TE Lvwg Erkenntnis 2018/2/8 LVwG-S-19/001-2018

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Veröffentlicht am 08.02.2018
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Entscheidungsdatum

08.02.2018

Norm

StVO 1960 §16 Abs1 litb

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch die Richterin
HR Dr. Grassinger über die Beschwerde von Herrn AB, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 05.12.2017, Zl. TUS2-V-17 27067/5, betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), erkannt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 05.12.2017,

Zl. TUS2-V-17 27067/5, wird aufgehoben.

Das Verwaltungsstrafverfahren hierzu wird eingestellt.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtsgrundlagen:

§ 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

§ 45 Abs. 1 Z 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG)

§ 25a Abs. 4 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) iVm

Art. 133 Abs. 4 und 6 Bundes- Verfassungsgesetz (B-VG)

Entscheidungsgründe:

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 05.12.2017,

TUS2-V-17 27067/5, wurde über den Beschwerdeführer wegen Übertretung des

§ 16 Abs. 1 lit. b Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) nach § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 70,-- verhängt und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 32 Stunden angedroht.

Es wurde als erwiesen angesehen, dass der Beschwerdeführer am 31.08.2017, um 06:43 Uhr, im Gemeindegebiet ***, auf der Schnellstraße ***, nächst Strkm. ***, ein Fahrzeug überholte, obwohl der Geschwindigkeitsunterschied des überholenden und des eingeholten Fahrzeuges unter Bedachtnahme auf die geltende Geschwindigkeitsbeschränkung für einen kurzen Überholvorgang zu gering war.

In der fristgerecht gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und dass er die ihm zur Last gelegte Tat nicht nachvollziehen könne. Er könne zu den Vorwürfen keine genaueren Angaben machen, außer, dass er tatsächlich in dem Fahrzeug gesessen sei. Der Beschwerdeführer ersuchte um Vorlage von Beweisen für das ihm angelastete Verhalten, um Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und um Einstellung des Verfahrens.

Auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens hatte das erkennende Gericht von folgendem, als feststehend anzusehenden, Sachverhalt auszugehen:

In der zu Grunde liegenden Anzeige der Polizeiinspektion *** vom 02.09.2017, GZ-P: VStV/917100477603/001/2017, wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer als Lenker eines Lastkraftfahrzeuges, Mercedes- Benz Atego, am 31.08.2017, um 06:43 Uhr, auf der ***, bei Straßenkilometer ***, ein Sattelkraftfahrzeug an dieser Stelle zu überholen begann. Nach dem Anzeigeninhalt beendete der Beschwerdeführer den Überholvorgang bei Straßenkilometer ***. Der Anzeige wurde weiters ein Lichtbildausdruck angeschlossen, auf welchem der Überholvorgang in sieben Bildern dokumentiert wurde.

Das KFZ wurde vom Beschwerdeführer zum angelasteten Zeitpunkt auf der Richtungsfahrbahn der ***, in Fahrtrichtung ***, auf Höhe von ***, gelenkt.

Die Richtungsfahrbahn weist in diesem Bereich zwei Fahrstreifen für eine Fahrtrichtung auf.

Die höchstzulässige Geschwindigkeit im Bereich zwischen Strkm. *** und Strkm. *** betrug im angelasteten Tatzeitpunkt für Personenkraftwagen

130 km/h. Bei dem vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeug handelte es sich um einen Lastkraftwagen. Die höchstzulässige Geschwindigkeit für Lastkraftwagen betrug im angezeigten Zeitpunkt an der bezeichneten Stelle 80 km/h.

Weder in der Anzeige noch im gesamten Verfahren vor der Behörde wurden Feststellungen hinsichtlich der vom Beschwerdeführer gefahrenen Geschwindigkeit bzw. hinsichtlich der Geschwindigkeit des vom Beschwerdeführer überholten Fahrzeuges getroffen.

Eine Feststellung der jeweils gefahrenen Geschwindigkeit in Bezug auf die beteiligten Fahrzeuge durch eine anerkannte Methode (Radar, Laser, Nachfahrt und Ablesen des Tachos) ist dem Inhalt der zu Grunde liegenden Anzeige nicht zu entnehmen.

Zu diesen Feststellungen gelangte das erkennende Gericht auf Grund des bereits nach dem Verfahren vor der Behörde klar vorliegenden Beweisergebnisses (Inhalt der Anzeige samt beigeschlossenen Lichtbildausdrucken).

In rechtlicher Hinsicht wurde hierüber erwogen:

§ 16 Abs. 1 lit. b StVO 1960:

Der Lenker eines Fahrzeuges darf nicht überholen, wenn der Unterschied der Geschwindigkeiten des überholenden und des eingeholten Fahrzeuges unter Bedachtnahme auf allenfalls geltende Geschwindigkeitsbeschränkungen für einen kurzen Überholvorgang zu gering ist.

