Entscheidungsdatum
06.04.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W264 2150114-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt
Mag. Robert Bitsche in Nikolsdorfergasse 7-11/15, 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.2.2017, GZ 1073505709-150671565/BMI-BFA_BGLD_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie gemäß
§§ 52 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 9 und 55 Abs. 1 FPG idgF sowie §§ 55 und 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 14.6.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.6.2015 gab der Beschwerdeführer im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari an, in der Provinz Faryab in Afghanistan geboren zu sein. Zu seinem Geburtsdatum könne er keine Angaben machen. Seine Tazkira befinde sich in Afghanistan. Er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Er habe in Faryab acht Jahre die Grundschule besucht, war bis zuletzt in der Schule und habe daher noch keine Berufserfahrung ("ich war noch nie berufstätig"). Seine Eltern würden gemeinsam mit seinen drei Brüdern und seiner Schwester nach wie vor im Dorf XXXX in Faryab leben. Ihre finanzielle Situation sei mittelmäßig. Sie hätten dort Grundstücke im geringen Ausmaß. Sein Vater und sein ältester Bruder würden für den Lebensunterhalt der Familie sorgen. Der Beschwerdeführer sei kein Mitglied in irgendwelchen Vereinen, Religionsgemeinschaften oder sonstigen Organisationen gewesen. Den Entschluss zur Ausreise habe er vor ca eineinhalb Jahren gefasst.
Er habe sein Heimatland aufgrund der unsicheren Lage in seiner Region verlassen. Zudem habe er seine schulische Ausbildung nicht abschließen können. Im Fall einer Rückkehr habe er Angst vor der unsicheren Lage und einer aussichtslosen Zukunft.
Auf dem Weg nach Österreich sei er sowohl in Bulgarien als auch in Ungarn polizeilich angehalten worden und zur Stellung von Asylanträgen gezwungen worden.
Zur Person des Beschwerdeführers liegen drei EURODAC-Treffermeldungen über erkennungsdienstliche Behandlungen am 3.4.2015 in Bulgarien und am 22.4.2015 sowie 23.4.2015 in Ungarn vor.
2. Da der Beschwerdeführer behauptete minderjährig zu sein. Aufgrund begründeter Zweifel wurde die Altersfeststellung in Auftrag gegeben. Dem medizinischen Sachverständigengutachten vom 31.8.2015 zufolge wurde der Beschwerdeführer am 19.8.2015 klinisch untersucht, wobei auch ein Zahnpanoramaröntgen sowie ein Schlüsselbein-CT angefertigt wurden. Ein Handröntgen erfolgte am 26.6.2015. Auf Basis dieser Befunde führte der Sachverständige DDr. XXXX in seinem Gutachten aus, dass sich für den Beschwerdeführer zum Untersuchungszeitpunkt ein nicht unterschreitbares Mindestalter von 19 Jahren ergeben würde, wobei er sich mit einfacher Wahrscheinlichkeit in seinem 3. Lebensjahrzehnt befinden würde. In der bildgebenden Diagnostik zeigte der Beschwerdeführer Erwachsenenbefunde bei zwei von drei Altersindikatoren. Das errechnete wahrscheinliche Alter betrage 23,2 Jahre, wobei sich aus der Feststellung des Mindestalters von 19 Jahren zum Untersuchungszeitpunkt bzw. von 18,82 Jahren zum Asylantragsdatum, der XXXX als spätestmögliches fiktives Geburtsdatum errechnen lasse.
Mittels Verfahrensanordnung des BFA vom 8.11.2015 wurde festgestellt, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine volljährige Person handelt. Das Geburtsdatum wurde auf XXXX abgeändert. Auf die Möglichkeit der Erstattung einer schriftlichen Stellungnahme zum festgelegten Geburtsdatum, einzubringen beim BFA binnen einer Woche ab Erhalt der Verfahrensanordnung bzw. des Gutachtens über die Altersfeststellung, wurde hingewiesen.
