TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/6 W123 2127456-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.04.2018
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Entscheidungsdatum

06.04.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W123 2127456-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2016, Zl 1068330106-150501541, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 13.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am selben Tag durch ein Organ der Landespolizeidirektion Niederösterreich durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, dass in seinem Dorf drei Dorfbewohner mit ISIS-Kämpfern zusammengearbeitet hätten. Es sei eine Person von ihnen entführt worden. Der Beschwerdeführer habe die Polizei informiert. Diese entführte Person sei durch die Polizei befreit und die Entführer festgenommen worden. Danach sei der Beschwerdeführer durch die ISIS verfolgt worden.

3. Am 24.03.2016 erfolgte eine Einvernahme vor der belangten Behörde. Die Niederschrift lautet auszugsweise:

"Die Probleme mit den Taliban gab es in unserem Dorf. Es gab immer wieder Kriegshandlungen zwischen Regierung und Taliban. Als ich Polizist wurde und das zweite Mal zu Hause war, um meine freien Tage zu verbringen, gab es eine Operation der Amerikaner gegen die Taliban in unserem Dorf. Ein Taleb wurde getötet und mehrere verletzt. Die Taliban meinten, dass ich sie verraten hätte. Bei uns im Dorf ist es so, dass die Strommasten bewacht werden, damit die Taliban diese nicht zerstörten. Es gibt eine Wache. Als ich das dritte Mal zu Hause war und meine 15 Tage Urlaub dort verbringen wollte, wurde diese Wache getötet. Langsam wurden auch die Dorfbewohner auf mich aufmerksam und fragten sich, was ich beruflich mache. Mein Vater sagte mir, dass ich meine Arbeit als Polizist beenden soll und in Kabul etwas anderes machen soll. Ich verließ dann meine Arbeit als Polizist und war ca. sieben Monate in Logar, ohne zu Arbeiten. Unser Haus haben wir gebaut.

Inzwischen habe ich dann wieder bei der Firma zu arbeiten begonnen und war für ca. einen Monat im Iran. Ich wurde dann auch verlobt.

Am 15.01.2015 habe ich mein Gehalt bekommen und am 17.01.2015 fuhr ich nach Logar nach Hause, weil ich vier Tage frei hatte. Während dieser Zeit ging ich ins Nachbardorf namens XXXX , um dort Freunde zu besuchen. Gegen 22.00 Uhr verabschiedete ich mich bei meinen Freunden und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Unser Dorf liegt ca. 15 Gehminuten entfernt. Auf dem Weg sah ich, dass sieben oder acht bewaffnete Taliban auf drei Motorrädern vor einem Haus angehalten haben. Sie zogen einen Mann an den Händen. Man konnte sehen, dass er ein Gefangener war. Ich rief dann die Polizei an. Dieser Polizist, welcher mit mir gesprochen hat, war ein ehemaliger Freund und Kollege von mir. Er sagte mir, dass er dem Kommandanten weitersagen würde. Wenn er den Befehl gibt, dann würden sie kommen, ansonsten nicht.

Ich ging nach Hause und man konnte sehen, dass ich Angst hatte. Meine Eltern fragten mich danach und ich erzählte ihnen alles. Die Polizei kam nicht dorthin.

In der Früh gegen 05.00 Uhr kam die Polizei mit vielen Autos ins Dorf und klopfte, mein Freund, mit dem ich Telefoniert hatte, an unserer Haustüre. Zunächst sprach mein Vater mit hm und dann rief er mich. Als ich dann zur Türe ging, fragte dieser Freund von mir nach der Adresse von dem Haus. Ich habe ihm die Adresse auch bei dem Telefonat bekanntgegeben. Er kam trotzdem, um zu fragen. Ich ging dann mit der Polizei mit uns zeigte ihnen dieses Haus. Ich kam dann wieder nach Hause und fuhr danach nach Kabul in die Arbeit.

Am Nachmittag rief mich mein Vater dann an und teilte mir mit, dass die Polizei in diesem Haus drei Taliban und die entführte Person gefunden haben.

Gegen 22.00 Uhr hat mich dann mein Vater wieder angerufen und sagte, dass bewaffnete Taliban nach mir suchten und nahmen meinen Bruder mir. Sie sagten, dass sie meinen Bruder frei lassen, wenn sie mich haben.

In der Früh ging ich zu meinem Onkel mütterlicherseits in Kabul und erzählte ihm alles. Mein Onkel sagte, dass ich da bleiben soll und er wird sich im Dorf in Logar erkundigen. Er fuhr dort hin.

Gegen 09.00 Uhr vormittags rief mich mein Onkel vom Dorf an und sagte mir, dass ich nach Pakistan fliehen soll. Ich fragte ihn, warum und er sagte, ich soll weggehen. Gegen 13.00 Uhr hat mich dann mein Vater angerufen und sagte mir, dass ich das Land verlassen soll. Er sagte mir, dass er mir alles verziehen hat. Gegen 14.00 Uhr machte ich mich dann auf den Weg nach Pakistan. Ich fuhr dann nach XXXX , Pakistan zu meiner Tante. Ca. eine Woche war ich dort, dann rief mich ein Cousin mütterlicherseits an, der im Camp in Peshawar lebt, und sagte mir, dass zwei Personen nach mir fragten. Sie kamen zwei Mal. Ich habe dann mit meinem Onkel telefoniert und er sagte mir, dass ich auch Pakistan verlassen soll, weil mich diese Menschen nicht in Ruhe lassen werden. Dann habe ich mich auf den Weg nach Europa gemacht. Als ich dann in der Türkei war erfuhr ich, dann mein Bruder am 22.01.2015 getötet wurde.

Das sind meine Fluchtgründe, weitere habe ich nicht.

[...]

LA: Kannten Sie die Entführer?

VP: Als die Polizei in der Früh bei uns war und mich nach der Adresse fragte, waren die Dorfbewohner auch schon dort.

LA: Frage wird wiederholt!

VP: Nein.

[...]

LA: Gab es in Kabul je einen Vorfall?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie je persönlich bedroht?

VP: Während meiner Dienstzeit habe ich meinen Dienstausweis in Kabul zurückgelassen, weil die Taliban jeden, der ins Dorf kommt, durchsuchen. Damals sagten die Taliban, dass wir sie unterstützten sollen. Sie sagten meinem Vater, dass ich ein Spion sei.

LA: Frage wird wiederholt!

VP: Nein.

LA: Wann haben Sie die Entführung beobachtet?

VP: Am 20.01.2015, an einem Dienstag.

[...]

LA: Warum sind Sie nicht in Kabul geblieben, wenn es dort nie irgendwelche Vorfälle gegeben hat?

VP: Es war nicht möglich. Auch in Kabul gibt es Taliban.

LA: Aber gerade in Kabul wird seitens der Regierung gegen die Taliban vorgegangen!

VP: ich konnte ja nicht immer dort bleiben. Ich habe ja meine Familie in Logar besucht. Dort wäre mein Leben sehr in Gefahr.

LA: Die Familie kann Sie doch auch in Kabul besuchen!

VP: Sie haben meinen Bruder getötet und sie hätten mich auch getötet, egal wo.

LA: Woher sollten die Taliban wissen, dass Sie in Kabul sind?

VP: Die Dorfbewohner wissen wer wo ist. Sogar nach Pakistan fragten sie nach mir.

LA: Wie kann Ihre Familie weiterhin in Logar leben?

VP: Am Anfang haben sie meine Familie viel belästigt. Sie sagten meinem Vater, dass seine Söhne, als wir alle Spione seien. Jetzt belästigen sie meine Familie nicht mehr.

Mein Onkel mütterlicherseits hat meine Familie dann 25 Tage nach Kabul mitgenommen. Die Weißbärtigen aus dem Dorf kamen dann nach Kabul und flehten meinen Vater an, dass er zurückkommt, weil er Mullah war. Die Weißbärtigen versicherten meinem Vater, dass die Taliban ihn und seine Familie nicht mehr belästigen würde.

LA: Wieso gehen Sie dann davon dass dann noch immer Interesse an Ihrer Person besteht?

VP: Mich werden sie nie in Ruhe, weil ich sie verraten haben. Sie fragten in Pakistan und in meiner Firma nach mir.

LA: Sie gaben doch soeben an, dass die Weißbärtigen Ihrem Vater versicherten, dass die Taliban ihn und seine Familie nicht mehr belästigen würde!

VP: Ich meine den Rest der Familie, aber nicht mich. Ich habe sie verraten und aufgrund meiner Information wurden drei Taliban mitgenommen. Sie werden mich nie in Ruhe lassen. Auch jetzt fragen sie meinen kleineren Bruder nach mir."

4. Am 14.04.2016 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme. Die endgültige Feindschaft der Taliban habe sich der Beschwerdeführer zugezogen, als er sie bei der Polizei angezeigt und die Polizei sogar zu dem Tatort geführt habe. Der Beschwerdeführer habe sich gegen die Taliban gestellt, sie angezeigt und mit der Polizei zusammengearbeitet. Der Beschwerdeführer habe und hätte dadurch höchst asylrelevante Verfolgung zu gewärtigen. Der afghanische Staat könne nicht vor Verfolgung durch die Taliban schützen, es bestehe auch keine inländische Fluchtalternative. Der Beschwerdeführer sei als Feind der Taliban identifiziert.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte III.-IV.).

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 27.05.2016 - rechtzeitig - Beschwerde in vollem Umfang.

Im Rahmen dieser wurde auf mehrere Anfragebeantwortungen bzw. Berichte über die Sicherheitslage in Afghanistan hingewiesen. Der Beschwerdeführer sei als Feind der Taliban identifiziert. Es gebe für ihn keine inländische Fluchtalternative. Alle Länderberichte würden belegen, dass die Taliban/ISIS in Logar höchst präsent seien. Es sei bekannt, dass unter den Dorfbewohnern Spitzel bzw. Anhänger der Taliban/ISIS seien. Nach der Flucht des Beschwerdeführers sei sowohl im Unternehmen als auch später in Pakistan bei seiner Tante nach dem Beschwerdeführer gesucht worden. Die telefonische Meldung hätte im Idealfall keine Konsequenzen für den Beschwerdeführer bedeutet. Allerdings habe sein Freund, der Polizist sei und ihn ersucht habe, ihn zu dem Haus zu führen, den Beschwerdeführer dadurch höchst gefährdet. Evident sei weiters, dass der afghanische Staat den Beschwerdeführer nicht vor Verfolgung durch die Taliban schützen könne. Die Vernetzung der Taliban sei eine notorische Tatsache, sodass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht gegeben sei.

7. Am 27.07.2016 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.08.2016, W123 2127456-1/6E wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde zur Gänze abgewiesen.

9. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, von welchem deren Behandlung mit Beschluss vom 24.11.2016, E 2602/2016-8, abgelehnt wurde. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 22.12.2016, E 2602/2016/10, wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

10. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.10.2017, Ra 2017/19/0051-11, wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

11. Am 22.03.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Beziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer teilnahm. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung nahm der Beschwerdeführer insbesondere zu seiner Herkunft und seiner Familie Stellung. Zu seinen Fluchtgründen erneut befragt, gab er ua Folgendes wortwörtlich an:

"[...]

R verweist auf die Fluchtangaben des BF vor dem BVwG in der Verhandlung am 27.07.2016. Bleiben Sie bei diesen Angaben? Möchten Sie etwas ergänzen? Haben Sie neue Fluchtgründe?

BF: Bei der letzten Einvernahme habe ich konkret zu meinen Fluchtgründen, insbesondere zum fluchtauslösenden Vorfall, Stellung genommen. Es gibt aber auch andere Schwierigkeiten die wir in Logar hatten bzw. gab es ein oder zwei weitere Vorfälle die ich nicht angegeben habe.

[...]"

12. In der hg am 05.04.2018 eingelangten Stellungnahme des Beschwerdeführers wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe und daher die außerordentlich gute Integration des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, wurde in der Provinz Logar geboren. Im Alter von ca. zwei Monaten übersiedelte die gesamte Familie nach Pakistan. Der Beschwerdeführer zog im Jahr 2009 aufgrund seiner Arbeit nach Kabul und lebte dort bis September 2010. Anschließend daran reiste der Beschwerdeführer für ca. sieben Monate in die Türkei, um danach weitere sieben Monate in seinem Heimatdorf in Logar zu verbringen. Anschließend kehrte er wieder zurück nach Kabul und lebte und arbeitete dort bis Jänner 2015. Der Beschwerdeführer wohnte in Kabul sowohl bei seinen Tanten als auch in dem Unternehmen, in der er arbeitete. Die Tanten mütterlicherseits leben nach wie vor in Kabul.

Der Beschwerdeführer besuchte zwölf Jahre die Schule in Afghanistan und absolvierte diese erfolgreich im Jahr 2007. Seit September 2017 besucht der Beschwerdeführer in Österreich die HTL Hochbau Abendschule.

