TE Vwgh Erkenntnis 2018/3/15 Ra 2017/21/0117

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Veröffentlicht am 15.03.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
23/04 Exekutionsordnung;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §57 Abs1 Z3;
EO §382b;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGG §53 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/21/0118

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die Revision 1. der N H, und

2. der F G, beide in B I und vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. April 2017,

1. Zl. L519 2013114-1/36E und 2. Zl. L519 2013117-1/61E, betreffend Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Erstrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte betreffend die beiden Revisionswerberinnen, Mutter und Tochter mit armenischer Staatsangehörigkeit, wird auf das hg. Erkenntnis VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0023, 0024, verwiesen. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof das damals angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, dass das BVwG, offenkundig von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend, keine ausreichenden Feststellungen zu den Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 getroffen habe.

2 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 18. April 2017 wies das BVwG nach mündlicher Verhandlung vom 30. November 2016 die Beschwerden der Revisionswerberinnen gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 11. September 2014, mit welchen (soweit noch relevant) auch ausdrücklich beantragte Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen die Revisionswerberinnen Rückkehrentscheidungen erlassen wurden sowie die Zulässigkeit ihrer Abschiebung festgestellt wurde, (neuerlich) als unbegründet ab. Des Weiteren sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

3 In seiner Begründung stellte das BVwG - die im eingangs erwähnten Vorerkenntnis aufgezeigte Ergänzungsbedürftigkeit der Feststellungen betreffend - fest, dass die Erstrevisionswerberin im Jahr 2014 sowie am 10. Februar 2015 eine Psychotherapie in Anspruch genommen habe sowie, dass sie an einer zystischen Läsion im Kopf leide, sie keine Medikamente einnehme und ansonsten in keiner Behandlung stehe. An früheren Diagnosen aus den Jahren 2014 bis 2015 seien Anpassungsstörungen mit längerer depressiver Reaktion, Migräne mit Aura und depressive Reaktion mit reaktiver Angst festgestellt worden.

4 Die Eltern und Geschwister der Erstrevisionswerberin lebten nach wie vor im Herkunftsstaat; die Eltern verfügten über ein Haus und betrieben eine Landwirtschaft. In Österreich lebten die Eltern sowie der Bruder samt Familie des Vaters der Zweitrevisionswerberin, die über Rot-Weiß-Rot-Karten verfügten. Zwei seiner Schwestern lebten als Asylwerberinnen im Bundesgebiet, drei Brüder des väterlichen Großvaters der Zweitrevisionswerberin lebten mit ihren Familien in Armenien.

5 Die Ehe zwischen der Erstrevisionswerberin und dem Vater ihrer beiden Kinder sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes V. vom 21. April 2015 geschieden worden, in dem zu Grunde liegenden Vergleich sei die Obsorge beider Elternteile für die Kinder vereinbart worden, der hauptsächliche Aufenthalt des Sohnes sei bei seinem Vater, jener der Zweitrevisionswerberin bei der Erstrevisionswerberin festgelegt worden. Die Revisionswerberinnen seien bis 10. Juli 2014 in A. am A. gemeldet gewesen, seitdem in B.I. Laut den im September und Oktober 2014 vor dem Bezirksgericht V. abgeschlossenen pflegschaftsgerichtlichen Vergleichen seien dem Vater der Zweitrevisionswerberin ein näher bestimmtes Recht auf persönlichen Kontakt gegenüber der Tochter und ein entsprechendes Recht der Erstrevisionswerberin gegenüber dem bei ihrem Ex-Ehemann lebenden Sohn eingeräumt worden.

6 Am 18. Juli 2014 sei die Erstrevisionswerberin als Zeugin in Zusammenhang mit einer ihr gegenüber geäußerten gefährlichen Drohung, begangen durch ihren (damaligen) Ehemann, vor der Polizeiinspektion B.I. einvernommen worden. Am 25. August 2014 sei eine weitere Einvernahme erfolgt, bei welcher die Erstrevisionswerberin Drohungen durch die Familie ihres (damaligen) Ehemannes zu Protokoll gegeben habe. Der Ex-Ehemann der Erstrevisionswerberin sei in Österreich nicht strafgerichtlich verurteilt worden, es scheine kein Eintrag im kriminalpolizeilichen Aktenindex auf und es seien auch kein Betretungsverbot oder eine einstweilige Verfügung gegen ihn erlassen worden.

