TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/10 W107 2178801-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.04.2018
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Entscheidungsdatum

10.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W107 2178801-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.03.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Sibyll Andrea BÖCK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Benno WAGENEDER, XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.11.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.03.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine afghanische Staatsangehörige und zum Einreisezeitpunkt im siebten Monat schwanger, reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann (Beschwerdeführer zu W107 2178803-1) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.07.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, sie sei gemeinsam mit ihrer Familie aus dem Iran ausgereist, da es dort keine Arbeit gebe, ihr Kind dort keine Zukunft haben würde, in Afghanistan Krieg und die Lage der Frauen in Afghanistan sehr schwer sei, weil diese dort keine Rechte hätten.

3. Am 03.10.2017 wurde die BF vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich einvernommen. Hier legte im Wesentlichen zusammengefasst dar, dass sie im Iran geboren, aber in Afghanistan in der Provinz Herat, Beimarghun, Dorf Kuche Masjede Reza, aufgewachsen sei und dort bis 2013 gelebt habe. Sie habe Afghanistan im Jahr 1392 (2013) nach einem Säureangriff Richtung Iran verlassen. 2014 habe Sie ihren Ehemann geheiratet. Aus dem Iran sei sie aufgrund ihrer Vergewaltigung geflohen.

4. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag der BF auf internationalen Schutz vom 11.07.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 15.11.2017 wurde der BF für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Mit Schreiben vom 28.11.2017 erhob die BF, damals vertreten durch den amtswegig beigegebenen Rechtsberater, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid.

7. Mit Datum vom 05.12.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

8. Am 09.03.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprachen Dari und Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF als Partei und ihr ausgewiesener Rechtsvertreter teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Die Verfahren zu W107 2178803-1 ( XXXX ; Ehemann) und W 107 2178792-1 (

XXXX , Tochter) wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der BF, den Fluchtgründen und dem Leben in Österreich:

Die BF führt den Namen XXXX , ist volljährig, Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan und der Volksgruppe der Tadschiken sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig.

Die BF wurde in Teheran/Iran geboren, kehrte einen Monat nach ihrer Geburt gemeinsam mit ihren Eltern nach Afghanistan zurück, wo sie in der Provinz Herat, im Stadtteil XXXX , aufwuchs. Die Eltern der BF stammen aus der Provinz Herat. Die BF hielt sich 16 Jahre in Afghanistan auf, bevor sie im Jahr 2013 wegen eines Säureattentats zur Behandlung in den Iran reiste und dort blieb.

Die BF ist mit XXXX (Beschwerdeführer zu W107 2178803-1) verheiratet, den sie im Iran kennenlernte und im Jahr 2014 heiratete (BFA-Akt, AS 71). Der Ehe entstammt die in Österreich am XXXX geborene XXXX (mj. Beschwerdeführerin zu W107 2178792-1). Die BF ist derzeit mit ihrem zweiten Kind schwanger (Beilage ./0 zum VP).

Im Jahr 2015 verließ die BF den Iran gemeinsam mit ihrer Familie und flüchtete nach Europa.

Die BF ist eine junge selbstständige Frau, die in ihrer Wertehaltung und ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie hat seit ihrer Einreise nach Österreich im Juli 2015 eine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt und zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden ist.

Die BF setzt ihr Ziel, in Österreich einer Arbeit nachzugehen, um berufliche Selbstständigkeit zu erlangen, konsequent um. Die BF will Hebamme werden und besucht derzeit die zweite Klasse einer Berufs- und Fachschule, Ausbildungsschwerpunkt Gesundheit und Soziale Berufe (Beilage ./1 zum VP). Die BF hat sämtliche notwendgien Schritte zur Erlangung des Berufsziels selbst- und eigenständig gesetzt. Nach Abschluss der Fachschule wird die BF die Matura machen und anschließend die Ausbildung zur Hebamme an der Hebammenschule in Linz absolvieren. Diese Einstellung steht im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen.

Die BF absolvierte Deutschprüfungen auf dem Niveau A1, A2 sowie B1 und spricht sehr gut und fließend Deutsch.

