Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch die Salburg Rechtsanwalts GmbH, Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M*****, vertreten durch die Benn-Ibler Rechtsanwälte GmbH, Wien, und 2. A*****, Jersey, vertreten durch die Dorda Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen 24.865,67 EUR sA, über die Revision der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. Dezember 2017, GZ 4 R 166/17m-25, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 28. August 2017, GZ 51 Cg 31/16i-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.644,66 EUR (darin enthalten 274,11 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin macht Schadenersatzansprüche aus dem Erwerb von insgesamt 1.604 Stück der an der Wiener Börse gehandelten und von der Zweitbeklagten emittierten Zertifikate geltend. Diese nach wie vor von ihr gehaltenen Zertifikate erwarb sie über die Erstbeklagte, dem für die Platzierung der Zertifikate zuständigen Kreditinstitut. Am Privatbeteiligtenanschluss vom 23. 7. 2010 schloss sich die vom nunmehrigen Klagevertreter vertretene Klägerin dem bei der zuständigen Staatsanwaltschaft gegen die Erstbeklagte geführten Ermittlungsverfahren mit einem Schadensbetrag von 28.471,65 EUR (das ist im Wesentlichen der Kaufpreis der Zertifikate) an.
Sie begehrt nun die Rückzahlung des um ausbezahlte Dividenden verminderten Kaufpreises samt Nebengebühren gegen Übertragung dieser Wertpapiere als Schadenersatz wegen irreführender Werbung, Marktmanipulationen und Verletzungen der Ad-hoc-Meldepflicht. Bei Kenntnis der wahren Umstände hätte sie nicht diese Veranlagung gewählt, sondern ihr Geld auf einem Sparbuch veranlagt und den Schaden nicht erlitten. Die Ansprüche seien ungeachtet der erst im Mai 2016 eingebrachten Klage nicht verjährt. Sie habe mit einem Prozessfinanzierer eine Vereinbarung geschlossen, durch die sie diese bevollmächtigt habe, ihre Ansprüche wegen der erworbenen Wertpapiere zu verfolgen; aufgrund dieser Vollmacht habe der Prozessfinanzierer dem nunmehrigen Klagevertreter Vollmacht für das Straf- und Zivilverfahren erteilt.
Die Erstbeklagte wendete unter anderem Verjährung ein. Der Privatbeteiligtenanschluss sei nicht ausreichend individualisiert erfolgt. Zudem seien die zu beurteilenden Vorwürfe weder Gegenstand des Strafverfahrens noch des Privatbeteiligtenanschlusses gewesen. Dieser habe nicht den Formerfordernissen der StPO entsprochen, weil er mittels CD-ROM erfolgt sei. Außerdem habe die Klägerin mit dem Klagevertreter erst Jahre nach dem Privatbeteiligtenanschluss Kontakt gehabt, weshalb keine wirksame Bevollmächtigung dafür vorliege.
Die Klägerin und die Zweitbeklagte vereinbarten Ruhen des Verfahrens.
Die Vorinstanzen gaben der Klage gegen die Erstbeklagte (mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens und eines Benützungsentgelts) statt. Sie bejahten deren Haftung aufgrund der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung und verneinten die Verjährung der Ansprüche wegen der Unterbrechungswirkung durch den Privatbeteiligtenanschluss.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof die Frage der Unterbrechungswirkung von Privatbeteiligtenanschlüssen einer hohen Anzahl Geschädigter mittels Datenträgers noch keiner tiefergehenden Betrachtung unterzogen habe.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Erstbeklagten mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Lassen sich die entscheidungserheblichen Fragen trotz neuer Sachverhaltselemente mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung lösen, bewirkt auch der Umstand, dass sie in einer Vielzahl von Fällen auftreten, noch nicht ihre Erheblichkeit im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042656 [T48]; RS0042816).
1.1. Zunächst ist die Feststellung der Tatsacheninstanzen hervorzuheben, dass die Daten auf der CD-ROM nach Einlangen bei der Staatsanwaltschaft Wien ausgedruckt und zum Akt genommen wurden. Damit kommt es auf die Frage, ob ein Privatbeteiligtenanschluss (nur) mittels Übergabe einer CD-ROM wirksam ist, nicht an (3 Ob 188/17v; 6 Ob 191/17g; 8 Ob 124/17v; 1 Ob 28/18a).
