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37/02 KreditwesenNorm
B-VG Art11 Abs2Leitsatz
Aufhebung einer Bestimmung des FinanzmarktaufsichtsbehördenG betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei Vorlageanträgen und Beschwerden gegen Bescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde mangels Erforderlichkeit einer vom VwGVG abweichenden Regelung und wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip durch Ausschluss des einstweiligen Rechtsschutzes im BeschwerdevorverfahrenSpruch
I. §22 Abs2 des Bundesgesetzes über die Errichtung und Organisation der Finanzmarktaufsichtsbehörde (Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz – FMABG), BGBl I Nr 97/2001, idF BGBl I Nr 70/2013 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. August 2019 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E1810/2017 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
1.1. Mit Bescheid vom 24. Februar 2017 forderte die Finanzmarktaufsichtsbehörde die beschwerdeführende Gesellschaft gemäß §22b Abs1 und §26a FMABG sowie §5 VVG unter Androhung einer Zwangsstrafe iHv € 10.000,– zur Vorlage näher bezeichneter Unterlagen in Bezug auf das Geschäftsmodell der beschwerdeführenden Gesellschaft auf. Die Finanzmarktaufsichtsbehörde begründete diese Aufforderung damit, dass der Verdacht einer konzessionslosen Ausübung eines Kapitalfinanzierungsgeschäftes iSd §1 Abs1 Z15 BWG durch die beschwerdeführende Gesellschaft bestehe und die Finanzmarktaufsichtsbehörde zur Klärung dieses Sachverhaltes ein Ermittlungsverfahren eingeleitet habe. Die beschwerdeführende Gesellschaft habe dabei mehrere Termine zur Vor-Ort-Einsichtnahme nicht wahrgenommen und der Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft einem Ladungsbescheid keine Folge geleistet.
1.2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft, der Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 24. Februar 2017 die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht hiezu – zusammengefasst – aus, §22 Abs2 FMABG ordne hinsichtlich Beschwerden gegen Bescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde, die keine Verwaltungsstrafsachen beträfen, – abweichend vom allgemeinen System des §13 Abs1 VwGVG – einen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung an; diese könne lediglich bei Vorliegen näher bezeichneter Voraussetzungen zuerkannt werden. Da der im angefochtenen Bescheid angedrohten Zwangsstrafe kein Strafcharakter zugrunde liege, sei diese Bestimmung anwendbar. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht, zumal dem das zwingende öffentliche Interesse am Vollzug des Bankwesengesetzes entgegenstehe. Darüber hinaus führe aber auch eine Abwägung der betroffenen Interessen zu keinem anderen Ergebnis.
1.3. In ihrer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bringt die beschwerdeführende Gesellschaft unter anderem vor, es sei nicht nachvollziehbar, worauf die Finanzmarktaufsichtsbehörde ihren Verdacht gründe, dass die beschwerdeführende Gesellschaft ein Bankgeschäft ohne die erforderliche Konzession betreibe; vielmehr liege der Verdacht nahe, die Finanzmarktaufsichtsbehörde wolle durch das Ersuchen um Übermittlung bestimmter Unterlagen die für das Strafverfahren erforderlichen, bisher aber nicht vorhandenen Beweise organisieren. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei notwendig, um einen gravierenden Eingriff in die Grundrechte der beschwerdeführenden Gesellschaft hintanzuhalten. Da die beschwerdeführende Gesellschaft ihre operative Geschäftstätigkeit bis auf Weiteres eingestellt habe, stünden dem auch keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen.
1.4. Die Finanzmarktaufsichtsbehörde erstattete eine Äußerung, in welcher sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt.
2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §22 Abs2 FMABG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 11. Oktober 2017 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:
"3.1. Gemäß §13 Abs1 und 2 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG aufschiebende Wirkung. Die Behörde kann jedoch die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Auch dem Verwaltungsgericht steht es – unter den genannten Voraussetzungen – offen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen (§22 Abs2 VwGVG). Entscheidungen über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung können sowohl von der Verwaltungsbehörde als auch vom Verwaltungsgericht geändert werden (§13 Abs4, §22 Abs3 VwGVG).
3.2. §22 Abs2 erster Satz FMABG ordnet in Abweichung von der (grundsätzlichen) Bestimmung des §13 Abs1 und 2 VwGVG an, dass Beschwerden gegen Bescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde und Vorlageanträgen, ausgenommen in Verwaltungsstrafsachen, keine aufschiebende Wirkung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht kann allerdings gemäß §22 Abs2 zweiter Satz FMABG der Beschwerde auf Antrag die aufschiebende Wirkung – nach Anhörung der Finanzmarktaufsichtsbehörde – zuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. In diesem Fall ist der Vollzug des angefochtenen Bescheides aufzuschieben und sind die hiezu erforderlichen Verfügungen zu treffen. Wenn sich die Voraussetzungen, die für den Beschluss über die aufschiebende Wirkung maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.
Die Materialien erläutern (ErlRV 2196 BlgNR, 24. GP, 3) hiezu wie folgt:
'Behördliche Maßnahmen im Finanzmarkt bedürfen einer erhöhten Effektivität und Durchsetzungskraft; sie müssen insbesondere rasch ergriffen und unverzüglich vollzogen werden können. Eine grundsätzlich aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln nach nationalem Verfahrensrecht birgt die Gefahr, dass durch eine verspätet vollziehbare Aufsichtsmaßnahme das vorgegebene Regulierungsziel nicht mehr erreichen kann. Es sind daher für den Bereich des Finanzmarktes in AVG-Verfahren besondere verfahrensrechtliche Regelungen erforderlich. Der Beschwerde gegen einen Bescheid der FMA kann vom Bundesverwaltungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung zuerkannt werden.
