TE Bvwg Beschluss 2018/4/9 L514 2145104-1

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Veröffentlicht am 09.04.2018
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Entscheidungsdatum

09.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L514 2145104-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Mariella KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2016, Zl. XXXX, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer gab an, ein Staatsangehöriger des Irak, sunnitisch Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Turkmenen zu sein. Er reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierzu wurde er am 01.12.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Im Rahmen dieser Befragung gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er den Irak legal per Bus am XXXX2015 in Richtung Istanbul verlassen habe. Anschließend sei er nach Izmir gereist und dann - schlepperunterstützt mit einem Boot - auf eine ihm unbekannte griechische Insel gebracht worden. Von dort aus habe er sich dem Flüchtlingsstrom angeschlossen; mit verschiedenen Verkehrsmitteln sei er über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien bis zur österreichischen Grenze gelangt. Diese habe er zu Fuß überquert und sei anschließend mit einem Zug nach Wien gefahren.

Als Grund für seine Ausreise gab der Beschwerdeführer an, er werde vom IS und von schiitischen Milizen mit dem Tod bedroht. Seit 2009 sei er schon von Terroristen bedroht und angeschossen worden. Es gäbe im Irak keine Sicherheit. Er könne dort nicht leben. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er seinen Tod.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte der Beschwerdeführer weiters aus, dass er aus XXXX, XXXX stamme, und sechs Jahre Grundschule und ein Jahr Mittelschule besucht habe. Er sei verheiratet und zuletzt als Mechaniker tätig gewesen. Im Irak seien nach wie vor seine Ehegattin und die beiden gemeinsamen Töchter, seine Eltern und ein Bruder aufhältig; in Österreich lebe ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers (XXXX, geb. XXXX), der ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe.

Am 27.10.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) niederschriftlich einvernommen.

Nach Vorlage diverser Dokumente (Staatsbürgerschaftsnachweis Irak, Wohnsitzkarte Irak, Versorgungskarte Irak, Ausweise seiner Ehegattin und seiner Kinder aus dem Irak) wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und führte ergänzend aus, dass er Kontakt zu seiner Familie - regelmäßig zu seiner Ehegattin und hin und wieder zur restlichen Familie - habe und alle derzeit in XXXX aufhältig seien. Davor habe seine Familie (Ehegattin, Kinder und seine Eltern) zunächst in einem Flüchtlingslager gelebt und sei dann nach XXXX gegangen. Seine Familie würde von seinen Eltern unterstützt werden und auch bei ihnen wohnen. XXXX sei keine sichere Stadt. Die Lebenssituation sei dort sehr schwer. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, nicht gemeinsam mit seiner Familie ausgereist zu sein, da seine finanziellen Möglichkeiten nicht ausgereicht hätten.

