TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/30 W271 2170900-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.03.2018
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Entscheidungsdatum

30.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W271 2170900-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.02.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, stellte am 09.12.2015 bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Lehen einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach Rücksprache mit dem PAZ/Einsatzstab wurde der BF zum ASFINAG-Areal in Salzburg Liefering geschickt, wo er am 17.12.2015 erneut einen Asylantrag stellte.

2. Bei der am 19.12.2015 durchgeführten Erstbefragung vor der Autobahnpolizeiinspektion Anif gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX geboren worden, stamme aus der Provinz Nangarhar, Distrikt Sherzad, und habe eine zwölfjährige Schulausbildung absolviert. Er habe als Landwirt und Taxifahrer gearbeitet. Der BF gab an, in Afghanistan über eine Familie zu verfügen: Diese bestehe aus seiner Gattin (zweiundzwanzig Jahre alt), seinen beiden Söhnen (zwei Monate und drei Jahre), seinen Eltern (sechsundvierzig und dreiundvierzig Jahre alt), seinen fünf Brüdern (siebzehn, fünfzehn, dreizehn, elf und neun Jahre alt) und seiner Schwester (zwanzig Jahre alt).

Als Fluchtgrund führte der BF an, dass er mit den Daesh, einer zu dieser Zeit sehr aktiven Gruppe, Schwierigkeiten gehabt habe. Er sei von der terroristischen Miliz festgenommen, eine Woche lang gequält und danach freigelassen worden. Beim zweiten Mal hätten die Daesh ihm sein Taxi weggenommen und als der BF dieses zurückholen habe wollen, hätten diese gesagt, dass er das Fahrzeug nur zurückbekomme, wenn es diesen immer zur Verfügung stehen würde. Daraufhin habe der BF sein Taxi für USD 2.500,-- verkauft. Beim Verkauf des Taxis habe ihn sein Vater angerufen und ihm mitgeteilt, dass die Daesh sein Taxi haben wollten. Nachdem der Vater diesen erzählt habe, dass der BF sein Taxi bereits verkauft habe und nach Europa fliehen wolle, sei dieser von den Daesh mitgenommen worden. Der Vater befinde sich noch heute (d.h. zum Zeitpunkt der Einvernahme) in deren Gewalt. Der BF habe die ganze Familie daraufhin nach Jalalabad geholt und eine Wohnung für diese gemietet, ehe er nach Europa geflüchtet sei.

Zu seinen Befürchtungen im Fall einer Rückkehr in seine Heimat befragt gab der BF an, dass seinem Leben sowie dem seiner Familie dort Gefahr drohe.

3. Mit Meldung vom 19.07.2017 erfolgte eine Verständigung der Polizeiinspektion Wals-Siezenheim-AGM an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg (in der Folge "BFA"), dass der BF wegen der Fälschung besonders geschützter Urkunden angehalten wurde; das Strafverfahren ist nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung noch anhängig.

4. Am 25.07.2017 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem BFA. Der BF sei in der Provinz Nangarhar, Distrikt Khogyani/Sherzad, Dorf XXXX, geboren und aufgewachsen. Seine Familie lebe in der Stadt Jalalabad. Der BF habe die Schule zwölf Jahre lang besucht und nebenbei als Taxifahrer gearbeitet. Er habe auch bei der Bewirtschaftung der Grundstücke der Familie geholfen.

Nach der Übernahme des Heimatdorfes des BF durch Daesh hätten dessen Anhänger den BF beschuldigt, dass er für die Taliban gearbeitet habe. Daher habe er für Daesh arbeiten müssen. Der BF habe gesagt, dass er nicht für die Taliban gearbeitet habe und auch nicht mit den Daesh zusammenarbeiten wolle. Einmal seien die Daesh dann nachhause gekommen und hätten den Vater bedroht und verlangt, dass der BF zu den Daesh komme. Danach seien diese erneut aufgetaucht und hätten den BF mitgenommen. Er habe für diese kochen müssen und sei eine Woche bei ihnen aufhältig gewesen. Eines Abends, als die Gefolgsleute des Daesh nicht da gewesen seien, habe er die Gelegenheit zur Flucht genützt. Er sei direkt nach Jalalabad geflohen. Währenddessen seien die Anhänger des Daesh zum Haus des BF gekommen und hätten den Vater mitgenommen. Dieser sei geschlagen und gefoltert worden. Während der Vater für mehrere Tage gefangen gewesen sei, habe der BF das Land verlassen. Als der BF in Österreich gewesen sei, habe er mit dem Vater telefoniert. Dieser habe erzählt, dass die Familie bedroht und es ihnen untersagt worden sei, weiterhin im Heimatdorf zu bleiben.

