Entscheidungsdatum
29.03.2018Norm
BBG §42Spruch
W132 2175001-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Vorsitzende und den Richter Mag. Christian DÖLLINGER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Regina BAUMGARTL als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom XXXX, XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin hat am 03.07.2017 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung:
Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 und einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass gestellt.
Nachstehend angeführte medizinische Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:
x MRT der HWS und LWS, Rudolfinerhaus vom 05.10.2015
x Transferierungsbericht AKH, Innere Medizin vom 04.01.2016
x Patientenbrief, Wilhelminenspital, Chirurgie vom 30.12.2016
x Patientinnenbrief, Rudolfinerhaus vom 29.05.2017
x Konsiliarbefund Dermatologie, Rudolfinerhaus vom 15.05.2017
x Röntgen Handgelenk, Rudolfinerhaus vom 18.05.2017
x Konsiliarbefund Orthopädie, Rudolfinerhaus vom 18.05.2017
x MRT des Schädels mit MR-Angiographie, Rudolfinerhaus vom 16.05.2017
x Thoraxröntgen, Rudolfinerhaus vom 15.05.2017
x Carotisduplex, Rudolfinerhaus vom 15.05.2017
x Konsiliarbefund Innere Medizin, Rudolfinerhaus vom 17.05.2017
x Röntgenbefund beider Kniegelenke, Rudolfinerhaus vom 19.05.2017
x Sonographie des Fußes, Rudolfinerhaus vom 16.05.2017
x MRT des linken Fußes, Rudolfinerhaus vom 19.05.2017
x Röntgenbefund linker Vorfuß, Rudolfinerhaus vom 16.05.2017
x Elektroenzephalographischer Befund, Rudolfinerhaus vom 17.05.2017
1.1. Im zur Überprüfung des Antrages von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten wird von Dr. XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 21.07.2017, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
x Zustand nach Hüftgelenksersatz beidseits
x Zustand nach Kniegelenksersatz links, Abnützungserscheinungen des rechten Kniegelenkes
x Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule im Hals- und Lendenwirbelsäulensegment, Bandscheibenschädigung, Deckplattenimpressionen
x Sensorische Polyneuropathie mit Befall beider Beine
x Stressinkontinenz
x Vaskuläre Epilepsie
x Allergisches Asthma bronchiale
x Divertikulose, Zustand nach Divertikelblutung
x Verlust der Gebärmutter
x Verlust beider Ovarien
x Hallux valgus, suspekter Tumor im Bereich des linken Großzehengrundgelenkes
Der Grad der Behinderung wurde in Höhe von 50 vH beurteilt.
Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wird folgendes ausgeführt:
Im Gutachten wurde festgestellt, dass bei der AW keine höhergradige Funktionsstörung der unteren Extremitäten vorliegt. Es finden sich im klinischen Befunde keine signifikanten motorischen Ausfälle. Die AW kann unter Zuhilfenahme einer Stützkrücke eine Streck von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Es sind keine Behelfe erforderlich, die das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung unter Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen in einem öffentlichen Verkehrsmittel wesentlich beeinträchtigen. Es besteht keine massive hochgradige Atemnot schon bei geringster Belastung und keine Indikation für eine Langzeitsauerstofftherapie.
1.2. Seitens der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gegeben zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.
1.3. Am 05.10.2017 hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin einen unbefristeten Behindertenpass ausgestellt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 50 vH eingetragen sowie die Zusatzeintragungen "Die Inhaberin des Passes ist Trägerin einer Prothese", "Die Inhaberin des Passes ist Epileptikerin" und "Fahrpreisermäßigung" vorgenommen.
1.4. Mit Bescheid vom 25.10.2017 hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid wurde keine Beschwerde erhoben.
1.5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.10.2017 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaberin des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen.
2. Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass im Gutachten Dris. XXXX nicht alle Fakten berücksichtigt worden seien. Sie habe zwei Tagen nach der Knie-OP, welche danebengegangen sei, was noch heute große Schmerzen verursache, einen Lungeninfarkt erlitten. An der rechten Hand sei eine schwere Arthrose diagnostiziert worden, welche das Tragen einer Tages-Daumenbandage erforderliche mache.