7 Die Verfahren betreffend den Antrag auf internationalen Schutz des Ex-Ehemannes der Erstrevisionswerberin und ihres Sohnes seien rechtskräftig abgeschlossen. Der Ex-Ehemann der Erstrevisionswerberin habe für sich und den gemeinsamen Sohn am 2. Juni 2015 einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gestellt, über welchen noch nicht entschieden worden sei; die beiden Antragsteller hielten sich zum damaligen Zeitpunkt rechtswidrig im Bundesgebiet auf.

8 Es habe nicht festgestellt werden können, dass eine Abschiebung der Revisionswerberinnen in den Herkunftsstaat gemäß § 46 FPG unzulässig sei. In Bezug auf ihre Lage im Falle einer Rückkehr nach Armenien habe keine gegenüber dem Zeitpunkt, an dem letztmalig über Anträge auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden worden sei, maßgeblich geänderte Situation bzw. wesentliche Sachverhaltsänderung festgestellt werden können, welche zu einer anderen Einschätzung in diesem Punkt führen würde. Hierzu werde auf die den Revisionswerberinnen übermittelten Länderfeststellungen vom 23. November 2015, letztmalig aktualisiert am 2. August 2016, sowie auf ein im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenes Rechercheergebnis der Staatendokumentation verwiesen.

9 Des Weiteren führte das BVwG im angefochtenen Erkenntnis noch aus, dass nach der Recherche des BVwG häusliche Gewalt in Armenien einem besonders starken Tabu unterliege: Zum einen hätte die Familie eine große sozio-ökonomische Bedeutung, zum anderen sei die Angst, den Ruf der Familie zu schädigen, groß. Es gebe keine Hinweise, dass die Polizei im Falle einer Anzeigeerstattung Opfern häuslicher Gewalt systematisch Schutz verweigern würde. Zudem stünden - wenn auch eingeschränkt - Frauenhäuser und kostenlos Rechtsanwälte sowie Nicht-Regierungsorganisationen zur Verfügung. Es gebe diverse Schutzeinrichtungen und würden letztlich auch Anwälte und andere Beratungsleistungen für Frauen z. B. bei Scheidung oder Eigentumsfragen kostenlos zur Verfügung gestellt. Auch hinsichtlich des Zugangs zur Polizei werde kostenlos Unterstützung angeboten. Darüber hinaus gebe es Zentren zur Eingliederung von Frauen ohne spezifischen Bezug zu häuslicher Gewalt. Letztlich sei jedoch nicht davon auszugehen, dass die Erstrevisionswerberin in Armenien überhaupt häuslicher Gewalt oder sonst einer Bedrohung ausgesetzt sei und sie vielmehr aufgrund ihrer dort lebenden Familie auch gesellschaftlich wiedereingegliedert werde bzw. Unterstützung erhielte.

10 Das Vorbringen der Erstrevisionswerberin, dass ihr früherer Ehemann sie wiederholt geschlagen, bedroht und misshandelt habe, sei nämlich insgesamt nicht glaubhaft, zumal keinerlei "objektive Nachweise" dafür vorlägen, daher sei auch nicht glaubwürdig, dass ihr Ex-Ehemann sie bereits in Armenien bis zu ihrem Streit in Österreich im Mai 2014 ständig bedroht und misshandelt habe. Auch gebe es keine objektiven Beweise oder Anhaltspunkte dafür, dass ihre Schwägerin bzw. andere Verwandte ihres Ex-Ehemannes sie in Österreich bedroht hätten. Zudem sei "nicht erklärlich", dass der Ex-Ehemann bzw. seine Familie der Erstrevisionswerberin (in Armenien) "etwas antun" wollten, wenn dies nicht bereits in Österreich stattgefunden habe. Dass die in Armenien lebenden Onkel des Ex-Ehemannes im Falle ihrer Rückkehr ein "gesteigertes Interesse" an der Erstrevisionswerberin haben würden, sei vage und unsubstantiiert in den Raum gestellt worden und könne ein glaubhafter Kern dieser Behauptung nicht festgestellt werden. "Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung" sei somit, wie schon in ihrem Verfahren auf internationalen Schutz, von der "erneuten völligen Unglaubwürdigkeit" der Erstrevisionswerberin auszugehen, die ihr Vorbringen im Zusammenhang mit § 57 AsylG 2005 offensichtlich nur mit dem Zweck erstatte, ihre bevorstehende Abschiebung nach Armenien zu vereiteln und ihren Aufenthalt neuerlich zu verlängern, anstatt ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Insbesondere sei davon auszugehen, dass sie die Drohungen des Ex-Ehemannes bzw. seiner Familie nur vorgebracht habe, um für sich einen besseren Standpunkt im Verfahren zu erlangen.

