TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/11 W103 2116792-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.04.2018
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Entscheidungsdatum

11.04.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W103 2116792-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.10.2015, Zl. 1047453508-140257686, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der kumykischen Volksgruppe, stellte am 06.12.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem sie zuvor illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist war.

Anlässlich ihrer niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.12.2014 gab die Beschwerdeführerin zusammenfassend zu Protokoll, sie gehöre der kumykischen Volksgruppe sowie dem moslemischen Glauben an und sei verwitwet. Sie habe sich zwei Jahre zuvor zur Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat entschlossen und das Land Ende November diesen Jahres schlepperunterstützt verlassen. Zum Grund ihrer Flucht führte die Beschwerdeführerin aus, ihre Tochter, welche sich seit etwa zwei Jahren in Österreich befände, habe damals Probleme mit dagestanischen Widerstandskämpfern gehabt. Nachdem ihre Tochter Dagestan verlassen hätte, seien immer wieder zwei bewaffnete und maskierte Männer zu ihr nach Hause gekommen, welche wissen hätten wollen, wo sich ihre Tochter befinde; die Beschwerdeführerin sei auch mit dem Umbringen bedroht worden. Sie glaube, dass es sich bei den Männern um Widerstandskämpfer gehandelt hätte. Diese Männer hätten sie auch mehrfach geschlagen. Am 26.11.2014 hätten die Männer sie das letzte Mal aufgesucht, es sei gegen Mitternacht gewesen, als diese hereingestürmt seien und die Beschwerdeführerin mit einer Flüssigkeit, vermutlich Benzin, übergossen hätten. Sie sei sich sicher gewesen, dass sie sie hätten verbrennen wollen. Plötzlich seien sie aber davon gelaufen, da sie vermutlich jemand gesehen hätte. Die Beschwerdeführerin habe solche Angst bekommen, dass sie Dagestan am nächsten Tag verlassen hätte. Im Falle einer Rückkehr fürchte sie um ihr Leben.

Am 02.09.2015 wurde die Beschwerdeführerin im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen, wobei sie zusammenfassend vorbrachte, anlässlich ihrer Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben erstattet zu haben. Sie sei illegal nach Österreich eingereist; sie besitze einen Inlandspass, welcher sich bei ihrer Tochter befinde, weitere amtliche Dokumente habe sie nicht besessen. In Österreich würden ihre Tochter und ihre Enkeltochter leben, sie lebe mit diesen jedoch in keinem gemeinsamen Haushalt, es fänden aber gegenseitige Besuche statt. Die Beschwerdeführerin sei verwitwet und stehe in Österreich zu niemandem in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis. In der Russischen Föderation halte sich nach wie vor ihre zweite Tochter auf, zu welcher jedoch kein Kontakt bestünde. In Österreich habe die Beschwerdeführerin die deutsche Sprache ein wenig erlernt, sie ginge keiner Arbeit nach; sie habe Deutschkurse besucht, auch ihre Enkeltochter helfe ihr beim Erlernen der Sprache. Sie leide an keinen schwerwiegenden Erkrankungen, sei jedoch gestresst und nehme aus diesem Grund Medikamente ein. In Dagestan habe sie noch nicht an Stress gelitten. In der Russischen Föderation sei sie nicht vorbestraft, sie habe dort zuerst als Meisterin in einer Fischkonservenfabrik gearbeitet und sei anschließend stellvertretende Leiterin einer Glaserfabrik gewesen.

