TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/10 W233 2179346-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.04.2018
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Entscheidungsdatum

10.04.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W233 2179346-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2017, Zl. 1068266310-15049487, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.03.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsbürger Afghanistans, stellte am 12.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.05.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschs für die Sprache Dari im Wesentlichen folgendes an:

Er sei am XXXX in XXXX, Pakistan geboren und habe dort bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr gelebt. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken und Moslem. In Pakistan habe er drei Jahre lang eine Grundschule besucht. Zuletzt habe seine Familie in Sar-e Pol, Afghanistan, gelebt. Sein Vater sei Landwirt, er habe noch seine Mutter und seine Schwester. Er habe Afghanistan wegen der Taliban verlassen. Sie seien ständig von ihnen bedroht und belästigt worden. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland fürchte er um sein Leben.

1.3. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.10.2017 bestätigte der Beschwerdeführer die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und führte auf Nachfragen wie folgt näher aus:

Er sei der usbekischen Volksgruppe zugehörig und Anhänger des sunnitischen Islam. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei gesund. Sein Vater lebe in Mazar-e Sharif und er stehe mit ihm in Kontakt. Er sei in Pakistan geboren und dort zwei Klassen in die Grundschule gegangen. Er habe keine Berufsausbildung. Die Familie sei vor fünf bis sechs Jahren zurück nach Afghanistan gegangen. Sie seien zwei bis drei Jahre dort gewesen, dann habe sich die Sicherheitslage verschlechtert und hätten die Taliban gewollt, dass er mit ihnen mitarbeite und mit ihnen kämpfe.

In Afghanistan habe er in Sar-e Pol in der Landwirtschaft gearbeitet, wo er auch gewohnt habe. In Mazar-e Sharif würden noch seine Eltern, Großeltern, Schwester, Onkel und Tanten leben. Seine Großeltern mütterlicherseits und ein Onkel würden in Quetta leben. Sein Vater würde in Mazar-e Sharif den Lebensunterhalt bestreiten, wovon genau, wisse er nicht. Sein Vater habe die Reise organisiert und gewollt, dass er nach Europa gehe. Mit seinen Eltern hätte er einmal im Monat Kontakt.

Zum Fluchtgrund befragt gab er zusammengefasst an, die Taliban hätten gewollt, dass er für sie kämpfe, aber sein Vater habe das nicht gewollt. Deshalb habe sein Vater mit einem Schlepper die Ausreise organisiert. Auf Nachfrage, was ihn konkret erwarten würde, wenn er jetzt nach Afghanistan zurückkehren müsste, gab er an, dass sein Vater ihm gesagt habe, er könne dann das Haus nicht mehr verlassen. Wenn er das Haus verlassen würde, würden ihn die Taliban mitnehmen und er müsse mit ihnen kämpfen. Persönlich bedroht worden sei er nicht. Er habe gewusst, dass es die Taliban gäbe, wisse aber nicht, wann und wo sie mit seinem Vater gesprochen hätten, nur dass es ca. 20 Tage vor seiner Ausreise gewesen sei. Nach Kabul sei er nicht gegangen, weil es dort keine Sicherheit gäbe.

In Österreich habe er keine Verwandten und sonstigen Bezugspersonen. Er spiele Fußball in einem Verein. Er habe ehrenamtlich in einem Garten geholfen. Er wolle einmal in einem Restaurant oder als Verkäufer arbeiten.

1.4. In seiner Stellungnahme vom 04.10.2017 führte der Beschwerdeführer ergänzend an, dass in Afghanistan konkrete Anwerbungsversuche der Taliban stattgefunden hätten, die auf seine Beteiligung an kämpferischen Handlungen abgezielt hätten. Seinem Vater sei erklärt worden, der Beschwerdeführer würde für den Heiligen Krieg dringend benötigt. Der Vater sei beim Besuch in der Moschee mit den Taliban in Kontakt gekommen. Hätte sein Vater dies nach außen in Frage gestellt, wären die Taliban ihm und dem Rest der Familie nicht mehr gut gesonnen und hätte eine akute, eskalierende Gefährdungslage für alle gedroht. Sein Vater habe es geschafft, sie hinzuhalten und nebenher die Flucht des Beschwerdeführers zu organisieren. Der Rest seiner Familie lebe nun nördlich von Mazar-e Sharif.

