TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/11 W265 2150818-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.04.2018
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Entscheidungsdatum

11.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W265 2150818-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, nach Durchführung einer mündlicher Verhandlungen am 12.09.2017 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 05.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei gab der Beschwerdeführer u. a. an, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara zu sein. Er sei in XXXX geboren, im Alter von 10 oder 12 Jahren sei er mit seiner Familie nach Quetta in Pakistan übersiedelt. Auf die Frage, warum er sein Land verlassen habe, gab er an, seine Familie und er seien Künstler. Sie würden Instrumente spielen und dabei singen. Sein Vater sei deshalb vor mehreren Jahren umgebracht worden. Sein Bruder und er würden deswegen in Afghanistan getötet werden. Pakistan hätten sie verlassen, weil Schiiten und Hazara getötet würden.

3. Am 12.10.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, sein Vater sei Oberlehrer an einer Schule in seiner Heimatregion und berühmter Sänger unter den Hazara gewesen. Im Jahr 1983/1984 sei sein Vater von einem Religionsgelehrten im Auftrag getötet worden. Sein Vater sei von der Gruppierung Hezb-e Sazman-e Nasser getötet worden. Diese Gruppierung werde vom Iran unterstützt und sei gegen die Entwicklung der Musiker. Die Gruppierung habe auch jetzt noch Einfluss. Die dahinterstehenden Personen seien einflussreich und hätten Macht. Aufgrund dessen könne er nicht in sein Heimatland zurückkehren. Die Personen hätten Angst, dass er sie anzeige und dass es womöglich zu einer Verurteilung komme. Das elterliche Haus sei zerstört worden und die Grundstücke seien ihnen weggenommen worden. Im Jahr 2012 sei er nach Afghanistan zurückgekehrt. Sein Onkel mütterlicherseits und andere Bekannte hätte gemeint, dass es sehr schwierig für ihm werden würde. Er habe sich zwei Monate lang in Afghanistan aufgehalten. In dieser Zeit habe er bei Verwandten in Kabul und Herat versteckt gelebt. Seine Mutter lebe bei ihrem Bruder im Heimatdorf in der XXXX in Afghanistan.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom XXXX„ bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass die vom Beschwerdeführer geschilderte Bedrohung als Sohn eines berühmten Vaters bzw. die von ihm vorgebrachte Gefährdung durch seine persönlichen Feinde in Afghanistan als nicht glaubhaft zu werten sei. Eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr auf Grund der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sei vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden. Der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig und es drohe ihm kein reales Risiko, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine aussichtslose Lage zu kommen, somit sei ihm auch nicht der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Schließlich seien auch der Tatbestand des § 55 AsylG (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK) sowie des § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) nicht erfüllt. Die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl damit, dass der Beschwerdeführer weder wesentliche persönliche Beziehungen noch weitere Verwandte in Österreich habe und kein schützenswertes Privat- oder Familienleben in Österreich entstanden sei.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 03.03.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde, welche am 20.03.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wird ausgeführt, dass der Vater des Beschwerdeführers getötet worden sei. Die Feinde SHAIKH hätten ihn ermordet und die Grundstücke enteignet. Es gehe auch weiterhin von diesen (bzw. deren Kindern) eine Gefahr für den Beschwerdeführer und seine Familie aus. Weiters seien der Beschwerdeführer und seine Familie wegen der Volksgruppenzugehörigkeit und der Religion als shiitische Hazara in Gefahr.

7. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 24.03.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.09.2017 in der gegenständlichen Rechtssache durch die erkennende Richterin in Anwesenheit eines für die Sprache Dari bestellten und beeideten Dolmetschers, im Beisein des Vertreters des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau und Kinder, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, zu welcher der Beschwerdeführer persönlich erschien und in welcher er ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter für Fremdenwesen und Asyl nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

9. In der mündlichen Verhandlung wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren eingebracht: das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 27.06.2017, eine zusammenfassende Darstellung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, eine Analyse der Staatendokumentation vom 02.07.2014 zu Frauen in Afghanistan, ein Auszug aus den UNCHR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 (Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen und Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen), eine ACCORD-Anfragebeantwortung zur Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen vom 12.06.2015 und eine ACCORD-Anfragebeantwortung zur Aktuellen Situation der Volksgruppe der Hazara vom 27.06.2016 sowie ein Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme zur Lage der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan des Ländersachverständigen Dr. Rasuly vom 17.02.2016 und ein Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul des Ländersachverständigen Dr. Rasuly vom 23.10.2015. Dem Beschwerdeführer wurde die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte die Feststellungen zu seinem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Ihm wurde die Möglichkeit gegeben, in die Länderberichte Einsicht zu nehmen und allenfalls dazu Stellung zu nehmen. Auf die Abgabe einer Stellungnahme wurde verzichtet.