Zu ihrem Fluchtgrund führte die Beschwerdeführerin aus, ihre Tochter sei bereits vor ihr nach Österreich gekommen. Nach deren Ausreise sei die Beschwerdeführerin in den beiden Jahren vor ihrer eigenen Ausreise verhört und misshandelt worden; einmal sei sie mit Benzin übergossen worden. Auf die Frage, von wem sie verfolgt worden wäre, gab die Beschwerdeführerin an, in Dagestan herrsche derzeit ein innerer Krieg, es gebe bei ihnen Wahhabiten mit Bärten. Diese Leute hätten ihre Tochter verfolgt, weshalb die Genannte weggefahren wäre. Zur Beschwerdeführerin seien zwei Leute gekommen; sie wisse nicht, wer diese gewesen seien. Diese seien maskiert gewesen, den Bart habe sie trotzdem erkennen können. Zuletzt habe sie im väterlichen Haus in einem Vorort von XXXX gewohnt. Die Männer seien in ihr Haus eingedrungen und hätten sie geschlagen. Bis heute habe sie Schmerzen am Kopf. Sie hätten sie auch auf die Finger geschlagen. Sie sei befragt worden, wo sich ihre Tochter befände, die Beschwerdeführerin hätte geantwortet, dass sie deren Aufenthaltsort nicht kenne. Sie seien immer nur nachts gekommen und etwa eine Stunde geblieben. Anschließend seien sie davon gelaufen, damit niemand etwas davon höre. Befragt, wie oft diese Männer während der letzten beiden Jahre gekommen wären, antwortete die Beschwerdeführerin, dass dies oft der Fall gewesen wäre. Manchmal seien sie einmal im Monat gekommen, dann wieder zwei Monate nicht und dann wieder monatlich. Sie hätten sie gezwungen, ihr Haus zu verkaufen und das Geld mitgenommen. Sie habe einen Kaufvertrag mit, demzufolge ihr Haus im August 2014 verkauft worden wäre. Auf die Frage, weshalb sie mit dem Verkaufserlös nicht sofort ausgereist wäre, anstatt diesen den Maskierten zu übergeben, erklärte die Beschwerdeführerin, sie hätte ihnen das Geld gegeben, damit sie sie in Ruhe ließen. Nachgefragt, hätten sie dies jedoch nicht getan. Befragt, welche Verletzungsnarben von den Misshandlungen verblieben wären, antwortete die Beschwerdeführerin, mit der Eisenstange am linken Knöchel geschlagen worden zu sein; das sehe jetzt anders aus. Auch auf das linke Knie sei sie geschlagen worden. Nachgefragt, habe sie von August bis November 2014 weiterhin in ihrem Haus wohnen dürfen, es habe einen separaten Eingang gegeben.

Befragt, wie genau sich der Vorfall mit dem Benzin zugetragen hätte, gab die Beschwerdeführerin an, dies sei der letzte Vorfall gewesen, welcher sich etwa zwei Wochen vor ihrer Abreise ereignet hätte. Sie sei gegen 23 Uhr nach Hause gekommen, habe jedoch unglücklicherweise vergessen, die Haustüre von innen abzuschließen. Niemand habe geklopft. Plötzlich habe jemand die Tür geöffnet und sei eingetreten, ein anderer Mann habe draußen gewartet. Sie habe gedacht, dass diese Leute nicht mehr zu ihr kommen würden. Der Eindringling habe sogar die Maske abgenommen und sie aufgefordert, den Aufenthaltsort ihrer Tochter bekannt zu geben. Die Beschwerdeführerin sei hysterisch geworden und habe geantwortet:

"Ich gab euch all mein Geld! Was wollt ihr noch von mir?" Jener Mann, der im Haus gewesen wäre, habe dem anderen befohlen, den Benzinkanister hineinzubringen, was die zweite Person getan hätte. Dann habe der Mann gelacht, den Kanister geöffnet, und die Beschwerdeführerin mit Benzin übergossen. Dann habe es Lärm auf der Straße gegeben, die Beschwerdeführerin habe männliche Stimmen gehört. Ein Eindringling habe ihre Haustür einen Spalt geöffnet und gemeint, dass sie schnell verschwinden sollten, was sie dann auch getan hätten. Ab diesem Vorfall habe die Beschwerdeführerin nicht mehr in ihrem Haus genächtigt. Zwei Nächte später sei sie ausgezogen und habe sich bei mehreren Nachbarn aufgehalten. Dann sei sie ausgereist. Nachgefragt, habe sie jene Vorfälle bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Die Polizisten hätten sie jedoch nach einer Beschreibung des Gesichts befragt. Sie sei mehrmals bei der Polizei gewesen. Die Polizei fürchte sich vor den Wahhabiten und unternehme nichts gegen diese. Befragt, ob sie von der Polizei eine Bestätigung erhalten hätte, erklärte die Beschwerdeführerin, eine Ladung erhalten zu haben. Auf die Frage, weshalb die Polizei sie hätte laden wollen, wenn diese in der Sache untätig geblieben wäre, gab die Beschwerdeführerin an, dass diese ihr Fotos gezeigt und sie gefragt hätten, ob auf diesen der Täter abgebildet wäre; sie hätten jedoch nichts gemacht. Befragt, welchen Sinne es hätte machen sollen, dass diese Leute ständig zu ihr gekommen wären, ohne etwas von ihr in Erfahrung zu bringen, erklärte die Beschwerdeführerin, diese Leute hätten versucht, sie als Selbstmordattentäterin anzuwerben. Sie hätten ihr einen Gürtel hingeworfen. Befragt, weshalb sie nicht sogleich mit ihrer Tochter ausgereist wäre, gab die Beschwerdeführerin an, sie habe gedacht, dass mit der Ausreise ihrer Tochter alles ein Ende haben würde. Auf die Frage, weshalb die Beschwerdeführerin angesichts der erlittenen Misshandlungen zwei Jahre gewartet hätte, bevor sie ausgereist wäre, meinte diese, sie habe eigentlich nicht wegfahren wollen. Dies seien alle ihre Fluchtgründe. Ergänzend merkte die Beschwerdeführerin an, dass im März oder April 2015 ihr Cousin getötet worden wäre; den Grund hätten die Mörder nicht gesagt; dies hänge mit ihrer Geschichte zusammen. Befragt, woher sie dies wisse, gab die Beschwerdeführerin an, sie wisse das einfach. Ferner sei der Mann ihrer älteren Tochter im Mai 2014 ermordet worden. Befragt, weshalb die andere Tochter nicht sofort mit ihr gekommen wäre, erklärte die Beschwerdeführerin, diese habe das nicht gewollt. Nachgefragt, habe sich die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation nie in Haft befunden, sei nie festgenommen worden und habe keine Probleme mit der dortigen Polizei, Behörden oder Gerichten gehabt. Sie sei nie aus religiösen, ethnischen oder politischen Gründen verfolgt worden. Nach ihren Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation gefragt, gab die Beschwerdeführerin an, niemand werde sie beschützen. Alle Männer würden getötet. Der Beschwerdeführerin wurden im Anschluss dies seitens der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen zur aktuellen Lage in ihrem Herkunftsstaat ausgehändigt. Nach Rückübersetzung ihrer Angaben bestätigte die Beschwerdeführerin die Richtigkeit und Vollständigkeit der aufgenommenen Niederschrift durch ihre Unterschrift.

Die Beschwerdeführerin legte den erwähnten Kaufvertrag, ein psychotherapeutisches Begleitschreiben vom 26.08.2015 sowie einen Befundbericht vom 28.08.2015 (Diagnose: mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom), ein Unterstützungsschreiben durch ihren Unterkunftgeber, ihren russischen Pensionsausweis, drei polizeiliche Vorladungen als Zeuge bzw. Geschädigter (Übersetzungen, AS 85 ff) sowie eine Spitalsentlassungsbestätigung (Übersetzung, AS 83) vor (AS 61 bis 79).

2. Mit Bescheid vom 16.10.2015 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 06.12.2014 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 55 und 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte die Identität, Staatsbürgerschaft, Volksgruppenzugehörigkeit sowie das Religionsbekenntnis der Beschwerdeführerin fest (AS 112) und legte seiner Entscheidung einen Ländervorhalt zur Russischen Föderation zugrunde (AS 113 ff). Nicht festgestellt werden habe können, dass die Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation (Dagestan) von Wahhabiten bedroht und verfolgt worden wäre, um den Aufenthaltsort ihrer Tochter in Erfahrung zu bringen. Es hätten keine stichhaltigen Gründe festgestellt werden können, die gegen eine Rückkehr in die Russische Föderation sprechen würden. Die Beschwerdeführerin leide an einer psychischen Beeinträchtigung, doch könne nicht festgestellt werden, dass eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat vor diesem Hintergrund einer unmenschlichen Behandlung gleichkäme. Sie habe in der Russischen Föderation durch ihre dort aufhältige Tochter zumindest eine Verwandte, von der sie im Bedarfsfall Unterstützung erwarten könne. In Österreich seien ihre volljährige Tochter sowie ihre Enkeltochter als Asylwerberinnen aufhältig; es habe nicht festgestellt werden können, dass in Österreich ein schützenswertes Familien- oder Privatleben vorliege.

