TE Vwgh Erkenntnis 2018/3/26 Ra 2017/18/0112

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.03.2018
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §35;
BFA-VG 2014 §13 Abs4;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/18/0113

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision der

1. A S H S S, und 2. M S, beide vertreten durch Mag. Maximilian Gleiss, Rechtsanwalt in 1120 Wien, Flurschützstraße 23/30, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Februar 2017, Zlen. W161 2133437-1/2E (zu 1.) und W161 2133438- 1/2E (zu 2.), betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Islamabad), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Afghanistans und Mitglieder einer Familie; die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der Zweitrevisionswerberin. Am 14. Dezember 2015 stellten sie bei der Österreichischen Botschaft Islamabad gestützt auf § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) Anträge auf Erteilung eines Visums und machten geltend, dass der Ehemann der Erstrevisionswerberin, respektive der Vater der Zweitrevisionswerberin, den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Österreich erhalten habe.

2 Mit Bescheid vom 18. Mai 2016 wies die Botschaft den Antrag der revisionswerbenden Parteien ab, weil seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mitgeteilt worden sei, dass eine Gewährung desselben Schutzes wie der Bezugsperson als nicht wahrscheinlich einzustufen sei: Einerseits habe die Ehe zwischen der Erstrevisionswerberin und der Bezugsperson nämlich nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden, andererseits bestünden aufgrund der Diskrepanz zwischen der Ausreise der Bezugsperson und dem (zunächst) angegebenen Geburtsdatum der Zweitrevisionswerberin Zweifel an der Vaterschaft der Bezugsperson.

3 Die revisionswerbenden Parteien erhoben Beschwerde, welche die Botschaft mit Beschwerdevorentscheidung vom 9. August 2016 gemäß § 35 AsylG 2005 iVm § 14 VwGVG abwies. Daraufhin stellten die revisionswerbenden Parteien einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). In der Beschwerde brachten die revisionswerbenden Parteien u.a. vor, dass die Erstrevisionswerberin und die Bezugsperson bereits seit dem Jahr 2007 verheiratet seien. Bei der Ausstellung des Reisepasses der nunmehrigen Zweitrevisionswerberin oder der afghanischen Geburtsurkunde ("Tazkira") sei ein Fehler passiert. Es gebe nunmehr einen korrigierten Reisepass mit dem richtigen Alter. Es werde diesbezüglich auf die Angaben der Bezugsperson im Asylverfahren verwiesen. Bei anhaltenden Zweifeln der Behörde hätte eine DNA-Analyse durchgeführt werden können. Unter Verweis auf den Gesetzestext wurde vorgebracht, dass eine entsprechende Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG nicht stattgefunden habe.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 21. Februar 2017 wies das BVwG die Beschwerde gemäß § 35 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und erklärte eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

5 In seiner Begründung schloss sich das BVwG im Wesentlichen jener der Vertretungsbehörde an und führte darüber hinausgehend - soweit entscheidungswesentlich - zusammengefasst aus, die erst mit der Beschwerde vorgelegten Urkunden (eine Kopie des Reisepasses der Zweitrevisionswerberin, welcher das Geburtsdatum der Zweitrevisionswerberin mit 10. November 2009 datiert, sowie die Heiratsurkunde) würden dem Neuerungsverbot gemäß § 11a Abs. 2 FPG widersprechen. Soweit sich die Beschwerde auf die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung beziehe, sei ihr entgegenzuhalten, dass diese auf Verfahren betreffend den Nachzug von Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter keine Anwendung finde. Ausführungen zum Umfang der Belehrungspflicht gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG finden sich im Erkenntnis nicht.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

7 Zur Zulässigkeit der Revision wird im Hinblick auf § 13 Abs. 4 BFA-VG vorgebracht, dass der diesbezügliche Gesetzeswortlaut ausdrücklich die Verpflichtung der Behörden normiere, einen Fremden über die Möglichkeit einer DNA-Analyse zu belehren; das BFA oder das BVwG hätten den revisionswerbenden Parteien eine solche zu ermöglichen gehabt. Es stelle sich die grundsätzliche Rechtsfrage, ob zumindest eine Belehrung über die Möglichkeit eines DNA-Tests gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG ergehen müsse, bevor der Antrag abgelehnt werde. Zur Rechtswidrigkeit wird vorgebracht, der Vater der Zweitrevisionswerberin habe in seinen Vernehmungen wiederholt darauf hingewiesen, dass in deren Reisepass irrtümlich ein unrichtiges Geburtsdatum angegeben worden sei. Eine DNA-Analyse würde zweifelsfrei die Vaterschaft der Bezugsperson feststellen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Im Ergebnis zeigt die Revision insofern eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, weil das angefochtene Erkenntnis von der mittlerweile vorliegenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Inhalt der Belehrungspflicht gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG abweicht (vgl. zur Beurteilung der Zulässigkeit: VwGH 6.7.2016, Ra 2016/08/0041). Die Revision erweist sich daher als zulässig und berechtigt:

9 § 13 Abs. 4 BFA Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, in der maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:

"Gelingt es einem Fremden nicht, ein behauptetes Verwandtschaftsverhältnis, auf das er sich in einem Verfahren vor dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht oder in einem Verfahren gemäß § 35 AsylG 2005 beruft, durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen, so hat ihm das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht auf sein Verlangen und auf seine Kosten die Vornahme einer DNA-Analyse zu ermöglichen. Der Fremde ist über diese Möglichkeit zu belehren. Das mangelnde Verlangen des Fremden auf Vornahme einer DNA-Analyse ist keine Weigerung des Fremden, an der Klärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Im weiteren Verfahren darf nur die Information über das Verwandtschaftsverhältnis verarbeitet werden; allenfalls darüber hinaus gehende Daten sind zu löschen. Das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht hat dem Fremden die Kosten der DNA-Analyse auf Antrag zu erstatten, wenn das behauptete Verwandtschaftsverhältnis durch das auf der DNA-Analyse beruhende Gutachten festgestellt wurde und sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält."

10 Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Februar 2018 Ra 2017/18/0131 bis 0133, erkannt hat, ist zu den inhaltlichen Anforderungen, die sich aus § 13 Abs. 4 BFA-VG ergeben, Folgendes auszuführen:

"Wie in den angeführten Materialien klar zum Ausdruck gebracht wird, wird durch die Bestimmung des § 13 Abs. 4 BFA-VG nicht vom amtswegigen Ermittlungsgrundsatz (unter Beachtung der Mitwirkungspflicht des Fremden) abgegangen. Sie kommt daher nur zur Anwendung, wenn es einem Fremden nicht gelingt, ein behauptetes Verwandtschaftsverhältnis durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen und hinsichtlich der Ergebnisse des bisherigen Ermittlungsverfahrens Zweifel bestehen.

Daraus folgt als logischer erster Schritt, dass die Behörde bzw. das BVwG einem Fremden bestehende, konkrete Zweifel an einem behaupteten Abstammungsverhältnis mitzuteilen haben. Darüber hinaus haben sie dem Fremden auf sein Verlangen eine DNA-Analyse gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG ‚zu ermöglichen'; dieser ist auch über diese Möglichkeit zu belehren. Die in der Bestimmung angesprochene ‚Ermöglichung' der DNA-Analyse zum Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses kann im Lichte der Gesetzesmaterialien nur so verstanden werden, dass sie eine organisatorische Hilfestellung der Behörde bzw. des Gerichts bei der Durchführung der DNA-Analyse mitumfasst, nicht jedoch die Übernahme der Kosten. Diese Regelung verfolgt klar den Zweck, es einem Fremden auf sein Verlangen auf einfache Weise zu ermöglichen, bestehende Zweifel an einem Verwandtschaftsverhältnis mittels DNA-Analyse auszuräumen, sofern er sich zur Übernahme der Kosten bereiterklärt. Daher sind einem Fremden im Rahmen dieser organisatorischen Hilfestellung die praktischen Modalitäten - etwa wo er sich zu welchen Zeiten zur DNA-Analyse einzufinden hat und welche Kosten damit verbunden sind - bekannt zu geben."

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis in Rn 23 weiters ausgeführt, dass - bevor ein Antrag gemäß § 35 AsylG 2005 aufgrund von Zweifeln an einem Verwandtschaftsverhältnis abgewiesen wird -, jedenfalls gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG eine organisatorische Hilfestellung zur Beibringung des DNA-Nachweises und die entsprechende Belehrung zu erfolgen hat (arg: "hat ihm (...) zu ermöglichen"; "ist (...) zu belehren").

12 Im vorliegenden Fall, in dem die minderjährige Zweitrevisionswerberin bereits in ihrer Beschwerde monierte, keine "entsprechende Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG" erhalten zu haben, kann dieses "Ersuchen um Belehrung" aus dem Kontext nur so verstanden werden, dass das revisionswerbende Kind um eine behördliche organisatorische Hilfestellung im oben wiedergegebenen Sinn, somit eine Anleitung betreffend der Modalitäten der Durchführung einer DNA-Analyse ersuchte.

13 Aus den vorgelegten Verfahrensakten ist jedoch nicht ersichtlich, dass der zweitrevisionswerbenden Partei eine derartige organisatorische Hilfestellung gewährt wurde. Insoweit liegt ein Verstoß gegen die Regelung des § 13 Abs. 4 BFA-VG vor. Da die minderjährige Zweitrevisionswerberin als Kind der Bezugsperson jedenfalls Familienangehörige nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 wäre, kann diesem Verfahrensmangel auch nicht die Relevanz abgesprochen werden. Wäre aber der Zweitrevisionswerberin die Einreiseerlaubnis zur Bezugsperson zu erteilen, so müsste auch die Frage, ob die Erstrevisionswerberin als deren Mutter und behaupteter Ehefrau der Bezugsperson die Einreise zu gestatten ist, einer neuen Betrachtung unterzogen werden.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

15 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 26. März 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017180112.L00

Im RIS seit

19.04.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten