TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/11 W200 2182667-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.04.2018
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Entscheidungsdatum

11.04.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W200 2182667-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ und den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI und den fachkundigen Laienrichter Mag. HALBAUER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, BA, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (SMS) vom 04.12.2017, Zl. 98522154600034, mit welchem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 42 und 47 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. I Nr. 283/1990, idF BGBl. I Nr. 39/2013 iVm § 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 01.08.2017 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses samt Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" und nannte als Gesundheitsschädigungen spastische Tetraparese, CTS, fehlsichtig, Stuhl- und Harninkontinenz.

Dem Antrag angeschlossen waren eine elektroneurodiagnostischer Befund vom 18.05.2016, ein neurologisch-psychiatrischer Befund vom 08.09.2016, ein psychologischer Befund vom 20.10.2016, ein Laborbefund vom 09.02.2017, ein Arztbrief über eine neurologische Rehabilitation über einen stationären Aufenthalt vom 14.02.2017 bis 14.03.2017, ein ophthalmologischer Befund vom 09.03.2017.

Das eingeholte allgemeinmedizinische Gutachten ergab einen Gesamtgrad von 50 von Hundert und gestaltete sich wie folgt:

"Anamnese: (...)

Frühgeburt in der 24. Woche, Schnittentbindung im Krankenhaus Göttl. Heiland, dann Versorgung an der Kinderklinik Glanzing, insgesamt 3 Monate dort behandelt werden, bleibende Schäden:

Entwicklungsstörung, cerebrale Parese mit hauptsächliche Befall beider Beine, auch die Arme betreffend Feinmotorik beeinträchtigt, keine kognitive Störung, mangelnde Belastbarkeit im Vergleich zu gleichaltrigen Arbeitnehmern, aus diesem Grund ist auch das Arbeitsverhältnis durch den Dienstgeber beendet worden, auch die vorhergehende Anstellung beim Jugendamt wurde durch den Dienstgeber aufgrund der mangelnden Belastbarkeit (sowohl körperlich als auch psychisch) beendet. wegen einer derzeit vorherrschenden depressiven Episode wird Dulasolan 60 mg 1-0-0 angewendet, Psychotherapie wird einmal wöchentlich angewendet, keine stationäre Behandlung an einer psychiatrischen Fachabteilung, in der Schulzeit aufgrund der körperlichen Behinderung von Mitschülern gemobbt worden, war neurotische Reaktion wie Essstörung in der 6.-8. Schulklasse, die Antragwerberin hat jedoch mit Auszeichnung maturiert und ein Studium mit Erfolg abgeschlossen, keine diesbezüglichen Beschwerden, normale Ernährungszustand, aufgrund der körperlichen Beeinträchtigung insbesondere an den Beinen werden nächtliche Prothesen angewendet, Spitzfüße wurden orthopädisch konservativ behandelt, einmal eingegipst worden, aufgrund dessen verwendet die Antragwerberin nächtliche Orthese, Beschwerden: Schmerzen und Gangstörung, keine Gehhilfe erforderlich, (die Antragwerberin hat erst im 2. Lebensjahr Gehen gelernt), Verwendet einen "Navigator" um eine sicherere Gehleistung zu erzielen, es ist auch schon vorgekommen, dass die Antragswerberin gestürzt ist uns sich eine Rissquetschwunde an der Stirne zugezogen hat (02/2017), Erstversorgung im Lorenz Böhler Krankenhaus,

Nik: 10, Alk: wenig, P: 0

Derzeitige Beschwerden:

Im Vordergrund steht die auftretenden Schmerzen und die rasche Ermüdbarkeit, wegen der bestehenden Stuhl- und Harninkontinenz fühlt sich die Antragswerberin sehr beeinträchtigt, es sind Inkontinenzbehelfe erforderlich, die Vorlage müssen 3- bis 5-mal täglich gewechselt werden, imperativer Stuhldrang, keine völlige Inkontinenz,

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Dulasolan 60

Sozialanamnese:

Erlernte Sozialarbeiterin (Abschluss mit Bachelor, vorher Matura mit Auszeichnung bestanden), zuletzt als Sozialarbeiterin in einer Schule und einem Begegnungsraum bis 04/2016 geringfügig beschäftigt gewesen, Kündigung durch den Dienstgeber wegen unbefriedigendem Ergebnis der geleisteten Arbeit (durch die körperliche Beeinträchtigung), seither arbeitslos gemeldet, ledig, keine Kinder, Antragwerberin lebt alleine in einer Wohnung im 3. Stock mit Lift,

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Nervenleitgeschwindigkeitsmessung vom 18.05.2016/Zusammenfassung:

der Nervus medianus beidseits ist motorisch unauffällig, die sensible antidrome Nervenleitgeschwindigkeit ist links pathologisch, rechts zum 1. Finger pathologisch und zum 2. Finger unauffällig, der Nervus radialis links ist sensibel unauffällig, der Nervus peroneus, der Nervus tibialis und der Nervus suralis beidseits sind im Normbereich, Beurteilung: der Befund spricht für ein incipientes Carpaltunnelsyndrom beidseits,

Neurologisch-psychiatrischer Befund vom 08.09.2016/Anamnese:

Tetraspastik, infantiler cerebrale Parese, zuletzt vermehrt

Schmerzen und Gangunsicherheit, Diagnose: Schere depressive Episode, incipientes Carpaltunnelsyndrom beidseits, Tetraspastik, neurogene

Blasen Störung, Therapie: Dulasolan 60, Psychotherapie,

Psychologischer Befund vom 20.10.2016/Conclusio: Eine Arbeitstätigkeit normalen Ausmaß (40h/Woche) in ihrem erlernten Beruf (Sozialarbeiterin) ist nicht zumutbar, eine konzentriertere Tätigkeit für mehr als 2-3 Stunden pro Tag ist aus neuropsychiatrischer Sicht nicht möglich,

Laborbefund vom 09.02.2017: Glukose: 104 mg% (<100), Cholesterin:

219 mg% (0-200),

Laborbefund vom 09.02.2017/Harnbefund: positiv auf Ketonkörper, Bilirubin, Blut im Harn und Leukozyten, keine Mikroalbuminurie,

neurologische Rehabilitation-Arztbrief der Reha Bad Radkersburg vom 13.03.2017/Diagnose: infantile Cerebralparese bei Zustand nach Frühgeburt, Tetraspastik und neurogene Blasenentleerungsstörung, incipientes Carpaltunnelsyndrom beidseits, Depression, medikamentöse Therapie: Dulasolan 60 1x1,

Epikrise/Procedere/Therapieempfehlung: Patient ist im Alltag selbstständig, Hilfsmittel: Nachtlagerungsorthese beide Füße und Inkontinenzeinlagen, Durchführung des bei uns erlernten Heimübungsprogramme sowie Wiederholung der stationären Reha in jährlichen Intervall zum Erhalt des Status quo empfohlen,

Ophthalmologischer Befund vom 09.03.2017/Diagnose:

Refraktionsfehler, linkes Auge Schielamblyopie, Hypermetropie beidseits, Astigmatismus beidseits, korrigierter Visus rechts: 1,0, korrigierter Visus links: 0,4 p, Augendruck: 16/14 mmHg,

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: guter Allgemeinzustand, Ernährungszustand: guter Ernährungszustand

Größe: 157,00 cm Gewicht: 50,00 kg Blutdruck: 125/80

Klinischer Status - Fachstatus:

Sauerstoffsättigung der Raumluft: pO2: 98%, Puls 78/min, keine Ruhedyspnoe

Kopf: Zähne: saniert, Fernbrille, Sensorium frei, Nervenauftrittspunkte unauff.,

Hals: keine Einflussstauung, Schilddrüse schluckverschieblich, Lymphknoten o.B.,

Thorax: symmetrisch,

Herz: normal konfiguriert, Herztöne rein, keine pathologischen Geräusche,

Lunge: vesikuläres Atemgeräusch, Basen gut verschieblich, son.