Außerdem verwies der Beschwerdeführer auf seine Integrationsleistungen.

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 06.11.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 12.05.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.); weiters wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.) und wurde diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG verbunden. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AslyG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

1.6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 24.11.2017 fristgerecht Beschwerde und brachte, unter Wiederholung seines bisherigen Fluchtvorbringens, im Wesentlichen vor, dass er in Pakistan geboren und aufgewachsen sei und in Afghanistan nur vom dreizehnten bis zum fünfzehnten Lebensjahr gelebt habe, also kürzer als in Österreich. Sein Vater habe nur ihn weggeschickt, weil für die ganze Familie die Kosten nicht gedeckt werden hätten können und er persönlich aufgrund seines Alters und Geschlechts die gefährdetste Person in der Familie sei.

Zudem wurde in der Beschwerde die Beweiswürdigung der belangten Behörde moniert. Diese habe gegen ihre Begründungspflicht gem. § 29 VwGVG und ihre Pflicht, auf das Parteivorbringen einzugehen, verstoßen. Auch habe die Behörde nicht in Entsprechung der Grundsätze der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit von sich aus für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlicher Beweise gesorgt und unter Heranziehung der Beweismittel den für die Erledigung maßgebenden Entscheidungsrelevanten Sachverhalt festgestellt. Die Behörde habe Ermittlungen unterlassen und die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers in der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt.

Darüber hinaus wurde vorgebracht, dass die Taliban und andere Gruppierungen die Flucht des Beschwerdeführers, seinen darauffolgenden Aufenthalt im westlichen Ausland und die Stellung seines Asylantrags als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch feindlichen Gesinnung und somit als Kritik am herrschenden System werten würden. Solche Menschen würden systematisch Opfer einer Behandlung, die aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend sei, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstelle.

1.7. Am 06.03.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer sowie dessen Rechtsvertreterin teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als belangte Behörde ist bei der Verhandlung entschuldigt nicht erschienen. Im Rahmen der Verhandlung wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein Vorbringen zu seinem Fluchtgrund und führte dieses näher aus, indem er ausführte, dass sich im Dorf seines Aufenthalts viele Taliban aufgehalten hätten. Es wäre immer wieder darüber berichtet worden, dass die Taliban Jugendliche aus dem Dorf mitgenommen hätten. Sein Vater hätte ihm erzählt, dass auch er von den Taliban zweimal angesprochen worden wäre und diese von ihm verlangt hätte, dass sie ihm seinen Sohn übergeben sollen. Daraufhin hätte ihm sein Vater nicht mehr erlaubt, das Haus zu verlassen und ihn in der Folge aus Afghanistan weggeschickt. Für den Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, dass ihn die Taliban finden und entweder töten oder ihn zur Durchführung eines Selbstmordanschlages zwingen würden. Er selbst wäre jedoch von den Taliban niemals persönlich angesprochen worden, sondern hätten ihn die Taliban, die in seinem Dorf auf Motorrädern unterwegs gewesen wären, über einen langen Zeitraum, angesehen. Er gab außerdem Auskunft zu seiner Identität, seiner Herkunft sowie zu seinen persönlichen Lebensumständen. In diesem Zusammenhang gab der BF auch zu Protokoll, dass er mit seiner Familie regelmäßig in Kontakt stehe und seine Familie einige Zeit in der Stadt Mazar-e Sharif in einem Haus gelebt hätte und, als sie sich die Miete dieses Hauses nicht mehr hätten leisten können, nun an einem Ort außerhalb der Stadt Mazar-e Sharif lebe, wobei er die genaue Adresse nicht angeben könne.