1.2. Mit Form und Inhalt eines Privatbeteiligtenanschlusses hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 Ob 45/17s (RIS-Justiz RS0041512) auseinandergesetzt und das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO verneint. Auf diese Ausführungen, denen sich inzwischen der erkennende und andere Senate des Obersten Gerichtshofs angeschlossen haben (1 Ob 183/17v; 3 Ob 188/17v; 4 Ob 141/17i; 6 Ob 191/17g; 8 Ob 124/17v ua), kann verwiesen werden.
Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass in jenem Straf- und in diesem Zivilverfahren der Schädiger vom Berechtigten wegen des gleichen Vermögensnachteils belangt wurde (1 Ob 534/95; RIS-Justiz RS0041512) und dieser unter Angabe des Kaufpreises und unter Bezugnahme auf die Irreführung durch Werbeunterlagen ausreichend konkretisiert und individualisiert wurde, ist nicht zu beanstanden und bedarf keiner Korrektur. Es reicht aus, wenn das Bestehen eines aus der Straftat entstandenen, im Zivilrechtsweg geltend zu machenden Anspruchs schlüssig behauptet wird und sich ein Zusammenhang zwischen der Tat (also dem Lebenssachverhalt und nicht [zwingend] seiner rechtlichen Qualifikation als eine bestimmte strafbare Handlung: vgl dazu 1 Ob 116/17s = RIS-Justiz RS0131804 [T4]; RS0113142) und dem Anspruch ableiten lässt, und zwar unabhängig davon, ob vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten vorliegt bzw ob die angeklagte Straftat überhaupt begangen wurde (10 Ob 45/17s). Erkennbar war damit hier, von wem und weswegen die Klägerin als Privatbeteiligte Ersatz verlangte (vgl RIS-Justiz RS0034631 [T3, T5, T10]).
1.3. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren dieselben rechtlichen Wirkungen im Sinne des § 1497 ABGB wie eine Klage (RIS-Justiz RS0034631). Da ein zivilrechtlicher Anspruch auch im Strafverfahren im Wege der Privatbeteiligung geltend gemacht werden kann, kommt dieser Erklärung grundsätzlich verjährungsunterbrechende Wirkung zu (2 Ob 180/00k mwN = SZ 74/89). Diese Rechtsprechung wurde auch nach dem Strafprozessreformgesetz fortgesetzt. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs 2 StPO beginnt das Strafverfahren, sobald die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu ermitteln beginnt. Das Strafverfahren endet durch Einstellung oder Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft oder durch gerichtliche Entscheidung. Privatbeteiligter (§ 65 Z 2 StPO) kann nur sein, wer Opfer (§ 65 Z 1 StPO) ist. Der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren erfolgt durch Erklärung (§ 67 Abs 2 StPO) gegenüber Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder nach Einbringung der Anklage dem Gericht (§ 67 Abs 3 Satz 1 StPO). Für die Unterbrechung der Verjährung reicht, dass die Klägerin die klagsgegenständlichen Ansprüche innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist ausreichend konkretisiert und individualisiert im Strafverfahren als Privatbeteiligter geltend macht (6 Ob 71/15g; 10 Ob 45/17s).
Mit ihrer Behauptung (im Anschluss an G. Schima/Wallisch, Keine „Belangung“ gemäß § 1497 ABGB durch Privatbeteiligtenanschluss ohne Information des Schädigers, wbl 2017, 559 [561 ff]), ein Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren unterbreche per se die Verjährung des Schadenersatzanspruchs nicht gemäß § 1497 ABGB und Voraussetzung für die Verjährungsunterbrechung sei, dass der Schädiger vom Privatbeteiligtenanschluss Kenntnis erlange, weicht die Revisionswerberin von der zitierten ständigen Judikatur ab. Der Begriff „vom Berechtigten belangt“ bringt zum Ausdruck, dass die gerichtliche Geltendmachung auch auf andere Art als durch Klage erfolgen kann (10 Ob 45/17s mwN). Die Verständigung vom Privatbeteiligtenanschluss durch die Strafverfolgungsbehörden ist von keinem Gesetz vorgesehen. Diese Rechtslage führt aber nicht dazu, dass die Verständigung vom Geschädigten selbst vorgenommen werden müsste, um die Unterbrechungswirkung auszulösen. Die Übermittlung der Anschlusserklärung mit beziffertem Begehren an den Schädiger durch den Privatbeteiligten verlangt § 1497 ABGB für die Unterbrechung der Verjährung gerade nicht. Der Geschädigte hat durch den ordnungsgemäßen Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren des Schädigers seine Rechte gewahrt. Ihm ist kein objektiver Nachlässigkeitsvorwurf bei der Verfolgung seiner privatrechtlichen Ansprüche zu machen, wenn er im Strafverfahren keine weiteren Schritte setzt. Wird nach begangener Straftat gegen den Beschuldigten ein Strafverfahren eingeleitet, muss dieser bei Schäden mit privatrechtlichen Ansprüchen des Opfers rechnen. Ein Privatbeteiligtenanschluss ist in diesem Fall nicht ungewöhnlich. Wird der Angeklagte verurteilt, so ist im Urteil über die privatrechtlichen Ansprüche zu entscheiden (§ 366 Abs 2 Satz 1 StPO). Die Ansicht von G. Schima/Wallisch würde dazu führen, dass trotz allein ausreichenden Privatbeteiligtenanschlusses mangels Verständigung des Beschuldigten während eines länger dauernden Strafverfahrens bereits Verjährung des Anspruchs eintreten könnte. Gerade dafür gibt es in der StPO aber keine Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber sieht für die verjährungsunterbrechende Geltendmachung privatrechtlicher Ansprüche durch den Privatbeteiligtenanschluss dessen Zustellung an den Schädiger gerade nicht vor (so auch 1 Ob 28/18a).