Klopfschall

Wirbelsäule: Halswirbelsäule frei beweglich, Kinn-Jugulum-Abstand 2 cm, seichte linkskonvexe Skoliose der Brustwirbelsäule, Fingerbodenabstand 30 cm, thorakaler Schober 30/33cm, Ott: 10/13cm, Hartspann der Lendenwirbelsäule,

Abdomen: weich, über Thoraxniveau, Hepar und Lien nicht palpabel, keine Resistenz tastbar, blande Narben nach Appendektomie,

Nierenlager: beidseits frei,

obere Extremität: frei beweglich, geringe Störung der Feinmotorik, Globalfunktion und grobe Kraft beidseits erhalten, Nacken- und Kreuzgriff möglich,

untere Extremität: frei beweglich bis auf Funktionsstörung beider Sprunggelenke (10/0/20°), Umfang des rechten Sprunggelenkes: 21,5cm (links: 21cm), geringe Paraparese mit Störung der Feinmotorik, frei Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke, Kniegelenke beidseits fester Bandapparat, Circumferenz rechts: 34cm (links: 33cm), Involutionsatrophie der Unterschenkelmuskulatur links, Umfang des linken Unterschenkels: 29cm (rechts (31,5cm), keine Ödeme, keine trophischen Hautstörungen, Reflex lebhaft auslösbar, Babinski negativ, Zehen- und Fersengang möglich,

Gesamtmobilität - Gangbild:

leichte Gangataxie, keine orthopäd. Schuhversorgung, keine Gehhilfe,

Status Psychicus:

zeitlich und örtlich orientiert, ausgeglichene Stimmungslage, normale Kommunikation möglich,

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Tetraspasktik bei infantiler Cerebralparese Unterer Rahmensatz, da selbstständige Fortbewegung möglich; inkludiert incipientes Carpaltunnelsyndrom, neurogene Blasenentleerungsstörung und imperativen Stuhldrang; eine völlige Stuhlinkontinenz kann nicht ermittelt werden

04.01.02

50

2

Depression eine Stufen über dem unterer Rahmensatz, da regelmäßige psychotherapeutische und fachärztliche Behandlung sowie medikamentöse Monotherapie erforderlich sind, jedoch keine stationäre Behandlung an einer Fachabteilung in der Anamnese,

03.06.01

20

3

Reduktion des Sehvermögens links auf 0,4 bei normalem Sehvermögen rechts (1,0)m Tab. Kolonne 4, Zeile 1

11.02.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Das führende Leiden unter lf. Nr. 1) wird durch die Gesundheitsschädigung unter lf. Nr. 2) nicht erhöht, da Leidensüberschneidung vorliegt. Leiden 3) erhöht nicht, da kein maßgebliches ungünstiges funktionelles Zusammenwirken besteht.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Glucosetoleranzstörung mit geringgradig erhöhten Blutzuckerwerten erreicht keinen Grad der Behinderung.

Erhöhter Blutfettspiegel stellt zwar einen Risikofaktor vor, erreicht jedoch keinen Grad der Behinderung.

(...)

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine, da die anerkannten Gesundheitsschädigungen keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge haben. Im Gutachten wurde festgestellt, dass bei der AW keine höhergradige Funktionsstörung der unteren Extremitäten vorliegt. Es finden sich im klinischen Befund keine signifikanten motorischen Ausfälle. Die AW kann eine kurze Wegstrecke von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen. Die Inkontinenzsymptomatik kann durch geeignete Inkontinenzbehelfe ausreichend versorgt werden und bedingt keine Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel. Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der psychischen, neurologischen und intellektuellen Funktionen vor; die Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum ist gegeben. Ein nachweislich therapierefraktäres schweres Anfallsleiden ist nicht dokumentiert.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein, da keine erhebliche Einschränkung des Immunsystems durch objektive medizinische Befunde belegt wird."

