Entscheidungsdatum
20.03.2018Norm
ASchG 1994 §130 Abs1 Z16Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag. Allraun als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn TP, ***, ***, vertreten durch die Stanek Raidl Konlechner Rechtsanwälte OG, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 21.11.2016, MDS2-V-15 43625/5, betreffend eine Übertretung des ASchG, zu Recht:
1. Der Beschwerde wird gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Folge gegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) eingestellt.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem nunmehrigen Beschwerdeführer Folgendes zur Last gelegt:
„Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:
Zeit:
09.06.2015
Ort:
***, ***
Tatbeschreibung:
Sie sind als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Firma "***" Transportgeräte und Förderanlagen FT Gesellschaft m.b.H. mit Sitz in ***, ***, dafür verantwortlich, dass auf der Baustelle in ***, ***, folgende Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten wurden:
Obwohl ein Arbeitsmittel nur verwendet werden darf, wenn die für sie erforderliche Abnahmeprüfung durchgeführt wurde, wurde eine kraftbetriebene Hebebühne, die in das Gebäude eingebaut worden war, für den Vertikaltransport eines Blockheizkraftwerkes verwendet, wobei die für dieses Hebezeug erforderliche Prüfung, das wäre eine Abnahmeprüfung gem. § 7 Abs. 1 AM-VO, nicht durchgeführt worden war.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:
§ 6 Abs. 1 Z. 1 Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) iVm § 7 Abs. 1 AM-VO
Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:
Geldstrafe von
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von
Gemäß
€ 830,00
80 Stunden
Vorgeschriebener Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), das sind 10% der Strafe, mindestens jedoch 10 Euro
€ 83,00
Gesamtbetrag:
€ 913,00“
Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschuldigte fristgerecht Beschwerde und beantragte die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses.
Das Landesverwaltungsgericht NÖ hat am 20.02.2018, fortgesetzt am 15.03.2018, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Mödling, Zl. MDS2-V-15 43625 sowie in den gegenständlichen Akt des Landesverwaltungsgerichts, auf deren Verlesung verzichtet wurde und durch Einvernahme der Zeugen PB, MS, JM, DSt, JBu und TH sowie des Beschwerdeführers und des Vertreters des Arbeitsinspektorates.
Ein Vertreter der belangten Behörde hat an den mündlichen Verhandlungen trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht teilgenommen.
In der mündlichen Verhandlung vom 15.03.2018 hat der Vertreter des Beschwerdeführers unter anderem ausgeführt, dass betreffend des gegenständlichen Arbeitsunfalles ein gerichtliches Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung vor dem Bezirksgericht *** stattgefunden habe, welches mit einer Diversion geendet habe.
Das Protokoll über diese Verhandlung, in der die Diversion beschlossen wurde, wurde vom Vertreter des Beschwerdeführers an das erkennende Gericht und an das Arbeitsinspektorat übermittelt.
Mit Schreiben vom 19.03.2018 hat das Arbeitsinspektorat für Bauarbeiten folgende Stellungnahme abgegeben:
„In der vom Rechtsvertreter des Beschuldigten beigebrachten Beschlusses des BG *** geht hervor, dass der Beschuldigte einen Lift freigegeben hat, obwohl dieser noch nicht von einem Ziviltechniker begutachtet worden war.
Diese Begutachtung ist nach Auffassung des AIBau der in §7 Abs. 1 AM-VO geforderten Abnahmeprüfung gleichzusetzen. Es ist daher davon auszugehen, dass der gerichtliche Tatvorwurf dem des Verwaltungsstrafverfahrens gleicht.
In der Sache wurden gerichtliche Erhebungen, und zwar auch Anlastungen im Sinne der im Verwaltungsstrafverfahren angezeigten Tat gegen den Beschuldigten durchgeführt.
Wie der VwGH in seiner Entscheidung Zl 2012/02/0238 festgehalten hat,
verbietet Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK die Wiederholung eines Strafverfahrens, welches mit einer endgültigen Entscheidung beendet worden ist. Eine Entscheidung - Freispruch oder Verurteilung - ist dann als endgültig ("final") anzusehen, wenn sie die Wirkung einer res iudicata erlangt hat. Das ist der Fall, wenn sie unwiderruflich ist, dh. wenn keine ordentlichen Rechtsmittel mehr vorhanden sind, alle Rechtsmittel ergriffen wurden oder Rechtsmittelfristen ergebnislos verstrichen sind.