Zu seinen Ausreisegründen gab der Beschwerdeführer ergänzend an, dass er einen Antrag auf internationalen Schutz aufgrund der schlechten Sicherheitslage und wegen der Zukunft seiner Kinder gestellt habe. Es gäbe im Irak keine Sicherheit und keine Zukunft. Er werde vom IS und von Milizen, die der Regierung angehören würden, verfolgt. Der Beschwerdeführer sei auch verwundet worden. Zum Beweis dafür zeigte dieser - laut BFA: "eine gut sichtbare" - Verletzung vor und habe er laut BFA auch eine Tätowierung: "Ich begrüße den Tod, aber nicht heimtückisch". Nach der Sprengstoffexplosion und nach Verletzung des Beschwerdeführers, habe seine Ehegattin eine Fehlgeburt erlitten. Er sei damals zu Hause gewesen, ein Sprengsatz sei zur Tür gelegt worden. Er habe sich im Außenbereich des Hauses aufgehalten, als es zur Explosion gekommen sei. Er habe noch zahlreiche Splitter in seinem Körper. Viele seinen bereits entfernt worden, ein Splitter sei noch in seinem Bein. Auf die Frage, ob er noch weitere Fluchtgründe habe, antwortete der Beschwerdeführer "nein". Der Sprengsatz sei im Jahr 2009 explodiert und nachgefragt, warum er erst jetzt ausgereist sei, erwiderte der Beschwerdeführer, dass jetzt die Lage endgültig eskaliert und viele geflüchtet seien. Auf Vorhalt, wenn auf jemanden ein Anschlag verübt worden sei, dann würde man doch nicht weiter im Land bleiben, gab der Beschwerdeführer weiters an, er sei die nächsten zwei bis drei Jahre quasi zu Hause eingesperrt gewesen. Im Jahr 2013 habe sich die Sicherheitslage dann gebessert, aber im Jahr 2014 sei der IS gekommen und sie seien nach XXXX gegangen. Aber in XXXX seien sie nicht in Sicherheit gewesen. Milizen und der IS hätten dort die Möglichkeit gehabt, Menschen zu töten oder zu entführen. Nachgefragt, ob der Beschwerdeführer jemals persönlich bedroht worden sei, erwiderte dieser mit "ja". Auf die Frage, wann und in welcher Form dieser bedroht worden sei, antwortete der Beschwerdeführer: "Im Jahr 2009 wurde ich persönlich bedroht. In den Jahren 2006 und 2007 habe ich für die Amerikaner am Flughafen XXXX gearbeitet." Er führte weiter aus, dass er dort als Putzkraft tätig gewesen sei. Er habe diese Tätigkeit auf die Frage nach seinem beruflichen Werdegang nicht erwähnt, weil er die Frage nicht verstanden habe; außerdem habe er dort nur zwei bis drei Monate gearbeitet und habe gemeint, dass er entweder 2006 oder 2007 dort gearbeitet habe. Nach Hinweis des BFA, dass er jederzeit nachfragen könne, wenn er eine Frage nicht verstanden habe, gab der Beschwerdeführer weiters an, er habe XXXX im Jahr 2014 verlassen. Auf Vorhalt, er habe angegeben, bedroht worden zu sein und auf die Frage, von wem er genau bedroht worden sei, antwortete der Beschwerdeführer, damals habe es den IS noch nicht gegeben, aber den Terrorismus. Wiederholt dazu befragt, vom wem er genau bedroht worden sei, führte der Beschwerdeführer wiederum aus, den IS habe es damals noch nicht gegeben, aber es seien ohnehin dieselben Personen, nur hätten sie damals keine Namen gehabt. Damals hätten sie sich noch nicht IS genannt, aber es sei das gleiche Netzwerk gewesen. Früher hätten sie sich Al-Qaida genannt. Er habe jetzt Angst vor dem IS und den Milizen, die der Regierung angehören würden. Er sei 26, 27 Jahre alt und habe bis jetzt keine schönen Tage gehabt. Seit dem er denken könne, habe er nur Krieg erlebt, Tote gesehen und von Entführungen gehört. Auf Vorhalt, dass der Beschwerdeführer, nachdem er 2009 durch einen Sprengsatz verletzt worden sei, noch weitere fünf bzw. sechs Jahre im Irak geblieben sei, gab der Beschwerdeführer wörtlich an: "Da ich bedroht wurde, war mein Leben ständig in Gefahr. Hätten sie die Möglichkeit gehabt, hätten sie mich wahrscheinlich getötet. Ich war auch nicht der einzige, viele wurden bedroht. Im Jahr 2013 oder im Jahr 2014 besserte sich die Sicherheitslage, damals waren viele Gebiete sicher. Nur einige Gebiete waren noch umkämpft. Aber im Jahr 2014 war dann der Fall. Am XXXX2014 drang dann der IS in XXXX ein. Am XXXX2014 fiel XXXX und danach die Umgebung. Die IS - Kämpfer sind keine Menschen, sie haben sogar Moscheen gesprengt.". Auf weiteren Vorhalt, der Beschwerdeführer habe gerade angegeben, dass sein Leben ständig in Gefahr gewesen sei und trotzdem sei er weiter in seiner Heimatstadt geblieben, das klinge wirklich nicht glaubwürdig, gab der Beschwerdeführer zu Protokoll: "Ich hatte keine andere Möglichkeit. Es war ein großes Risiko, aber ich hatte keine andere Möglichkeit. Im Jahr 2014 wurde mein Onkel vom IS ermordet, ebenso wurde ein Cousin von mir ermordet.". Nachgefragt, woher er das Geld für seine Flucht gehabt habe, wenn er die ganze Zeit zu Hause gewesen sei, gab der Beschwerdeführer an, sein Vater und seine Mutter hätten ihm das Geld gegeben. Seine Flucht sei auch nicht so teuer gewesen (etwa 2.000,-- Dollar). Seine Ehegattin habe auch ein wenig Gold gehabt, das sie verkauft habe. Sein Vater habe ihn auch die ganze Zeit über unterstützt. Dieser sei in Pension und früher beim Militär gewesen. Seine Pension betrage etwa 250,-- Dollar im Monat. Auf Vorhalt, dass ihn sein Vater jetzt mit Geld unterstützt habe und dieser das auch schon früher hätte machen können, gab der Beschwerdeführer zur Antwort, er habe das Gold seiner Ehegattin verkauft, habe dafür aber nicht so viel bekommen. Er habe dann das Geld von seinem Vater verlangt und seine Mutter habe auch gemeint, sie könne ihm etwas geben. Auf Vorhalt, dass der Beschwerdeführer das auch schon früher hätte machen können, entgegnete dieser zunächst, er wisse es nicht. Aber jetzt seien viele aus ihrer Stadt vertrieben worden und er sei zu einem Flüchtling im eigenen Land geworden. Wo solle er hin. Wiederholt nachgefragt, ob der Beschwerdeführer nicht schon 2009 seinen Vater um Unterstützung bitten und nach Österreich hätte kommen können, erwiderte dieser, ja, das stimme. Die Summe von 2000,-- Dollar hätte auch im Jahr 2009 gereicht, um nach Griechenlang zu kommen. Weiter gab der Beschwerdeführer an, dass sein Bruder bereits fünf Monate zuvor nach Österreich gekommen sei (XXXX - IF: XXXX). Würde er morgen in den Irak zurückgeschickt werden, dann wäre das quasi sein Todesurteil. Der Beschwerdeführer sei weder mit dem Gesetz in Konflikt geraten noch sei er strafrechtlich verfolgt worden, er habe weder Probleme mit der Polizei, weiteren (Sicherheits-)Behörden, dem Militär oder Gerichten gehabt. Er habe sich im Irak weder religiös noch politisch betätigt. Sein Schwiegervater sei Mitglied der Baath - Partei und dort eine wichtige Persönlichkeit gewesen. Seine Funktion wisse er nicht genau, er hätte aber lange Zeit Personenschutz gehabt.