Mit Bescheid vom 04.12.2017 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde auf das eingeholte Gutachten verwiesen.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin an Inkontinenz leide. Es sei ihr unzumutbar sowohl in Autobussen als auch vor allem in Zügen ohne Toilettanlagen auch nur kürzere Strecken "eingesperrt" zu sein. Selbst in Bahnhöfen seien diese zum Teil versperrt oder zumindest ekelerregend unhygienisch. Die Feststellung, dass eine völlige Stuhlinkontinenz nicht ermittelt werden könne, empfinde sie als Verhöhnung. Manchmal in die Hose zu machen, sei wohl zumutbar in den Augen des Sachverständigen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 von Hundert.

Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

1.2. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:

Status:

Wirbelsäule: Halswirbelsäule frei beweglich, Kinn-Jugulum-Abstand 2 cm, seichte linkskonvexe Skoliose der Brustwirbelsäule, Fingerbodenabstand 30 cm, thorakaler Schober 30/33cm, Ott: 10/13cm, Hartspann der Lendenwirbelsäule,

Abdomen: weich, über Thoraxniveau, Hepar und Lien nicht palpabel, keine Resistenz tastbar, blande Narben nach Appendektomie,

Nierenlager: beidseits frei,

obere Extremität: frei beweglich, geringe Störung der Feinmotorik, Globalfunktion und grobe Kraft beidseits erhalten, Nacken- und Kreuzgriff möglich,

untere Extremität: frei beweglich bis auf Funktionsstörung beider Sprunggelenke (10/0/20°), Umfang des rechten Sprunggelenkes: 21,5cm (links: 21cm), geringe Paraparese mit Störung der Feinmotorik, frei Beweglichkeit der Hüft- und Kniegelenke, Kniegelenke beidseits fester Bandapparat, Circumferenz rechts: 34cm (links: 33cm), Involutionsatrophie der Unterschenkelmuskulatur links, Umfang des linken Unterschenkels: 29cm (rechts (31,5cm), keine Ödeme, keine trophischen Hautstörungen, Reflex lebhaft auslösbar, Babinski negativ, Zehen- und Fersengang möglich,

Gesamtmobilität - Gangbild:

leichte Gangataxie, keine orthopäd. Schuhversorgung, keine Gehhilfe,

Die Beschwerdeführer leidet an einer Harninkontinenz sowie einer Stuhlinkontinenz (Grad 2, unwillkürlicher Stuhlabgang ca. 2x/Monat).

Funktionseinschränkungen: Tetraspasktik bei infantiler Cerebralparese, Depression, Reduktion des Sehvermögens links auf 0,4 bei normalem Sehvermögen rechts (1,0)m

1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Die Beschwerdeführerin kann eine kurze Wegstrecke von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen. Die Harninkontinenzsymptomatik kann durch geeignete Inkontinenzbehelfe ausreichend versorgt werden und bedingt keine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Der mit zweimal pro Monat angegebene unwillkürliche Stuhlabgang verursacht ebenfalls keine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der psychischen, neurologischen und intellektuellen Funktionen vor; die Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum ist gegeben. Ein nachweislich therapierefraktäres schweres Anfallsleiden ist nicht dokumentiert.

Die Beschwerdeführerin kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen. Das Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel, das Bewältigen von Niveauunterschieden oder Hindernissen, die Sitzplatzsuche und die notwendige Fortbewegung innerhalb eines öffentlichen Verkehrsmittels kann bewältigt werden. Das Festhalten beim Ein- und Aussteigen ist möglich.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirken sich - auch im Zusammenwirken - nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus. Es besteht keine erhebliche Einschränkung der Mobilität durch die festgestellten Funktionseinschränkungen. Es besteht auch keine Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, es besteht keine schwere Erkrankung des Herz-Kreislaufsystems oder der Lunge.

