TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/27 99/10/0258

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Veröffentlicht am 27.03.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
27/02 Notare;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §59 Abs1;
NO 1871 §138 Abs1 Z1;
NO 1871 §138 Abs1 Z2;
NO 1871 §138 Abs1;
NO 1871 §138 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, über die Beschwerde der E in Wien, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien I, Johannesgasse 16, gegen den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 30. März 1999, Zl. Jv 16.870-13/98, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin erhob durch ihren Rechtsvertreter mit einem bei der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland am 8. April 1997 eingelangten Schreiben eine Beschwerde gemäß § 35 Abs. 2 der Notariatsordnung (NO) mit der Behauptung, der öffentliche Notar Dr. H. habe seine Pflicht, auf einen Abtretungsvertrag seine Unterschrift zu setzen, verletzt und die von den Beteiligten schon unterfertigte Vertragsurkunde vernichtet und dadurch die Errichtung eines Notariatsaktes rechtswidrig verweigert. Die Beschwerdeführerin begehrte, dass die Notariatskammer in Stattgebung der Beschwerde als Behörde der zweiten Rechtsstufe die verweigerten Amtshandlungen selbst setze, in eventu dem belangten Notar als Behörde der ersten Rechtsstufe Auftrag und Weisung erteile, die von ihm verlangten Amtshandlungen durchzuführen.

Auf diese Beschwerde reagierte die Notariatskammer mit Schreiben vom 15. September 1998. Dieses Schreiben ist an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin gerichtet und hat folgenden Wortlaut:

"Betreff:

Beschwerde der (Beschwerdeführerin) gegen Dr. H.,

öffentl. Notar in W. gemäß § 35 Abs. 2 NO.

Sehr geehrter Herr Dr. P.!

Die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland nimmt Bezug auf Ihre als Beschwerde gemäß § 35 Abs. 2 NO titulierte Eingabe, eingelangt bei der Notariatskammer am 8.4.1997 und darf Ihnen hiezu mitteilen, dass einerseits eine Stellungnahme des öffentlichen Notars Dr. H. im gegenständlichen Sachverhalt eingeholt, und das nunmehr rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien GZ.:

.................... zum Akt genommen wurde.

Die Notariatskammer darf Sie auf die Begründung des Urteiles verweisen, wonach ein Notariatsakt erst die Kraft der öffentlichen Urkunde erhält, wenn gewisse Mindesterfordernisse erfüllt sind.

Im gegenständlichen Fall ist u.a. mangels der Unterschrift des Notars und Beidrückung seines Amtssiegels ein Notariatsakt noch nicht entstanden.

Gemäß § 35 Abs. 2 der geltenden Notariatsordnung hat der öffentl. Notar Dr. H. der Notariatskammer die Gründe seiner Weigerung, einen Notariatsakt zu errichten, bekannt gegeben und entsprechend begründet.

Die Notariatskammer erachtet daher die Angelegenheit für

erledigt.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Der Präsident:

(Dr. G.W.)"

Gegen dieses von ihr als Bescheid angesehene Schreiben erhob

die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 30. März 1999 wies die belangte Behörde diese Berufung mit der Begründung zurück, das Schreiben der Notariatskammer vom 15. September 1998 sei kein Bescheid.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 27. September 1999, B 909/99-3, ihre Behandlung ab und trat sie mit Beschluss vom 26. November 1999, B 909/99-5, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Bekämpfung eines Bescheides nach § 138 Abs. 1 NO verletzt und begründet dies damit, die Erledigung der Notariatskammer vom 15. September 1998 sei ein Bescheid gewesen.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 138 Abs. 1 NO sind, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die auf Grund dieses Gesetzes ergehenden Bescheide (Entscheidungen und Verfügungen) mittels Berufung (Beschwerde) anfechtbar und zwar,

1. Bescheide der Notariatskammer und ihres Präsidenten sowie Bescheide des Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz beim Oberlandesgerichtspräsidenten;

2. Bescheide des Oberlandesgerichtspräsidenten, wenn er als erste Instanz entschieden oder wenn er im Rechtszug einen der in Z. 1 genannten Bescheide abgeändert hat, beim Bundesministerium für Justiz.

Abs. 4 des § 138 NO bestimmt, dass verspätete oder unzulässige Berufungen (Beschwerden) jene Stelle zurückzuweisen hat, die als erste Instanz entschieden hat.

Ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Präsidenten des Oberlandesgerichtes sieht § 138 Abs. 1 NO nur dann vor, wenn der Präsident des Oberlandesgerichtes als erste Instanz entschieden hat oder wenn er im Rechtszug einen der in Ziffer 1 genannten Bescheide abgeändert hat. Keiner dieser Fälle liegt im Beschwerdefall vor.