2. Die Revisionswerberin meint, in den Feststellungen fände sich kein Hinweis, dass zum Zeitpunkt des Privatbeteiligtenanschlusses ein Vollmachtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Klagevertreter bestanden habe. Eine rückwirkende Beseitigung der eingetretenen Verjährung der Ansprüche durch eine nachträgliche Genehmigung des Privatbeteiligtenanschlusses komme nicht in Betracht.
Die Vorinstanzen haben dazu festgehalten, dass die Klägerin nach den Feststellungen bereits im Mai 2009 einem Prozessfinanzierer Vollmacht zur Durchsetzung ihrer Ansprüche erteilt hatte, wobei sie davon ausging, dass sie damit diesen auch bevollmächtigte, einen Rechtsanwalt zur Geltendmachung ihrer Ansprüche zu beauftragen. Außerdem erteilte sie dem Klagevertreter (in der Tagsatzung vom 3. 7. 2017) ausdrücklich rückwirkend Vollmacht auch für den Privatbeteiligtenanschluss im Strafverfahren.
Die Auslegung von Willenserklärungen hat stets nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen, sodass sich dabei eine erhebliche Rechtsfrage in der Regel nicht stellt (RIS-Justiz RS0042555; RS0042936); dies gilt auch für die Erteilung und den Umfang einer Vollmacht (RIS-Justiz RS0044358). Die Frage, ob ein bevollmächtigter Vertreter, der kein Rechtsanwalt ist, zur Substitution befugt ist, muss nach dem Inhalt seiner Vollmacht und nach § 1010 ABGB beurteilt werden (9 ObA 120/98g mwN = RIS-Justiz RS0036015 [T2]).
Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Klagevertreter bereits vor dem Privatbeteiligtenanschluss wirksam vom Prozessfinanzierer mit der Verfolgung der Ansprüche der Klägerin beauftragt war, wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf. Anhaltspunkte dafür, dass die Beauftragung des Rechtsanwalts durch den Prozessfinanzierer nicht der von der Klägerin erteilten Vollmacht entsprochen hätte, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Demnach war eine nachträgliche Genehmigung der (strafgerichtlichen) Prozesshandlung des vom (nunmehrigen) Klagevertreter erklärten Privatbeteiligtenanschlusses gar nicht erforderlich. Die von der Revisionswerberin aufgeworfene Frage, ob eine erst nach Ablauf der Verjährungsfrist erteilte nachträgliche Genehmigung einer zunächst vollmachtslos gesetzten Prozesshandlung durch den Vertretenen eine „eingetretene Verjährung rückwirkend beseitigen“ könnte, stellt sich daher nicht (so bereits 3 Ob 11/18s; 1 Ob 28/18a).
3. Da somit weder die vom Berufungsgericht genannte Rechtsfrage noch die Ausführungen Anlass zur Korrektur des Urteils des Berufungsgerichts geben, ist die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
Einer weitergehenden Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb ihr die Kosten der Rechtsmittelbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuzusprechen sind (RIS-Justiz RS0035979 [T22]).
Textnummer
E121147European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00036.18B.0321.000Im RIS seit
18.04.2018Zuletzt aktualisiert am
18.04.2018