Seitens des Beschwerdeführers wurden in der Verhandlung mehrere Unterlagen zum Nachweis seiner Integrationsverfestigung und der seiner Frau und Kinder in Österreich vorgelegt.

10. Mit Eingabe vom 26.09.2017, vom 19.10.2017 und vom 22.12.2017 wurden Integrationsunterlagen sowie medizinische Befunde in Vorlage gebracht.

11. Mit Schreiben vom 06.03.2018 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Feststellungen über die Situation in seinem Herkunftsstaat übermittelt: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Ermordung von XXXX und Behandlung von MusikerInnen in der afghanischen Gesellschaft sowie ACCORD-Anfragebeantwortung zu a-10484 vom 15. Februar 2018 zur Situation von Künstlern in Afghanistan. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt.

12. Mit Schreiben vom 12.03.2018 nahm der Beschwerdeführer Stellung und beantrage die Zeugeneinvernahme seines in Wien lebenden Onkels.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

I. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara.

Der Beschwerdeführer ist in der XXXX in Afghanistan geboren. Er hat Afghanistan im Alter von 10 oder 12 Jahren mit seiner Mutter und seinem Bruder verlassen und seither bis auf einen zweimonatigen Aufenthalt in Afghanistan in Pakistan gelebt. Der Beschwerdeführer besuchte in Pakistan 6 Jahre lang die Schule. Im Anschluss eröffnete er ein Geschäft und verkaufte Musikkassetten. Nebenbei unterrichtete er das Musikinstrument Damburan. Der Beschwerdeführer kehrte im September 2012 für zwei Monate nach Afghanistan zurück. Nach den zwei Monaten reiste er wieder nach Pakistan, wo er bis zur Ausreise nach Europa lebte.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde im Jahr 1983 ermordet. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt mit ihrem Bruder (dem Onkel des Beschwerdeführers) in der XXXX. Zwei weitere Onkel mütterlicherseits leben ebenfalls in der XXXX. Die Onkel des Beschwerdeführers sind Landwirte und bewirtschaften ihre Grundstücke. Die Tanten mütterlicherseits lebten zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers in XXXX. Der Bruder des Beschwerdeführers floh mit seiner Familie ebenfalls nach Österreich und befindet sich noch im offenen Asylverfahren.

Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer ist mit XXXX, geboren XXXX, verheiratet. Die Ehe wurde nach islamischem Ritus im Jahr 2000 in Pakistan geschlossen, danach haben die beiden Eheleute zusammen in Pakistan gelebt. Sie sind Eltern von XXXX, geb. am XXXX, XXXX, geb. am XXXX und XXXX, geb. am XXXX.

Der Ehefrau des Beschwerdeführers, XXXX, geboren am XXXX, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, Zl. XXXX, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Vater des Beschwerdeführers, ein Dichter, Musiker und Sänger, wurde im Jahr 1983 von einem Geistlichen und Mitglied der Naser-Organisation getötet. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Ermordung seines Vaters bzw. seiner Angehörigeneigenschaft bei einer Rückkehr nach Afghanistan Drohungs- bzw. Gewalthandlungen ausgesetzt wäre.

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Muslim bzw. dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara sowie schiitische Muslim in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und es ist gegen seine Ehefrau kein Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten anhängig.

2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 in der Fassung vom 27.06.2017:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte und Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Einige Experten haben auf Leistungsverbesserungen der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen (SCR 9.2015). Ein erhöhtes Operationstempo hat zu einer signifikant höheren Opferzahl unter den afghanischen Sicherheitskräften geführt (+27% im Zeitraum von 1.1. -15.11.2015 im Vergleich zu 2014) (USDOD 12.2015). Ähnliche Zahlen nennt WP, mit 7.000 getöteten und und 12.000 verletzten Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte (+26% zum Jahr 2014). Im gesamten Jahr 2014 wurde hingegen von 5.000 getöteten afghanischen Polizisten und Soldaten berichtet (SCR 9.2015). Zudem haben die Taliban ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive im April 2015 erhöht (BBC 29.6.2015).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast allen Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen, bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten. Gleichzeitig haben die Taliban bewiesen, dass sie ländliche Gegenden einnehmen, Schlüsselgebiete bedrohen (z.B. in Helmand) und gleichzeitig high-profile Angriffe in Kabul durchführen können (USDOD 12.2015). Laut Angaben der afghanischen Regierung, kontrollieren die Taliban nur vier der mehr als 400 Bezirke landesweit, aber es ist bekannt, dass diese Zahl stark untertrieben ist. Die afghanische Regierung hat außerdem oftmals nur Kontrolle über die Distriktzentren, aber nicht über die ländlichen Gebiete (The Long War Journal 22.9.2015)

