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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 2005 §8 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des A A in S, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus Sittikus Straße 9/2/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2017, Zl. W105 2137294- 1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Spruchpunkte II. bis IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. September 2016 abgewiesen wurde (Nichtgewährung von subsidiärem Schutz und darauf aufbauende Entscheidungen), wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen (Nichtgewährung von Asyl) wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik (DR) Kongo, stellte am 20. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, im Herkunftsstaat wegen seines politischen Engagements gegen polizeiliche Übergriffe im Gefolge der sogenannten "Operation Likofi" verfolgt zu werden.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schenkte dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers keinen Glauben und wies seinen Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 21. September 2016 sowohl hinsichtlich des begehrten Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Gleichzeitig erteilte es dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die DR Kongo zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgelegt (Spruchpunkt IV.).
3 Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 9. Mai 2017 eine Verhandlung durch, im Zuge derer der Revisionswerber unter anderem vorbrachte, bei ihm sei eine HIV-Erkrankung diagnostiziert worden. Mit Eingabe vom 22. Mai 2017 legte der Revisionswerbers zum Beleg dafür einen Befund und Laborbericht des Salzburger Landesklinikums vom 10. Mai 2017 vor. Er verwies darauf, dass in diesem Befund die absolute Notwendigkeit zur konsequenten Durchführung einer entsprechenden medikamentösen Behandlung (antiretrovirale Therapie) beschrieben werde und brachte vor, dass eine solche bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gewährleistet sei. Selbst wenn die notwendigen Medikamente im Kongo vereinzelt vorhanden seien, seien sie sehr teuer und für den Revisionswerber in seiner konkreten Situation nicht erhältlich. Auch könne der Revisionswerber aufgrund seiner Erkrankung - aus näher dargestellten Gründen - seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe auch in der mündlichen Verhandlung sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft machen können. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber an einer akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung im Endstadium leide, welche ein Hindernis für eine Rückführung in die DR Kongo darstellen würde. Er habe überdies nicht glaubhaft gemacht, in der DR Kongo in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Dem Revisionswerber sei eine Teilnahme am Erwerbsleben grundsätzlich möglich. Der Revisionswerber habe zwar vorgebracht, an HIV erkrankt zu sein, jedoch ausdrücklich erklärt, dass er aktuell medikamentös behandelt werde und es ihm gut gehe. Etwaige medizinische Unterlagen, die konkret etwa den Ausbruch von AIDS belegen würden, habe er nicht in Vorlage gebracht, sodass jedenfalls nicht das Bestehen des Endstadiums einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung dargetan worden sei. Auch stünden in der DR Kongo Medikamente zur Behandlung einer HIV-Erkrankung zur Verfügung. Ausgehend davon seien letztlich keine Hinweise dafür gegeben, dass dem Revisionswerber selbst bei tatsächlichem Vorliegen einer HIV-Erkrankung nicht die nötige medizinische Betreuung in seinem Herkunftsstaat bzw. bereits im Rahmen der Überstellung gewährt werden könnte. Er habe auch nicht in ausreichend konkreter Weise dargetan, dass ihm im Falle einer Rückführung in die DR Kongo jegliche Existenzgrundlage fehle. Er sei ein junger Mann, bei dem eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne und es sei ihm somit - ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein - möglich und zumutbar, in seinem Herkunftsstaat selbständig für das Überlebensnotwendige zu sorgen. Darüber hinaus verfüge er in der DR Kongo über - näher angeführte - soziale Anknüpfungspunkte.