11 In rechtlicher Hinsicht verneinte das BVwG auf dieser Grundlage das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005. Sonstige Aspekte, die - davon ausgehend - eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machten, seien nicht hervorgekommen.

12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:

13 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. 14 § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 lautet:

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

...

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet

nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

..."

15 Der Oberste Gerichtshof judiziert zu den angesprochenen Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO (vgl. z.B. OGH 29.11.2017, 7Ob178/17b) Folgendes:

"Maßgeblich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits - auch schon länger zurückliegenden - angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei - ernst gemeinten und als solche verstandenen - Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, je schwerer die unmittelbaren Auswirkungen und die weiteren Beeinträchtigungen des Antragsgegners sind und je häufiger es zu solchen Vorfällen gekommen ist, desto eher wird unter den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen sein."

16 Das BVwG hat im fortgesetzten Verfahren zu den Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zwar weitere Ermittlungen gepflogen sowie eine mündliche Verhandlung durchgeführt und darauf basierend ergänzende Erwägungen angestellt, die sich jedoch insgesamt nicht als tragfähig erweisen.

17 Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen, allerdings hat er insbesondere doch zu prüfen, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist, die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind sowie, ob das Verwaltungsgericht alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. zB VwGH 29.11.2017, Ra 2017/18/0157 bis 0159, Rn. 19, 20). Diesen Vorgaben hat das BVwG im vorliegenden Fall aber nur mangelhaft entsprochen.

18 In diesem Zusammenhang sei - unter dem Gesichtspunkt einer unvollständigen Bedachtnahme auf die Aktenlage durch das BVwG - zunächst auf Folgendes hingewiesen: Wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt, wurde die Erstrevisionswerberin drei Mal (und nicht zwei Mal, wie das BVwG feststellte) als Zeugin von der Polizeiinspektion B.I. einvernommen, nämlich am 18. Juli 2014, am 25. August 2014 sowie am 18. November 2014. Im Rahmen ihrer - unter Wahrheitspflicht - vorgenommenen Zeugenaussagen gab sie an, regelmäßig von ihrem damaligen Ehemann geschlagen, (mit dem Umbringen) bedroht und eingesperrt worden zu sein, zuletzt am 26. bzw. 27. Mai 2014 im ehemals gemeinsamen Flüchtlingsquartier. Inhaltlich Gleichlautendes brachte sie am 25. Juli 2014 vor dem BFA, am 19. Dezember 2014 vor dem Bezirksgericht V. im Rahmen eines ihre Kinder betreffenden Pflegschaftsverfahrens sowie am 9. Dezember 2014 bei der ersten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vor. Des Weiteren ergibt sich aus einem Aktenvermerk im Betreuungsinformationssystem vom 4. Juli 2014, dass die Erstrevisionswerberin "aufgrund von Gewaltanwendung durch den Ehemann" um Verlegung in ein anderes Quartier ersucht hatte, desgleichen gab sie bei der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 30. November 2016 unter anderem zu Protokoll, dass ihr damaliger Ehemann vom Quartiergeber aus der ehemals gemeinsam bewohnten Unterkunft "verwiesen" worden sei.