Es ist daher davon auszugehen, dass gegen den Beschuldigten ein gerichtliches Verfahren durchgeführt worden ist, das Sperrwirkung hinsichtlich der verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung erwirkt.“
Auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens wird folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt als erwiesen festgestellt:
Herr TP, geb. ***, ist handelsrechtlicher Geschäftsführer der "***" Transportgeräte und Förderanlagen FT Gesellschaft m.b.H. mit Sitz in ***, *** und war dies auch zum angelasteten Tatzeitpunkt.
Das genannte Unternehmen hat auf der Baustelle *** in *** in das dort errichtete Gebäude eine Hebebühne eingebaut, die zum Transport von Kraftfahrzeugen ins Untergeschoß dienen sollte.
Die L Ges.m.b.H. war mit der Installation eines Blockkraftheizwerkes im Gebäude beauftragt. Dieses wurde jedoch zu einem Zeitpunkt geliefert, an dem nur noch dessen Beförderung mittels der Hebebühne ins Untergeschoss möglich war.
Die L Ges.m.b.H. beauftragte die Sch GesmbH mit dem Transport des Blockkraftheizwerkes zur Baustelle und Verbringung ins Untergeschoss des Gebäudes zum Ort der vorgesehenen Installation.
Obwohl die Hebebühne noch nicht gänzlich fertiggestellt war, hat der Beschwerdeführer sein Einverständnis erteilt, diese zum Absenken des Blockkraftheizwerkes ins Untergeschoss zu verwenden, wobei Mitarbeiter des Unternehmens "***" Transportgeräte und Förderanlagen FT Gesellschaft m.b.H. diese Hebeanlage bedienen sollten.
Zu dieser Bedienung ist es jedoch nicht gekommen, da bereits beim Beladen der Hebebühne mit dem Blockkraftheizwerk eine Schubkette der Hebebühne unter der Belastung einknickte, das Blockkraftheizwerk verrutschte und ein Arbeiter am Körper verletzt wurde.
Auf Grund dieses Arbeitsunfalles wurde vor dem Bezirksgericht *** zu GZ *** ein gerichtliches Strafverfahren gegen Herr TP wegen § 88 (1 u 4) 1. Fall StGB geführt, welches mit Beschluss vom 03.07.2017 nach §§ 198, 199 und 203 StPO unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt wurde.
In der Begründung dieses Beschlusses wurde ausgeführt wie folgt:
„TP ist verdächtig, am 09.06.2015 in ***, als Verantwortlicher der Firma *** einen Lift zum Transport eines Blockheizkraftwerkes freigegeben zu haben, obwohl dieser zwecks Freigabe noch nicht von einem Ziviltechniker begutachtet wurde. Der Lift sei in Folge dessen an der hinteren Seite nach unten und in weiterer Folge zur Seite geknickt und sei dadurch JM fahrlässig schwer am Körper verletzt worden, wobei dieser eine Rissquetschwunde mit Hautdefekt im Bereich des rechten Unterschenkels erlitten habe, welche mehrmals operativ versorgt werden musste.
In der Hauptverhandlung konnte der Sachverhalt hinreichend geklärt werden.
Es wurde der Schmerzengeldbetrag von EUR 25.410,--, zusammengesetzt aus EUR 330,-- + EUR 220,-- + EUR 110,-- + 10% für physische Alteration) sowie die Kosten des Privatbeteteiligtenvertreters ***. in Höhe von EUR 600,-- von der Haftpflichtversicherung des Angeklagten (*** AG, Schadennummer ***) übernommen und beglichen. Ebenfalls wurde ein Entschädigungsbetrag von EUR 2.482,--, zusammengesetzt aus dem tatsächlichen Verdienstentgang im Zeitraum 05.06.2014 bis 06.12.2014 (EUR 7.536,24) abzüglich des Krankengeldes (EUR 5.054,24), von der Haftpflichtversicherung des Angeklagten übernommen und dem Opfer JM über seinen Vertreter *** überwiesen.
Es ist somit eine Schadensgutmachung zur Gänze erfolgt. Daher liegen die allgemeinen Voraussetzungen einer Diversion gemäß §198 StPO und die besonderen Voraussetzungen für eine Vorgangsweise nach § 203 StPO jedenfalls vor.“
Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ist unbestritten und ergibt sich darüber hinaus aus den Aussagen der einvernommenen Zeugen und auch des Beschwerdeführers selbst.