Der Beschwerdeführer spricht neben seiner Muttersprache Paschtu, Dari, Englisch, Deutsch und Urdu. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan als Schneider und als Verkäufer für Lebensmittel sowie im Bewachungsdienst tätig. Zudem arbeitete er für das Unternehmen XXXX in Afghanistan und betrieb seinen Sportartikelshop.

Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers halten sich derzeit in der Provinz Kabul auf. Es besteht Kontakt zu ihnen. Der Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt in Logar, eine Tante des Beschwerdeführers in Jalalabad und eine weitere in Pakistan. Der Beschwerdeführer unterhält auch Kontakt zu seinem Onkel mütterlicherseits in Logar, welcher dort Grundstücke besitzt.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan verheiratet. Seine Ehefrau lebt in ihrem Elternhaus in Kabul.

Der Beschwerdeführer verließ zu Beginn des Jahres 2015 Afghanistan und befindet sich seit Mai 2015 in Österreich.

Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Afghanistan weder vorbestraft noch war er inhaftiert. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan nie irgendwelchen Verfolgungshandlungen bzw. Bedrohungssituationen ausgesetzt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde. Nicht festgestellt werden kann, dass in der Folge seiner Anzeige bei der Polizei im Jänner 2015 ein besonderes Interesse an der Person des Beschwerdeführers besteht bzw. bestehen könnte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Städte Herat, Mazar-e-Sharif oder Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Rückkehr kann er mit finanzieller Hilfe seiner Familie, insbesondere seiner Eltern, seines Onkels und seiner Tanten mütterlicherseits, rechnen. Mit dieser Unterstützung ist ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage in den Städten Herat, Mazar-e-Sharif oder Kabul möglich. Seine Existenz könnte er dort - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, in den Städten Herat, Mazar-e-Sharif oder Kabul eine einfache Unterkunft zu finden.

Der Beschwerdeführer kann die Hauptstadt Kabul und die Städte Herat und Mazar-e-Sharif - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und unbescholten. Der Beschwerdeführer finanziert sich seinen Unterhalt in Österreich aus Leistungen der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer verfügt über drei Einstellungszusagen und war bereits ehrenamtlich in Österreich tätig. Der Beschwerdeführer ist Mitglied in einem afghanischen Kulturverein und besitzt ein ÖSD Zertifikat der Stufe B2. Der Beschwerdeführer lebt seit einem Jahr bei einer österreichischen Familie und hat zahlreiche Freunde und Arbeitskollegen.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Staatendokumentation (Stand 02.03.2017 inklusive integrierter Kurzinformation vom 30.01.2018)

Sicherheitslage Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

Distrikt Kabul

Gewalt gegen Einzelpersonen

21

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

18

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

50

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

31

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

28

Andere Vorfälle

3

Insgesamt

151

(EASO 11.2016)

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Provinz Kabul

Gewalt gegen Einzelpersonen

5

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

89

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

30

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

36

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

1

Andere Vorfälle

0

Insgesamt

161

(EASO 11.2016)

Im Zeitraum 1.9.2015. - 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

Erhaltungskosten in Kabul

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zur 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

Sicherheitslage Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel, Ghorian, Guzra und Pashtoon Zarghoon, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba, Kurkh, Kushk, Gulran, Kuhsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirker zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna, Farsi, und Chisht-i-Sharif als Bezirke dritter Stufe (o.D.q). Provinzhauptstadt ist Herat City, mit etwa 477.452 Einwohner/innen (UN OCHA 26.8.2015; vgl. auch: Pajhwok 30.11.2016). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.928.327 geschätzt (CSO 2016).

Herat ist eine vergleichsweise entwickelte Provinz im Westen des Landes. Sie ist auch ein Hauptkorridor menschlichen Schmuggels in den Iran - speziell was Kinder betrifft (Pajhwok 21.1.2017).

Gewalt gegen Einzelpersonen

95

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

197

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

41

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

144

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

15

Andere Vorfälle

4

Insgesamt

496

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Herat 496 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in abgelegenen Distrikten der Provinz aktiv (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: RFE/RL 6.10.2016; Press TV 30.7.2016; IWPR 14.6.2014). Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig heilige Orte wie Moscheen an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt um manche Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AAN 11.1.2017).

Das afghanische Institut für strategische Studien (AISS) hat die alljährliche Konferenz "Herat Sicherheitsdialog" (Herat Security Dialogue - HSD) zum fünften Mal in Herat abgehalten. Die zweitägige Konferenz wurde von hochrangigen Regierungsbeamten, Botschafter/innen, Wissenschaftlern, Geschäftsleuten und Repräsentanten verschiedener internationaler Organisationen, sowie Mitgliedern der Presse und der Zivilgesellschaft besucht (ASIS 17.10.2016).