3. In einer vom BFA am 17.1.2017 durchgeführten Einvernahme gab der Beschwerdeführer unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari ergänzend an, er habe mit seiner Familie in Afghanistan in einem Haus gelebt. Er habe regelmäßig Kontakt zu ihnen und es gehe ihnen allen gut. Der Beschwerdeführer selbst habe für 16 Monate im Iran gearbeitet und habe sich dadurch einen Teil der Reise nach Europa finanzieren können.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass eines Tages seine Schule in Afghanistan verbrannt worden sei, die Schüler seien auf dem Weg dorthin mit Säure überschüttet worden. Der Schulweg habe zweieinhalb Stunden gedauert. Er sei dann nachdem er in die Koranschule im Dorf gewechselt sei, in eine Schule in einem anderen Dorf gegangen. In dieser neuen Schule sei alles anders gekommen als erwartet. Die Schüler hätten eine Gehirnwäsche bekommen, seien nach Pakistan geschickt worden und dort auch unterrichtet worden. Es habe ein Nebengebäude gegeben, wo die Schüler eine Waffenausbildung bekommen hätten. Nach fünf Monaten habe sich der Beschwerdeführer drei Tage Auszeit genommen, sei nach Hause gefahren und habe seinem Vater von dieser Schule erzählt. Nachdem auch er nach Pakistan gehen hätte sollen, habe sein Vater beschlossen, ihn in den Iran zu schicken. Er habe aus dem Dorf fliehen müssen, um nicht nach Pakistan zu müssen. Die Schule sei von den Taliban geführt worden und hätte XXXX geheißen.
Befragt darüber, ob er jemals persönlich einer Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt war, gab der Beschwerdeführer an, dass die Talibanschule nach ihm gesucht hätte. Sie hätten seinen Vater zwei Mal mitgenommen, ihn verprügelt und mit dem Tode bedroht.
Da die Taliban den Beschwerdeführer überall finden würden, könne er nirgends wo anders in Afghanistan leben. Es sei unmöglich in Afghanistan unbekannt zu bleiben. Die
In Österreich lebe er von der Grundversorgung und besuche seit fünf Monaten vier Mal pro Woche einen Deutschkurs. Im Iran habe er im Metallbereich gearbeitet und würde das auch gerne hier in Österreich machen. Er erkenne die hier existierende Religionsfreiheit sowie die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen an.
Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA wurde eine Teilnahmebestätigung am Kurs BB1/Basisbildung mit Politischer Bildung vom 07.10.2016 vorgelegt.
4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA (belangte Behörde) wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), wobei gleichzeitig seine Ausweisung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg. cit. ausgesprochen wurde (Spruchpunkt III.).
Nach Darlegung des bisherigen Verfahrensganges traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates, zu seiner Situation im Fall seiner Rückkehr, zu seinem Privat- und Familienleben sowie zur Lage in seinem Herkunftsstaat.
In Bezug auf die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz führte das BFA begründend aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine besonderen Umstände, aus denen hervorgehe, dass er in Afghanistan unmittelbaren und/oder mittelbaren staatlichen Verfolgungen im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen wäre bzw. solchen im Falle der Rückkehr ausgesetzt wäre, entnommen hätten werden können. Seine Ausreise könne nicht nachvollzogen werden, da eine innerstaatliche Fluchtalternative beispielsweise nach Kabul bestanden hätte. In Afghanistan gäbe es weder ein Meldesystem noch eine Ausweispflicht, weshalb es höchst unwahrscheinlich gewesen wäre, dass ihn die angeblichen Verfolger gefunden hätten. Seine Familie lebe noch immer in dem Dorf und es gehe ihr gut. Aufgrund mehrerer Widersprüche im Zuge des Verfahrens sei ihm die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen.