[…]
Während bisher gemäß §22 Abs2 FMABG gegen Bescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) nach dem AVG keine Berufung zulässig ist, wird künftig auch gegen solche Bescheide der FMA ausnahmslos das Verwaltungsgericht des Bundes mit Beschwerde angerufen werden können. Wiewohl für das Verfahrensrecht vor dem Verwaltungsgericht des Bundes aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 ein eigenes Bundesgesetz erlassen wird, sieht Art136 Abs2 B-VG vor, dass in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen verfahrensrechtliche Regelungen getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind. Damit soll materienspezifischen Besonderheiten u.a. durch die Erlassung von sonderverfahrensrechtlichen Regelungen Rechnung getragen werden.
Mit der vorgeschlagenen Novelle des FMABG wird von der verfassungsrechtlich eingeräumten Ermächtigung Gebrauch gemacht, für den Bereich der Finanzmarktaufsicht eigene verfahrensrechtliche Regelungen zu schaffen. Damit soll vor allem auf die Besonderheiten der europarechtlich determinierten Aufsicht über den Finanzmarkt reagiert werden.
Zu diesen Besonderheiten zählt: Der Finanzmarkt ist im Vergleich zur Gesamtwirtschaft auch unter optimalen regulatorischen Bedingungen besonders volatil. Behördliche Maßnahmen auf diesem Markt (zum Beispiel die Bestellung eines Regierungskommissärs, die Untersagung der Geschäftsleitung, der Entzug der Konzession, die Untersagung von Kapital- und Gewinnentnahmen sowie diese Maßnahmen vorbereitende bescheidförmige Auskunftsersuchen etc.) bedürfen dementsprechend einer erhöhten Effektivität und Durchsetzungskraft; sie müssen insbesondere rasch ergriffen und unverzüglich vollzogen werden können.
Aufgrund der Lehren aus der letzten Finanzmarktkrise muss im Bereich der Finanzmarktaufsicht effektiv sowohl durch rasch ergriffene und unverzüglich vollzogene als auch europaweit gleichermaßen gesetzte Maßnahmen gehandelt werden. Beides zählt zu den wesentlichen Regulierungszielen des jüngsten europäischen Finanzmarktrechtes. Zu diesem Zweck wird die europäische Finanzmarktregulierung zunehmend durch national unmittelbar anwendbares, europaweit vollharmonisiertes Verordnungsrecht gesetzt. Im Sinne des sogenannten single rule book hat die FMA im Einklang mit ihren europäischen Schwesterbehörden sowohl europäische Verordnungen mit Gesetzescharakter als auch solche ohne Gesetzescharakter – sogenannte Durchführungsverordnungen – zu vollziehen. Eine grundsätzlich aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln nach nationalem Verfahrensrecht birgt in diesem Zusammenhang die Gefahr, die genannten Regulierungsziele zu vereiteln, indem eine verspätet vollziehbare Aufsichtsmaßnahme das europarechtlich vorgegebene Regulierungsziel aufgrund der Volatilität des Finanzmarktes nicht mehr erreichen kann oder zumindest das Ziel eines gleichmäßiges aufsichtsrechtlichen Vorgehens in ganz Europa untergräbt. Eine solche Folge wäre als Verstoß gegen das europäische Effektivitätsprinzip in Gestalt des Vereitelungsverbots zu werten.
Der liberalisierte Binnenmarkt hat im Finanzsektor zu besonders starken Verflechtungen geführt. Diese Entwicklung schlägt sich in einer zunehmend gemeinsamen Beaufsichtigung von Kreditinstituten, Versicherungen, Wertpapierfirmen etc. durch die nationalen Aufsichtsbehörden im Rahmen von Aufsichtskollegien nieder. Könnte eine Maßnahme, die europaweit in Aufsichtskollegien abgestimmt ist, je nach der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gemäß dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht nur unterschiedlich effektiv vollzogen werden, würde die gemeinsame Beaufsichtigung und das ihr zugrunde liegende vollharmonisierte Aufsichtsrecht ineffektiv werden. Mithin gilt es, eine mögliche Regulierungsarbitrage zu verhindern. Nur wenn eine Aufsichtsmaßnahme grundsätzlich unabhängig von den jeweiligen nationalen Rechtsmitteln vollzogen werden kann, was der Rechtslage in den meisten europäischen Jurisdiktionen entspricht, kann ein Konflikt mit dem Grundsatz der rechtlichen Vollharmonisierung im europäischen Finanzbinnenmarkt und dem damit verfolgten Ziel, Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage zu verhindern, vermieden werden.
Unter diesen Gesichtspunkten sind für den Bereich des Finanzmarktes in AVG-Verfahren besondere verfahrensrechtliche Regelungen erforderlich.
[…]
Mit der vorgeschlagenen Bestimmung wird die aufschiebende Wirkung von Beschwerden gegen Bescheide der FMA (ebenso wie von nachfolgenden Vorlageanträgen) an das Verwaltungsgericht des Bundes kraft Gesetzes ausgeschlossen, die nach den Vorschriften des AVG erlassen worden sind.
Mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung soll den einleitend dargestellten Bedürfnissen der erhöhten Effektivität und sofortigen Durchsetzungsfähigkeit von Bescheiden der FMA im Hinblick auf den hoch volatilen Verwaltungsgegenstand und die europäische Harmonisierung der Regulierungsverwaltung in Finanzaufsichtsangelegenheiten Rechnung getragen werden. Diesen Bedürfnissen werden die allgemeinen Regelungen nicht hinreichend gerecht.
Für den gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung finden sich in der österreichischen Rechtsordnung bereits zahlreiche Beispiele (vgl. §12 Abs2 Dienstrechtsverfahrensgesetz 1984, §320 Abs3 Bundesvergabegesetz 2006, §12 Abs3 Waffengesetz 1996, §39 Abs6 VStG und §56 Abs2 Arbeitslosenversicherungsgesetz).
Zur Wahrung des rechtsstaatlichen Prinzips wird dem Verwaltungsgericht des Bundes die Möglichkeit eingeräumt, die aufschiebende Wirkung von Beschwerden gegen Bescheide – einschließlich bescheidmäßiger Beschwerdevorentscheidungen – auf Antrag im Einzelfall zuzuerkennen, wenn nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes ist die gesetzgeberische Wertung verbunden, dass das Interesse am Vollzug des angefochtenen Bescheides regelmäßig überwiegt.
Die Möglichkeit einer neuerlichen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung durch das Verwaltungsgericht des Bundes wird für den Fall verankert, dass sich die Entscheidungsvoraussetzungen maßgeblich geändert haben.'
3.3. Gemäß Art136 Abs2 letzter Satz B-VG können durch Bundes- oder Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich – im Sinne von 'unerlässlich' – sind oder soweit das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz als kodifizierendes Bundesgesetz im Sinne des Art136 Abs2 B-VG dazu ermächtigt. Eine solche Ermächtigung ist mangels einer vom Gesetzgeber beabsichtigten umfassenden Freistellung von der Prüfung am Erforderlichkeitsmaßstab nicht in §58 Abs2 und 3 VwGVG zu erblicken (VfSlg 19.905/2014, 19.921/2014, 19.922/2014, 19.969/2015). Die für abweichende Regelungen in einem Materiengesetz erforderliche 'Unerlässlichkeit' kann sich aus besonderen Umständen oder aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften ergeben (VfSlg 19.969/2015, 20.008/2015).
3.4. Darüber hinaus geht der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Art11 Abs2 und Art136 Abs2 B-VG davon aus, dass von den allgemeinen Bestimmungen der Verfahrensgesetze abweichende Regelungen nur dann zulässig sind, wenn sie nicht anderen Verfassungsbestimmungen, wie etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes, widersprechen (vgl. VfSlg 15.218/1998, 17.346/2004, 19.921/2014, 19.922/2014, 19.969/2015, 20.008/2015).
3.4.1. Der Verfassungsgerichtshof führte im Hinblick auf den Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes in seiner Rechtsprechung zur Zulässigkeit der von den allgemeinen Verfahrensgesetzen abweichenden Regelungen über die aufschiebende Wirkung aus, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der vorläufigen Wirkung zulässiger Rechtsmittel bis zur Entscheidung darüber neben der Stellung des Rechtsmittelwerbers auch Zweck und Inhalt der Regelung, die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen hat und unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich schaffen muss, wobei dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und die Einschränkung dieses Grundsatzes nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist (VfSlg 11.196/1986, 13.003/1992, 15.511/1999, 16.460/2002, 17.346/2004, 18.383/2008, 19.969/2015). Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes beziehen sich diese Vorgaben auf alle Arten behördlicher Verfahren (VfSlg 17.346/2004).
3.4.2. Nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes scheint der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in §22 Abs2 FMABG dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes insoweit zu widersprechen, als der Gesetzgeber bei der Erlassung dieser Bestimmung dem Interesse des einzelnen Betroffenen, nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange belastet zu werden, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist, nicht hinreichend Rechnung getragen haben dürfte (vgl. auch VfSlg 19.921/2014). Dies folgt nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes insbesondere daraus, dass §22 FMABG einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch die Finanzmarktaufsichtsbehörde entgegenstehen dürfte: Eine Entscheidung darüber kann gemäß §22 Abs2 FMABG nur das Bundesverwaltungsgericht fällen, womit dem Betroffenen offenbar erst nach der Vorlage der Beschwerde und Anhörung der Finanzmarktaufsichtsbehörde – nicht jedoch bereits im Rahmen des Beschwerdevorverfahrens – einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden kann. Es wird zu prüfen sein, ob diese Bestimmungen den Rechtsschutzinteressen des Betroffenen hinreichend Rechnung tragen.
3.5. Darüber hinaus geht der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass §22 Abs2 FMABG den Grundsatz des §13 Abs1 VwGVG umkehrt, wonach einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht grundsätzlich (wenn die Verwaltungsbehörde die aufschiebende Wirkung nicht gemäß §13 Abs2 VwGVG ausschließt) die aufschiebende Wirkung zukommt. Der Verfassungsgerichtshof hat das vorläufige Bedenken, dass diese Bestimmung des §22 Abs2 FMABG vor dem Hintergrund der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu Art136 Abs2 B-VG bzw. Art11 Abs2 B-VG nicht als 'unerlässliche' Abweichung von den allgemeinen Verfahrensgesetzen anzusehen ist.