In der Verhandlung wurden die relevanten Feststellungen und Berichte über die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsland (LIB Afghanistan, Stand 30.01.2018; die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016) in das Verfahren eingebracht und wurde der Beschwerdevertreterin eine 14-tägige Stellungnahmefrist eingeräumt.

1.8. Mit Schriftsatz vom 20.03.2018 brachte der gewillkürt vertretene Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein, in der auf Länderberichte der UNHCR, UNAMA und der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zum Thema der Zwangsrekrutierung verwiesen wurde. Weiters wurde zusammengefasst ausgeführt, dass es nicht darauf ankomme, ob es bis jetzt schon konkrete, gegen den Beschwerdeführer selbst gerichtete, Verfolgungshandlungen gegeben habe, vielmehr sei bei der Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgungsgefahr eine Prognoseentscheidung zu treffen. Darüber hinaus bestehe auch in Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif für den Beschwerdeführer gegen die Verfolgung der Taliban keine relevante interne Fluchtalternative, wobei hierzu auf den EASO "Country of Origin Information Report. Afghanistan. Individuals targeted by armed actors in the conflict" vom Dezember 2017 sowie auf eine von der stellvertretenden Leiterin des UNHCR-Büros Kabul am 12.03.2018 in Wien gehaltene Präsentation, verwiesen wurde.

Ferner wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer liefe im Fall der Rückkehr aufgrund seines besonderen Profils real Gefahr, dem innerstaatlichen Konflikt zum Opfer zu fallen. Er sei in Pakistan geboren und habe dort bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr gewohnt. Dass er nicht in Afghanistan aufgewachsen sei, erkenne man allein schon an seinem Akzent. Er sei gleichsam Fremder im eigenen Land und werde von seinen Landsleuten als Fremder bezeichnet. Er verfüge über keine Schulausbildung und keinerlei Berufsausbildung. Verwiesen wurde hierbei auf ein in einem Beschwerdeverfahren vor dem BVwG erstelltes Sachverständigengutachten vom 29.01.2018, EASO-Berichte vom August und Dezember 2017 und weitere Berichte über die seit Jahresbeginn in Kabul verübten Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte. Der Beschwerdeführer könne auch nicht auf eine interne Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif verwiesen werden, da die dortige Sicherheits- und Versorgungslage unzureichend sei und eine interne Fluchtalternative im Ergebnis mangels Zumutbarkeit nicht bestehe. Das Länderinformationsblatt über Afghanistan bilde dies nur unzureichend ab, bestätige jedoch die Volatilität der "relativen Sicherheit" an diesen Orten. Verwiesen wurde hierzu erneut auf die von der stellvertretenden Leiterin des UNCHR Büros Kabul gehaltene Präsentation vom 12.03.2018, aktuelle Berichte des Pentagons und der BBC, welchen den bereits in EASO-Berichten vom August und Dezember 2017 ersichtlichen Trend der weiteren Verschlechterung der Sicherheitslage auch in den afghanischen Großstädten fortsetzen würde. Zudem wäre der Beschwerdeführer im Fall der Neuansiedlung in den genannten Städten von unzumutbaren Härten betroffen.

Der Beschwerdeführer legte im Verfahren folgende Unterlagen vor:

* Bestätigung vom 26.04.2016 über die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung Deutsch als Fremdsprache im Zeitraum 11.01.2016 bis 20.04.2016 (AS 99);

* Bestätigung vom 20.12.2016 über die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung Deutsch als Fremdsprache im Zeitraum 18.08.2016 bis 16.12.2016 (AS 101);

* ÖSD Zertifikat A2, ausgestellt am 21.06.2017 (AS 103);

* ÖSD Zertifikat A1, ausgestellt am 02.02.2017 (AS 107);