Der BF führte außerdem an, er könne nicht zurück nach Afghanistan, da die Taliban behaupten würden, dass er für die Daesh gearbeitet habe.

5. Mit Bescheid vom 16.08.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

6. Mit Schreiben vom 08.09.2017 erhob der BF gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde.

7. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom 14.09.2017. Am 18.09.2017 langte der Akt beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.

8. Das BVwG führte am 27.02.2017 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu und im Beisein des Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlung wurden dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 30.01.2018), EASO-Berichte seit 2016 zur Lage in Afghanistan, die UNHCR-Richtlinien Afghanistan aus 2016, das Informationsblatt des BFA in Bezug auf Rückkehrunterstützung und Reintegrationsmaßnahmen, der Annual Report 2017 (Afghanistan Protection of Civilians in Armed Conflict) und eine ACCORD-Anfrage betreffend die Situation in Kabul (Dokumentennr. 1424219) ausgehändigt und erörtert. Der BF überbrachte in der Beschwerdeverhandlung eine Stellungnahme zur Sicherheitslage in Kabul.

9. Mit Eingabe vom 07.03.2018 reichte der Beschwerdeführer eine Arztbestätigung vom 05.03.2018 nach.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Person des BF

1.1.1. Der BF trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Paschtunen und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der BF spricht Paschtu, Farsi/Dari und ein bisschen Englisch. Er ist volljährig (etwa Mitte Zwanzig), traditionell verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von etwa zwei und fünf Jahren. Der BF wurde in der Provinz Nangarhar, Distrikt Khogyani/Sherzad, Dorf XXXX, geboren und lebte dort mit seiner Frau (etwa 25 Jahre alt), seinen Kindern, Eltern (Vater ca. 48 Jahre, Mutter ca. 47 Jahre) und Geschwistern (fünf Brüder, ca. 11, 13, 15, 17, und 19 Jahre alt, sowie eine Schwester, etwa 22 Jahre alt) fast bis zu seiner Ausreise; die letzte Zeit vor der Ausreise verbrachte der BF in Jalalabad.

1.1.2. Die Familie des BF wohnt derzeit in einem Zelt in Jalalabad. Ob die Familie des BF zwischen der Ausreise aus dem Heimatdorf und der Niederlassung in Jalalabad noch an einem anderen Ort wohnte, warum und wann die Familie umgezogen ist, konnte nicht festgestellt werden. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Daesh oder Taliban es der Familie des BF untersagten, weiter im Heimatdorf zu wohnen. Die Eltern des BF gehen aktuell keiner beruflichen Tätigkeit nach. Der Vater des BF war früher Landwirt und bewirtschaftete die Grundstücke der Familie im Heimatdorf; die Grundstücke umfassen eine Fläche von 4 Jirib. Es konnte nicht festgestellt werden, was mit den Grundstücken geschehen ist und ob bzw. was die Brüder des BF arbeiten. Die Frau und die beiden Kinder des BF zogen nach der Ausreise des BF zusammen mit dessen Eltern und Geschwistern zunächst nach Jalalabad. Frau und Kinder des BF zogen später zu den Schwiegereltern des BF nach Sherzad zurück. Die Schwiegerfamilie des BF wohnt am Fuße eines Berges in XXXX, Sherzad, in einer Ortschaft namens "XXXX". Die finanzielle Situation der Familie und Schwiegerfamilie des BF ist schlecht.

1.1.3. Der BF pflegt keinen regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie. Die Kommunikation erfolgt überwiegend über seinem Vater, manchmal auch mit seiner Mutter, wenn sie mit dem Vater in die Stadt geht. Der BF hatte auch telefonischen Kontakt mit dem Bruder seiner Frau.

1.1.4. Der BF hat in Afghanistan weitere Familienangehörige, darunter Cousins und einen Onkel mütterlicherseits, der mit der Familie des BF in Jalalabad lebt. Der BF hat einen Freund in Afghanistan, der studiert. Ein weiterer Cousin des BF lebt in Saudi-Arabien.

1.1.5. In seinem Heimatort besuchte der BF zwölf Jahre lang die Schule; dass der BF die Schule abgeschlossen hat, konnte nicht festgestellt werden. Nebenbei half er seinem Vater in der Landwirtschaft und arbeitete seit 2012 bis zu seiner Ausreise 2015 als Taxifahrer. Der BF kann lesen und schreiben. Einen Beruf hat er nicht erlernt.

1.1.6. Der BF hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat oder Probleme wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion. Der BF war in Afghanistan nicht politisch tätig. Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft.

1.1.7. Der BF hält sich seit spätestens 09.12.2015 in Österreich auf, wo er am 17.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Erstbefragung des BF fand am 19.12.2015 statt, die Einvernahme vor dem BFA am 25.07.2017 und die mündliche Verhandlung vor dem BVwG am 27.02.2018. Die Einvernahmen wurden dem BF rückübersetzt und dem BF wurde Gelegenheit geboten, unmittelbar Anmerkungen hinsichtlich allfälliger Unvollständigkeiten zu machen. Nach Durchführung seiner Ersteinvernahme ergänzte der BF nach Rückübersetzung seine Fluchterzählung; zu den beiden weiteren Befragungen hatte der BF keine Anmerkungen. In der Einvernahme vor dem BFA bestätigte der BF, dass die Ersteinvernahme - bis auf das Geburtsdatum des BF - korrekt protokolliert wurde. Es konnte nicht festgestellt werden, dass es während der Einvernahmen des BF zu nicht korrigierten Übersetzungsfehlern gekommen ist.

1.1.8. Der BF war zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA vollkommen gesund. Der BF gab an, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG folgen zu können. Seit der BF den nunmehr bekämpften Bescheid des BFA erhalten hat, befindet er sich in einem Stresszustand, der mit Ängsten verbunden ist. Laut Arztbestätigung vom 05.03.2018 verschrieb ein Arzt für Allgemeinmedizin dem BF das Medikament "Trittico ret 150 mg", das der BF nach Verschreibung einmal täglich vor dem Schlafengehen gedrittelt nehmen soll; diagnostiziert wurde eine "Angststörung / Insomnie". Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Der BF ist arbeitsfähig.

1.1.9. Der BF verfügt im Bundesgebiet über einen Schwager und dessen Frau. Die Frau des Schwagers ist die Schwester der Frau des BF. Der BF hat mit dem Schwager ab und zu Kontakt, lebt aber nicht bei diesem. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Schwager zufällig in Österreich getroffen hat. Der BF lebt mit mehreren Personen in einer WG in Salzburg.

1.1.10. In Österreich arbeitete der BF für etwa eineinhalb Jahre "Tag und Nacht" in einem Kebabgeschäft seines Schwagers ("XXXX"); er war dort auch gewerberechtlicher Geschäftsführer. Dabei hat der BF EUR 500,- im Monat verdient, teilweise wurde davon die Miete in Höhe von EUR 150,- bezahlt. Am 13.12.2016 wurde der BF wegen selbstständiger Tätigkeit aus der Grundversorgung entlassen.

1.1.11. Seit etwa einem halben Jahr arbeitet der BF nicht mehr und erhält eine Unterstützung von der Caritas in Höhe von EUR 345,-- monatlich. Der BF strebt den Beruf des Krankenpflegers an und ist an der Universität Salzburg inskribiert.

1.1.12. Der BF hat mehrere Deutschkurse absolviert (Niveau A2) und konnte der Verhandlung teilweise auf Deutsch folgen und Fragen auf Deutsch beantworten, wobei er ganze Sätze gebildet hat.

1.1.13. Seit etwa sechs Monaten hat der BF Kontakt mit Österreichern: Einen Österreicher hat er bei der ehemaligen Arbeit kennengelernt. Weitere Freundschaften schloss der BF im Jugendzentrum und an der VHS durch den Deutschunterricht. Mit einem Deutschlehrer geht er manchmal Kaffee trinken und Fußballspiele im Stadion schauen. Fünfmal in der Woche besucht der BF eine Dame, die ihm Deutschunterricht gibt und ihn auch finanziell unterstützt (Busticket, Taschengeld). Im Gegenzug hilft der BF ihr beim Schneiden der Blumen im Garten, schaufelt Schnee und verrichtet Reinigungsarbeiten. Die Dame stellte dem BF auch ein Empfehlungsschreiben aus. Der BF ist ansonsten bisher weder einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen, noch hat er an einer kulturellen Veranstaltung teilgenommen noch ist er Mitglied eines Vereins. Der BF hat auch afghanische Freunde im Bundesgebiet, die er durch einen Sprachkurs kennengelernt hat. Die Freunde gehen sich gegenseitig besuchen, trinken Tee oder essen zusammen.