3.6. Der Verfassungsgerichtshof übersieht nicht, dass es – wie etwa der vorliegende Beschwerdefall zeigt – zahlreiche Sachverhalte gibt, in denen das öffentliche Interesse an der sofortigen Umsetzung eines Bescheides der Finanzmarktaufsichtsbehörde das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen überwiegt. §22 Abs2 FMABG erfasst allerdings – abseits der Strafverfahren – Beschwerden gegen jegliche Entscheidungen der Finanzmarktaufsichtsbehörde, darunter auch solche, die nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes mit keiner besonderen Dringlichkeit verbunden sind (wie etwa Kostenbescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde gemäß §19 Abs5 FMABG oder Zinsvorschreibungen gemäß §97 BWG).
Der Verfassungsgerichtshof wird im Gesetzesprüfungsverfahren auch zu klären haben, ob bestimmte Konstellationen im Verfahren vor der Finanzmarktaufsichtsbehörde (vgl. dazu etwa VfSlg 19.969/2015) eine Abweichung von den allgemeinen Verfahrensgesetzen als unerlässlich erscheinen lassen können.
4. An diesen Erwägungen scheint auch der vom Gesetzgeber in den Materialien dargelegte unionsrechtliche Hintergrund des Finanzmarktaufsichtsrechts nichts zu ändern: Zum einen dürfte sich der grundsätzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gemäß §22 Abs2 FMABG auch auf vom Unionsrecht nicht erfasste Verfahren der Finanzmarktaufsichtsbehörde beziehen, zum anderen scheint das Unionsrecht – nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union – der Zuerkennung einstweiligen Rechtsschutzes nicht prinzipiell entgegen zu stehen. Vielmehr herrscht auch im Unionsrecht der Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes (vgl. EuGH 19.6.1990, Rs. C-213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433; 21.2.1991, verb. Rs. C-143/88, C-92/89, Süderdithmarschen, Slg. 1991, I-415; 13.3.2007, Rs. C-432/05, Unibet, Slg. 2007, I-2271)."
4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wie folgt entgegentritt (ohne die Hervorhebungen im Original; Fußnoten sind in eckigen Klammern ausgewiesen):
"I. Anlassbeschwerdeverfahren und Rechtslage
a) Anlassverfahren
[…]
b) Zur Rechtslage
§22 des Finanzmarktaufsichtsbehördengesetzes – FMABG, BGBl I Nr 97/2001, in der Fassung BGBl I Nr 149/2017, lautet auszugsweise (der in Prüfung gezogene Abs2 – in der Fassung BGBl I Nr 70/2013 – ist hervorgehoben):
[…]
II. Zur Zulässigkeit
Für die Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde und der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung sprechen würden.
III. In der Sache
a) Zu den Bedenken im Hinblick auf das rechtsstaatliche Prinzip und Art136 Abs2 B-VG
Der Verfassungsgerichtshof hegt einerseits das Bedenken, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in §22 Abs2 FMABG dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes insoweit zu widersprechen scheine, als der Gesetzgeber bei der Erlassung dieser Bestimmung dem Interesse des einzelnen Betroffenen, nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange belastet zu werden, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist, nicht hinreichend Rechnung getragen haben dürfte (vgl. auch VfSlg 19.921/2014). Dies folge nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes insbesondere daraus, dass §22 FMABG einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch die FMA entgegenstehen dürfte: Eine Entscheidung darüber könne gemäß §22 Abs2 FMABG nur das Bundesverwaltungsgericht fällen, womit dem Betroffenen offenbar erst nach der Vorlage der Beschwerde und Anhörung der FMA – nicht jedoch bereits im Rahmen des Beschwerdevorverfahrens – einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden könne. Es werde im Gesetzesprüfungsverfahren zu prüfen sein, ob diese Bestimmungen den Rechtsschutzinteressen des Betroffenen hinreichend Rechnung tragen.
Andererseits hegt der Verfassungsgerichtshof auch das Bedenken, dass §22 Abs2 FMABG den Grundsatz des §13 Abs1 VwGVG umkehre, wonach einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht grundsätzlich (wenn die Verwaltungsbehörde die aufschiebende Wirkung nicht gemäß §13 Abs2 VwGVG ausschließt) die aufschiebende Wirkung zukomme. Der Verfassungsgerichtshof hat das vorläufige Bedenken, dass diese Bestimmung des §22 Abs2 FMABG vor dem Hintergrund der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu Art136 Abs2 B-VG bzw. Art11 Abs2 B-VG nicht als 'unerlässliche' Abweichung von den allgemeinen Verfahrensgesetzen anzusehen sei.
Der Verfassungsgerichtshof übersehe nicht, dass es – wie etwa der vorliegende Beschwerdefall (Anlassfall) zeige – zahlreiche Sachverhalte gebe, in denen das öffentliche Interesse an der sofortigen Umsetzung eines Bescheides der FMA das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen überwiege. §22 Abs2 FMABG erfasse allerdings – abseits der Strafverfahren – Beschwerden gegen jegliche Entscheidungen der FMA, darunter auch solche, die nach der vorläufigen Auffassung des Verfassungsgerichtshofes mit keiner besonderen Dringlichkeit verbunden seien (wie etwa Kostenbescheide der FMA gemäß §19 Abs5 FMABG oder Zinsvorschreibungen gemäß §97 BWG).
Der Verfassungsgerichtshof werde im Gesetzesprüfungsverfahren auch zu klären haben, ob bestimmte Konstellationen im Verfahren vor der FMA (vgl. dazu etwa VfSlg 19.969/2015) eine Abweichung von den allgemeinen Verfahrensgesetzen als unerlässlich erscheinen lassen können.