Beweiswürdigend hat die Behörde im Wesentlichen erwogen (vgl. AS 130 bis 134), die Beschwerdeführerin habe ihre Behauptungen hinsichtlich der Bedrohung durch radikale Wahhabiten nur allgemein in den Raum gestellt, ohne diese belegen oder konkret glaubhaft machen zu können. Zunächst sei festzuhalten, dass die volljährige Tochter der Beschwerdeführerin, auf welche sich ihr Fluchtvorbringen beziehe, vor dem Bundesamt nicht glaubhaft vorbringen habe können, in Dagestan tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Eine Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid sei derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Da der von ihrer Tochter präsentierte Sachverhalt nicht glaubhaft wäre, hätten auch die Ausführungen der Beschwerdeführerin über ihre Probleme aufgrund der Flucht ihrer Tochter als unglaubhaft eingestuft werden müssen. Deren Vorbringen weise auch weitere Unstimmigkeiten auf. Obwohl sie bereits seit zwei Jahren vor der Ausreise desöfteren von Wahhabiten daheim aufgesucht, bedroht und misshandelt worden wäre, sei die Beschwerdeführerin dennoch bis Ende November 2014 in Dagestan verblieben, bevor sie die Russische Föderation verlassen hätte. Eine solche Vorgehensweise würde bei tatsächlicher, konkreter und individueller Verfolgungsgefahr jeder Logik entbehren und habe daher nicht als schlüssig nachempfunden werden können. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, gemeinsam mit ihrer Tochter aus ihrer Heimat auszureisen, wenn in ihrer Heimatstadt tatsächlich Todesgefahr für die Familie bestanden hätte. Zudem sei es nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdeführerin sich hätte zwingen lassen sollen, ihr Haus zu verkaufen, um den Wahhabiten den Erlös zu übergeben. Vielmehr hätte es logischen Denkprozessen entsprochen, mit dem Verkaufserlös der bereits nach Österreich gereisten Tochter zu folgen. Ferner habe die Beschwerdeführerin nicht schlüssig erläutern können, welchen Sinn es mache, dass die Verfolger ständig zu ihr kommen und nach dem Aufenthaltsort der Tochter fragen würden. Den radikalen Wahhabiten hätte schnell auffallen müssen, dass diese über die Person der Beschwerdeführerin nicht an die gewünschte Information gelangen würden. Auffällig sei auch gewesen, dass sich eine weitere Tochter der Beschwerdeführerin nach wie vor in der Heimat aufhalte. Laut Angaben der Beschwerdeführerin habe diese nicht nach Österreich mitreisen wollen. Hätten die Angaben der Beschwerdeführerin der Wahrheit entsprochen, so wäre zu erwarten, dass die Wahhabiten infolge ihrer Abwesenheit an das nächste Familienmitglied "herantreten" würden. Vielmehr werde durch das Zurückbleiben der zweiten Tochter verdeutlicht, dass die Beschwerdeführerin ein erfundenes Konstrukt präsentiert hätte. Was die von ihr vorgelegten polizeilichen Ladungen für den 26.11.2014 und den 27.11.2014 anbelange, könne diesen lediglich entnommen werden, dass man die Beschwerdeführerin als Geschädigte einvernehmen habe wollen, wofür es vielerlei Ursachen geben könne. Gleiches gelte für die in Vorlage gebrachte Spitalsbestätigung über eine Behandlung von 20.10. bis 10.11.2014. Aus dieser lasse sich nicht zwingend ableiten, dass ihr darin ersichtlicher Gesundheitszustand auf eine von radikalen Wahhabiten ausgehende Verfolgung zurückzuführen wäre. Da der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation keine Verfolgung drohe und sie dort Anknüpfungspunkte in Form ihrer Tochter habe, ginge die Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführerin auch keine Gefahren drohen würden, welche die Erteilung subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Die Beschwerdeführerin sei in der Russischen Föderation pensionsberechtigt und seien die diagnostizierten psychischen Beeinträchtigungen gleichermaßen in der Russischen Föderation behandelbar.

In rechtlicher Hinsicht wurde von der Erstinstanz ausgeführt, eine asylrelevante Verfolgung habe von der Beschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht werden können. Auch aus dem sonstigen Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ergäben sich keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, der gemäß Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK zur Gewährung von Asyl führe.

Zu Spruchpunkt II. wurde nach Wiedergabe des § 8 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 AsylG 2005 ausgeführt, dass sachliche Gründe für die Annahme sprechen müssten, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen müssten, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichten nicht aus. Nach der Judikatur des EGMR obliege es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Abschiebung behaupte, so weit als möglich Informationen vorzulegen, die den innerstaatlichen Behörden und dem Gerichtshof eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlaubten (EGMR 5.7.2005, Said gg. die Niederlande). Bezüglich der Berufung auf eine allgemeine Gefahrensituation im Heimatstaat, hätte die betroffene Person auch darzulegen, dass ihre Situation schlechter sei, als jene der übrigen Bewohner des Staates (EGMR 26.7.2005, N. gg. Finnland). Dabei könne bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht seien (EGMR 6.2.2001, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.8.2001. 2000/01/0443).

Die Beschwerdeführerin habe während des gesamten Verfahrens keinerlei glaubhaften Indizien oder Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht, welche die Annahme hätten rechtfertigen können, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr laufen würde, im Falle ihrer Rückkehr in den Heimatsstaat, der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder Todesstrafe unterworfen zu werden.

Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und zur ausgesprochenen Rückkehrentscheidung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nach Wiedergabe der entsprechenden rechtlichen Grundlagen und auf Art. 8 EMRK bezugnehmender höchstgerichtlicher Judikatur aus, dass weder ein ungerechtfertigter Eingriff in das Familienleben vorliege, noch der Eingriff in das Privatleben ungerechtfertigt wäre, zumal sie in Österreich keine nennenswerten wirtschaftlichen oder sozialen Kontakte aufgenommen habe. Mit ihrer in Österreich aufhältigen volljährigen Tochter und Enkeltochter lebe die Beschwerdeführerin in keinem gemeinsamen Haushalt, zudem seien die Genannten im gleichen Ausmaß von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen. Sie sei illegal eingereist und seien keine für einen Verbleib in Österreich sprechenden Gründe vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gefunden worden.

3. Mit Eingabe vom 19.09.2017 wurde unter gleichzeitiger Bekanntgabe des im Spruch ersichtlichen Vollmachtsverhältnisses (betreffend das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung) fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht. Begründend wurde zusammenfassend dargelegt, die Beschwerdeführerin habe ihr Heimatland aufgrund wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch dagestanische Widerstandskämpfer verlassen. Die Behörde habe den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nicht in der gebotenen Tiefe ermittelt. Diese habe vorgebracht, an erheblichen gesundheitlichen Problemen zu leiden und diesbezüglich medizinische Dokumente vorgelegt, welche von der Behörde im Rahmen der Entscheidungsfindung unberücksichtigt gelassen worden wären. Vor diesem Hintergrund wäre die Behörde zur Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens verpflichtet gewesen. Diesbezüglich werde auf eine beiliegend übermittelte Stellungnahme des behandelnden Arztes der Beschwerdeführerin verwiesen. Zudem ziehe die Behörde die Feststellungen zu Dagestan aus unvollständigen und zudem veralteten Länderberichten. Verwiesen wurde auf einen ergänzenden, auszugsweise wiedergegebenen (vgl. AS 155 ff), Bericht, welcher das Vorbringen der Beschwerdeführerin decken würde. Hätte die Behörde eine objektive Beweiswürdigung vorgenommen, so hätten andere Feststellungen zum Fluchtvorbringen ergehen müssen. Die Behörde hätte auch den psychischen Zustand der Beschwerdeführerin berücksichtigen müssen, die Befragung zu den Geschehnissen in Dagestan stelle für diese eine außerordentliche Belastungssituation dar. Aus diesem Grund sei es auch zu leicht divergierenden Zeitangeben in der Einvernahme gekommen. Den Vorhalt, wonach sie ihr Heimatland bereits viel früher hätte verlassen müssen, habe die Beschwerdeführerin bereits im Zuge der Einvernahme entkräftet, indem diese angegeben habe, dass die Widerstandskämpfer nur von ihrer Tochter etwas gewollt hätten und nicht damit rechnen habe können, dass auch sie selbst bedroht, attackiert und misshandelt werden würde. Aufgrund der knapp gehaltenen Beweiswürdigung sei nicht nachvollziehbar, wie die Behörde zu ihrer Entscheidung gelangt wäre. Nicht zutreffend seien ferner die Ausführungen der Behörde, wonach Familienangehörige der Beschwerdeführerin weiterhin unbehelligt in Dagestan leben könnten. Das Elternhaus der Beschwerdeführerin sei verkauft worden, zur dort ansässigen Tochter habe die Beschwerdeführerin seit langem keinen Kontakt. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin finde eindeutig Deckung in den Länderberichten zu Dagestan, weshalb die Behörde von einem glaubhaften Vorbringen hätte ausgehen müssen. Der Beschwerdeführerin drohe in ihrer Heimat aufgrund ihrer Tochter Verfolgung durch die tschetschenischen Sicherheitsbehörden, diesbezüglich könne sie den Schutz der Behörden ihres Heimatlandes nicht in Anspruch nehmen. Es wäre ihr daher Asyl zu gewähren gewesen. Eine Verletzung von Artikel 3 EMRK erweise sich aufgrund der Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet sowie der Gefahr einer Inhaftierung aufgrund des Asylantrags in Österreich im Falle einer Rückkehr als überaus wahrscheinlich. Auch aufgrund des Gesundheitszustandes wäre eine Gewährung subsidiären Schutzes indiziert gewesen, zumal die Beschwerdeführerin an mehreren psychischen und physischen Problemen leide, welche einer andauernden Behandlung bedürften. Die erlassene Rückkehrentscheidung erweise sich im Ergebnis als ungerechtfertigt, zumal die Beschwerdeführerin immer besser Deutsch spreche, zudem lebe ihre Tochter in Österreich, zu welcher ein besonderes Naheverhältnis vorliege. Ferner befinde sich die Beschwerdeführerin in psychiatrischer Behandlung, deren Abbruch negative Auswirkungen auf ihren Gesundheitszustand hätte. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 06.11.2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 14.12.2015 wurden nochmals die bereits vorgelegten Unterlagen über die psychiatrische Behandlung der Beschwerdeführerin aus August 2015, eine Deutschkursbestätigung aus November 2015 sowie ärztliche Unterlagen bezüglich eines in Österreich im Juli 2015 erfolgten operativen Eingriffs (Diagnose: Papillom Mamma sin.) übermittelt.