Die BF nimmt am Turnunterricht der Schule teil und trägt dabei eine kurze Hose sowie ein T-Shirt. In Österreich kleidet, frisiert und schminkt sich die BF nach westlicher Mode. Sie organisiert ihren Alltag in Österreich selbstständig, geht alleine Einkaufen, in die Apotheke, zum Arzt und besucht alleine Freunde und Schulfreunde, darunter auch Männer. In der Freizeit fährt sie gerne Fahrrad.

Die BF ist bestrebt, auch ihrer Tochter in Österreich den Zugang zur Bildung zu ermöglichen. Ihre Tochter (die BF3) soll unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis in ihrer Partnerwahl freigestellt sein. Im Alltag und bezüglich der Erziehung ihres Kindes trifft die BF ihre Entscheidungen allein bzw. gemeinsam mit ihrem Ehemann. Die Betreuung des Kindes übernimmt überwiegend der Ehemann der BF.

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. In Österreich kleidet, frisiert und schminkt sie sich nach westlicher Mode, will ihr Kind frei von Zwängen erziehen und in der Zukunft selbst berufstätig sein. Die Beschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben bzw. wieder leben zu müssen, wobei auch ihr in Österreich aufhältiger Gatte ihr westliches Leben unterstützt. Vor diesem Hintergrund würde die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden, weshalb der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung droht.

Die BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat der BF:

Die Länderberichte zur aktuellen Beurteilung der entscheidungswesentlichen Situation in Afghanistan wurden in das Verfahren eingeführt und der BF zur Kenntnis gebracht. Bezogen auf die Situation der BF sind folgende Länderfeststellungen als relevant zu werten (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert per 30.01.2018):

1.2.1. Frauen in Afghanistan:

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016).

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

1.2.1.1.Bildung

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

Frauenuniversität in Kabul

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vgl. auch:

MORAA 31.5.2016).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vgl. auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

1.2.1.2. Berufstätigkeit

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9.2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

Frauen im öffentlichen Dienst

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9.2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women's Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9.2016).

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vgl. auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vgl. auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen - womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

1.2.1.3. Strafverfolgung und Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9.2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9.2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016)

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9.2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9.2016).

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9.2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9.2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW-Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: UNAMA 4.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission - AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 - März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9.2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

1.2.1.4. Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9.2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt - in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9.2016).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

1.2.1.5. Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9.2016).

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9.2016).

1.2.1.6. Frauenhäuser:

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9.2016).

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

1.2.1.7. Medizinische Versorgung - Gynäkologie:

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9.2016).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9.2016).

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der BF in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, in die vorgelegten Urkunden sowie in die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte.

2.1. Die Feststellungen zu Nationalität, Herkunft, Volksgruppe und Familienverhältnissen der BF gründen sich auf ihre diesbezüglich glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, im Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der BF aufkommen lässt.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit der BF in Österreich ergibt sich aus der eingeholten Strafregisterauskunft.

Die Feststellungen hinsichtlich der in Österreich absolvierten Sprachprüfungen der BF ergeben sich aus den im Verfahren vorgelegten Zertifikaten (BFA-Akt, AS 63, 65 und 147). Die erkennende Richterin konnte sich im Zuge der mündlichen Verhandlung zudem selbst davon überzeugen, dass die BF bereits sehr gut Deutsch versteht und fließend spricht.

Dass die BF derzeit die zweite Klasse einer Landwirtschaftlichen Berufs- und Fachschule besucht und dort eine Ausbildung mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Soziale Berufe absolviert, ergibt sich in Übereinstimmung mit den Angaben der BF im Verfahren zweifelsfrei aus der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schulnachricht vom 16.02.2018 (Beilage ./1 zum VP) sowie dem Bestätigungsschreiben der Fachschule XXXX vom 29.09.2017 (BFA-Akt, AS 143).