In Bezug auf die abweisende Erledigung betreffend den subsidiären Schutz führte die belangte Behörde begründend aus, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft darlegen habe können, dass er im Fall seiner Rückkehr keine Lebensgrundlage mehr hätte. Es könne ihm zugemutet werden, dass er selbst für seinen Lebensunterhalt aufkomme. Er habe sieben Jahre die Grundschule besucht, er sei ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann. Er verfüge in Afghanistan auch über familiäre Anknüpfungspunkte, von denen er sich Unterstützung erwarten könne. Es würde auf Basis der Sachverhaltsfeststellungen keine aktuelle Bedrohung im Sinne von § 8 AsylG vorliegen. Ziel dieser Regelung sei es nicht, Menschen vor unangenehmen Situationen, wie es eine Rückkehr nach Afghanistan wohl auch sein werde, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Dem Beschwerdeführer stehe letztlich auch die Möglichkeit offen, sich an in Kabul ansässige staatliche, nicht-staatliche oder internationale Hilfseinrichtungen, im Speziellen solche für Rückkehrer aus dem Ausland, zu wenden.
Zum Ausspruch über die Rückkehrentscheidung führte das BFA begründend aus, dass eine solche zu erfolgen hat, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht zu erteilen ist. Es liege kein Fall des § 57 AsylG vor. Eine Rückkehrentscheidung dürfe jedoch nicht in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreifen, es sei denn dies ist zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Der Beschwerdeführer besuche in Österreich keine Schule oder einen Kurs. Er gehe keiner Beschäftigung nach und befinde sich in der Grundversorgung. Er sei kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Eine Abwägung zwischen den persönlichen Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet und den öffentlichen Interessen an einer Rückkehrentscheidung habe kein Überwiegen der privaten Interessen ergeben. Es hätten keine Hinweise gefunden werden können, wonach die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise in sein Recht auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingreifen würde. Die Frist für eine freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet sei gemäß § 55 FPG mit 14 Tagen festzulegen.
5. Gegen den Bescheid der belangten Behörde richtet sich die am 3.3.2017 verfasste und am 06.03.2017 bei der belangten Behörde fristgerecht einlangende Beschwerde des Beschwerdeführers und ficht darin den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung sowie wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung in vollem Umfang an. Weiters führte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung, dass ihm in Afghanistan eine asylrechtlich relevanten Verfolgung drohe, da ihn die Taliban zwangsrekrutieren hätten wollen, der Beschwerdeführer jedoch nicht für sie kämpfen hätte wollen und geflüchtet sei. Deshalb werde ihm auch eine gegen die Taliban gerichtete politische Gesinnung unterstellt. Die belangte Behörde hätte es verabsäumt Berichte zu Zwangsrekrutierungen durch die Taliban sowie zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers heranzuziehen. Auch würden aktuelle Berichte zur tatsächlichen Schutzfähigkeit und -willigkeit der afghanischen Sicherheitsbehörden fehle, so führt er in der Beschwerde einige Verweise auf entsprechende Berichte an. Die Ausführungen der belangten Behörde, es hätte nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan der Gefahr einer Verfolgung aus den Gründen der GFK ausgesetzt sei, seien unrichtig, da der Beschwerdeführer asylrelevante Gründe geltend und glaubhaft gemacht hätte. Die Feststellungen der belangten Behörde würden auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung beruhen und habe sie den Sachverhalt mangelhaft ermittelt. Im Falle der Rückkehr würde dem Beschwerdeführer ganz im Gegensatz zur Annahme der belangten Behörde eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten drohen. Er würde in eine ausweglose Situation geraten. Vermeintlich gehe die belangte Behörde auch davon aus, für den Beschwerdeführer würde eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Dies sei aufgrund der Verfolgung durch die Taliban, die den Beschwerdeführer im gesamten afghanischen Staatsgebiet ausfindig machen könnten, nicht richtig. Zudem sei die Sicherheitslage in ganz Afghanistan derart prekäre, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative bereits aus diesem Grund nicht in Betracht kommen würde. Es könne darüber hinaus von keiner Fluchtalternative nach Kabul ausgegangen werden, da der Beschwerdeführer noch nie in Kabul gewesen sei, dort niemanden kenne und von seinen Verfolgern mit Leichtigkeit ausfindig gemacht werden könne. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers wird, zum Beweis dafür, dass ihm im gegenständlichen Fall eine asylrelevante Verfolgung droht, in der Beschwerde beantragt.
6. Mittels Schreiben vom 7.3.2017 übermittelte die belangte Behörde die Beschwerde samt dem dazu gehörigen Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Beschwerdevorlage und langte dieser am 15.3.2017 ho. ein.
7. Am 8.11.2017 fand die öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Dabei blieb der BF in den Grundzügen bei seinen bisherigen Angaben zum Fluchtgrund, brachte aber neue Tatsachen über die Zeit in der Schule (Madrasa) vor: Die von ihm besuchte Schule habe Talibankämpfer ausgebildet und habe er dort wahrgenommen, dass zwei Menschen (Gefangene aus der Nationalarmee) auf sehr brutale Weise (durch Kopfabschneiden, "auf eine Art, in der man nicht einmal einem Tier den Kopf abschneiden würde") enthauptet worden seien und eine Frau wegen eines Verhältnisses gesteinigt worden sei. Während eines dreitägigen Aufenthalts zuhause habe er diese Zeit genutzt, um nicht mehr zurück in die Schule zu gehen. Der Vater habe ihn in den Iran geschickt, woraufhin "die Menschen" - auf Nachfrage: Personen aus der Madrasa - bei ihm zuhause gewesen wären und den Vater gefragt hätten, wo der BF sei und was er mache. Diese hätten den Vater auch mit dem Tode bedroht. Bei einem zweiten Besuch hätten diese den Vater des BF mitgenommen, verprügelt (massiv mißhandelt) nochmals mit dem Tode bedroht. Der Vater des BF habe aber den Ort des BF nicht verraten und beteuert, nicht zu wissen, wo der BF sei, dies habe der Bruder des BF ihm erzählt.
Der Vater und die anderen der Familie des BF hätten sich eine Flucht nicht leisten können. Der Vater habe eine Schwester, welche der BF nie gesehen habe und welche bereits verstorben sei. Die Mutter des BF habe einen Bruder, welcher außerhalb Afghanistans an einem dem BF unbekannten Ort sei.
Im Iran habe der BF ein Jahr lang am Hochofen gearbeitet und für vier Monate in Teheran auf der Baustelle als Fliesenleger gearbeitet.
Er gab auf Befragen als Fluchtgrund "hauptsächlich die Geschichte mit der Madrasa" an und auf Nachfrage, was er mit "hauptsächlich" meine, gab er an: "Mein Hauptfluchtgrund ist die Geschichte der Madrasa". Auf Nachfrage was "Hauptgrund" bedeute und ob es noch andere Fluchtgründe gäbe, verwies der BF auf seinen Versuch vor sieben Monaten, Kontakt zur Familie aufzunehmen und gab an, dass er erfahren habe, dass sein Vater verstorben sei.
Als er ihnen zum Neujahr (Anm: im März) gratulieren habe wollen, habe er die Familie nicht mehr erreicht vor einigen Wochen einen Anruf von einer iranischen Telefonnummer erhalten dies sei sein Bruder gewesen, welcher ihn über den Tod des Vaters unterrichtet habe.
Befragt nach den beiden Vorfällen, bei welchen er das Umbringen von zwei Männern und einer Frau in der Madrasa zugegen gewesen wäre, gab er an: "Aus der Sicht der Menschen von der Madrasa sind die Menschen, die für die Regierung arbeiten Ungläubige. Wie zum Beispiel eine Frau, die eine Bekanntschaft hat und sich frei in der Öffentlichkeit bewegt, müsste laut Madrasa-Leuten gesteinigt werden."
Die Richterin entgegnete: "Sie haben das jetzt umschrieben. Beschreiben Sie mir das Tötungsprocedere rund um die Tötung der beiden Männern. Welche Waffen, wer war dabei?" Darauf antwortete der BF, dass diese zwei Angehörigen der Nationalarmee vor dem Ältesten des Gebietes, auch der Chef der Madrasa, zum Tode verurteilt und in der Folge geköpft wurden.
Er bestätigte dabei gewesen zu sein und habe er gesehen, dass diese mit Messern (Bayonette in schwarzer Farbe mit Wellenschliff) umgebracht worden seien. Es habe 800 Zuschauer gegeben. Die Leichname seien zwei Tage lang dort liegen gelassen worden. Die abgeschnittenen Köpfe habe man als Lektion für andere Menschen dort belassen und zur Schau gestellt."
Der BF wurde von der Richterin aufgefordert die zuvor von ihm getätigte Aussage "auf eine Art, in der man nicht einmal einem Tier den Kopf abschneiden würde" zu präzisieren: "Man würde auch nicht ein Tier so wie ein Rind oder ein Schaf vor dem Schlachten misshandeln, die Hände und Füße fesseln bzw. brutal schlagen." Er beschrieb, dass diesen Männern mit den Füßen auf ihren Nacken getreten worden sei, man habe ihre Haare hinauf gezogen und die Kehle durchgeschnitten und sie sodann enthauptet. Diese hätten nur geweint und um ihr Leben gebettet.
Auf die Frage ob er Weg gehen oder wegziehen hätte können, gab er an, dass es für Neuanfänger wie ihn eine Pflicht gewesen sei, dabei zuzusehen.
Befragt ob er auch die Steinigung der Frau mit ansehen musste und wie für ihn gewesen sei, beschrieb er dies wie folgt: "Dieser Akt war noch brutaler für mich als das andere. Sie wurde in der Öffentlichkeit auf einem Platzgestein liegt. Sie lag auf diesem Platz wurde von den anderen mit Steinen beworfen und Gesteine liegt. Sie konnte nicht fliehen. Sie war gefesselt, verschleiert. Ihr Gesicht war bedeckt. Laut afghanischen Bekleidungsvorschriften war sie mit einer Burka bekleidet".
Die Richterin stellte dem BF die Frage "ist das alles gewesen, was sie zu der Tötung der drei Personen sagen möchten? Waren das die Vorfälle, wo Sie gesagt haben, sie gehen nicht mehr zurück in diese Schule?" und bejahte er diese beiden Fragen.
Während der öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte wahrgenommen werden, dass der Beschwerdeführer bei der Berichterstattung über seinen Vater sehr emotional und betroffen wirkte und die zuletzt geschilderten Tötungsdelikte ohne Emotion vortrug.
Auf Befragen gab der BF an, dass dies alle seine Fluchtgründe für das Verlassen Afghanistans seien. Der BF gab an, mit seiner Familie noch in Kontakt zu stehen. Er habe in Afghanistan seiner Familie auf den Feldern geholfen und sei dort nie aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder aufgrund seiner Religionszugehörigkeit verfolgt worden. Er sei nie bei einer politischen Partei gewesen und - außer bei dieser Madrasa - auch nie Mitglied bei einer terroristischen Organisation gewesen. In der Madrasa sei er nie bedroht worden, da er dort immer beim Unterricht anwesend gewesen sei. Der BF verneinte ebenso, in Afghanistan Probleme mit der Polizei, den Gerichten oder Behörden gehabt zu haben und sei es für ihn unmöglich, nach Afghanistan zurückzukehren. Seine Familie lebe inzwischen im Iran in El-Sheraz. Im Falle einer Rückkehr könne er ausfindig gemacht werden und gab er zu bedenken:
"Stellen Sie sich vor, dass in einem Land ein Taliban Kämpfer oder Attentäter in eine große militärische Basis reinkommt und einen Anschlag verübt und dabei 200 bis 250 Militärangehörige tötet. Über diesen Anschlag wurde in allen Medien berichtet." Die Richterin entgegnete, dass dies allgemein gesprochen sei und begehrte die Auskunft, was er für sich persönlich befürchte. Darauf gab er zur Antwort, dass er befürchte von den Taliban ausfindig gemacht zu werden und kenne er einen Ort der Taliban und wisse, was diese getan hätten.