Es gab Vorschläge zur Gründung regierungsfreundlicher Milizen - sogenannter lokaler Verteidigungskräfte - um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Diese existieren angeblich bereits in einer Anzahl von Provinzen (UNGASC 10.12.2015).

Es gibt drei Gründe für das Wiederaufleben der Taliban: Erstens das Ende der US-amerikanischen und NATO-Mission Ende 2014, sowie der Abzug der ausländischen Kräfte aus Afghanistan, hat den militärischen Druck auf die Taliban verringert. Krisen in anderen Teilen der Welt (Syrien, Irak und Ukraine) nährten bei den Taliban die Hoffnungen auf ein Desinteresse der internationalen Gemeinschaft. Wenn Taliban militärische Stützpunkte, Distriktzentren und Check-Points Afghanistans überrennen, erbeuten sie jedes Mal Waffen für den Kampf gegen die afghanische Regierung. Zweitens vertrieb die pakistanische Militäroperation Zarb-e Azb in den Stammesgebieten Nordwaziristans im Juni 2014 tausende Aufständische - hauptsächlich Usbeken, Araber und Pakistanis - die nach Afghanistan strömten und in den Rängen der Taliban aufstiegen. Die Taliban lenkten ohnehin eine große Anzahl ihrer eigenen Kämpfer von Pakistan aus. Drittens mangelt es den afghanischen Sicherheitskräften an Ausbildung und Ausstattung, vor allem in den Bereichen Luftstreitkräfte und Aufklärung. Außerdem nützen die Taliban interne Machtkämpfe der Kabuler Zentralregierung und deren scheinbare Schwäche in verschiedenen Bereichen in Kabul aus (BBC 5.1.2016).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Provinz Daikundi

Die Provinz Daikundi ist seit dem Jahr 2014 autonom (UNDP 5.2.2017); davor war sie ein Distrikt der Provinz Uruzgan (Pajhwok. O.D.ac).

Daikundi ist mehr als 400 km von Kabul entfernt, liegt in Zentralafghanistan und grenzt an die Provinzen Ghor, Ghazni, Uruzgan und Helmand (Tolonews 15.11.2016). Administrative Einheiten sind:

die Provinzhauptstadt Nieli, Ashtarly, Khijran, Khedir, Kitti, Miramor, Sang Takh Shahristan und Gizab (Pajhwok o.D.ac). Die Provinz Daikundi ist die zweitgrößte Region, in der Hazara leben; in der Provinz sind dies 86% der Bevölkerung (UNDP 5.2.2017; vgl. auch:

Die Zeit 5.1.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

468.178 geschätzt (CSO 2016).

Daikundi ist eine gebirgige Provinz mit schwacher Infrastruktur ohne asphaltierte Straßen (Pajhwok 25.3.2015; vgl. auch: Tolonews 15.11.2016). Die abgelegene Provinz Daikundi in Afghanistan, hat derzeit die einzige amtierende Gouverneurin des Landes (France Soir 1.8.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2015 wurden in der Provinz Daikundi 48 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Daikundi ist als relativ friedliche Provinz anzusehen, einzig der Distrikt Kijran gilt als relativ unsicher. Dennoch gilt die Provinz für Anrainer/innen als unterentwickelt - viele Gegenden haben wenig oder gar keinen Zugang zu Elektrizität; Gesundheitsleistungen und anderen elementaren Leistungen (Tolonews 15.11.2016; vgl. auch:

Xinhua 1.10.2016).

Nur in einer Handvoll der 34 Provinzen Afghanistans (wie Balkh, Bamyan, Ghor, Daikundi, Jawzjan und Samangan) stellen die Taliban keine große Bedrohung dar. Die fehlende Mehrheit der Paschtunen erklärt die relative Stabilität dieser Provinzen (Lobe Log Foreign Policy 14.9.2016).

Provinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

Religionsfreiheit

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9.2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9.2016).