An diesen Erwägungen scheine – nach vorläufiger Ansicht des Verfassungsgerichtshofes – auch der vom Gesetzgeber in den Materialien dargelegte unionsrechtliche Hintergrund des Finanzmarktaufsichtsrechtes nichts zu ändern: Zum einen dürfte sich der grundsätzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gemäß §22 Abs2 FMABG auch auf vom Unionsrecht nicht erfasste Verfahren der FMA beziehen, zum anderen scheine das Unionsrecht – nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union – der Zuerkennung einstweiligen Rechtsschutzes nicht prinzipiell entgegenzustehen. Vielmehr herrsche auch im Unionsrecht der Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes (vgl. EuGH 19.6.1990, Rs. C-213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433; 21.2.1991, verb. Rs. C-143/88, C-92/89, Süderdithmarschen, Slg. 1991, I-415; 13.3.2007, Rs. C-432/05, Unibet, Slg. 2007, I-2271).
b) Allgemeine Vorbemerkungen
Einleitend weist die Bundesregierung darauf hin, dass die Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes in VfSlg 11.564/1987 (besondere bergbehördliche Aufsicht) und 15.351/1998 (Austro Control GmbH als mit behördlichen Aufgaben beliehener Rechtsträger) bezüglich einer speziellen Aufsicht und den besonderen Gefahren, die mit bestimmten Gebieten verbunden seien, sowie hinsichtlich des Vorliegens einer eigenen Gebührenregelung oder Kostentragungsregelung ohne Weiteres auch auf die mit Verfassungsbestimmung eingerichtete FMA übertragen werden können. In den zitierten Erkenntnissen wurden die (abweichenden) Sonderverfahrensregelungen vom Verfassungsgerichtshof im Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften als notwendig im Sinne von 'unerlässlich' qualifiziert.
Nach Ansicht der Bundesregierung wären die gleichen Erwägungen daher bei der ebenfalls mit behördlichen Aufgaben beliehenen FMA möglich. Bei der FMA (früher BWA: VfSlg 16.400/2001) handelt es sich um eine spezielle Allfinanzaufsichtsbehörde, die besonderen Gefahren auf dem Gebiet des Finanzmarktes begegnet, und die darüber hinaus wie in VfSlg 11.564/1987 (besondere bergbehördliche Aufsicht) und 15.351/1998 (Austro Control GmbH als mit behördlichen Aufgaben beliehener Rechtsträger) gleichfalls eine besondere Gebührenregelung (§19 Abs10 FMABG in Verbindung mit der FMA-Gebührenverordnung – FMA-GebV, BGBl II Nr 230/2004 in der Fassung BGBl II Nr 206/2017) hat. Es gibt auch im Sonderbereich des Finanzmarktaufsichtsrechtes eine spezielle Kostentragungsregelung in §19 FMABG für die Beaufsichtigten (VfSlg 16.641/2002).
c) Besondere Erwägungen
Zu den (vorläufigen) Bedenken des Verfassungsgerichtshofes wird seitens der Bundesregierung Folgendes ausgeführt:
Der Verfassungsgesetzgeber hat bei der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz mit Art136 Abs2 B-VG [BGBl Nr 1/1930 idF BGBl I Nr 51/2012 (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012) idF BGBl I Nr 138/2017.] dem Bundesgesetzgeber die Erlassung eines einheitlichen Verfahrensgesetzes für die Verwaltungsgerichte aufgetragen. Diesem Auftrag ist der Bundesgesetzgeber durch die Erlassung des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) [BGBl I Nr 33/2013 idF BGBl I Nr 138/2017.] nachgekommen. Gemäß Art136 Abs2 dritter Satz B-VG dürfen durch Bundes- oder Landesgesetz aber vom VwGVG abweichende Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte insbesondere dann getroffen werden, 'wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind'.
Betreffend das Rechtsinstitut der aufschiebenden Wirkung gibt das VwGVG grundsätzlich Folgendes vor: Gemäß §13 Abs1 und 2 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG aufschiebende Wirkung (zum Vorlageantrag vgl. §15 VwGVG). Die Behörde kann jedoch die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Auch dem Verwaltungsgericht steht es – unter den genannten Voraussetzungen – offen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen (§22 Abs2 VwGVG). Entscheidungen über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung können sowohl von der Verwaltungsbehörde als auch vom Verwaltungsgericht geändert werden (§13 Abs4 und §22 Abs3 VwGVG).
Der in Prüfung gezogene §22 Abs2 erster Satz FMABG [BGBl I Nr 97/2001 idF BGBl I Nr 70/2013.] ordnet hingegen an, dass Beschwerden gegen Bescheide der FMA (und Vorlageanträgen), ausgenommen in Verwaltungsstrafsachen, keine aufschiebende Wirkung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht kann allerdings gemäß §22 Abs2 zweiter Satz FMABG der Beschwerde bzw. dem Vorlageantrag auf Antrag die aufschiebende Wirkung – nach Anhörung der FMA – zuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. In diesem Fall ist der Vollzug des angefochtenen Bescheides aufzuschieben und sind die hierzu erforderlichen Verfügungen zu treffen. Wenn sich die Voraussetzungen, die für den Beschluss über die aufschiebende Wirkung maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.
