TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/10 W261 2170797-1

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Veröffentlicht am 10.04.2018
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Entscheidungsdatum

10.04.2018

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W261 2170797-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 26.07.2017, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird stattgegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen auf Grund des festgestellten Grades der Behinderung in Höhe von 50 (fünfzig) von Hundert (v.H.) vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 25.02.2016 erstmals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice (im Folgenden belangte Behörde), welchen die belangte Behörde, nach Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens und der Einschätzung der Funktionseinschränkung "Multiple Sklerose" mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H., mit Bescheid vom 23.06.2016 abwies.

Am 25.04.2017 beantragte die Beschwerdeführerin erneut die Ausstellung eines Behindertenpasses bei der belangten Behörde und legte dabei einen neurologischen Befund vor.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 30.05.2017 erstatteten Gutachten vom 25.07.2017 führte der medizinische Sachverständige Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben - aus:

"Anamnese:

Operation: Schnittverletzung im Bereich des linken Daumens an der Palmarseite des Damengrundgelenkes durch zerplatzte Glühbirne, wegen mangelnder Versorgung septische Veränderungen, die dann mit operiert und nach Erysipelbefall mit Antibiose ausgeheilt wurden, keine bleibenden Schäden

Vorgutachten 05/2016 wegen Multiple Sklerose: 30%

Nachweis einer Multiple Sklerose seit 2012 mittels Lumbalpunktion im Krankenhaus XXXX nachgewiesen worden, auch im Magnetresonanzbefund des Schädels wurden Läsionen nachgewiesen, daraufhin Diagnosestellung einer Multiple Sklerose, weitere Behandlung im XXXX bei Prof. Dr. XXXX , erste Beschwerden von Seiten der Gangstörung traten jedoch schon seit 2007 auf, Therapie aufgrund der schleichend verschlimmernden Krankheitsverlaufes wurde vorerst keine kontinuierliche medikamentöse Therapie vorgeschlagen, eine kurzfristige Behandlung mit Copaxone wurde über ein Jahr lang 2013 angewendet, im Vordergrund der Problematik stehen: die Antragwerberin leidet vor allem darunter, dass sie Musikstücke, die früher ganz leicht wiedergegeben werden konnten nicht mehr aus dem Gedächtnis spielen kann, deswegen musste sie auch den Beruf als Konzertgeigerin aufgeben und arbeite derzeit nur mehr als Musiklehrerin, Störung der Feinmotorik der rechten Hand, auch beeinträchtigt beim Bedienen einer Tastatur (Computer), in letzter Zeit ist eine Verschlimmerung insbesondere des Gangbildes eingetreten, es werden physikalische Maßnahmen angewendet um die Mobilität zu erhalten

Schädigung der Wirbelsäule seit 30 Jahren nach Badeunfall, auch Sturz auf das Steißbein aus einer Höhe von ca. 1 m auf Stein, keine Fraktur, Verdacht auf Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulensegment, diese Symptomatik hat sich zum Teil mit den ersten Symptomen der MS überschnitten, kurzzeitige analgetische und antiphlogistische Therapie, mit Yoga und physikalische Maßnahmen abgeheilt, derzeit kein einschlägiges Therapieerfordernis,

Nikotin: 0, Alkohol: wenig, P: 2

Derzeitige Beschwerden:

Beeinträchtigung durch die Multiple Sklerose insbesondere das wiedergeben vom bereits erlernten Musikstücken, das eine Tätigkeit als Konzertgeigerin nicht mehr möglich macht, Einschränkung der Gehleistung, manchmal Schwindel, Müdigkeit, zwischenzeitlich muss ich die Antragwerberin immer wieder hinlegen, Gefühlsstörung im Bereich des rechten Beines, Taubheitsgefühl bis zum Knie reichend, Blasenstörung, Vorlagenwechsel 5-6 Mal täglich, keine gesondert zu behandelnde depressive Symptomatik

Behandlung(en)/Medikamente/Hilfsmittel:

Biotin H

Sozialanamnese:

erlernte Konzertgeigerin, zuletzt als Konzertgeigerin bis 2014 tätig gewesen, derzeit in der Amadeus internationalen Schule als Geigenlehrerin tätig, keine längeren Krankenstände, verheiratet, 2 Kinder von denen eines im Alter von 15 Jahren gemeinsamen Hausverband lebt, Gattin: Informatiker in Ausübung

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Neurologischer Befund vom 6.4.2017: Bei der Patientin besteht eine sekundär chronisch progrediente MS, wobei es im letzten Jahr leider zu einer deutlichen Verschlechterung gekommen ist, eine immunmodulatorische Therapie steht dzt. leider nicht zur Verfügung. Konkret hat sich im letzten Jahr die Gehstrecke auf max. 500 m ohne Pause verkürzt, weiters ist es zu einer gravierenden Verschlechterung der neurogenen Blasenfunktionsstörung gekommen, sodass die Patientin mittlerweile harninkontinent ist. Der EDSS Score hat sich demzufolge von 3.0 auf 5.5 verschlechtert.