Mit Eingabe vom 08.07.2016 wurde ein Befundbericht des XXXX vom 17.05.2016 (Diagnose: mittelgradig depressive Episode mit somatischen Syndrom F32.1; Therapievorschlag: Escitalopram San Ftbl. 10 mg, Mirtazapin Act Schmerztbl. 45) übermittelt.

5. Mit hg. Schreiben vom 21.03.2018 wurde der Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs aktualisiertes Länderberichtsmaterial zu ihrem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht.

In einer bezugnehmenden Stellungnahme vom 29.03.2018, eingelangt am 04.04.2018, führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass die übermittelten Länderberichte die prekäre Menschenrechtslage und die Verschlechterung der Sicherheitslage in Dagestan bestätigen würden, so werde etwa über den russischen Sicherheitskräften vorgeworfenen schweren Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung von Anti-Terror-Operationen in Dagestan berichtet. Islamistischer Extremismus, Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans, Korruption und organisierte Kriminalität würden zu anhaltender Gewalt in Dagestan führen. Das österreichische Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres rate von Reisen nach Dagestan ab. Die schlechte Sicherheitslage im Heimatland der Beschwerdeführerin werde durch ein im Jänner 2018 aktualisiertes Themendossier zur Sicherheitslage in Dagestan bestätigt. Der IS würde über eine starke Präsenz in Dagestan verfügen, viele Dagestaner würden für den IS in Syrien kämpfen. Wie aus näher zitierten Nachrichtenberichten ersichtlich, komme es immer wieder zu islamistischen Angriffen in der Unruheregion Dagestan. Was das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin betreffe, würden einschlägige Berichte die Präsenz zahlreicher Wahhabiten in Dagestan bestätigen. Aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung vom 31.05.2016 ergebe sich, dass für Personen, welche nach Asylantragstellung im Ausland in die Russische Föderation zurückkehren würden, ein erhöhtes Risiko bestünde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei für Personen aus dem Nordkaukasus nicht gegeben.