Nachdem §22 Abs2 FMABG insoweit eine abweichende Regelung zu §13 bzw. §15 VwGVG trifft, wird der Verfassungsgerichtshof im Gesetzesprüfungsverfahren prüfen, ob §22 Abs2 FMABG 'zur Regelung des Gegenstandes' im Sinne des Art136 Abs2 B-VG 'erforderlich' ist. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entspricht das Kriterium, dass durch Bundes- oder Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind, jenem des Art11 Abs2 letzter Halbsatz B-VG (z.B. VfSlg 19.921/2014). Vom VwGVG abweichende Regelungen dürfen daher nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes 'unerlässlich' sind (vgl. hierzu die Rechtsprechung beginnend mit VfSlg 8945/1980, 10.097/1984, 11.564/1987, 13.831/1994, 15.351/1998 u.a.).
Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nach seiner vorläufigen Ansicht vor dem Hintergrund der Judikatur zu Art136 Abs2 B-VG bzw. Art11 Abs2 B-VG die Unerlässlichkeit der in §22 Abs2 FMABG normierten Abweichung von den allgemeinen Verfahrensgesetzen. Diesem vorläufigen Bedenken und den weiteren Bedenken des Verfassungsgerichtshofes wird von der Bundesregierung nachfolgend entgegengetreten und die Verfassungskonformität des §22 Abs2 FMABG wie folgt begründet:
1. Besondere Umstände
Die für abweichende Regelungen in einem Materiengesetz erforderliche 'Unerlässlichkeit' kann sich aus besonderen Umständen oder aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften ergeben. [Z.B. VfSlg 19.969/2015, 20.008/2015.] Wie in den Erläuterungen (vgl. ErlRV 2196 BlgNR XXIV. GP 3) festgehalten wird, erkennt der Materiengesetzgeber die 'besonderen Umstände' für die im FMABG getroffene abweichende Regelung im Finanzmarkt selbst. Dieser sei 'im Vergleich zur Gesamtwirtschaft auch unter optimalen regulatorischen Bedingungen besonders volatil. Behördliche Maßnahmen auf diesem Markt (zum Beispiel die Bestellung eines Regierungskommissärs, die Untersagung der Geschäftsleitung, der Entzug der Konzession, die Untersagung von Kapital- und Gewinnentnahmen sowie diese Maßnahmen vorbereitende bescheidförmige Auskunftsersuchen etc.) bedürfen dementsprechend einer erhöhten Effektivität und Durchsetzungskraft; sie müssen insbesondere rasch ergriffen und unverzüglich vollzogen werden können.' Insbesondere '[a]ufgrund der Lehren aus der letzten Finanzmarktkrise muss im Bereich der Finanzmarktaufsicht effektiv sowohl durch rasch ergriffene und unverzüglich vollzogene als auch europaweit gleichermaßen gesetzte Maßnahmen gehandelt werden. Beides zählt zu den wesentlichen Regulierungszielen des jüngsten europäischen Finanzmarktrechtes.' [Hervorhebungen nicht im Original.]
Das Bedürfnis nach einer durchsetzungskräftigen Aufsichtsbehörde im Bereich des Finanzmarktes wurde bereits im Zuge der Schaffung des FMABG und der FMA vom Gesetzgeber betont: '[Das] materielle Aufsichtsrecht [wird] in einigen Punkten geändert, bei denen sich in der Vollziehung Defizite gezeigt haben. Zielsetzung hierbei ist die erhöhte Schnelligkeit und Durchsetzbarkeit aufsichtsrechtlicher Maßnahmen. […] Schließlich wird die aufsichtsrechtliche Verfahrenszuständigkeit, die Vollstreckungskompetenz und die Verwaltungsstrafzuständigkeit bei einer Behörde zusammengeführt. Damit erhält die FMA erhebliche Autorität und Durchsetzungskraft.' [(Hervorhebungen nicht im Original) ErlRV 641 BlgNR XXI. GP 65.]
Dementsprechend hatte der Gesetzgeber in Bezug auf den Rechtsschutz gegen Aufsichtsbescheide der Finanzmarktaufsichtsbehörde folgende Rechtslage vor Augen:
Nach der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage war gemäß der Sonderverfahrensbestimmung des §22 Abs2 FMABG eine Berufung gegen Bescheide der FMA – ausgenommen in Verwaltungsstrafsachen – nicht zulässig. [Vgl. §22 Abs2 FMABG idF BGBl I Nr 97/2001.] Bescheide der FMA waren damit – mit Ausnahme von Verwaltungsstraferkenntnissen, gegen die eine Berufung mit aufschiebender Wirkung [Vgl. §22 Abs2 FMABG idF BGBl I Nr 97/2001.] beim UVS Wien erhoben werden konnte – mit Erlassung formell rechtskräftig und somit grundsätzlich, soweit sie einem Vollzug zugänglich waren, auch sofort vollstreckbar. Den Betroffenen stand lediglich das außerordentliche Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder Verwaltungsgerichtshof offen, wobei diese Beschwerde mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung verbunden werden konnte.
Mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz änderte sich das Rechtsschutzgefüge grundlegend. [Vgl. die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl I Nr 51/2012) sowie die im Zuge dieser ergangenen Sonderverfahrensbestimmungen, insbesondere das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz – BMF (BGBl I Nr 70/2013), welche mit 1. Jänner 2014 in Kraft getreten sind.] Nunmehr können sich Adressaten sowohl von Verwaltungsstraferkenntnissen als auch AVG-Bescheiden der FMA vor dem Bundesverwaltungsgericht beschweren. Nach wie vor wird in von der FMA geführten AVG-Verfahren aber die Automatik des Aufschubs der Wirkung ausgeschlossen.