Die Feststellungen zur BF als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte afghanische Frau, die eine Lebensweise angenommen und verinnerlicht hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt, ergeben sich aus den absolut glaubwürdigen und konsistenten Angaben der BF in der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem persönlichen Eindruck, der von der BF in dieser Verhandlung gewonnen werden konnte. Die BF vermochte aus folgenden Erwägungen zu überzeugen, dass sie die traditionell begründeten gesellschaftlichen Einstellungen und die sich daraus für den Alltag ergebenden Zwänge gegenüber Frauen im Herkunftsstaat ablehnt und sich einer "westlichen" Wertehaltung sowie einem "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild zugewendet hat, welches zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden ist:

Zum äußeren Erscheinungsbild der BF in der mündlichen Verhandlung ist festzuhalten, dass diese in einer Jeans-Hose mit einem lockeren Pullover und einer Halskette erschien, leicht geschminkt war und ihre Haare offen und ohne Kopftuch oder Schal trug. Die BF gab in der mündlichen Verhandlung völlig glaubwürdig an, auch dann kein Kopftuch zu tragen, wenn sie afghanische Freunde treffe und fügte hinzu, dass auch ihr Mann diese Haltung unterstütze (BVwG-Akt, VP, S. 7). Ihre Ausführung, wonach sie sich im Alltag sportlich kleide, deckte sich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild in der mündlichen Verhandlung. Dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA ist zudem zu entnehmen, dass die BF auch bereits zu diesem Zeitpunkt kein Kopftuch mehr trug (BFA-Akt, AS 121).

Betreffend die Persönlichkeit der BF zeigte sich in der mündlichen Verhandlung, dass diese selbstständig, ohne Scheu und mit Blickkontakt auf die ihr gestellten Fragen antwortete und sich sehr selbstbewusst präsentierte. Die BF schilderte in der mündlichen Verhandlung authentisch und glaubwürdig, dass sie täglich alleine die Wohnung verlasse, einen Schulbus besteige, der sie gemeinsam mit österreichischen Schülern zur Fachhochschule bringe, wo sie sich grundsätzlich bis sechs Uhr abends aufhalte (BVwG-Akt, VP, S. 7). Auch die Angabe der BF, wonach sie während des Schulunterrichts Fragen an den Lehrer richte, wenn sie etwas nicht verstehe (BVwG-Akt, VP, S. 7), steht im Einklang mit dem von der BF gewonnenen aufgeschlossenen und selbstsicheren Eindruck der BF in der mündlichen Verhandlung. Die BF vermittelte den glaubwürdigen Eindruck, den Berufswunsch Hebamme mit Ehrgeiz und Einsatz zielstrebig zu verfolgen und dabei völlig alle Anforderungen, die in Österreich an eine derartige Ausbildung gestellt werden, erfüllen zu wollen.

Die BF legte mehrfach glaubwürdig dar, dass sie in Österreich selbstbestimmt lebt und sich mit ihrem Ehemann auf gleicher Augenhöhe fühlt. So führte sie in diesem Zusammenhang insbesondere aus, dass sie in Österreich über ihr Leben grundsätzlich selbst entscheiden könne, wo sie hingehe, was sie anziehe und wen sie treffe. Sie und ihr Mann seien wie zwei Freunde und würden über alles sprechen (BVwG-Akt, VP, s. 8). Auch aus den weiteren Aussagen der BF, wonach sie sich ihre Schule in Österreich selbst ausgesucht habe (BVwG-Akt, VP, S. 9) und zudem selbst eine Nachhilfe für sich organisiert habe (BVwG-Akt, VP, S. 7) geht zweifelsohne hervor, dass die BF ihren Alltag in Österreich selbständig organisiert und regelmäßig eigenständig Entscheidungen trifft.

Die BF schilderte in der mündlichen Verhandlung nachhaltig, dass sie zielstrebig und unbeirrt ihren Berufswunsch verfolge, dass sie in einem Jahr mit der Fachschule fertig sein werde, danach die Matura und anschließend die Ausbildung zur Hebamme machen werde (BVwG-Akt, VP, S. 9). Auch diese Aussagen bestätigen die Selbstbestimmtheit und Autonomie der BF in Österreich.