6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache geltend gemacht wird, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es unterlassen habe, Feststellungen dazu zu treffen, in welchem Stadium sich die HIV-Erkrankung des Revisionswerbers befinde, welcher konkreter medizinischer Maßnahmen es bedürfe, um diese adäquat zu behandeln, ob diese in der DR Kongo verfügbar und für den Revisionswerber zugänglich seien, und welche Konsequenzen es für den Revisionswerber hätte, wenn er die Behandlung nicht durchführen könne. Aus näher angeführten Länderberichten lasse sich nach Auffassung des Revisionswerbers unmissverständlich ableiten, dass die DR Kongo nach wie vor von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt sei und gerade Menschen mit einer HIV-Erkrankung mit massiven Nachteilen zu rechnen hätten bzw. in eine ausweglose Situation geraten würden. Die Rückkehr des Revisionswerbers bedeute konkret, dass sich seine gesundheitliche Lage - mangels finanzieller Ressourcen und des individuell eingeschränkten Zugangs zu Behandlungsmöglichkeiten - alsbald und in einer Weise verschlimmern würde, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führen würde.
7 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist im Sinne der Zulassungsbegründung
zulässig; sie ist teilweise auch begründet.
9 Vorauszuschicken ist, dass sich die Revision zwar gegen das
angefochtene Erkenntnis insgesamt wendet, in ihrer Begründung aber keine Umstände vorbringt, die eine Asylgewährung rechtfertigen würden. Soweit das BVwG daher die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen hat, war der Revision kein Erfolg beschieden.
10 Berechtigung kommt der Revision aber in Bezug auf den verbleibenden Anfechtungsumfang zu. Das BVwG setzte sich nämlich mit der Erkrankung des Revisionswerbers und deren möglichen Auswirkungen auf seine Lebenssituation im Falle der Rückkehr in die DR Kongo nur unzureichend auseinander. Es weicht insofern auch von den Leitlinien in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu etwa VwGH 26.4.2010, 2007/01/1272, und VwGH 21.2.2017, Ro 2016/18/0005, mit Hinweisen auf EGMR (Große Kammer) 13.12.2016, Paposhvili gegen Belgien, 41738/10).
11 Insbesondere finden sich im angefochtenen Erkenntnis keine nachvollziehbaren Feststellungen über die Art der Erkrankung des Revisionswerbers, die notwendige Behandlung und die zu erwartenden Auswirkungen einer Abschiebung auf den Gesundheitszustand und die Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers. Auf sein in diesem Zusammenhang erstattetes Vorbringen in der Eingabe vom 22. Mai 2017 ist das BVwG nicht hinreichend eingegangen. In Unkenntnis der näheren Umstände der Erkrankung und der erforderlichen Therapie lässt sich auch nicht überprüfen, ob der Revisionswerber in der DR Kongo, wie das BVwG annimmt, die notwendige Behandlung der behaupteten HIV-Erkrankung tatsächlich fortsetzen könnte, verneinendenfalls, welche Konsequenzen ein Abbruch oder eine Änderung der Behandlung auf seine gesundheitliche Situation hätte. Deshalb findet auch die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber sei in der Lage, seine Existenzgrundlage im Herkunftsstaat durch Teilnahme am Erwerbsleben zu sichern, derzeit keine ausreichende Deckung. Dass das soziale Netzwerk des Revisionswerbers in der DR Kongo allein ausreichen würde, eine existenzielle Notlage des Revisionswerbers bei Rückkehr aufzufangen, hat das BVwG nicht dargetan.
12 Ausgehend davon lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob der Revisionswerber bei Rückkehr in den Herkunftsstaat - entgegen Art. 3 EMRK - keine Lebensgrundlage vorfinden würde, also seine Grundbedürfnisse nicht gedeckt wären und ihm schon deshalb subsidiärer Schutz zuerkannt werden müsste. Auf die Rechtsfrage, ob ihm dieser Schutzstatus auch aufgrund der Erkrankung selbst zuzuerkennen wäre (oder dies im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union nicht in Betracht kommt (vgl. EuGH 18.12.2014, M'Bodj, C-542/13)) braucht daher in diesem Erkenntnis nicht näher eingegangen zu werden.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher im spruchgemäßen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, im Übrigen aber gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. März 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180021.L00.1Im RIS seit
19.04.2018Zuletzt aktualisiert am
20.04.2018