Diese haben den Unfallhergang übereinstimmend beschrieben.
Dass ein gerichtliches Strafverfahren gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer wegen des gegenständlichen Unfalls geführt wurde, das mit einer Diversion endete, ist dem Akteninhalt zu entnehmen.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen:
Die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen lauten:
Gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 Arbeitsmittelverordnung (AM-VO) dürfen Arbeitsmittel nur verwendet werden, wenn die für sie erforderlichen Prüfungen durchgeführt wurden. Dies gilt für Abnahmeprüfungen, wiederkehrende Prüfungen, Prüfungen nach außergewöhnlichen Ereignissen und Prüfungen nach Aufstellung im Sinne dieser Verordnung;
Nach § 7 Abs. 1 AM-VO sind unter anderem vor der ersten Inbetriebnahme sonstige kraftbetriebene Arbeitsmittel zum Heben von Lasten, die vor der Verwendung eingebaut oder montiert werden müssen (Z 2) und Fahrzeughebebühnen (Z 4) einer Abnahmeprüfung zu unterziehen.
Gemäß § 130 Abs. 1 Z 16 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 166 bis 8 324 €, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 333 bis 16 659 € zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen die Verpflichtungen betreffend die Beschaffenheit, die Aufstellung, die Benutzung, die Prüfung oder die Wartung von Arbeitsmitteln verletzt.
(1) Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Handelt der Täter nicht grob fahrlässig (§ 6 Abs. 3) und ist
1. die verletzte Person mit dem Täter in auf- oder absteigender Linie verwandt oder verschwägert oder sein Ehegatte, sein eingetragener Partner, sein Bruder oder seine Schwester oder nach § 72 Abs. 2 wie ein Angehöriger des Täters zu behandeln,
2. aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt oder
3. der Täter ein Angehöriger eines gesetzlich geregelten Gesundheitsberufes und die Körperverletzung in Ausübung seines Berufes zugefügt worden, so ist der Täter nach Abs. 1 nicht zu bestrafen.
(3) Wer grob fahrlässig (§ 6 Abs. 3) oder in dem in § 81 Abs. 2 bezeichneten Fall einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(4) Hat die Tat nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Hat die Tat nach Abs. 3 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) zur Folge, ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren, hat sie jedoch eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1) einer größeren Zahl von Menschen zur Folge, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
Soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, ist eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK besagt (in der deutschen Übersetzung), dass niemand wegen einer strafbaren Handlung (englisch: "same offence", französisch: "meme infraction"), wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden darf.
§ 130 Abs. 1 Z 16 ArbeitnehmerInnenschutzG - ASchG, BGBl 450/1994, ist - für den Fall einer drohenden Doppelbestrafung - einer verfassungskonformen, das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art 4 7. ZP EMRK berücksichtigenden Interpretation zugänglich. Die Bestrafung nach § 80 bzw. § 88 StGB schließt die Bestrafung wegen desselben Verhaltens nach § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG aus.
Der Verfassungsgerichtshof hat im Rahmen eines Gesetzesprüfungsverfahrens in seinem Urteil vom 7. Oktober 1998, G 51/97 ua, betreffend einen Fall, in dem ebenfalls die Außerachtlassung der arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften durch den verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen (das zur Vertretung nach außen berufene Organ einer GesmbH & Co KG gemäß § 9 Abs. 1 VStG) zu einem Arbeitsunfall geführt hatte, bei dem Arbeitnehmer schwer verletzt worden waren, in Fällen, in denen eine Handlung gesetzt wird, die sowohl unter die Strafdrohung des
§ 130 Abs. 5 Z 1 ASchG als auch unter die des § 80 bzw. § 88 StGB fällt, festgestellt, dass in der Regel davon auszugehen sein wird, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung bzw. Tötung gemäß § 80 bzw. § 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 130 Abs. 5 Z 1 ASchG vollständig erschöpft.