Sicherheitslage Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif, liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.:

Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich. Die Provinz Kunduz lieg im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y). Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten an: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.353.626 geschätzt (CSO 2016).

Gewalt gegen Einzelpersonen

30

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

81

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

26

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

70

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

18

Andere Vorfälle

1

Insgesamt

226

Im Zeitraum 1.1. -

31.8.2015 wurden in der Provinz Balkh 226 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

Die zentral gelegene Provinz Balkh - mit ihrer friedlichen Umgebung, historischen Denkmälern und wunderschönen Landschaft - wird als einer der friedlichsten und sichersten Orte Afghanistans geschätzt (Xinhua 12.12.2016; DW 4.8.2016). Obwohl Balkh zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan zählt, versuchen dennoch bewaffnete Aufständische die Provinz zu destabilisieren. In den letzten Monaten kam es zu Vorfällen in Schlüsselbezirken der Provinz (Khaama Press 17.1.2017; vgl. auch: Khaama Press 14.12.2016; Xinhua 11.11.2016; Xinhua 1.10.2016). Laut dem Gouverneur Noor würden Aufständische versuchen, in abgelegenen Gegenden Stützpunkte zu errichten (Khaama Press 30.3.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Khaama Press 30.3.2016; vgl. auch: Tolonews 26.5.2016; Tolonews 18.4.2016). In der Provinz wurden militärische Operationen durchgeführt (Kabul Tribune 5.1.2017). Dabei hatten die Taliban Verluste zu verzeichnen (Khaama Press 14.12.2016; Tolonews 26.5.2016). Auf Veranlassung des Provinzgouverneur Atta Noor wurden auch in abgelegenen Gegenden großangelegte militärische Operationen durchgeführt (Khaama Press 17.1.2017; vgl. auch: Khaama Press 14.12.2016; Khaama Press 7.3.2016).

Die Stadt Mazar-e Sharif ist eine Art "Vorzeigeprojekt" Afghanistans für wichtige ausländische Gäste (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014). Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer die sicherste Provinz in Nordafghanistan. Grund dafür ist das Machtmonopol, das der tadschikisch-stämmige Gouverneur und ehemalige Warlord Atta Mohammed Noor bis in die abgelegensten Winkel der Provinz ausübt. Nichtsdestotrotz ist die Stabilität stark abhängig von den Beziehungen des Gouverneurs zum ehemaligen Warlord und nunmehrigen ersten Vizepräsidenten Abdul Rashid Dostum. Im Juni 2015 haben sich die beiden Rivalen darauf geeinigt, miteinander zu arbeiten, um die Sicherheit in Nordafghanistan wiederherzustellen. Die Stabilität der Provinz Balkh war ein Hauptfokus der NATO-Kräfte (RFE/RL 8.7.2015). Im Distrikt Balkh wird die Reduzierung von Rebellenaktivitäten der Leistungsfähigkeit der ANSF und des neuen Distriktpolizeichefs zugeschrieben (APPRO 1.2015)

High-profile Angriff

Bei einem Angriff auf das deutsche Konsulat in Mazar-e Sharif waren am 10.11.2016 sechs Menschen getötet und fast 130 weitere verletzt worden (Die Zeit 20.11.2016). Nach Polizeiangaben attackierte am späten Abend ein Selbstmordattentäter mit seinem Auto das Gelände des deutschen Generalkonsulats in Mazar-e Sharif. Die Autobombe sei gegen 23:10 Uhr Ortszeit am Tor der diplomatischen Einrichtung explodiert, sagte der Sicherheitschef der Provinz Balkh. Bei den Toten soll es sich um Afghanen handeln. Alle deutschen Mitarbeiter des Generalkonsulats seien bei dem Angriff unversehrt geblieben (Die Zeit 10.11.2016). Das Gebäude selbst wurde in Teilen zerstört. Der überlebende Attentäter wurde dem Bericht zufolge wenige Stunden später von afghanischen Sicherheitskräften festgenommen (Die Zeit 20.11.2016).

Außerhalb von Mazar-e Sharif, in der Provinz Balkh, existiert ein Flüchtlingscamp - auch für Afghan/innen - die Schutz in der Provinz Balkh suchen. Mehr als 300 Familien haben dieses Camp zu ihrem temporären Heim gemacht (RFE/RL 8.7.2015).