1.1.14. Der BF ist in Österreich nicht vorbestraft. Am Bezirksgericht Salzburg ist ein Verfahren gegen den BF wegen der Fälschung eines besonders geschützten Dokuments anhängig. Eine mündliche Verhandlung fand bereits im September 2017 statt. Der BF erhielt zweimal eine Verwaltungsstrafe, weil er ohne Führerschein mit einem Moped gefahren ist.

1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaats

1.2.1. Das Heimatdorf des BF wurde ursprünglich von den Taliban beherrscht, ehe diese vom Islamischen Staat (in der Folge "IS" oder "Daesh") nach Machtkämpfen im Jahr 2015 zumindest vorläufig aus der Gegend vertrieben wurden. Der IS forderte den BF daraufhin auf, für sie zu arbeiten, was der BF ablehnte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass ihm wegen seiner Weigerung, für Daesh zu arbeiten, von diesen eine feindliche politische Gesinnung unterstellt wurde.

1.2.2. Eines Morgens im Sommer desselben Jahres wurde der BF von IS-Anhängern von seinem Wohnhaus abgeholt. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Taxi des BF dabei ebenfalls von Daesh mitgenommen wurde. Der BF hielt sich anschließend etwa eine Woche lang in einem Zimmer auf einem Berg auf und kochte dort für die Gefolgsleute des IS; danach entzog sich der BF der Arbeit für Daesh. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF während seines Aufenthalts gequält wurde oder Daesh beabsichtigte, ihn umzubringen oder die Gefolgsleute des IS ihn auf sonst eine Weise existenziell bedroht oder in seiner Freiheit eingeschränkt hätten. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF jemals Opfer einer (Zwangs)Rekrutierung durch Daesh oder Taliban war. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Vater des BF in weiterer Folge entführt und sein Auto in der Folge von IS-Anhängern entwendet wurde.

1.2.3. Nach seinem Aufenthalt bei Daesh fuhr der BF nach Jalalabad. Nach zumindest drei Tagen Aufenthalt dort reiste der BF aus Afghanistan aus. Der BF verließ in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 ohne Reisedokument Afghanistan. Er gelangte über mehrere Etappen nach Österreich. Die Ausreise führte den BF über Pakistan (1 Woche), Iran (ca. 16 Tage), Türkei (ca. 2 Wochen), Bulgarien (ca. 3 Wochen), Serbien (1 Tag), Kroatien (1 Tag), Kroatien (1 Tag), Slowenien (1 Tag); die Reise dauerte insgesamt etwa zwei Monate. Die Ausreise wurde von einem Freund des BF namens XXXX, der aus dem Dorf des BF stammt, der in der Provinz Laghman studiert und einen Lebensmittelladen betreibt, mitorganisiert und mitfinanziert. Einen Teil zu den Ausreisekosten steuerte der BF selbst durch den Verkauf seines Taxis bei; der Schwager des BF schickte ihm ebenfalls Geld für die Ausreise. Die Ausreise kostete zumindest USD 7.200,--. Der Der BF schuldet seinem Freund noch immer USD 3.000,--, auch wenn er bereits Schulden in drei Raten (einmal 2016, zweimal 2017) beglichen hat.

1.2.4. Der IS ist trotz Gebietsverlusten weiterhin in der Heimatprovinz des BF aktiv; der Heimatdistrikt des BF ist erneut unter die Kontrolle der Taliban geraten. Dem BF würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Nangarhar ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit durch die Taliban oder den IS drohen, auch wenn nicht festgestellt werden konnte, dass diese Gruppierungen den BF persönlich bedrohen und auch nicht, dass diese den BF im ganzen Land ausfindig machen und töten wollen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb der Provinz Nangarhar, insbesondere in der Stadt Kabul, die über den Luftweg sicher erreichbar ist, würde dem BF hingegen kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit durch die Taliban oder den IS drohen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF von Seiten des Staats eine Bedrohung zu befürchten hat, oder dieser ihm den verfügbaren Schutz aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung versagen würde, auch wenn der BF vom Staat nicht präventiv gegen jedwede Übergriffe Dritter geschützt werden kann.

1.2.5. Vor ein paar Jahren, nachdem die Familie des BF aus dem Heimatdorf wegzog, warnten die Taliban den Vater des BF im Zuge einer vereinzelt gebliebenen Begegnung, dass Gefahr für die Familie des BF bestehe. Der Familie ist damals nichts Konkretes passiert; auch seither ist der Familie des BF im Zusammenhang mit den Taliban oder den Daesh nichts mehr passiert. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Familie des BF, die nach der Ausreise des BF nach Jalalabad zog, von Daesh oder den Taliban bedroht wurde oder momentan bedroht wird.