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein - dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. (CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert (AA 9.2016); sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert (CRS 12.1.2015). In der öffentlichen Verwaltung sind sie jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist (AA 9.2016). In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, auch Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.1.2015).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2015 kam es zu mehreren Entführungen von Angehörigen der Hazara (AA 9.2016; vgl. auch: UDOS 13.4.2016; NYT 21.11.2015; World Hazara Council 10.11.2016; RFE/RL 25.2.2016). Im Jahr 2016 registrierte die UNAMA einen Rückgang von Entführungen von Hazara. Im Jahr 2016 dokumentierte die UNAMA 15 Vorfälle in denen 82 Hazara entführt wurden. Im Jahr 2015 wurden 25 Vorfälle von 224 entführten Hazara dokumentiert. Die Entführungen fanden in den Provinzen Uruzgan, Sar-e Pul, Daikundi, Maidan Wardak und Ghor statt (UNAMA 6.2.2017). Im Juli 2016 sprengten sich mehrere Selbstmordattentäter bei einem großen Protest der Hazara in die Luft, dabei wurden mindestens 80 getötet und 250 verletzt; mit dem IS verbundene Gruppen bekannten sich zu dem Attentat (HRW 12.1.2017).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

Rückkehr

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind, laut Internationalem Währungsfonds (IMF), hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich - laut UNHCR - in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlinge, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind - davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt sind (Khaama Press 17.1.2017).

Pakistan

Pakistan hat seit 1978 nicht weniger als eine Million Afghan/innen beherbergt. In den Jahren 1986 bis 1991 waren etwa drei Millionen Flüchtlinge in Pakistan. Zwischen 2002 und 2015 unterstütze UNHCR 3,9 Millionen Afghan/innen bei der Rückkehr. Der Großteil davon kehrte bis Ende 2008 zurück, danach ging die Rückkehrrate signifikant zurück (HRW 13.2.2017).

Wegen zunehmender Spannungen zwischen der afghanischen und pakistanischen Regierung (Die Zeit 13.2.2017), waren im Jahr 2016

249.832 Afghan/innen entweder freiwillig oder durch Abschiebung aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Stand: 7.1.2017) (IOM 8.1.2017).

Bis Ende 2017 soll eine weitere halbe Million Afghan/innen aus Pakistan zurückkehren. Die Anzahl der Rückkehrer/innen ist in den letzten zwei Jahren stetig gestiegen (DAWN 12.1.2017). In der ersten Jännerwoche 2017 kehrten 1.643 nicht registrierte Afghan/innen aus Pakistan (freiwillig oder im Rahmen von Abschiebungen) nach Afghanistan zurück (IOM 8.1.2017). In der zweiten Jännerwoche sind insgesamt 1.579 nicht registrierte Afghan/innen über Nangarhar und Kandahar, entweder freiwillig oder im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt. IOM hat im Berichtszeitraum 79% nicht registrierte Afghan/innen unterstützt; dies beinhaltete Essen und Unterbringung in Transitzentren in Grenznähe, sowie Haushaltsgegenstände und andere Artikel für Familien, spezielle Unterstützung für Personen mit speziellen Bedürfnissen, eine ein-Monatsration vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) und andere relevante Hygieneartikel. Im Rahmen einer Befragung gaben 76% Ende 2016 an, Nangarhar als Niederlassungsprovinz zu wählen, für 16% war dies Kabul, für 4% war es Laghman, 2% gingen nach Kunar und weitere 2% nach Logar (IOM 15.1.2017).

Im Februar 2017 veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) einen Bericht, in dem von "Zwangsrückführungen" afghanischer Flüchtlinge gesprochen wird (HRW 13.2.2017). Der HRW-Bericht basiert auf 115 Interviews mit afghanischen Rückkehrer/innen nach Afghanistan, sowie afghanischen Flüchtlingen und nicht registrierten Afghan/innen in Pakistan (DAWN 13.2.2017; vgl. auch: HRW 13.2.2017). UNHCR hatte im Juni 2016 die finanzielle Unterstützung für jede Rückkehrer/in von US$ 200 auf US$ 400 erhöht (HRW 13.2.2017). HRW argumentiert, dies sei ein Faktor, der afghanische Flüchtlinge dazu bewogen habe nach Afghanistan zurückzukehren. Laut UNHCR wurden 4.500 Rückkehrer/innen bei Ankunft interviewt, von denen keiner die Bargeldzuschüsse als primären Faktor für die Rückkehrentscheidung angab (DAWN 13.2.2017). Als Gründe für die Rückkehr wurden unter anderem folgendes angegeben: Einrichtung formeller Grenzkontrolle in Torkham; große Besorgnis über die Gültigkeit der Proof of Registration Card (PoR-Cards); Kampagne der afghanischen Regierung in Pakistan ("home sweet home"), die Afghan/innen bat nach Hause zurückzukehren (UNHCR 3.2.2017).