Der Forderung des Gesetzgebers nach einem kurzen und zügigen Überholvorgang wird nur dann entsprochen, wenn die Geschwindigkeit des überholenden wesentlich höher ist als die des zu überholenden Fahrzeuges – OGH 24.03.1976, ZVR 1977/39.

Aus der einschlägigen Judikatur des OGH ergibt sich implizit, dass bei 60 km/h des überholten Fahrzeuges 80 km/h bis 85 km/h des überholenden Fahrzeugs ausreichend sind.

Ein Überholmanöver muss abgebrochen werden, wenn sich während des Überholens zeigt, dass eine ausreichende Geschwindigkeitsdifferenz nicht zu erzielen ist – OGH 07.09.1972, ZVR 1973/142.

Der Schutzzweck der Überholverbote nach § 16 Abs 1 StVO besteht grundsätzlich nicht nur darin, den Gegenverkehr gefahrlos zu ermöglichen, sondern auch darin, alle jene Schäden zu verhindern, die beim Überholvorgang während des Vorbeibewegens an dem überholten Fahrzeug und beim Wiedereinordnen nach dem Überholen entstehen können.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht das sich aus dieser Bestimmung ergebende Tatbild darin, dass der Lenker eines Fahrzeuges einen Überholvorgang ungeachtet dessen, dass andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden könnten, durchführt, indem er mit dem Überholen beginnt oder den Überholvorgang nicht abbricht, solange dies noch möglich ist.

Das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten konnte nach dem festgestellten (und überhaupt noch feststellbaren) Sachverhalt nicht mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit klar unter die Übertretungsnorm des § 16 Abs. 1 lit. b StVO 1960 subsumiert werden.

Da es sich beim Tatort um eine Richtungsfahrbahn (gegenständlich mit zwei Fahrstreifen für eine Fahrtrichtung) handelt und diese gerade für den Verkehr in eine Fahrtrichtung bestimmt und von der Fahrbahn für den Verkehr in die entgegengesetzte Fahrtrichtung durch bauliche Einrichtungen getrennt ist, konnte durch den Überholvorgang des Beschwerdeführers, unabhängig von der Dauer des Überholmanövers, auf Grund der spezifischen Gegebenheiten der vom Beschwerdeführer benützten Straße (Schnellstraße), grundsätzlich keine der üblicher Weise durch den eigentlichen Schutzzweck der Bestimmung des

§ 16 Abs. 1 StVO zu vermeidenden Gefahren für sonstige Verkehrsteilnehmer herbeigeführt werden.

Festzustellen war dazu überdies, dass auf Grund der örtlichen Gegebenheiten das verkehrssicherheitsspezifische Erfordernis eines nur kurzen Überholvorganges nicht unabdingbar gegeben war, wobei für die allfällige Beantwortung der Frage einer allfälligen Behinderung des Nachfolgeverkehrs auf dem zweiten Fahrstreifen der Richtungsfahrbahn, ebenso wie für die Frage nach der Bedachtnahme auf die (jeweils) geltende Geschwindigkeitsbeschränkung zumindest irgendeine Form der Geschwindigkeitsfeststellung in Bezug auf zumindest eines der beteiligten Fahrzeuge erfolgen hätte müssen.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Möglichkeit einer Tatanlastung nach

§ 7 Abs. 1 StVO 1960 bzw. nach § 20 Abs. 1, letzter Satz, StVO 1960 zu verweisen.

Unter Berücksichtigung der oben wiedergegebenen Sach- und Rechtslage hatte das erkennende Gericht davon auszugehen, dass nicht mit der für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit nachweisbar war, dass der Beschwerdeführer die ihm angelastete Verwaltungsübertretung begangen hat.

 

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich konnte unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das überhaupt erzielbare Beweisergebnis bereits nach dem Verfahren vor der Behörde feststand, die Abhaltung einer Verhandlung von keiner der Parteien beantragt wurde, eine weitere Beweisführung nicht möglich bzw. erforderlich war und dem nicht Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC entgegenstanden, von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung absehen.

Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache

1.   eine Geldstrafe von bis zu 750,-- Euro und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und

2.   im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu 400,-- Euro verhängt wurde.

Im gegenständlichen Fall ist daher auf Grund der Bestimmung des § 25a Abs. 4 VwGG eine Revision des Beschwerdeführers wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) nicht zulässig.

Schlagworte

Verkehrsrecht; Straßenverkehr; Verwaltungsstrafe; Überholverbot;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.S.19.001.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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