High-profile Angriffe

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird nach folgendem fragen: Tazkira/ (Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).

Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:

Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank - India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen, sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vgl. auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).

1.2.2. EASO-Bericht "Afghanistan Netzwerke" aus Jänner 2018

Die Unterstützungspflicht der Großfamilie

Die wechselseitige Verpflichtung, einander innerhalb der Großfamilie zu helfen und zu unterstützen, ist stark, und die Traditionen, Verantwortung für Menschen innerhalb der Gruppe zu übernehmen, sind tief verwurzelt. Je enger die Verwandtschaft, desto stärker ist die Pflicht zu helfen und zu unterstützen. Mehrere Menschen, mit denen Landinfo in Kabul sprach, äußerten die Ansicht, dass es unmöglich sei, Menschen aus dem engsten Umfeld wie Brüder, die Kinder des Bruders des Vaters etc. zurückzuweisen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb der Familie. Man könne sich unmöglich vorstellen, dass ein Afghane kein Dach über dem Kopf anbietet, wenn die Alternative wäre, dass ein enges Familienmitglied auf der Straße stünde. Es ist kulturell inakzeptabel, eine Person, die um Zuflucht ersucht, abzuweisen, und das gilt insbesondere für enge Verwandte. Die Dauer des Aufenthaltes ist von den Mitteln der Familie abhängig. Die Pflichten gegenüber der Großfamilie gelten für alle Afghanen ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit, unter Paschtunen sind sie aber wahrscheinlich am stärksten ausgeprägt.

Stämme und Clans

Die soziale Organisation in Stämmen und Clans beruht auf der Annahme eines gemeinsamen Vorfahren und somit einer vermuteten Beziehung zwischen den Mitgliedern des Stammes/Clans. Einige Stämme und Clans der Paschtunen sind groß und umfassen Millionen Menschen.

Es wird angenommen, dass die Paschtunen die größte Stammesgesellschaft der Welt bilden; ihre Sozialstruktur besteht aus Stämmen, die ihrerseits in Clans gegliedert sind. Der Begriff Clan wird auch von anderen ethnischen Gruppen verwendet und bilden einen wichtigen Teil der Sozialstruktur in ländlichen Gebieten Afghanistans. So ist die Abstammung zum Beispiel auch für Hazara wichtig und gilt als Grundlage ihrer Sozialstruktur, obwohl die meisten ihre Vorfahren höchstens acht Generationen zurückverfolgen können. Im Gegensatz zu den Paschtunen und Hazara ist die tadschikische Bevölkerung Afghanistans nicht in Stämmen und Clans organisiert, sie hat auch keine Vorstellungen eines gemeinsamen Ahnen.

In Afghanistan besteht eine Tradition der lokalen Selbstverwaltung, und der Stammesführer verfügt in diesem Zusammenhang über große Macht. Die führenden Familien innerhalb der Stämme genießen hohen sozialen und wirtschaftlichen Status. Die Identifikation mit einem Stamm/Clan ist ein wichtiger sozialer Indikator um zu zeigen: ‚Ich bin einer von euch'. Die verschiedenen Stämme/Clans bilden jedoch keine homogene Gruppe, unterschiedliche politische, wirtschaftliche, soziale und wertebezogene Trennlinien können die Mitglieder spalten. Die verschiedenen Regime, die das Land regiert haben, hatten sowohl Anhänger als auch Gegner innerhalb desselben Stammes und Clans. Das gilt auch noch heute, in den meisten Stämmen findet man Anhänger und Gegner sowohl des Staatsbildungsprojektes als auch der bewaffneten Opposition.

Zugang zum Arbeitsmarkt

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht zu einem großen Teil aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder.

Ein Mitarbeiter einer Botschaft vor Ort beschrieb, wie Tagelöhner von der Straße weg angeheuert werden. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Diese Treffpunkte befinden sich an speziellen Orten der Stadt. Hier treffen sich Arbeitssuchende und Anbieter von Arbeit am frühen Morgen und einigen sich über Tagelöhnerschaft und kurzzeitige geringfügige Tätigkeiten, für gewöhnlich manuelle Hilfsarbeit, manchmal auch qualifiziertere Arbeit. Durch das Mitführen seiner eigenen Werkzeuge oder Ausrüstung zeigt der Arbeitssuchende, was er kann. Nach einem kurzen Gespräch und einer Prüfung entscheidet der "Arbeitgeber", wer angeheuert wird. Viele bewerben sich, aber nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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