§ 138 Abs. 1 NO sieht einen zweistufigen Instanzenzug vor. Damit soll erreicht werden, dass eine Erledigung einer Behörde durch eine weitere, davon verschiedene Behörde überprüft werden kann. Dieser Fall ist auch dann gegeben, wenn eine Erledigung einer Behörde von einer anderen darauf hin überprüft wird, ob diese Erledigung einen Bescheid darstellt oder nicht. Auch in diesem Fall wird die überprüfende Behörde nicht als erste Instanz tätig, sondern schreitet im Instanzenzug ein. Dies ergibt sich auch ganz deutlich aus § 138 Abs. 4 NO, der bestimmt, dass verspätete oder unzulässige Berufungen (Beschwerden) jene Stelle zurückzuweisen hat, "die als erste Instanz entschieden" hat. § 138 Abs. 4 NO erfasst, wie der Verfassungsgerichtshof in dem Erkenntnis VfSlg. 8570 ausgeführt hat, auch jene Fälle, in denen strittig ist, ob einer angefochtenen Erledigung der Notariatskammer Bescheidcharakter zukommt. Wenn nun § 138 Abs. 4 NO anordnet, dass auch solche Berufungen (Beschwerden) von jener Stelle zurückzuweisen sind, die als erste Instanz entschieden hat, dann zeigt dies mit aller Deutlichkeit, dass als erste Instanz in diesen Fällen jene Stelle, nämlich die Notariatskammer, gemeint ist, die jene Erledigung getroffen hat, deren Bescheidcharakter fraglich ist. Entscheidet der Präsident des Oberlandesgerichtes über ein Rechtsmittel gegen eine solche Erledigung, dann wird er nicht als erste Instanz tätig, sondern als Rechtsmittelbehörde.

Die Zurückweisung einer Berufung stellt auch keine Abänderung einer unterinstanzlichen Entscheidung dar. Insbesondere wird damit nicht - was der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 8570 offen lässt - eine in der Vorlage des Rechtsmittels durch die Notariatskammer an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes zum Ausdruck kommende "Entscheidung" der Notariatskammer abgeändert. § 138 Abs. 1 Z. 2 NO stellt ausdrücklich auf eine Abänderung von in Z. 1 dieser Gesetzesstelle genannten Bescheiden der Notariatskammer ab. Einen Bescheid aber stellt die in der Vorlage des Rechtsmittels allenfalls konkludent zum Ausdruck kommende Entscheidung, keine Zurückweisung der Berufung vornehmen zu wollen, nicht dar.

Da somit die Zurückweisung der Berufung durch die belangte Behörde weder eine erstinstanzliche Entscheidung noch eine Abänderung eines Bescheides der Notariatskammer darstellt, war eine Berufung gegen den angefochtenen Bescheid unzulässig. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist zulässig.

Zu § 138 Abs. 4 NO hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 8570, ausgesprochen, dass diese Regelung auch den Fall erfasst, dass strittig ist, ob einer angefochtenen Erledigung der Notariatskammer Bescheidcharakter zukommt und dass nach § 138 Abs. 4 NO in jenen Fällen, in denen die Notariatskammer - wie das auch im vorliegenden Fall geschehen ist - das Rechtsmittel dem Präsidenten des Oberlandesgerichtes vorgelegt und damit - gleichgültig ob das auch in ihrer Absicht gelegen war - zum Ausdruck gebracht hat, dass sie keinen Anlass zur Zurückweisung wegen Verspätung oder Unzulässigkeit finde, auch der Präsident des Oberlandesgerichtes nicht gehindert sei, eine Zurückweisung des Rechtsmittels auszusprechen. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Auffassung an. Die von der Beschwerdeführerin in der Verfassungsgerichtshofbeschwerde geäußerte Auffassung, die belangte Behörde sei zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht zuständig gewesen, erweist sich demnach als unzutreffend.

Vom Vorliegen eines Bescheides muss dann ausgegangen werden, wenn die Erledigung gegenüber individuell bestimmten Personen eine Verwaltungsangelegenheit normativ regelt, wenn sie also für den Einzelfall bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt hat, ob sie nun in der Form für Bescheide nach den §§ 56 ff AVG ergeht oder nicht (vgl. die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 875 ff angeführte Rechtsprechung). Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. In jedem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen lässt, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1977, VwSlg. N.F. 9.458/A).

Das Schreiben der Notariatskammer vom 15. September 1998 ist weder als Bescheid bezeichnet noch enthält es einen normativen Abspruch. Es liegt daher kein Bescheid vor. Das Rechtsmittel der Beschwerdeführerin wurde somit zu Recht zurückgewiesen.

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. März 2000

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Einhaltung der Formvorschriften Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Mangelnder Bescheidcharakter Bescheidbegriff Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999100258.X00

Im RIS seit

19.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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