Die Beschwerdeführerin verfüge in Österreich über ein äußerst intensives Privat- und Familienleben, weshalb eine Rückkehrentscheidung gegen Artikel 8 EMRK verstoßen würde. Die Beschwerdeführerin befinde sich seit über drei Jahren im Bundesgebiet, wobei ihr die Dauer ihres Asylverfahrens nicht zuzurechnen sei. In Dagestan wäre diese jedenfalls in einer ausweglosen Lage, in Österreich verfüge sie über ein schützenswertes Familienleben. Ihre Tochter und Enkeltochter, welchen bereits der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden wäre, befänden sich in Österreich, mit diesen treffe sie sich so oft wie möglich. Zwischen Mutter und Tochter bestünde ein besonders intensives Naheverhältnis, auch aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes sei die Beschwerdeführerin auf die Hilfe und Pflege ihrer Tochter angewiesen, weshalb ihre Tochter sie auch wöchentlich besuchen würde. Aufgrund der besonderen Vulnerabilität der Beschwerdeführerin und des intensiven Naheverhältnisses zu ihrer Tochter wäre ein Eingriff nicht durch Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Nochmals verwiesen werde auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, medizinische Dokumente seien im Asylverfahren bereits vorgelegt worden. Der Beschwerdeführerin ginge es psychisch sehr schlecht. Um eine Rückkehrgefährdung abschließend beurteilen zu können, sei eine Überprüfung, ob eine hinreichende medizinische Behandlung in Dagestan für besonders vulnerable Personen möglich wäre, erforderlich. Im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation drohe der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Tochter mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch radikale Widerstandskämpfer, auch würde sie aufgrund der Tatsache ihrer Asylantragstellung in Österreich ins Visier der russischen Behörden geraten. Darüber hinaus liege es nahe, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würde. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

Beiliegend übermittelt wurden ein Röntgenbefund vom 19.01.2018 (Mammographie bds. und Sonographie; Ergebnis: Cystische Mastopathie beidseits, BI-RADS II., ACR-Typ III) sowie ein Schreiben eines Allgemeinmediziners vom 29.03.2018, demzufolge die Beschwerdeführerin an Depression sowie chronischen Thorxschmerzen wegen Verspannungen leide.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation (Dagestan), wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Zur Person

Die Beschwerdeführerin führt die im Spruch ersichtlichen Personalien, ist russische Staatsangehörige, Angehörige der kumykischen Volksgruppe und bekennt sich zum Islam. Die Beschwerdeführerin reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.12.2014 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die volljährige Tochter und die Enkeltochter der Beschwerdeführerin leben als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich.

Eine weitere volljährige Tochter der Beschwerdeführerin hält sich nach wie vor in Dagestan auf.

Die Beschwerdeführerin leidet an keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die Russische Föderation/Dagestan darstellen würde. Bei der Beschwerdeführerin wurde eine mittelgradig depressive Episode mit somatischem Syndrom diagnostiziert. Zudem wurde sie im Juli 2015 aufgrund eines Papilloms an der Brust operiert, wobei sich der intra- und postoperative Verlauf als komplikationslos gestaltete. Aus einem Schreiben eines Allgemeinmediziners vom 29.03.2018 ergibt sich überdies, dass die Beschwerdeführerin an chronischen Thoraxschmerzen wegen Verspannungen leidet.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte oder dass ihr eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Die Beschwerdeführerin hat nicht glaubhaft gemacht, in der Russischen Föderation eine Verfolgung durch staatliche Behörden befürchten zu müssen, in eine hoffnungslose Lage zu kommen, einem realen Risiko einer sonstigen Verfolgung oder einer Verletzung ihrer Rechte auf Leben, nicht unmenschlicher Behandlung oder Folter unterworfen zu werden und/oder nicht der Todesstrafe zu unterliegen und als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes unterworfen zu sein.

Die Beschwerdeführerin lebt seit Dezember 2014 in Österreich. Sie ist im Bundesgebiet nicht selbsterhaltungsfähig und kann ihren Lebensunterhalt in Österreich nicht eigenständig bestreiten. Zu ihrer in Österreich aufenthaltsberechtigten Tochter und Enkeltochter liegt kein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis vor, die Beschwerdeführerin lebt mit diesen nicht im gemeinsamen Haushalt. Ihre Tochter besucht sie etwa einmal wöchentlich. Darüber hinaus verfügt die Beschwerdeführerin über keine besonderen Anknüpfungspunkte zu Österreich. Sie eignete sich während ihres Aufenthaltes keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse an, ging keiner Beschäftigung nach und knüpfte keine maßgeblichen Kontakte zur österreichischen Gesellschaft. Der bislang unbescholtenen Beschwerdeführerin kam zu keinem Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in Österreich ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zu.

Es besteht in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK.