Aber auch aus der Aussage der BF in der mündlichen Verhandlung, wonach sie am Turnunterricht teilnehme, dabei eine kurze Hose und ein T-Shirt trage und auch am Schwimmunterricht teilnehmen würde, wenn dieser an ihrer Schule angeboten würde (BVwG-Akt, VP, S. 7), ergibt sich die Verinnerlichung der "westlichen" Einstellung der BF und die Abkehr von den afghanischen Traditionen eindeutig. Die BF gab in der mündlichen Verhandlung zudem an, selbst ein Handy zu haben, mit dem sie machen könne, was sie wolle (BVwG-Akt, VP, S. 8).

Zusammengefasst ist festzuhalten, dass die BF eine junge, selbstbestimmte Frau ist, die in Österreich alleine außer Haus geht, sich ohne Orientierung an die traditionellen Kleidungsvorschriften ihres Herkunftsstaates kleidet, die Ausübung ihres Wunschberufes der Hebamme zielstrebig und konsequent anstrebt und am gesellschaftlichen Leben in Österreich teilnimmt. Ihr Leben in Österreich unterscheidet sich - auch in der Freizeitgestaltung - nicht von dem Leben, welches andere Frauen in Österreich führen.

Hinsichtlich der Erziehung ihrer Tochter führte die BF selbstbewusst und glaubwürdig aus, dass sie ihre Tochter nach europäischer Tradition erziehe. Diese solle nach ihren Wünschen leben und eine Ausbildung machen können. Gefragt, ob ihre Tochter eine Geburtstagsfeier besuchen dürfe, an welcher Mädchen und Buben teilnehmen, antwortete die BF überzeugend, dass sie nichts dagegen hätte. Sie würden jetzt schon Geburtstage mit Männern und Frauen feiern. Auch sie selbst feiere in ihrer Schule ohne ihren Mann (BVwG-Akt, VP, S. 9). Insgesamt ist in der mündlichen Verhandlung klar hervorgekommen, dass die BF ihrer Tochter einen westlich orientierten Lebensstil ermöglicht, indem sie sie selbstbestimmt erzieht und sie darin fördert, die ihr in Österreich zukommenden Freiheiten (wie insbesondere freie Partnerwahl, Schulbildung und Berufswahl) auszuleben.

Das Bundesverwaltungsgericht gewann bei der Einvernahme der BF insgesamt den Eindruck, dass es sich bei dieser - auch ihrem äußeren Erscheinungsbild nach - um eine Person handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild ablehnt und bereits abgelegt hat. Aufgrund der Befragung der BF in der mündlichen Verhandlung und der hierbei glaubwürdig dargelegten, angenommenen "westlichen" Verhaltens- und Denkmuster der BF war für die erkennende Richterin deutlich ersichtlich, dass der von der BF angenommene selbstbestimmte Lebensstil zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden ist.

Dieser Eindruck wurde zudem durch die Angaben ihres Ehemannes untermauert, welcher dem Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar und glaubwürdig schilderte, dass er die Lebensweise seiner Frau vollkommen unterstütze. Er führte diesbezüglich aus, dass sie alles machen könne, was diese gerne möchte und er ihr bei allem helfe. Er bestätigte, dass die BF alleine entscheiden könne, wen sie treffen wolle. Er habe keine Einwände, wenn sie abends alleine ins Kino gehe. In Übereinstimmung mit den Angaben der BF schilderte ihr Ehemann, dass er sich alleine um die gemeinsame Tochter kümmere, während seine Frau in der Schule sei (BVwG-Akt, VP, S. 12). Er finde es gut, dass seine Frau kein Kopftuch trage, sich vielmehr wie eine österreichische Frau kleide und bestätigte, dass die BF auch im afghanischen Freundeskreis in Österreich kein Kopftuch trage, selbst wenn dies von manchen kritisiert werde (BVwG-Akt, VP, S. 13).

Die rasche Anpassung der BF an "westliche" Verhältnisse seit ihrer Einreise nach Österreich im Juli 2015 ist vor dem Hintergrund der glaubwürdigen Ausführungen der BF in der mündlichen Verhandlung, wonach sie in Afghanistan niemals so selbstständig handeln könne, dort die täglichen Dinge ihres Lebens nicht alleine machen dürfe und niemals die Ziele, die sie sich gesetzt habe, erreichen könne (BVwG-Akt, VP, S. 10), Ausdruck des ausgeprägten Verlangens der BF nach Bildung und in weiterer Folge auch nach Berufstätigkeit. In dem Bewusstsein, dass die einschränkenden Regeln für Frauen und Mädchen in Afghanistan - etwa in Bezug auf Bewegungsfreiheit und den Aufenthalt an öffentlichen Orten - im Falle einer Rückkehr auch wieder für die BF gelten würden, führte diese im Zuge ihrer Einvernahme in der Verhandlung selbst aus, dass sie jetzt so selbstständig und zielbewusst sei, dass sie sich in Afghanistan nicht mehr den dort vorherrschenden Traditionen und Regeln unterordnen könne (BVwG-Akt, VP, S. 10).

Aufgrund sämtlicher glaubwürdiger und nachvollziehbarer Ausführungen der BF in der mündlichen Verhandlung in Zusammenschau mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck der BF und der Einvernahme ihres Ehemannes ist davon auszugehen, dass der selbstständigen und zielstrebigen BF aufgrund der Ablehnung und Ablegung afghanischer Werte und der starken Verinnerlichung "westlicher" Werte, die zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden sind, im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihrer allgemein als "westlich" zu bezeichnenden Lebensweise mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohen würde.

2.2. Aufgrund der Ergebnisse des durchgeführten Ermittlungsverfahrens konnte hingegen dem darüber hinausgehenden Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen insofern nicht gefolgt werden, als sich der behauptete fluchtrelevante Vorfall (Vergewaltigung) im Iran und nicht im Herkunftsstaat ereignete.

2.3. Die Feststellungen zur entscheidungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat der BF ergeben sich aus den in den Feststellungen angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan. Hierbei wurden Berichte verschiedener ausländischer Behörden ebenso herangezogen, wie von internationalen Organisationen sowie Berichte von allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt wurden, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung von anderen dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die den Feststellungen zugrunde liegenden Ausführungen sind mit weiteren Nachweisen substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar. Auf eine Ausgewogenheit von sowohl amtlichen bzw. staatlichen als auch von nichtstaatlichen Quellen, die auch aus verschiedenen Staaten stammen, wurde Wert gelegt.

Die herangezogenen Bescheinigungsmittel wurden im Hinblick sowohl auf ihre Anerkennung als seriöse und zuverlässige Quellen als auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit von den Parteien dieses Verfahrens nicht bestritten, bzw. es sind diesbezüglich keine Zweifel hervorgekommen. Weiters wurden im Verfahren von den Parteien keine Umstände vorgebracht und haben sich bisher keine Anhaltspunkte ergeben, auf Grund derer sich die Feststellungen zur Situation im betreffenden Herkunftsstaat in nachvollziehbarer Weise als unrichtig erwiesen hätten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und Allgemeines:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Das Verwaltungsgericht hat gemäß Abs. 2 leg. cit. über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 i. d.g.F. (AsylG 2005) ist mit 01.01.2006 in Kraft getreten und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Im gegenständlichen Verfahren wurde die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz) innerhalb der Frist von vier Wochen bei der belangten Behörde eingebracht (die in § 16 Abs. 1 BFA-VG vorgesehene Frist von nur zwei Wochen wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26.09.2017, G 134/2017 und G 207/2017 rückwirkend aufgehoben). Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Beschwerde vor.

Die gegenständliche Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig. Sie ist auch begründet:

3.2. Zu Spruchpunkt A) - Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011).

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.

Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Die Verfolgungsgefahr muss zudem Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Furcht der BF, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung erörtert, hat die BF glaubhaft dargelegt, das westliche Frauen- und Gesellschaftsbild verinnerlicht zu haben. Das Ermittlungsverfahren hat zweifelsohne ergeben, dass die BF seit ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen selbstbestimmten Lebensstil angenommen hat, der zu einem wesentlichen Teil ihrer Identität geworden ist, und den sie deshalb in Afghanistan nicht mehr leben kann, ohne "Verfolgung" zu erfahren. Sie hat damit eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe aufgezeigt:

Nach der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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