Untersuchungsbefund:

...

Klinischer Status - Fachstatus:

Sauerstoffsättigung der Raumluft: p02: 96 %, Puls: 87/min, keine Ruhedyspnoe

Kopf: Zähne: Prothese, Lesebrille, Sensorium frei, Nervenaustrittspunkte unauff.

Hals: keine Einflussstauung, Schilddrüse schluckverschieblich, Lymphknoten o.B.

Thorax: symmetrisch,

Herz: normal konfiguriert, Herztöne rein, keine pathologischen Geräusche

Lunge: vesikuläres Atemgeräusch, Basen gut verschieblich, son.

Klopfschall

Wirbelsäule: Halswirbelsäule frei beweglich, Kinn-Jugulum-Abstand 2cm, seichte linkskonvexe Skoliose der Brustwirbelsäule, Fingerbodenabstand 5cm, thorakaler Schober 30/33cm, Ott: 10/14cm

Abdomen: weich, über Thoraxniveau, Hepar und Lien nicht palpabel, keine Resistenz tastbar

Nierenlager: beidseits frei

obere Extremität: frei beweglich, am linken Daumenballen geht palmarseitig querverlaufende blande Narbe nach Schnittverletzung, Globalfunktion und grobe Kraft beidseits erhalten, Nacken- und Kreuzgriff möglich

untere Extremität: frei beweglich, keine signifikante Involutionsatrophie der Unterschenkelmuskulatur, Umfang des rechten Unterschenkels: 34cm (links: 35cm), keine Ödeme, keine trophischen Hautstörungen, Reflex lebhaft auslösbar, Babinski negativ, Zehen- und Fersengang möglich

Gesamtmobilität - Gangbild:

Leicht unsicheres Gangbild, keine Gehhilfe erforderlich

Status Psychicus:

Zeitlich und örtlich orientiert, ausgeglichene Stimmungslage, normale Kommunikation möglich

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

GdB %

1

Encephalitis disseminata Eine Stufe über dem utneren Rahmensatz, da leichte Gangataxie bei einwandfrei nachgewiesener Herdbildung; inkludiert eine Begleitdepression, leichte kognitive Störung und Harninkontinenzbeschwerden

04.08.01

30

2

Degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Zustand nach Steißbeinprellung Oberer Rahmensatz, da nachvollziehbare Symptomatik und geringe Funktionseinschränkung

02.01.01

20

 

Gesamtgrad der Behinderung 30 v.H.

 

 

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden unter lf. Nr. 1) wird durch die Gesundheitsschädigung unter lf. Nr. 2) nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken besteht.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Blande Narbe nach Schnittverletzung im Bereich des linken Daumens ohne signifikante Funktionsstörung bedingt keinen Grad der Behinderung.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Hinsichtlich der bereits anerkannten Gesundheitsschädigung unter lf. Nr. 1) ergibt sich kein abweichendes Kalkül. In dem neu vorgelegten neurologischen Befund wird keine Funktionsstörung dokumentiert, die vom anlässlich der amtswegigen Untersuchung erhobenen Status abweicht und sohin die postulierte Verschlimmerung nachvollziehbar macht. Durch das neu aufgenommene Leiden unter lf. Nr. 2) ist keine Änderung der Gesamteinschätzung gerechtfertigt.

...

[x] Dauerzustand

..."

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab und führte begründend aus, dass das medizinische Beweisverfahren einen Grad der Behinderung von 30 v.H. ergeben habe, und somit die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien. Die belangte Behörde übermittelte mit dem Bescheid das ärztliche Sachverständigengutachten an die Beschwerdeführerin.

Mit E-Mailnachricht vom 11.09.2017 erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid fristgerecht die gegenständliche, als "Einspruch" bezeichnete Beschwerde und bezog sich dabei auf den bereits bei Antragsstellung vorgelegten Befund ihres behandelnden Neurologen, in welchem eine sekundär progrediente Form der Multiplen Sklerose bestätigt werde, für welche es keine Therapie gebe. Der Arzt habe eine Ataxie der Extremitäten sowie eine fortschreitende Inkontinenz attestiert, welche Funktionseinschränkungen mittleren Grades verursachen würden. Die Beschwerdeführerin benötige dringend einen Eurokey. Sie können ihren Beruf nur dann weiterhin ausüben, wenn sie mit ihrer chronischen Krankheit unterstützt werde. Die Beschwerdeführerin legte ihrer Beschwerde keine medizinischen Befunde bei.

