TE Vfgh Erkenntnis 2018/3/14 E2091/2017

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Veröffentlicht am 14.03.2018
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BFA-VG §16 Abs1
VwGVG §33 Abs3
VfGG §88a Abs2 Z1
AsylG 2005 §10, §55, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53

Leitsatz

Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes durch Zurückweisung der Beschwerde eines moldawischen Staatsangehörigen als verspätet in Anwendung der vom VfGH aufgehobenen Bestimmungen des BFA-VerfahrensG über die verkürzte Beschwerdefrist; teilweise Zurückweisung der Beschwerde bzw Einstellung des Verfahrens

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt A.I. wendet, wird das Verfahren eingestellt.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.1.    Der Beschwerdeführer ist moldawischer Staatsangehöriger. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 10. März 2017 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 und §55 Asylgesetz 2005 (AsylG) nicht erteilt (Spruchpunkt I.), unter einem wurde gemäß §10 Abs2 AsylG iVm §9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs1 Z1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach "Serbien" gemäß §46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß §53 Abs1 iVm Abs3 Z1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde gemäß §18 Abs2 Z1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 15. März 2017 in der Justizanstalt St. Pölten zugestellt.

1.2.    Mit Bescheid des BFA vom 22. März 2017 wurde der Bescheid vom 10. März 2017 gemäß §62 Abs4 AVG dahingehend berichtigt, dass das Zielland der Abschiebung gemäß §52 Abs9 FPG "Moldawien" zu lauten habe. Der Berichtigungsbescheid wurde vom Beschwerdeführer am 24. März 2017 persönlich übernommen.

1.3.    Mit am 3. April 2017 beim BFA eingelangten Schriftsatz – datiert mit 3. April 2017 – erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den "Bescheid vom 22.03.2017 (Berichtigung)". Da sich der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes zufolge nicht eindeutig habe eruieren lassen, gegen welchen Bescheid sich die Beschwerde gerichtet habe, wurde ein Verbesserungsauftrag erteilt sowie mitgeteilt, dass die am 3. April 2017 eingebrachte Beschwerde auf Grund der Zustellung des Bescheides vom März 2017 am 15. März 2017 als verspätet einzustufen sei.

2.       Der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf Wiedersetzung in den vorigen Stand wurde vom Bundesverwaltungsgericht gemäß §33 Abs3 VwGVG als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt A.I.). Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2017 als verspätet zurück (Spruchpunkt A.II.). Die ordentliche Revision erklärte es für unzulässig (Spruchpunkt B).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Wiedereinsetzungsantrag auf Grund verspäteter Einbringung zurückzuweisen sei. Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA betrage nach §16 BFA-VG in den Fällen des §3 Abs2 Z2, 4 und 7 leg.cit. zwei Wochen. Dies gelte auch in den Fällen des §3 Abs2 Z1 leg.cit., sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden sei. Da sich der Beschwerdeführer ausdrücklich gegen den ersten Bescheid vom 10. März 2017 gewandt habe, sei der 15. März 2017 als Zeitpunkt der Zustellung anzunehmen. Die zweiwöchige Beschwerdefrist habe daher am 29. März 2017 geendet, die am 3. April 2017 eingebrachte Beschwerde sei daher als verspätet zurückzuweisen.

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird.

4.       Der Verfassungsgerichtshof führte zu dieser Beschwerde im Hinblick auf §19 Abs3 Z4 VfGG kein weiteres Verfahren durch.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 26. September 2017, G134/2017 ua., die Wortfolge "2, 4 und" sowie den zweiten Satz ("Dies gilt auch in den Fällen des §3 Abs2 Z1, sofern die Entscheidung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist.") in §16 BFA-VG, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 24/2016, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.

1.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei Erlassung der angefochtenen Ent-scheidung die als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwen-dung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Aus-spruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, hat auch für den Verfassungsgerichtshof die Wirkung, dass er die betreffenden Bestimmungen nicht mehr anzuwenden hat (vgl. etwa VfSlg 12.954/1991, 15.401/1999; VfGH 14.12.2005, B1025/04; 29.6.2011, B308/11; 9.6.2016, E543/2016).

2. Der Beschwerdeführer wurde somit, soweit durch die Entscheidung die Beschwerde gemäß §16 Abs1 BFA-VG zurückgewiesen wurde, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

III.    Ergebnis

1.       Die Entscheidung ist daher hinsichtlich Spruchpunkt A.II. (Zurückweisungsbe-schluss) aufzuheben.

2.       Durch die Aufhebung von Spruchpunkt A.II. der angefochtenen Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof ist für den Beschwerdeführer im Verfahren über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Beschwer weggefallen. Die Rechtslage ist daher so zu beurteilen, als ob der Beschwerdeführer im Sinne des §86 VfGG klaglos gestellt worden wäre, weshalb die Beschwerde im Hinblick auf Spruchpunkt A.I. der angefochtenen Entscheidung als gegenstandslos anzusehen und das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des §86 VfGG einzustellen ist.

3.       Im Hinblick auf Spruchteil B ist die Beschwerde hingegen zurückzuweisen:

Gemäß §88a Abs2 Z1 VfGG ist eine Beschwerde gegen Aussprüche gemäß §25a Abs1 VwGG nicht zulässig. Soweit sich die Beschwerde daher gegen den in Spruchteil B getroffenen Ausspruch der Zulässigkeit der Revision richtet, ist sie zurückzuweisen.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Fremdenrecht, Verwaltungsverfahren, Verwaltungsgerichtsverfahren, Rechtsschutz, Fristen, Wiedereinsetzung, VfGH / Aufhebung Wirkung, Anwendbarkeit eines Gesetzes, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Klaglosstellung, VfGH / Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:E2091.2017

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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