Darüber hinaus befinden sich im Verwaltungsakt ein MRT-Befund vom 14. März 2014, ein Klinikbefund vom 2. April 2014, eine Verletzungsanzeige eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 4. Juni 2014 sowie eine Zuweisung zu einer Computertomographie vom 7. Juli 2014; zudem ein psychotherapeutischer Befund vom 3. Dezember 2014 sowie ein psychiatrischer Arztbrief vom 10. Februar 2015. Auf diese ärztlichen und psychotherapeutischen Befunde und Diagnosen geht das BVwG zwar im Rahmen der Beweiswürdigung teilweise ein. Es bildete sich anhand dieser Unterlagen ein eigenes medizinisches Urteil über Verletzungen, mögliche Verletzungsursachen und die Traumatisierung der Erstrevisionswerberin, ohne jedoch eine fachliche Grundlage hierfür darzulegen. So kann etwa aus dem Nichtvorliegen von noch sichtbaren Verletzungsspuren nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass keine Gewaltakte gegen die Erstrevisionswerberin gesetzt wurden. Des Weiteren übergeht das BVwG, dass die Erstrevisionswerberin neben dem psychotherapeutischen Befund vom 3. Dezember 2014 (den das Gericht zwar würdigt) auch einen Arztbrief einer Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 10. Februar 2015 vorgelegt hat, in welchem eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert wird, die als mit "massiven Belastungen im häuslichen Bereich, auch viel körperlicher Gewalt in der Vorgeschichte" in Zusammenhang gebracht wurde.

19 Insoweit sich das BVwG bei seiner Beweiswürdigung im Übrigen auch darauf beruft, die Erstrevisionswerberin habe bei ihrer Einvernahme am 25. Juli 2014 lediglich von einem "Streit" mit ihrem damaligen Mann am 26. Mai 2014 gesprochen, so schließt dies logisch nicht aus, dass es dabei auch zu den (durch einen Arzt) angezeigten Gewalthandlungen gekommen ist, gab sie doch zudem im Rahmen derselben Einvernahme an, dass Gewalt in der Familie den Grund für die Ehescheidung darstellt. Auch kann allein aus dem Umstand, dass die Erstrevisionswerberin nicht früher Anzeige gegen ihren Ehemann erstattet hat, nicht zwingend abgeleitet werden, dass ihr diesbezügliches Vorbringen unglaubwürdig sei. So hat die Erstrevisionswerberin mehrfach vorgebracht, dass ihr Ex-Ehemann und seine Verwandten sie eingeschüchtert und ihr unter anderem für den Fall einer Anzeige mit ihrer "Vernichtung" gedroht hätten (siehe die Einvernahme vor dem BFA vom 25. Juli 2014). Darüber hinaus kommt es durchaus vor, dass Opfer von Gewalt - aus welchen Gründen auch immer - mitunter erst spät, oft erst nach jahrelangen Misshandlungen, die erlebte Gewalt öffentlich machen.

Soweit das BVwG schließlich aus dem Unterhaltsverzicht im Scheidungsvergleich folgerte, dass keine fortwährende Gewalt in der Familie vorgelegen sei, so kommt derartigen Vereinbarungen im vorliegenden Zusammenhang kein maßgeblicher Beweiswert zu.

20 Vor allem ist aber darauf hinzuweisen, dass die Erstrevisionswerberin in ihrer Beschwerde zwei Personen (erkennbar) als Zeugen namhaft machte, nämlich die Rechtsberaterin, der sie sich am 15. Juli 2014 anvertraut haben soll, sowie ihren Betreuer, der sie, wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt, zu den erwähnten drei polizeilichen Einvernahmen sowie bei der Einbringung der Scheidungsklage begleitet hat und der auch nach dem Wechsel des Grundversorgungsquartiers der Revisionswerberinnen ab dem 10. Juli 2014 als Unterkunftgeber aufscheint. Die Einvernahme dieser Personen als Zeugen - ebenso wie jene des geschiedenen Ehemannes der Erstrevisionswerberin - zur Gewinnung eines umfassenden Bildes wäre daher vorzunehmen gewesen. Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Haben mehrere Revisionswerber - wie hier - ein Erkenntnis gemeinsam in einer Revision angefochten, ist die Frage des Anspruches auf Aufwandersatz gemäß § 53 Abs. 1 VwGG so zu beurteilen, wie wenn die Revision nur von dem in der Revision erstangeführten Revisionswerber eingebracht worden wäre. Das diese Bestimmung unberücksichtigt lassende Kostenmehrbegehren war somit abzuweisen.

Wien, am 15. März 2018

Schlagworte

Begründung BegründungsmangelBesondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017210117.L00

Im RIS seit

20.04.2018

Zuletzt aktualisiert am

27.04.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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