* Bestätigung vom 06.02.2017 über die Teilnahme am Kurs "Bildung für junge Flüchtlinge" im Zeitraum 09.01.2017 bis 31.01.2017 (AS 109);

* Bestätigung vom 16.12.2016 über die Teilnahme am Kurs "Bildung für junge Flüchtlinge" im Zeitraum 09.11.2016 bis 30.11.2016 (AS 111);

* "Urkunde" über den zweiten Platz beim Hallenturnier des FC XXXX (AS 113);

* Anmeldeformular Askö XXXX (AS 115);

* "Urkunde" über die Anerkennung für die gute Mitarbeit am Projekt der 5. Klasse des XXXX im Schuljahr 2016/17 (AS 117);

* Arbeitsbestätigung/Arbeitszeugnis des Instituts XXXX, in dem bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von 01.04.2017 bis 30.09.2017 in der Gärtnerei des Instituts ein Praktikum absolviert hat;

* Teilnahmebestätigung Fußballturnier vom 10.07.2017.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsakts des Beschwerdeführers, beinhaltend die Befragungen vom 13.05.2015 (Erstbefragung) und vom 09.10.2017 (niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt), den Bescheid vom 06.11.2017, die Beschwerde vom 24.11.2017 und die Stellungnahmen vom 04.10.2017 und 20.03.2018; durch die Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.03.2018; durch Einsichtnahme in die im Verlauf des Verfahrens vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen des Beschwerdeführers bzw. seiner Vertretung, in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS, ZMR und IZR; sowie durch Einsichtnahme in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan in der Fassung vom 30.01.2018 und in einen Auszug aus den UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016.

Demnach steht folgender Sachverhalt fest:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

2.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein (mittlerweile) volljähriger männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Usbeken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist ledig und hat keine Kinder. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

2.1.2. Der Beschwerdeführer wurde in XXXX, Pakistan, geboren und lebte dort bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr. Danach lebte er über einen Zeitraum von ca. 2 Jahren mit seiner Familie in der Provinz Sar-e Pol, Afghanistan. Der Beschwerdeführer verfügt in Afghanistan über keine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren würde.

Jedoch leben die Eltern des Beschwerdeführers und seine Schwester nach ihrer Rückkehr aus Pakistan in der Provinz Balkh, an einem Ort außerhalb der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Weitere Verwandte leben in der Stadt Mazar-e Sharif selbst. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in regelmäßigem Kontakt.

In Pakistan besuchte der Beschwerdeführer zwei Jahre lang die Schule. Er und sein Vater erwirtschafteten sowohl in Pakistan als auch später in Afghanistan durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten den Familienunterhalt.

2.1.3. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er absolvierte von 01.04.2017 bis 30.09.2017 ein Praktikum bei der "Institut XXXX", nahm im Schuljahr 2016/17 an einem Projekt der 5. Klasse des XXXX teil, besuchte zwei Kurse zum Thema "Bildung für junge Flüchtlinge", ist Teil einer Hobbyfußballgruppe und nahm auch an Hobbyturnieren teil. Der Beschwerdeführer verfügt über ein ÖSD Zertifikat über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A2, ausgestellt am 21.06.2017.

2.1.4. Der Beschwerdeführer ist gesund und im erwerbsfähigen Alter.

2.1.5. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine Familienangehörigen oder Verwandten.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Gründe, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden von ihm nicht glaubhaft vorgebracht und sind auch im Verfahren nicht hervorgekommen. Es kann somit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus Afghanistan von den Taliban insofern verfolgt wurde, dass sie von seinem Vater gefordert hätten, dass er ihn ihnen übergeben müsse. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit deshalb droht, da ihn die Taliban im Fall seiner Rückkehr finden und ihn entweder töten oder zur Durchführung eines Selbstmordanschlages zwingen würden.