Zahl der Afghan/innen, die von Pakistan in den Jahren 2009 - 2016 zurückgekehrt sind.

2.2. Auszug aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD vom 27.06.2016 zur Situation der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan (a-9695-1):

"Chris Johnson, die in den Jahren 1996 bis 2004 unter anderem als Mitarbeiterin in der im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätigen NGO Oxfam und der Forschungseinrichtung Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) in Afghanistan tätig war, schreibt in einer aus dem Jahr 2000 stammenden Studie zu Hazarajat, dass dieses Gebiet die Provinz Bamiyan sowie Teile von benachbarten Provinzen umfasse. Die exakten Grenzen des Hazarajat seien umstritten, doch würden diese für den Zweck der Studie mit jenen des Gebietes alten Schura gleichgesetzt, das die folgenden Distrikte umfasse: Schebar, Bamiyan, Panjao, Waras, Yakawlang (Provinz Bamiyan); Balchab (Jowzjan); Dar-e-Souf (Samanghan); Lal o Sari Jangal (Ghor); Dai Kundi, Sharistan (Uruzgan); Malistan, Jaghori, Nawor (Ghazni); Behsud I und Behsud II (Wardak). Obwohl es auch möglich sei, historisch von einem noch größeren Gebiet Hazarajat zu sprechen, würden alle genannten Distrikte im Allgemeinen als Teil des Hazarajat anerkannt, und diese Definition des Gebietes entspreche auch den Realitäten der Arbeit der Hilfsorganisationen. Das Hazarajat stelle das am stärksten mono-ethnische Gebiet Afghanistans dar. Die Bevölkerung des Gebiets setze sich überwiegend aus Imami-Schiiten zusammen, obwohl es dort auch einige Ismaili-Schiiten sowie auch sunnitische Hazara gebe. Das am stärksten ethnische gemischte Gebiet innerhalb des Hazarajat sei die Provinz Bamiyan, deren Bevölkerung sich zu 67% aus Hazara, 15% aus Tadschiken, 14% aus Sayyed und zu knapp 2% aus Paschtunen sowie 2% aus Quizilabasch zusammensetze. Insgesamt habe es in den zwei Jahrzehnten vor Veröffentlichung der Studie eine Zunahme an ethnischen Spannungen gegeben, die sich nicht von der politischen Entwicklung loslösen lasse.

Doch auch innerhalb der ethnischen Gruppe der Hazara gebe es Gegensätze und ein System von Untergruppen, das derart komplex sei, dass sich das Ausmaß, in dem sich die Mitglieder dieser Gruppen als eigene Gruppe angesehen hätten, je nach Zeit in Abhängigkeit von den in dem Gebiet aktiven politischen Bewegungen unterschiedlich gewesen sei. Die Gruppenzugehörigkeit gehe sowohl aus Mustern traditioneller Führung in Bezug auf Land, Familie und Religion ab und diese Führungsmuster könnten sich überschneiden. Am ambivalentesten sei der Status der Sayyed, welche die traditionelle religiöse Führung der Hazara bilden und rund vier bis fünf Prozent der Bevölkerung des Hazarajat ausmachen würden. Sie würden ihre Abstammung auf den Propheten Mohammed zurückführen und seien ursprünglich Araber gewesen. Während Ehen zwischen Hazara-Männern und Sayyed-Frauen selten seien, komme es häufig zu Eheschließungen zwischen Sayyed-Männern und Hazara-Frauen. Manchmal würden sich Sayyed selbst als Hazara bezeichnen und auch von anderen als solche bezeichnet. In anderen Fällen würden sich die Sayyed als eigene Gruppe bezeichnen.

In einem Update zur Sicherheitslage in Afghanistan vom September 2015 thematisiert die regierungsunabhängige Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die Situation von Hazara wie folgt:

Diskriminierung gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten sind verbreitet und es kommt immer wieder zu Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, welche zu Todesopfern führen. Die Diskriminierung Angehöriger der Hazara äußert sich in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung. Hazara wurden überdurchschnittlich oft zu Opfern gezielter Ermordungen' (SFH, 13.09.2015).