Auf die Frage warum er nicht bereits in Bulgarien, Serbien oder Ungarn einen Asylantrag gestellt habe, antwortete er dass er in Bulgarien einen solchen Antrag gestellt habe, nicht in die Türkei abgeschoben zu werden. Bulgarien sei für einen Asylsuchenden mangels gute Zukunft bei der Arbeitssuche kein gutes Land. In Ungarn wäre er in Ermangelung von Perspektiven nicht geblieben.
Er habe nie in Kabul gelebt.
Die Rechtsvertreterin brachte vor, dass es dem BF seit dem Wissen, dass sein Vater tot sei, psychisch nicht gut gehe. Der BF gäbe sich die Schuld für den Tod des Vaters "und für die Entführung des Bruders" und beginne bei der Schilderung immer zu weinen. Dies beweise, dass die Taliban den BF tatsächlich verfolgen würden sie hätten. Im Falle der Rückkehr wäre er einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt, ohne Schutz durch die staatlichen Behörden zu haben. Er habe keine Anknüpfungspunkte mehr in Afghanistan sei dessen Familie im Iran in Ermangelung einer vernünftigen Schulausbildung und Berufsausbildung würde er bei der Rückkehr in eine aussichtslose Situation geraten die Herkunftsprovinz zähle sicheren Provinzen und habe es erst unlängst wieder Angriffe der Taliban dort gegeben. Die Rechtsvertreterin nahm Bezug auf ein Gutachten des Dr. Rasuly, wonach junge Männer ohne Fachausbildung in Kabul nicht Fuß fassen könnten.
8. Dem Bundesverwaltungsgericht wurden im Zuge der mündlichen Verhandlung folgende Beweismittel vorgelegt:
* Bestätigung der XXXX vom 30.10.2017 über ehrenamtliche Dienste des BF im Pflegezentrum
* Unterstützungserklärung der XXXX und des Herrn XXXX aus Oktober 2017, wonach der BF seit seiner Ankunft recht intensiv am Gemeindeleben teilnimmt
* Teilnahmebestätigung betr. Kurs BB1/Basisbildung mit Politischer Bildung, VHS, 7.10.2016
* Teilnahmebestätigung betr. Kurs Brückenmodul in Deutsch, Englisch
u. Mathematik, VHS, 21.4.2017
* Teilnahmebestätigung am Workshop "Poolbillard - Training auf Wettkampfniveau", Diakonie Flüchtlingsdienst, 10.2.2017
* Teilnahmebestätigung betr. Kursbesuch "Pflichtschulabschlusslehrgang", VHS 10.10.2017
9. Mit E-Mail vom 12.11.2017 wurde dem Bundesverwaltungsgericht das besagte "Gutachten Dris. Rasuly" in Form der Kopie der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in der Rechtssache W151 1434854-1, vom 19.3.2015 zur Kenntnis gebracht. Aus dieser Niederschrift geht auf Seite 3 hervor, dass diese nicht das gesamte Verfahren in der Rechtssache W151 1434854-1 abbildet, da es sich bloß um die Fortsetzung der Verhandlung am 17.10.2014 handelte. Dr. Rasuly führte darin zur Versorgungslage und Sicherheitslage im Hinblick auf jugendliche Rückkehrer ohne Fachausbildung nach Afghanistan aus. Darin führt Dr. Rasuly zur Lage von Kindern am Arbeitsmarkt aus ("Die Kinder aus armen Familien arbeiten tatsächlich bereits im Kindesalter in verschiedenen Werkstätten und Schneiderreihen. Ihre Situation unterscheidet sich nicht von der der Sklavenarbeiter."). Zur Sicherheitslage in Afghanistan führte Dr. Rasuly im März 2015 aus: "Die Sicherheitslage in Afghanistan im allgemeinen ist weiterhin prekär. In den Provinzen [...] Faryab [...] sind schwere Auseinandersetzungen zwischen den Taliban Sicherheitskräften zu verzeichnen. [...] Der BF hat keine geeignete Fachausbildung, mit der er sich in Kabul eine Existenz aufbauen kann und die ihm ein menschenwürdiges Leben sichert. Kabul ist eine teure Stadt. [...] Die Arbeitslosigkeitsrate unter den Jugendlichen beträgt fast 60 %. Ich gehe nicht davon aus, dass der BF im Falle seiner Rückkehr eine entsprechende Arbeit findet, mit deren Erträgen er sich ein menschenwürdiges Leben aufbauen kann. Für die alleinstehenden Rückkehrer ist auch die Existenz einer intakten Familie notwendig, um dort einen Rückhalt zu finden. Nach meiner Beobachtung in Kabul Anfang dieses Jahres Hunderte zurückgekehrte Jugendliche in die Drogenszene und in die Kriminalität geraten. Die afghanische Regierung und die UNO-Stellen haben es bis jetzt nicht geschafft, für diese Rückkehrer eine Alternative zu bieten bzw. einen Plan zu finden, um sie in Afghanistan zu integrieren und für sie eine Arbeit zu finden."