Bei der Beschwerdeführerin liegen auch keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder der Sinnesfunktionen vor, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen.

Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.

2. Beweiswürdigung:

Zur Klärung des Sachverhaltes war von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin eingeholt worden. In diesem Gutachten wurde der Zustand der Beschwerdeführerin im Detail dargelegt und kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Die Leiden führen laut Gutachten nachvollziehbar nicht zu Funktionsbeeinträchtigungen der oberen und unteren Extremitäten, die die Mobilität erheblich und dauerhaft einschränken.

Laut Gutachter finden sich keine signifikanten motorischen Ausfälle, sie kann eine kurze Wegstrecke von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe ohne Behelfe zurücklegen. Auch seien keine Behelfe für das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel notwendig.

Die Folgen der Harninkontinenz können mit entsprechenden Einlagen ausreichend kompensiert werden. Laut Arztbrief vom 14.3.2017 (neurologische Rehabilitation, Reha Radkersburg) versorgt sich die Beschwerdeführerin selbst mit Attens-Einlagen Gr. 4.

Ebenfalls laut Arztbrief vom 14.3.2017 kommt es bei der Beschwerdeführerin ca. 2x/Monat zu unwillkürlichem Stuhlabgang. Eine ca. 2x/Monat auftretende Stuhlinkontinenz kann, ohne diese verharmlosen zu wollen, nicht zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führen. Dies auch im Lichte der dazu bisher ergangenen Judikatur des VwGH, wo sich dieser mit Fällen von täglicher und mit hoher (mehr als 10x/Tag) Frequenz auftretender Stuhlinkontinenz auseinandersetzte. Aus Sicht des erkennenden Senates können ca. zwei Mal im Monat auftretende Probleme bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zur Unzumutbarkeit deren Benützung führen und müssen die Funktionseinschränkungen sich auch in einem überwiegenden zeitlichen Ausmaß negativ auf die Benutzung auswirken.

2. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Zu A)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).

Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:

Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 wird ausgeführt:

Ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sind Funktionseinschränkungen relevant, die die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Alle therapeutischen Möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des behandelnden Arztes/der behandelnden Ärztin ist nicht ausreichend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen. Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen.

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

-

bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)

Bei der Beschwerdeführerin liegen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine maßgebenden Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder von Sinnesfunktionen festgestellt werden, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen. Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.

Die Harninkontinenz ist ausreichend kompensierbar, die Stuhlinkontinenz ist von ihrer Ausprägung unter Zugrundelegung der ständigen VwGH Judikatur (Ra 2016/11/0137 vom 09.11.2016, Ra 2016/11/0018 vom 21.04.2016) nicht dergestalt, dass sie eine Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar macht (vgl. II.).

Der erkennende Senat kommt unter Zugrundelegung des erstatteten nachvollziehbaren Gutachten sowie des Arztbriefes vom 14.3.2017 zur Entscheidung, dass der Beschwerdeführerin das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. (§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. (§ 24 Abs. 2 Z.1 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Zur Klärung des Sachverhaltes war von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin eingeholt worden. Im vorzitierten Gutachten wurde der Zustand der Beschwerdeführerin im Detail dargelegt und das Nichtvorliegen der Voraussetzungen - konkret das Nichtvorliegen erheblicher Funktionseinschränkungen - für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung festgestellt.

Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde das Sachverständigengutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit der Beschwerdeführerin mündlich zu erörtern gewesen wäre - wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist das Beschwerdevorbringen - in Anbetracht der hiezu ergangenen Ausführungen in dem vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachten und dem vorgelegten Arztbrief vom 14.3.2017 - nicht geeignet darzutun, dass eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliegt, und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W200.2182667.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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