Der im April 2016 veröffentlichte Länderbericht des US-Außenministeriums (US Department of State, USDOS) zur Menschenrechtslage (Berichtsjahr 2015) hält fest, dass im November 2015 unbekannte Bewaffnete mindestens 14 Hazara-Männer aus Bussen in der Provinz Zabul entführt hätten. Über deren Verbleib hätten bis Dezember 2015 keine Informationen vorgelegen. Im Februar 2015 hätten Aufständische 31 Hazara-Männer aus einem Bus in der Provinz Zabul entführt und im Mai 2015 19 Geiseln und im November 2015 acht weitere freigelassen. Mit Stand November 2015 seien die übrigen vier Geiseln weiterhin vermisst gewesen. Im März 2015 sei es im ganzen Land zu Protesten gekommen, bei denen Demonstrierende die Regierung aufgefordert hätten, die 31 im Februar entführten Hazara freizubekommen. Im November 2015 seien in Städten im ganzen Land Proteste ausgebrochen, nachdem Aufständische mit mutmaßlichen Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) sieben Hazara in der Provinz Zabul enthauptet hätten, darunter zwei Frauen und ein neunjähriges Mädchen. Die Demonstrationen seien ein Ausdruck öffentlichen Unmuts gegen die Unfähigkeit der Regierung gewesen, mit der Bedrohung durch Aufständische fertig zu werden und hätten ein Licht auf die Ängste der Hazara vor weiteren Anschlägen geworfen.

Weiters berichtet das USDOS von fortwährender, sozial, rassisch oder religiös motivierter gesellschaftlicher Diskriminierung von Hazara in Form von Gelderpressungen durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Gewalt und Haft. Laut NGOs seien Hazara-Mitglieder der Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) einem stärkeren Risiko ausgesetzt, in unsicheren Gebieten eingesetzt zu werden, als Nicht-Hazara-Beamte. Aus mehreren Provinzen, darunter Ghazni, Zabul und Baghlan, seien eine Reihe von Entführungen von Hazara berichtet worden. Die Entführer hätten Berichten zufolge ihre Opfer erschossen, enthauptet, Lösegeld für sie verlangt oder sie freigelassen. Wie das USDOS weiter bemerkt, seien ethnische Hazara, Sikhs und Hindus zusätzlich zur allgemeinen gesellschaftlichen Diskriminierung weiterhin von Diskriminierung bei der Jobeinstellung und bei der Zuteilung von Arbeiten betroffen.

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) bemerkt in ihrem im Februar 2016 erschienenen Jahresbericht zum Jahr 2015, dass sie während des Jahres 2015 einen starken Anstieg bei Entführungen und Tötungen von Hazara-ZivilistInnen durch regierungsfeindliche Kräfte verzeichnet habe. So hätten regierungsfeindliche Kräfte zwischen 1. Jänner und 31. Dezember 2015 mindestens 146 Mitglieder der Hazara-Gemeinde bei insgesamt 20 verschiedenen Vorfällen getötet. Mit Ausnahme eines einzigen Vorfalls hätten sich alle in ethnische gemischten Gebieten ereignet, die sowohl von Hazara als auch von Nicht-Hazara-Gemeinden besiedelt seien, und zwar in den Provinzen Ghazni, Balch, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jowzjan und Ghor. UNAMA habe die Freilassung von 118 der 146 entführten Hazara bestätigen können. 13 entführte Hazara seien von regierungsfeindlichen Kräften getötet worden, während zwei weitere während der Geiselhaft verstorben seien. UNAMA habe den Verbleib der übrigen Geiseln nicht eruieren können. Die Motive für die Entführungen seien unter anderem Lösegelderpressung, Gefangenenaustausche, Verdacht der Spionage für die Afghanischen Nationalen Sicherheitskräfte (ANSF) und Nichtbezahlung illegaler Steuern gewesen. In manchen Fällen seien die zugrundeliegenden Motive unbekannt gewesen.

UNAMA führt folgende Beispiele für Entführungen und anschließende Tötungen von Hazara an: Am 23.02.2015 seien im Bezirk Shajoy der Provinz Zabul 30 Hazara-Insassen zweier öffentlicher Busse, die von Herat nach Kabul unterwegs gewesen seien, entführt worden. Drei der Entführungsopfer seien während ihrer Gefangenschaft getötet worden, während zwei offenbar aufgrund von natürlichen Ursachen verstorben seien. Zwischen Mai und August 2015 seien die übrigen Geiseln freigelassen worden, nachdem es Berichten zufolge zu einem Austausch mit einer Gruppe von Häftlingen gekommen s

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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