Im Erkenntnis vom 29.05.2015, 2012/02/0238 schloss sich der Verwaltungsgerichtshof dieser Auffassung an. Unabhängig von der rechtlichen Qualifikation der Fakten, die Gegenstand des (später eingestellten) Strafverfahrens sowie des parallel eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens waren, steht im Zentrum beider angewendeten Strafbestimmungen (§ 130 ASchG und § 88 StGB) derselbe Vorwurf, nämlich die (fahrlässige) Außerachtlassung der normierten arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen. Damit umfasst die strafrechtliche Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung die Fakten der Verwaltungsstraftat in ihrer Gesamtheit, und geht sogar noch um ein weiteres Element (den Erfolgseintritt der Körperverletzung) über die Verwaltungsstraftat hinaus. Auch davon, dass der Unrechtsgehalt, der im Straftatbestand des § 88 StGB zum Ausdruck kommt, von jenem des § 130 ASchG in einem wesentlichen Element abweiche und damit wesentlich verschieden sei, kann in Anbetracht der obigen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes dazu nicht die Rede sein. Somit liegen keine verschiedenen Straftatbestände vor, die sich in wesentlichen Elementen unterscheiden. Eine weitere verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung bzw. Verurteilung nach rechtskräftig beendetem Strafverfahren wäre eine Verletzung des Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK und daher unzulässig.
Diese Ansicht vertrat auch der EGMR in einem österreichischen Fall, in dem er ausgehend von einem Arbeitsunfall (tödlicher Absturz eines Arbeiters von einem Gerüst) zur Konkurrenz eines Strafverfahrens wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB und einer nach Einstellung der Vorerhebungen durch den Bezirksanwalt gemäß § 90 StPO in der Fassung vor der Strafprozessreform BGBl. I Nr. 19/2004 erfolgten verwaltungsstrafrechtlichen Verurteilung nach § 130 Abs. 1
Z 16 ASchG in Verbindung mit diversen Bestimmungen der BauV feststellte, dass die Anklage gegen den dortigen Beschwerdeführer im Strafverfahren, nämlich sein Versäumnis, einem Arbeitsunfall vorzubeugen, und der Vorwurf im Verwaltungsstrafverfahren, die Kontrolle der Beachtung der Sicherheitsregeln durch die Arbeiter versäumt zu haben, im Wesentlichen übereinstimmten (Urteil vom 18. September 2008, Müller v. Austria (No. 2), Nr. 28034/04, Rz 32).
Die Auslegung des Begriffes Strafe hat sich an Art 4 7. ZPEMRK bzw Art 6 EMRK zu orientieren. Erfasst werden daher nicht bloß Verwaltungsübertretungen im Sinne des VStG (Abs 1), sondern – im Wege des Abs 2 – auch gerichtlich zu ahnende Delikte (etwa iSd StGB, SMG und dgl, daher auch bspw diversionelle Erledigungen) sowie sonstige, von Verwaltungsbehörden zu verhängende Strafen iSd Strafbegriffes der EMRK (vgl Raschauer/Wessely, Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz, 2010, § 22 Rz 2).
Auch die Diversion nach dem Konzept des Art 4 7. ZPMRK kann die Wirkung einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der strafbaren Handlung herstellen. Die Diversion hat überdies im innerstaatlichen Recht formelle wie auch materielle Rechtskraftwirkung (vgl Thienel/ Hauenschild, JBl 2004, 153ff).
Die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des Art 4 7. ZPMRK ordnet an, dass »niemand […] wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden [darf]« (»ne bis in idem«); Ausnahmen gelten für Fälle der Wiederaufnahme wegen neuer bzw neu hervorgekommener Tatsachen oder wegen schwerer Mängel. Art 4 7. ZP EMRK enthält daher nicht nur ein Doppelbestrafungsverbot, sondern auch ein Doppelverfolgungsverbot: Ab der rechtskräftigen Entscheidung im ersten Verfahren ist nicht nur eine zweite Entscheidung, sondern ein zweites Verfahren insgesamt unzulässig.
Da im vorliegenden Fall festgestellt wurde, dass im gerichtlichen Verfahren dasselbe Faktensubstrat wie im Verwaltungsstrafverfahren geprüft wurde, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den wesentlichen Tatbestandselementen stattgefunden hat und durch die diversionelle Erledigung und Einstellung des Strafverfahrens eine Sperrwirkung für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren vorliegt, war die gegenständliche Bestrafung daher unzulässig. Aus diesem Grund ist der Beschwerde Folge zu geben, das Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG einzustellen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Schlagworte
Arbeitsrecht; Verwaltungsstrafe; Arbeitnehmerschutz; Doppelverfolgung; Doppelbestrafung; Diversion;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.S.3355.001.2016Zuletzt aktualisiert am
17.04.2018