zu bestimmen, Urteilsfähigkeit) zu entscheiden ist. Beide Elemente müssen kumulativ verwirklicht sein (3 Ob 29/16k = iFamZ 2016/98 [Parapatits]; Tschugguel/Parapatits in ABGB-ON1.03 § 283 Rz 2).
2.2. Nach den Feststellungen hat sich die gesundheitliche Situation der Betroffenen verbessert, sie sorgt aus Eigenem für Einnahme der Medikamente und die Fortführung der Behandlungen. Da sie offenbar sowohl die Notwendigkeit der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung einzusehen vermochte als auch die dafür nötigen Schritte setzte, ist von ihrer ausreichenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit auszugehen. Für den Wirkungskreis „Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen“ bedarf die Betroffene daher iSv § 278 Abs 2 ABGB keines Sachwalters mehr.
3. Ein einmaliger Vorfall – selbst wenn er zu einer Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik führt – ist für sich allein betrachtet noch kein ausreichender Grund, an der Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Betroffenen in Bezug auf medizinische Behandlungen zu zweifeln. Das Rekursgericht ging nicht davon aus, dass es zu diesem Vorfall etwa deshalb gekommen wäre, weil die Betroffene eine weitere Behandlung oder Medikamenteneinnahme verweigert hätte.
4. Auf die vom Rekursgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage kommt es somit nicht an. Schon für die Fortsetzung des Verfahrens nach Erstanhörung sind konkrete Feststellungen erforderlich, in welchem Zusammenhang sich die Betroffene in der Vergangenheit in einer ihren eigenen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten hat und/oder aufgrund welcher (konkreten) Umstände die Befürchtung nahe liegt, sie werde sich auch in Hinkunft selbst Schaden zufügen (3 Ob 73/12z; 1 Ob 110/09x; vgl auch RIS-Justiz RS0008526). Die Entscheidung über die Bestellung des Sachwalters erfordert somit eine Zukunftsprognose über das Risiko der Selbstgefährdung des Betroffenen ohne Sachwalter (Tschugguel/Parapatits in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 268 Rz 8). Da § 278 Abs 2 ABGB die Einschränkung der Sachwalterschaft (nur) im Fall des Wegfalls der Voraussetzungen für die Bestellung nach §§ 268 bis 272 ABGB vorsieht, ist auch im Rahmen der Entscheidung über den Einschränkungsantrag eine Prognose anzustellen, ob der Betroffene sich ohne seinen Sachwalter (für einen bestimmten Wirkungsbereich) selbst Schaden zufügen wird oder nicht. Besteht das Risiko der Selbstgefährdung weiterhin, sind die Voraussetzungen der Sachwalterbestellung eben nicht weggefallen und eine Einschränkung der Sachwalterschaft nach § 278 Abs 2 ABGB nicht möglich.
6. Der Beschluss des Rekursgerichts war – soweit noch nicht in Rechtskraft erwachsen – somit dahin abzuändern, dass dem Einschränkungsantrag des Sachwalters auch für die Vertretung in medizinischen Angelegenheiten stattzugeben ist.
Textnummer
E121211European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00012.18B.0313.000Im RIS seit
24.04.2018Zuletzt aktualisiert am
18.12.2018