1.2. Hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Situation in der Russischen Föderation respektive Dagestan wird Folgendes festgestellt:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt

2.2 Politische Lage Dagestan und Abschnitt 4 Rechtsschutz/Justizwesen).

In Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, ist die gesamte Regierungsspitze auf Befehl Moskaus festgenommen worden, insgesamt sieben Personen: der kommissarische Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und vier weitere ranghohe Beamte. Ihnen wird Korruption vorgeworfen. Persönliche Waffen der Politiker wurden beschlagnahmt. Die Politiker wurden von Sicherheitskräften aus Moskau in Handschellen zum Flughafen gebracht und zu Vernehmungen in die russische Hauptstadt geflogen. Die muslimisch geprägte russische Teilrepublik Dagestan wird von Korruption und islamistischem Extremismus geprägt und macht Moskau Sorgen. Präsident Wladimir Putin entsandte im vergangenen Oktober den ehemaligen russischen Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew, um für Ordnung zu sorgen. Im Januar war bereits der Bürgermeister der Hauptstadt, Mussa Mussajew, wegen Amtsmissbrauchs verhaftet worden (Euronews 6.2.2018, vgl. Kurier 5.2.2018).

Der Präsident der Republik Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ist im September 2017 von seinem Amt aus Altersgründen zurückgetreten (Ostexperte.de 28.9.2017). Am 9.10.2017 wird daraufhin Wladimir Wasiljew zum kommissarischen Oberhaupt der Republik Dagestan ernannt (Länderanalysen - Chronik 9.10.2017).

Quellen:

? Euronews (6.2.2018): Dagestan: Gesamte Regierung in Handschellen abgeführt,

http://de.euronews.com/2018/02/06/dagestan-gesamte-regierung-in-handschellen-abgefuhrt, Zugriff 7.2.2018

? Kurier (5.2.2018): Russland: Regierungsspitze in Dagestan festgenommen,

https://kurier.at/politik/ausland/russland-regierungsspitze-in-dagestan-festgenommen/309.777.147, Zugriff 7.2.2018

? Russland Analysen (9.10.2017): Chronik: Russland im Jahr 2017, http://www.laender-analysen.de/russland/chroniken/Chronik_RusslandAnalysen_2017.pdf, Zugriff 7.2.2018

? Ostexperte.de (28.9.2017): Präsident von Dagestan verkündet Rücktritt,

https://ostexperte.de/praesident-von-dagestan-verkuendet-ruecktritt/, Zugriff 7.2.2018

Politische Lage

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1.1. Dagestan

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von knapp drei Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 14.4.2017).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der der Staat mit aller Härte gegen "Aufständische" vorgeht. Die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern war in den Jahre 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen. Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier (AA 24.1.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als "Mann des Volkes" in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der "Waldbrüder", des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3.000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagiert Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015).

Laut Swetlana Gannuschkina ist Abdulatipow ein alter sowjetischer Bürokrat. Sein Vorgänger Magomedsalam Magomedow war ein sehr intelligenter Mann, der kluge Innenpolitik betrieb. Er hatte eine Diskussionsplattform organisiert, wo verfeindete Gruppen miteinander gesprochen haben. Es ging dabei vor allem um den Dialog zwischen den Salafisten und den Anhängern des Sufismus. Unter ihm haben auch die außergerichtlichen Hinrichtungen von Seiten der Polizei aufgehört. Er hat eine sogenannte Adaptionskommission eingerichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, Kämpfern von illegal bewaffneten Einheiten eine Rückkehr ins bürgerliche Leben zu ermöglichen. Diejenigen, die kein Blut an den Händen hatten, konnten mit Hilfe dieser Kommission wieder in der Gesellschaft Fuß fassen. Wenn sie in ihrem bewaffneten Widerstand Gewalt angewendet oder Verbrechen begangen hatten, wurden sie zwar verurteilt, aber zu einer geringeren Strafe. Auch diese Personen sind in die dagestanische Gesellschaft reintegriert worden. Mit der Ernennung Abdulatipows als Oberhaupt der Republik gab es keine Verhandlungen mehr mit den Aufständischen und er initiierte einen harten Kampf gegen den Untergrund. Dadurch stiegen die Terroranschläge und Gewalt in Dagestan wieder an (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. AI 9.2013).

Quellen:

-

ACCORD (14.4.2017): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

http://www.ecoi.net/news/190001::russische-foederation/120.sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen.htm, Zugriff 21.6.2017

-

AI - Amnesty International (9.2013): Amnesty Journal Oktober 2013, Hinter den Bergen,

http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen, Zugriff 21.6.2017

-

Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

-

IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

-

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.6.2017

2. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016).

Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017).

Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017).

Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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