Diese Beschwerde nahm das Bundesverwaltungsgericht zum Anlass, um ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie einzuholen. Der medizinische Sachverständige kam in seinem nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten vom 20.03.2018 im Wesentlichen zu folgendem Ergebnis:

"...

Anamnese: Begleitung ( XXXX Ehemann und Assistenzhund). 2012 wurde multiple Sklerose diagnostiziert, derzeit chronisch progredient.

..

Subjektive Beschwerden. Es werden Gleichgewichtsstörung, Stolpern, Stürze, verkürzte Gehstrecke, Harninkontinenz, Schluckstörung angegeben.

...

Medikamente (neurologisch/psychiatrisch): Akineton b. Bedarf, ß-Blocker b. Bedarf

Neurostatus:

Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen, bis auf leichte Feinmotorikstörung re, Faustschluss, Fingerspreizen, Pinzettengriff bds. möglich. Die Muskeleigenreflexe sind recht betont übermittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten besteht eine mäßig diffuse Schwäche rechts.

Fersen/Zehenspitzen/Einbeinstand bds. möglich

Die Muskeleigenreflexe sind rechts betont übermittellebhaft auslösbar.

Die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird im Bereich der rechten Körperhälfte als gestört angegeben. Blasenstörung mit Harninkontinenz. Das Gangbild ist ohne Hilfsmittel etwas breitbasig.

1) Diagnosen

1) Sekundäre chronisch progrediente Multiple Sklerose 04.08.02 50 %

Unterer Rahmensatz, da progredienter Verlauf mit mäßig sensomotorischen Ausfällen rechts, Inkontinenz und zeitweiser Schluckstörung

2) Degenerative Veränderung der Wirbelsäule, Zustand nach Steißbeinprellung 02.01.01 20 %

Oberer Rahmensatz, da nachvollziehbare Symptomatik und geringe Funktionseinschränkung

2) Gesamt GdB 50 % da GdB 1 durch GdB 2 nicht ungünstig beeinflusst wird

3) Stellungnahme

Abl. 31: Änderung im Vergleich zum Vorgutachten, da eine Verschlechterung der Funktionsausfälle klinisch und befundmäßig objektiviert werden kann. Es bestehen mäßig sensomotorische Ausfälle rechts, eine Harn- und zeitweise Stuhlinkontinenz

4) Änderung zum VGA da eine Verschlechterung der Funktionsausfälle klinisch und befundmäßig objektiviert werden kann.

5) Dauerzustand

..."

Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Schreiben vom 26.03.2018 das genannte Gutachten an die Parteien des Verfahrens mit der Möglichkeit, hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Keine der Parteien gab innerhalb der gewährten Frist eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin brachte am 25.04.2017 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

-

Sekundäre chronisch progrediente Multiple Sklerose

-

Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Zustand nach Steißbeinprellung

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 50 v.H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, wechselseitiger Leidensbeeinflussung und medizinischer Einschätzung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 20.03.2018 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung zur Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergibt sich aus der seitens des Bundesverwaltungsgerichts am 27.03.2018 durchgeführten Abfrage aus dem Zentralen Melderegister, aus der sich ein Hauptwohnsitz im österreichischen Bundesgebiet ergibt; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.

Die Feststellung zum Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 20.03.2018, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom selben Tag.

Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweisen, oben im Original wiedergegebenen Ausführungen aus dem Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 20.03.2018.

Das Gutachten weicht in seiner Einschätzung vom erstinstanzlichen Vorgutachten ab und begründet widerspruchsfrei und schlüssig die nunmehr höhere Einschätzung; vgl. dazu die oben wiedergegebenen Auszüge aus den Gutachten.

Die Beschwerdeführerin ist diesem Sachverständigengutachten im Rahmen des ihr durch das Bundesverwaltungsgericht eingeräumten Parteiengehörs nicht entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093). Die belangte Behörde gab ebenfalls keine Stellungnahme ab.

Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

...

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der GdB im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 20.03.2018 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 50 v.H. beträgt.

Wie ebenfalls bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, wurde das vorliegende aktuelle Gutachten von keiner der Parteien des Verfahrens bestritten.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses bei der Beschwerdeführerin somit erfüllt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und auf das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und vorgelegten Atteste der Beschwerdeführerin in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Beschwerdeführerin nicht substantiiert entgegengetreten ist. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurden keine diesem Gutachten widersprechende Befunde oder Gegengutachten vorgelegt. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W261.2170797.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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