2.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

2.3.1. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung in die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif der Provinz Balkh in Afghanistan in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Ferner kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan (Mazar-e Sharif) in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

2.3.2. Der Beschwerdeführer wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

2.3.3. Der Beschwerdeführer kann die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif der Provinz Balkh von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

2.3.4. Da der Beschwerdeführer gesund ist, kann auch nicht festgestellt werden, dass er im Falle der Rückkehr nach Mazar-e Sharif Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingeführten, aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

2.4.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 30.01.2018):

2.4.1.1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 2 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

[...]

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 2 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe:

[...]

Interreligiöse Angriffe

[...]

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

[...]

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

2.4.1.2. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

[...]

Parteien

[...]

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

2.4.1.3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

Al-Qaida

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl. auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Siehe Kapitel 2 - Politische Lage - Friedens- und Versöhnungsprozesse

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verslusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten, aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

Drogenanbau und Gegenmaßnahmen

[...]

Zivile Opfer

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten, sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED), und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivilen Opfern (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffe auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte), sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfen zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

[...]

2.4.1.3.1. Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif, liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.:

Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich. Die Provinz Kunduz lieg im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y). Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten an: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.353.626 geschätzt (CSO 2016).

Im Zeitraum 1.1. - 31.8.2015 wurden in der Provinz Balkh 226 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

Die zentral gelegene Provinz Balkh - mit ihrer friedlichen Umgebung, historischen Denkmälern und wunderschönen Landschaft - wird als einer der friedlichsten und sichersten Orte Afghanistans geschätzt (Xinhua 12.12.2016; DW 4.8.2016). Obwohl Balkh zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan zählt, versuchen dennoch bewaffnete Aufständische die Provinz zu destabilisieren. In den letzten Monaten kam es zu Vorfällen in Schlüsselbezirken der Provinz (Khaama Press 17.1.2017; vgl. auch: Khaama Press 14.12.2016; Xinhua 11.11.2016; Xinhua 1.10.2016). Laut dem Gouverneur Noor würden Aufständische versuchen, in abgelegenen Gegenden Stützpunkte zu errichten (Khaama Press 30.3.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Khaama Press 30.3.2016; vgl. auch: Tolonews 26.5.2016; Tolonews 18.4.2016). In der Provinz wurden militärische Operationen durchgeführt (Kabul Tribune 5.1.2017). Dabei hatten die Taliban Verluste zu verzeichnen (Khaama Press 14.12.2016; Tolonews 26.5.2016). Auf Veranlassung des Provinzgouverneur Atta Noor wurden auch in abgelegenen Gegenden großangelegte militärische Operationen durchgeführt (Khaama Press 17.1.2017; vgl. auch: Khaama Press 14.12.2016; Khaama Press 7.3.2016).

Die Stadt Mazar-e Sharif ist eine Art "Vorzeigeprojekt" Afghanistans für wichtige ausländische Gäste (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014). Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer die sicherste Provinz in Nordafghanistan. Grund dafür ist das Machtmonopol, das der tadschikisch-stämmige Gouverneur und ehemalige Warlord Atta Mohammed Noor bis in die abgelegensten Winkel der Provinz ausübt. Nichtsdestotrotz ist die Stabilität stark abhängig von den Beziehungen des Gouverneurs zum ehemaligen Warlord und nunmehrigen ersten Vizepräsidenten Abdul Rashid Dostum. Im Juni 2015 haben sich die beiden Rivalen darauf geeinigt, miteinander zu arbeiten, um die Sicherheit in Nordafghanistan wiederherzustellen. Die Stabilität der Provinz Balkh war ein Hauptfokus der NATO-Kräfte (RFE/RL 8.7.2015). Im Distrikt Balkh wird die Reduzierung von Rebellenaktivitäten der Leistungsfähigkeit der ANSF und des neuen Distriktpolizeichefs zugeschrieben (APPRO 1.2015)

High-profile Angriff:

Bei einem Angriff auf das deutsche Konsulat in Mazar-e Sharif waren am 10.11.2016 sechs Menschen getötet und fast 130 weitere ver

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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