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest. Auf Grundlage des eingebrachten Antrags auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde, dem Beschwerdeschriftsatz, der Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Fremdakts, das Strafregister und das Grundversorgung-Informationssystem sowie in die vom Beschwerdeführer in der Verhandlung vorgelegten und in die nach der Verhandlung übermittelten Beweismittel werden die folgenden Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt.
Die Feststellungen zu Afghanistan fußen auf dem Länderbericht der Staatendokumentation, welcher gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erstellt wurde (Fassung: 30.1.2018). Dem Beschwerdeführer wurde der Länderbericht in einer im Zeitpunkt der Ladung aktuellen Fassung übermittelt und ist zu sagen, dass sich aus der neuen Fassung keine signifikanten Änderungen ergeben und der Länderbericht in der aktuellen Fassung der Entscheidung zugrunde gelegt wird.
1.1. Feststellungen zum Beschwerdeführer:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischen Glaubens.
Seine Muttersprache ist Dari. Der BF beherrscht auch etwas Türkisch und etwas Deutsch.
Der Beschwerdeführer ist ein junger arbeitsfähiger Mann, ledig und ohne Sorgepflichten.
Der BF nimmt wegen Kopfschmerzen als Medikamente Mexalen und Novalgin.
Er stammt aus der Provinz Faryab. Er hat bis vor seiner Ausreise in den Iran in Afghanistan mit seiner Kernfamilie zusammengelebt und auf den Feldern der Familie gearbeitet. Der BF hat im Herkunftsstaat acht Jahre lang die Schule besucht.
Der BF hat vor seiner Einreise nach Europa im Iran gelebt und hat als Hochofenarbeiter sowie im Baugewerbe gearbeitet.
Das Ausmaß der Berufstätigkeit kann nicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer ist unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und hat in Österreich am 14.6.2015 den Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er lebt von der Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach und war bereits ehrenamtlich in einem Pflegezentrum tätig.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich bereits Sprachkurse absolviert sowie Kurse an der VHS für die Nachholung des Pflichtschulabschlusses und einen Kurs "Basisbildung mit Politischer Bildung" besucht.
Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet keine Angehörigen.
Der BF hat Familie im Iran (Mutter und Geschwister). Der Beschwerdeführer hält zu seiner Familie im Iran Kontakt.
1.2. Feststellungen zum Fluchtvorbringen:
Das vom Beschwerdeführer dargelegte Verfolgungsvorbringen betreffend die Gefahr einer Verfolgung bzw. Bedrohung durch die Taliban und / oder durch Betreiber einer Madrasa kann nicht festgestellt werden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in einer von Taliban geführten Madrasa befindlich war.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Vater des BF aufgrund Fremdverschuldens durch durch die Taliban und / oder durch Betreiber einer Madrasa nicht mehr am Leben ist.
Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals von den Behörden, einem Gericht oder der Polizei gesucht und weder aufgrund seines Religionsbekenntnisses, noch aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt oder bedroht. Der BF war nie politisch tätig und gehörte weder einer politischen Partei, noch einer terroristischen Organisation an.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt war bzw. ihm eine solche Verfolgung im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken sowie als sunnitischer Moslem bzw dass jeder Angehörige der Volksgruppe des Beschwerdeführers sowie der Glaubensrichtung des Beschwerdeführers in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich in der Islamischen Republik Iran und zuletzt seit 14.6.2015 in Österreich aufhielt bzw. dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus dem Iran wie aus Europa nach Afghanistan zurückgekehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Faryab möglicherweise ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Kabul oder in Herat oder Mazar-e-Sharif zur Verfügung.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat wird festgestellt:
Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
Seine Herkunftsprovinz Faryab zählt zu den relativ volatilen Provinzen in Nordafghanistan; Mitglieder aufständischer Gruppen, wie den Taliban oder dem IMU (Islamic Movement of Uzbekistan) sind in dieser Provinz aktiv (Khaama Press 25.12.2016). Nordafghanistan war einst ein relativ friedlicher Teil des Landes (RFE/RL 3.6.2016). Die Taliban eroberten im Herbst 2016 kurzfristig das administrative Zentrum des Distrikts Ghormach (UN GASC 13.12.2016). Taliban und andere lokale regierungsfeindliche Gruppen haben dieses Jahr territoriale Gewinne gemacht, indem immer wieder schlecht bemannte Polizei-Checkpoints in abgelegenen Distrikten eingenommen wurden (The Telegraph 1.2.2017; vgl. auch: Pajhwok 3.2.2017; Pajhwok 02.10.2016). In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (The Telegraph 1.2.2017; Tolonews 2.1.2017; Tolonews 29.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Khaama Press 25.12.2016; Pajhwok 23.12.2016; Khaama Press 3.9.2016; Radio Pakistan 16.5.2016); unter anderem in Form von Luftangriffen (Khaama Press 29.12.2016). Es kommt zu Zusammenstößen zwischen afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban (UNAMA 6.2.2017; The Telegraph 1.2.2017; RFE/RL 3.6.2016); dabei wurden Taliban-Kämpfer getötet (Pajhwok 3.2.2017; Pajhwok 7.11.2016).
Betreffend den BF besteht somit eine allgemeine Gefährdungslage bezüglich dessen Heimatsprovinz Faryab und steht ihm in diesem Falle eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative "Kabul" oder Mazar e-Sharif oder Herat zur Verfügung.
Der nunmehr im 22. Lebensjahr befindliche BF verbrachte vor seiner Einreise nach Europa den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsstaat Islamische Republik Afghanistan sowie kurze Zeit in der Islamischen Republik Iran, sodass davon auszugehen ist, dass der in Afghanistan sozialisierte BF mit der Sprache und den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates noch bestens vertraut ist.
Der BF kann Afghanistan von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug (Anschluss über dortige Flughäfen) erreichen.
1.4. Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).
Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019
Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).
Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018
Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).
Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).
Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018
Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).
Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).
Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018
Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).
Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).
Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).
KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).
Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).
Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).
Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).
Zivilist/innen
Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).
Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).
High-profile Angriffe:
Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)
Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).
Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).
Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).
Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)
Interreligiöse Angriffe
Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).
Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).
Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:
Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um
3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Taliban
Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):
Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).
Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).
Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).
Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).
Politische Entwicklungen
Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).
Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).
Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).
Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).
In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).
Herat
Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel, Ghorian, Guzra und Pashtoon Zarghoon, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba, Kurkh, Kushk, Gulran, Kuhsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirker zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna, Farsi, und Chisht-i-Sharif als Bezirke dritter Stufe (o.D.q). Provinzhauptstadt ist Herat City, mit etwa 477.452 Einwohner/innen (UN OCHA 26.8.2015; vgl. auch: Pajhwok 30.11.2016). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.928.327 geschätzt (CSO 2016).
Herat ist eine vergleichsweise entwickelte Provinz im Westen des Landes. Sie ist auch ein Hauptkorridor menschlichen Schmuggels in den Iran - speziell was Kinder betrifft (Pajhwok 21.1.2017).
Gewalt gegen Einzelpersonen
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Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe
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