TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/10 W107 2178792-1

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Veröffentlicht am 10.04.2018
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Entscheidungsdatum

10.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W107 2178792-1/8E

Schriftliche Ausfertigung des am 09.03.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Sibyll Andrea BÖCK als Einzelrichterin über die Beschwerde der mj. XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter XXXX , diese vertreten durch RA Dr. Benno WAGENEDER, XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.11.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.03.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die mj. Beschwerdeführerin (im Folgenden: mj. BF), eine afghanische Staatsangehörige, geboren am XXXX in Österreich, stellte am 23.10.2015, vertreten durch ihre Mutter XXXX (W107 2178801-1), gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Akt der gegenständlichen mj. BF befinden sich im Hinblick auf deren Geburtsdatum XXXX keine Protokolle einer Einvernahme durch die belangte Behörde.

3. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (In Folge: BFA; belangte Behörde) den Antrag der mj. BF auf internationalen Schutz vom 11.07.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die mj. BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der mj. BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise der mj. BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

4. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 15.11.2017 wurde der mj. BF, vertreten durch ihre Mutter, für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Mit Schreiben vom 28.11.2017 erhob die mj. BF, vertreten durch ihre Mutter, diese damals vertreten durch den amtswegig beigegebenen Rechtsberater, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid.

6. Mit Datum vom 05.12.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. Am 09.03.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprachen Dari und Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Eltern der mj. BF als Parteien und ihr ausgewiesener Rechtsvertreter teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Die Verfahren zu W107 2178792-1 ( XXXX ;

gegenständliche BF; Tochter,) W107 2178803-1 ( XXXX ; Vater der BF und Ehemann der BF zu W107 2178801-1) und W 107 2178801-1 ( XXXX ;

Mutter der BF und Ehefrau des BF zu W107 2178803-1) wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die mj. BF, vertreten durch ihre Mutter XXXX (BF zu W107 2178801-1), wurde am XXXX in Österreich geboren, führt den Namen XXXX und ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan.

Die mj. BF hält sich derzeit gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater XXXX (BF zu W107 2178803-1) in Österreich auf.

Am 23.10.2015 stellte die mj. BF, vertreten durch ihre Mutter, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem Zeitpunkt war die BF minderjährig und ledig.

Die mj. BF ist strafunmündig und daher in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.04.2018, Zl. W107 2178801-1/11E, wurde der Beschwerde der Mutter der gegenständlichen BF stattgegeben und ihr der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zuerkannt. Im Falle der Mutter der BF ist kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsichtnahme in die Akten der belangten Behörde betreffend die mj. BF und deren Eltern (BF zu W107 2178801-1 und BF zu W107 2178803-1).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und Allgemeines:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Das Verwaltungsgericht hat gemäß Abs. 2 leg. cit. über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 i. d.g.F. (AsylG 2005) ist mit 01.01.2006 in Kraft getreten und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Im gegenständlichen Verfahren wurde die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz) innerhalb der Frist von vier Wochen bei der belangten Behörde eingebracht (die in § 16 Abs. 1 BFA-VG vorgesehene Frist von nur zwei Wochen wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 26.09.2017, G 134/2017 und G 207/2017 rückwirkend aufgehoben). Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Beschwerde vor.

Die gegenständliche Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig. Sie ist auch begründet:

3.2. Zu Spruchpunkt A) - Stattgabe der Beschwerde:

Im vorliegenden Fall wurde der Mutter der mj. BF mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.04.2018, Zl. W107 2178801-1/11E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dieser damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Anhand der Ermittlungsergebnisse war davon auszugehen, dass sich die Mutter der mj. BF angesichts ihrer auf ein selbstbestimmtes Leben gerichteten Einstellung ("westliche Gesinnung") aus wohlbegründeter Furcht wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (vgl. das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.04.2018, Zl. W107 2178801-1/11E). Es liegt auch in Bezug auf die Mutter der mj. BF keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vor.

Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Abs. 1 Z 22 AsylG) von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz,

so gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

Gemäß § 34 Abs. 2 iVm Abs. 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

Die mj. BF ist die Tochter von XXXX (Beschwerdeführerin zu W107 2178801-1) und von XXXX (BF zu W107 21788803-1). Somit ist die mj. BF als Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu betrachten.

Die mj. und ledige BF ist nicht straffällig geworden. Gegen die Mutter der mj. BF ist kein Asylaberkennungsverfahren anhängig.

Der mj. BF ist daher gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang, dh. der Status der Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005, zuzuerkennen, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe zu beurteilen waren (vgl. dazu auch Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005 [2006], 499).

Der Beschwerde war daher stattzugeben und der mj. BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass der mj. BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 23.10.2015 und damit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde. Die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 ("Asyl auf Zeit") finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall keine Anwendung.

3.3. Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W107.2178792.1.00

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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