Aufgrund eines Wirbeleinbruchs TH 12 seien ihr Bücken, Strecken und Drehen des Oberkörpers vom behandelnden Arzt untersagt worden, dennoch habe Dr. XXXX den Finger-Boden-Anstand geprüft. Sie leide weiters an einer schweren Divertikelerkrankung, welche bereits zweimal zu Anämie und Verabreichung von Blutkonserven geführt habe. Sie müsse seither eine strenge Diät einhalten. Der Dickdarm sei voller Divertikel und das Erfordernis einer Operation sei nicht auszuschließen. Hinsichtlich der bestehenden Epilepsie gehe es ihr jetzt besser, aber sie sei entgegen den Ausführungen im Gutachten nicht anfallsfrei. Die Polyneuropathie sei mit starken Nervenschmerzen verbunden. Sie habe an beiden Unterschenkeln Ödeme und könne nur orthopädische Schuhe tragen. Rechts habe sie einen Senk-, Knick- Plattfuß welcher beim Gehen starke Schmerzen bereite. Sie leide an einer Bienenstichallergie und müsse stets einen Epipen mit sich führen. Auch sei am linken Vorfuß ein Weichteiltumor mit einer Dicke von 1,4 cm und Quer-DM von 2,5 cm festgestellt worden, wodurch das Gehen schmerze und eine Operation erfolgen müsse, sollte der Tumor größer werden. Auch leide sie an einer Carotisstenose auf Grund welcher sie sich in stationärer Behandlung befunden habe und eine Operation erforderlich sei. Sie lege dokumentierende Unterlagen bei und werde weitere Befunde nachreichen. Sie ersuche aufgrund der angegebenen Erkrankungen und den dadurch entstehenden Schmerzen und Einschränkungen um die Bewilligung, auf Behindertenparkplätzen parken zu dürfen, da sie eine Gehstrecke von 300 Meter nicht bewältigen könne. Auch sei sie sehr wohl mit einer Begleitperson und zwei Stützkrücken zur Untersuchung gekommen. Sie könne bereits seit sieben Jahren nicht mehr alleine die Wohnung verlassen.
Nachstehend angeführte medizinische Beweismittel wurden in Vorlage gebracht:
x MRT der HWS vom 16.10.2017
x Konsiliarbefund, Rudolfinerhaus vom 18.10.2017
x Medikamentenplan, Rudolfinerhaus vom 19.10.2017
x Pflegerischer Entlassungsbrief, Rudolfinerhaus vom 10.10.2017
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus.
Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktions-beeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" ist die Feststellung der Art, des Ausmaßes und der Auswirkungen der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesundheitsschädigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.
Die Beschwerdeführerin hat den gegenständlichen Antrag durch die Vorlage eines umfassenden Befundkonvolutes aus den Fachbereichen Innere Medizin und Neurologie begründet.
Das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten wurde - zwar basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin - jedoch lediglich durch einen Arzt für Allgemeinmedizin erstellt.
Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich ist die ausschließlich durch einen Arzt für Allgemeinmedizin vorgenommene Beurteilung angesichts des komplexen Krankheitsbildes der Beschwerdeführer offensichtlich sachwidrig erfolgt. Die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die zusätzliche Einholung von Gutachten der Fachrichtungen Neurologie und Innere Medizin erforderlich ist um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.
Dr. XXXX listet die vorgelegten Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung des Inhaltes auf. Es wird jedoch nicht ausgeführt, welche Funktionsdefizite in den vorgelegten Befunden dokumentiert werden bzw. ob, gegebenenfalls in welcher Form, diese in der Beurteilung berücksichtigt worden sind. Ob bzw. inwieweit sich die in den vorgelegten Befunden bzw. Sachverständigengutachten dokumentierten Gesundheitsschädigungen der Beschwerde-führerin auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, wird nicht dargelegt.
Auch wird im vorliegenden Gutachten Dris. XXXX lediglich festgehalten, dass der Beschwerdeführerin unter Zuhilfenahme einer Stützkrücke, das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 m zu Fuß, ohne Unterbrechung, ohne überdurchschnittliche Kraftanstrengung, ohne große Schmerzen und ohne fremde Hilfe möglich sei, keine Behelfe erforderlich seien, welche das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Verwendung von Ausstiegshilfen und Haltegriffen wesentlich beeinträchtigen, keine massive hochgradige Atemnot schon bei geringsten Belastungen und keine Indikation für eine Langzeitsauerstofftherapie vorlägen. Wie der Sachverständige zu diesen Ergebnissen kommt, wird vom Gutachter allerdings nicht nachvollziehbar begründet.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032, 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186), sind auch die Art und das Ausmaß der von der Beschwerdeführerin angegebenen Schmerzen sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu klären. Mit den diesbezüglichen Angaben hat sich der Gutachter jedoch nicht auseinandergesetzt.
Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321).
Die seitens des Entscheidungsorganes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der eingeholte medizinische Sachverständigenbeweis vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, auf persönlicher Untersuchung basierende Gutachten der Fachrichtungen Neurologie und Innere Medizin einzuholen.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde medizinische Sachverständigengutachten der Fachrichtung Innere Medizin und Neurologie - basierend auf persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin - zu den oben dargelegten Fragestellungen einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der vorliegenden medizinischen Beweismittel bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben.
Anschließend hat sich die belangte Behörde mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.
Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.
Die unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht läge angesichts des gegenständlichen gravierend mangelhaft geführten verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens nicht im Interesse der Raschheit und wäre auch nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Zu berücksichtigen ist auch der mit dem verwaltungsgerichtlichen Mehrparteienverfahren verbundene erhöhte Aufwand.
Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführerin im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten, und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W132.2175001.1.00Zuletzt aktualisiert am
17.04.2018