Aus dem Akt geht nicht hervor, ob dem Beschwerdeführer eine Möglichkeit eingeräumt wurde, zu den herangezogenen und der Entscheidung zugrunde zulegenden Länderinformationen zum Irak eine Stellungnahme abzugeben.

2. Mit Bescheid des BFA vom 14.12.2016, Zl. XXXX, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dem Beschwerdeführer sei die Glaubwürdigkeit zu versagen bzw. habe dieser seine Furcht ob des Fehlens eines fundierten und substantiierten Vorbringens rund um etwaige Fluchtgründe nicht plausibel machen können. Vor diesem Hintergrund und aufgrund des Eindruckes des Aufbaus einer oberflächlichen Schilderung der Ereignisse und des Eindrucks des Verlassens des Heimatlandes aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen vermochte das BFA keine aktuelle und konkrete asylrelevante Verfolgung zu erkennen. Auch eine Gefährdung im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat könne nicht wahrgenommen werden.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde sodann, der Beschwerdeführer habe ob der grundsätzlich unwahren Angaben zu seinem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu verzeichnen bzw. sei eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben, sodass der Status des Asylberechtigten nicht zu gewähren sei. Der Beschwerdeführer verfüge im Irak über ausreichende Ressourcen und drohe diesem keine reale Gefahr einer Verletzung der von der EMRK gewährleisteten Rechte sowie keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts, sodass ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 29.12.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Der bekämpfte Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 02.01.2017 ordnungsgemäß zugestellt, wogegen mit Schreiben des Vertreters des Beschwerdeführers vom 13.01.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und ergänzend ausgeführt, dem Beschwerdeführer drohe als Sunnit und insbesondere aufgrund seiner Zugehörigkeit zur turkmenischen Minderheit Verfolgung vor dem IS, den schiitischen Milizen und den Kurden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für den Beschwerdeführer nicht. Das Verfahren vor der belangten Behörde genüge weder dem Prinzip der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts noch der Wahrung des Parteiengehörs. Ferner spreche der Beschwerdeführer Turkmenisch und nur schlecht Arabisch. Dennoch habe die Einvernahme in arabischer Sprache stattgefunden. Darüber hinaus befinde sich noch ein Bruder des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet (XXXX, XXXX), der selber subsidiär Schutzberechtigter sei.