Dieser Aufschub kann aber auf Antrag vom Bundesverwaltungsgericht gewährt werden. [Durch den in Prüfung gezogenen §22 Abs2 FMABG wird lediglich die Möglichkeit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vom Verwaltungsgerichtshof und/oder Verfassungsgerichtshof auf das Bundesverwaltungsgericht verlagert.] Die grundsätzliche Beibehaltung der Regelung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf Bescheide der FMA stellte einen Kernpunkt des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes-BMF dar. [Vgl. ErlRV 2196 BlgNR XXIV. GP 3 f.]
2. Regelungszusammenhang
Des Weiteren skizziert der Materiengesetzgeber auch den vom Verfassungsgerichtshof in seiner einschlägigen Rechtsprechung eingeforderten 'Regelungszusammenhang', aus dem sich die verfahrensrechtliche Abweichung im FMABG zu ergeben hat:
'[Um die Regulierungsziele des jüngsten europäischen Finanzmarktrechtes zu erreichen,] wird die europäische Finanzmarktregulierung zunehmend durch national unmittelbar anwendbares, europaweit vollharmonisiertes Verordnungsrecht gesetzt. Im Sinne des sogenannten single rule book hat die FMA im Einklang mit ihren europäischen Schwesterbehörden sowohl europäische Verordnungen mit Gesetzescharakter als auch solche ohne Gesetzescharakter – sogenannte Durchführungsverordnungen – zu vollziehen. Eine grundsätzlich aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln nach nationalem Verfahrensrecht birgt in diesem Zusammenhang die Gefahr, die genannten Regulierungsziele zu vereiteln, indem eine verspätet vollziehbare Aufsichtsmaßnahme das europarechtlich vorgegebene Regulierungsziel aufgrund der Volatilität des Finanzmarktes nicht mehr erreichen kann oder zumindest das Ziel eines gleichmäßige[n] aufsichtsrechtlichen Vorgehens in ganz Europa untergräbt. Eine solche Folge wäre als Verstoß gegen das europäische Effektivitätsprinzip in Gestalt des Vereitelungsverbots zu werten.
Der liberalisierte Binnenmarkt hat im Finanzsektor zu besonders starken Verflechtungen geführt. Diese Entwicklung schlägt sich in einer zunehmend gemeinsamen Beaufsichtigung von Kreditinstituten, Versicherungen, Wertpapierfirmen etc. durch die nationalen Aufsichtsbehörden im Rahmen von Aufsichtskollegien nieder. Könnte eine Maßnahme, die europaweit in Aufsichtskollegien abgestimmt ist, je nach der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gemäß dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht nur unterschiedlich effektiv vollzogen werden, würde die gemeinsame Beaufsichtigung und das ihr zugrunde liegende vollharmonisierte Aufsichtsrecht ineffektiv werden. Mithin gilt es, eine mögliche Regulierungsarbitrage zu verhindern. Nur wenn eine Aufsichtsmaßnahme grundsätzlich unabhängig von den jeweiligen nationalen Rechtsmitteln vollzogen werden kann, was der Rechtslage in den meisten europäischen Jurisdiktionen entspricht, kann ein Konflikt mit dem Grundsatz der rechtlichen Vollharmonisierung im europäischen Finanzbinnenmarkt und dem damit verfolgten Ziel, Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage zu verhindern, vermieden werden.' [(Hervorhebungen nicht im Original) ErlRV 2196 BlgNR XXIV. GP 3 f.]
2.1. Unionsrechtlicher Regelungszusammenhang
Vor diesem schon in den Materialien skizzierten unionsrechtlichen Hintergrund soll auch und insbesondere auf das von der Europäischen Kommission an die Republik Österreich gerichtete Auskunftsersuchen Nr 8646/16/FISM bezüglich Rechtsmittel gegen Entscheidungen der österreichischen FMA hingewiesen werden. [Siehe Beilage ./1.] Die Europäische Kommission hat in diesem Verfahren die Republik Österreich um eine Stellungnahme ersucht, wie Österreich die Bestimmungen über Rechtsmittel gegen Entscheidungen und Maßnahmen umsetzt und durchführt, die in Anwendung der CRD IV [Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl. Nr L 176 vom 27.06.2013, S. 338 ff (CRD IV).] und CRR [Verordnung (EU) Nr 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 646/2012/EU, ABl. Nr L 176 vom 27.06.2013, S. 1 ff (CRR).] getroffen wurden. Solche Rechtsmittel sind in Art72 CRD IV vorgesehen. Die Europäische Kommission ist davon ausgegangen, dass Art72 CRD IV durch §22 Abs2 FMABG in Verbindung mit §73 Abs1 AVG umgesetzt worden sei.
Drei der vier Fragen, die der Republik Österreich von der Europäischen Kommission in diesem Zusammenhang gestellt worden sind, betrafen das Rechtsinstitut der aufschiebenden Wirkung. Es wurde der Europäischen Kommission die derzeit geltende Rechtslage gemäß §22 Abs2 FMABG, nach der Bescheiden, die in einem AVG-Verfahren erlassen werden, ex lege keine (automatische) aufschiebende Wirkung zukommt, ausführlich dargelegt. [Siehe Beilage ./1.] Auf Grund der österreichischen Stellungnahme wurde das Verfahren eingestellt, die österreichische Rechtslage somit als unionsrechtskonform bestätigt. [Siehe Beilage ./2.]
Damit wird seitens der Europäischen Kommission als 'Hüterin des Unionsrechtes' zweierlei ausgesagt: §22 Abs2 FMABG stellt erstens eine Umsetzung unionsrechtlicher Bestimmungen, insbesondere in Anwendung der CRD IV und CRR, dar und genügt zweitens auch den unionsrechtlichen Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes. Dies schließt – auch im Sinne der vorläufigen Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes zum Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes im Prüfungsbeschluss – die Möglichkeit der Zuerkennung einstweiligen Rechtsschutzes mit ein. Eine Automatik der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen AVG-Bescheide der FMA wird aber weder vom Unionsrecht noch vom rechtsstaatlichen Prinzip (auf welches in der Folge noch näher eingegangen wird) gefordert.
Vielmehr stellt sich vor dem Hintergrund des unionsrechtlichen Rechtsschutzsystems die Frage, ob die in §22 Abs2 FMABG normierte Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes nicht nur mit dem Unionsrecht vereinbar, sondern vielmehr (zwingend) geboten ist.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, das System des europäischen Provisorialrechtsschutzes dar- und dem System des §22 Abs2 FMABG gegenüberzustellen. Gemäß Art278 AEUV haben Klagen beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. [Wegener in Callies/Ruffert (Hg), EUV/AEUV5 (2016) AEUV Art278, 279 Rz 2; Blanke in Callies/Ruffert (Hg), EUV/AEUV5 (2016) GRCh Art47 Rz 9; Stoll/Rigod in Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hg), Das Recht der Europäischen Union (50. Ergänzungs-Lfg 2013) AEUV Art278 Rz 1; Ehricke in Streinz (Hg), EUV/AEUV2 (2012) AEUV Art279 Rn 1; Wägenbaur in Leible/Terhechte (Hg), Enzyklopädie Europarecht, Europäisches Rechtschutz- und Verfahrensrecht, Band 3 (2014) §7 R 27 und 119; Bast in Leible/Terhechte (Hg), Enzyklopädie Europarecht, Europäisches Rechtschutz- und Verfahrensrecht, Band 3 (2014) §35 Rz 43.] Der einstweilige Rechtsschutz kann nur durch den Gerichtshof bzw. Unionsrichter im Einzelfall gewährt werden, wenn dieser es 'den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung auszusetzen oder in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen'. [Siehe z.B. Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 23.02.2001, Rs. C-445/00 R Republik Österreich/Rat, Rn 71.] Dieser grundsätzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden im System des europäischen Rechtsschutzes basiert auf dem Grundsatz, dass Rechtshandlungen der Unionsorgane solange Bestand haben und vollzogen werden können, bis sie für nichtig erklärt werden. [Ehrike in Streinz (Hg), EUV/AEUV2 (2012) AEUV Art279 Rn 1.]
Der EuGH hat in seiner Judikatur bestimmte Prinzipien zum unionsrechtlichen einstweiligen Rechtsschutz entwickelt, die sowohl bei der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht als auch beim mittelbaren Vollzug von Unionsrecht [Zu den Begrifflichkeiten Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht6 (2017) Rz 109 f, wonach '[d]ie Anwendung des Unionsrechts durch mitgliedstaatliche Gerichte und Verwaltungsbehörden […] üblicherweise als unmittelbarer Vollzug von Unionsrecht bezeichnet' wird und '[u]nter mittelbarem Vollzug von Unionsrecht […] die Anwendung von staatlichen Rechtsvorschriften, die in Durchführung von Unionsrecht erlassen wurden' verstanden wird.] durch Behörden oder Gerichte der Mitgliedstaaten Geltung entfalten. Dabei geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung von der Grundprämisse aus, dass das Primärrecht ein umfassendes Rechtsschutzsystem enthält, in dem keine der Handlungen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten einer Rechtskontrolle prinzipiell entzogen sein können. [Wegener in Callies/Ruffert (Hg), EUV/AEUV5 (2016) EUV Art19 Rz 42.] Ein wesentliches Prinzip, das der EuGH auch dem einstweiligen Rechtsschutz zu Grunde legt, ist der Effektivitätsgrundsatz ('effet utile'). [Blanke in Callies/Ruffert (Hg), EUV/AEUV5 (2016) GRCh Art47 Rz 8; Stoll/Rigod in Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hg), Das Recht der Europäischen Union (50. Ergänzungs-Lfg 2013) AEUV Art278 Rz 2.]
In der Rechtssache Süderdithmarschen [EuGH 21.02.1991, verb. Rs. C-143/88, C-92/89 Zuckerfabrik Süderdithmarschen.] stellte der EuGH fest, dass die unterschiedliche Ausgestaltung nationaler Verfahrensvorschriften die einheitliche Anwendung des Unionsrechtes gefährden kann. [Verb. Rs. C-143/88, C-92/89 Süderdithmarschen Rz 25.] Ebenso kam der EuGH zum Schluss, dass die einheitliche Anwendung des Unionsrechtes ein Grunderfordernis der Unionsrechtsordnung sei und daher für die Aussetzung der Vollziehung von auf einer Unionsverordnung beruhenden Verwaltungsakten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch dann in allen Mitgliedstaaten einheitliche Regeln gelten müssen, wenn das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich der Antragstellung und der Sachverhaltsdarstellung dem nationalen Verfahrensrecht unterliegt. [Verb. Rs. C-143/88, C-92/89 Süderdithmarschen Rz 26.] Mit dem Hinweis darauf, dass die einstweilige Aussetzung bekämpfter Verwaltungsakte nach nationalem Recht der Befugnis des EuGH gemäß Art185 des Vertrages (jetzt Art278 AEUV) entspreche, legte der EuGH fest, dass nationale G