4. Das BFA teilte dem BVwG am 23.06.2017 mit, dass der Beschwerdeführer am XXXX2017 in XXXX bei der Schleppung von drei illegal aufhältigen Personen von Wien nach Deutschland angehalten und festgenommen worden sei. Der Beschwerdeführer befinde sich derzeit in Deutschland in Untersuchungshaft.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

2.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.3. Beginnend mit dem Erkenntnis des VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, wurde zur Sachentscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes ausgeführt, dass die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme zur grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 VwGVG verankerte System verlange im Sinne der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Im angeführten Erkenntnis des VwGH wird diesbezüglich ausgeführt:

"Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden [...]".

2.4. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Der Beschwerdeführer gab bereits im Zuge seiner ersten Befragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu Protokoll, er sei sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Turkmenen an, was dieser auch bei seiner Einvernahme vor dem BFA wiederholte. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Umstand ließ das BFA aber vermissen und setzte sich damit auch in keinster Weise im in Beschwerde gezogenen Bescheid auseinander. Darüber hinaus finden sich diesbezüglich in der Entscheidung - und geht aus dem Protokoll zur Einvernahme vor dem BFA zusätzlich auch nicht hervor, dass dem Beschwerdeführer die Möglichkeit gegeben worden wäre, zu den herangezogenen Länderfeststellungen zum Irak eine Stellungnahme abzugeben - weder spezifische noch aktuelle Länderfeststellungen. Schlussfolgernd hätte es, für eine schlüssige Begründung der Einschätzung, es liege eine Glaubhaftigkeit zum behaupteten Fluchtgrund nicht vor, vor allem einer Auseinandersetzung mit der Lage der Minderheit der Turkmenen in den ausreichend qualitativ vorhandenen und aktuellen Länderfeststellungen und einer Überprüfung bedurft, ob dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit eine Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention droht und so ist dieses Versäumnis des BFA als besonders gravierende Ermittlungslücke anzusehen, weshalb der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht.

Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seiner Ausreise aus dem Irak vor, er sei aus Angst vor dem IS und aus Angst vor den schiitischen Milizen geflüchtet, zudem sei er bereits 2009 durch einen vor seiner Haustüre angebrachten Sprengsatz verletzt worden. Des Weiteren gab er an, dass im Jahr 2014 sein Onkel und auch einer seiner Cousins vom IS ermordet worden seien. Mit den o. a. diesbezüglichen Angaben hat sich das BFA weder im Rahmen der Einvernahme des Beschwerdeführers - obwohl dieser eine gut sichtbare Verletzung vorwies und einen Splitter des Sprengsatzes im Bein angab - noch im Zuge der vorgenommenen Beweiswürdigung näher beschäftigt. Der Beschwerdeführer brachte weiters vor, einer seiner Brüder sei bereits in Österreich aufhältig. Auch mit diesem Vorbringen hat sich das BFA in keinster Weise auseinandergesetzt. Dies wäre jedoch, insbesondere vor dem Hintergrund, dass diesem Bruder (XXXX, geb. XXXX) mit Bescheid des BFA vom 20.08.2015, Zl. 1068512403-150506519 RD Niederösterreich, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, von Bedeutung. Generell ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Entscheidung des BFA jegliche Auseinandersetzung zum Thema Zugehörigkeit zur Minderheit der Turkmenen vermissen lässt, zumal es sich entgegen der Einschätzung des BFA zweifellos um die Anwendung physischer Gewalt handelte, die sehr wohl als eine Verfolgungshandlung gelten kann. So stellte das BFA nur oberflächlich fest, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein für die Gewährung von internationalem Schutz relevanter Sachverhalt zu entnehmen sei und er sich in andere Teile seines Heimatlandes (beispielsweise nach XXXX) begeben könne. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die Entscheidung des BFA ansonsten einer jeglichen Auseinandersetzung mit einer innerstaatlichen Fluchtalternative entbehrt, die jedoch gerade im Falle des Beschwerdeführers, einem Turkmenen, in Betracht zu ziehen wäre. Dem gegenüber zog die belangte Behörde in ihren Ausführungen letztlich den Schluss, dass der Beschwerdeführer seine Heimat tatsächlich aus asylfremden Motiven - wie z. B. aus wirtschaftlichen Erwägungen - verlassen habe und sei ein Fluchtgrund im Sinne der GFK somit nicht gegeben. Diesbezüglich hat der Beschwerdeführer aber selber nie dezidiert angegeben, dass seine finanzielle Situation sehr schlecht sei, sondern im gesamten Verwaltungsverfahren immer wieder die schlechte Sicherheitslage betont. Schließlich unterblieb eine nähere Einvernahme des Beschwerdeführers zu all diesen Umständen, die aber im vorliegenden Fall unerlässlich gewesen wäre und so ist dieses Versäumnis des BFA als besonders gravierende Ermittlungslücke anzusehen, weshalb der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht.

Weiters ist noch anzuführen, dass das BFA zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 EMRK zwar Ausführungen in den Feststellungen, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung des bekämpften Bescheides tätigte, diesbezügliche Fragestellungen im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA sind dazu aber nicht ersichtlich - auch in diesen Punkten hat es die Erstbehörde missachtet, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.

Die Bescheidbegründung des BFA erweist sich im Ergebnis mangels entsprechender Ermittlungen und letztlich auch Feststellungen als nicht zur Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers tragfähig und wurde nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes der entscheidungswesentliche Sachverhalt für die Beurteilung einer asylrelevanten Gefährdungssituation aus einem der in der GFK genannten Gründe nicht ausreichend ermittelt.

2.5. Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers - in Turkmenisch - und nicht wie im vorangegangenen Verfahren in Arabisch - durchzuführen haben und sich mit dem gesamten Vorbringen, dies vor allem unter Heranziehung zeitlich aktueller Feststellungen zur Lage im Irak, im Besonderen auch zur Volksgruppe der Turkmenen, auseinanderzusetzen und diesbezüglich aktuelle, eindeutige und sachverhaltsbezogene Feststellungen zu treffen haben, erst dann wird eine nachvollziehbare Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes möglich sein.

Da im gegenständlichen Fall das den Kern des Vorbringens betreffende Ermittlungsverfahren vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre, käme das einem unerwünschten Abbau der Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens gleich, weshalb sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG verbietet.

Im gegenständlichen Fall hat das BFA, wie oben dargestellt, essentielle Ermittlungen unterlassen, weswegen im gegenständlichen Fall im Sinne der aktuellen Rechtsprechung des VwGH zu § 28 Abs. 3 VwGVG davon auszugehen ist, dass genau solch gravierende Ermittlungslücken vorliegen, die eben zur Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde (BFA) berechtigen, zumal das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhaltes nicht abschließend beurteilt werden kann, ohne sich erstmalig mit dem gesamten entscheidungsrelevanten Sachverhalt auseinandergesetzt zu haben.

Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das BFA zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

2.6. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Wie sich aus der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, besteht zur Frage der Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 VwGVG eine Rechtsprechung. Die vorliegende Entscheidung weicht von dieser Rechtsprechung auch nicht ab.

Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Begründungspflicht, Beweiswürdigung, Drohungen, Ermittlungspflicht,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Miliz,
Minderheitenzugehörigkeit, non-refoulement Prüfung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:L514.2145104.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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