1.2.6. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in die Stadt Kabul Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und deshalb oder aus sonst einem in seiner Person gelegenen Grund in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.3. Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018). Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

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The Guardian (22.1.2018)

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018). Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017 (Stand 21.12.2017)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierenden Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten Großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen von Sicherheitsoperationen wurden rund 30 Aufständische getötet; unter diesen befand sich - laut afghanischen Beamten - ebenso ein hochrangiger Führer des Haqqani-Netzwerkes (Tribune 24.11.2017; vgl. BS 24.11.2017). Das Haqqani-Netzwerk zählt zu den Alliierten der Taliban (Reuters 1.12.2017).

Aufständische des IS und der Taliban bekämpften sich in den Provinzen Nangarhar und Jawzjan (UN GASC 20.12.2017). Die tatsächliche Beziehung zwischen den beiden Gruppierungen ist wenig nachvollziehbar - in Einzelfällen schien es, als ob die Kämpfer der beiden Seiten miteinander kooperieren würden (Reuters 23.11.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS war nach wie vor widerstandsfähig und bekannte sich zu mehreren Angriff auf die zivile Bevölkerung, aber auch auf militärische Ziele [Anm.: siehe High-Profile Angriffe] (UN GASC 20.12.2017). Unklar ist, ob jene Angriffe zu denen sich der IS bekannt hatte, auch tatsächlich von der Gruppierung ausgeführt wurden bzw. ob diese in Verbindung zur Führung in Mittleren Osten stehen. Der afghanische Geheimdienst geht davon aus, dass in Wahrheit manche der Angriffe tatsächlich von den Taliban oder dem Haqqani-Netzwerk ausgeführt wurden, und sich der IS opportunistischerweise dazu bekannt hatte. Wenngleich Luftangriffe die größten IS-Hochburgen in der östlichen Provinz Nangarhar zerstörten; hielt das die Gruppierungen nicht davon ab ihre Angriffe zu verstärken (Reuters 1.12.2017).

Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass der Islamische Staat in neun Provinzen in Afghanistan eine Präsenz besitzt: im Osten von Nangarhar und Kunar bis in den Norden nach Jawzjan, Faryab, Badakhshan und Ghor im zentralen Westen (Reuters 23.11.2017). In einem weiteren Artikel wird festgehalten, dass der IS in zwei Distrikten der Provinz Jawzjan Fuß gefasst hat (Reuters 1.12.2017).

Politische Entwicklungen

Der Präsidentenpalast in Kabul hat den Rücktritt des langjährigen Gouverneurs der Provinz Balkh, Atta Mohammad Noor, Anfang dieser Woche bekanntgegeben. Der Präsident habe den Rücktritt akzeptiert. Es wurde auch bereits ein Nachfolger benannt (NZZ 18.12.2017). In einer öffentlichen Stellungnahme wurde Mohammad Daud bereits als Nachfolger genannt (RFE/RL 18.12.2017). Noor meldete sich zunächst nicht zu Wort (NZZ 18.12.2017).

Wenngleich der Präsidentenpalast den Abgang Noors als "Rücktritt" verlautbarte, sprach dieser selbst von einer "Entlassung" - er werde diesen Schritt bekämpfen (RFE/RL 20.12.2017). Atta Noors Partei, die Jamiat-e Islami, protestierte und sprach von einer "unverantwortlichen, hastigen Entscheidung, die sich gegen die Sicherheit und Stabilität in Afghanistan sowie gegen die Prinzipien der Einheitsregierung" richte (NZZ 18.12.2017).

Die Ablösung des mächtigen Gouverneurs der nordafghanischen Provinz Balch droht Afghanistan in eine politische Krise zu stürzen (Handelsblatt 20.12.2017). Sogar der Außenminister Salahuddin Rabbani wollte nach Angaben eines Sprechers vorzeitig von einer Griechenlandreise zurückkehren (NZZ 18.12.2017).

Atta Noor ist seit dem Jahr 2004 Gouverneur der Provinz Balkh und gilt als Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani, der mit dem Jamiat-Politiker Abdullah Abdullah die Einheitsregierung führt (NZZ 18.12.2017). Atta Noor ist außerdem ein enger Partner der deutschen Entwicklungshilfe und des deutschen Militärs im Norden von Afghanistan (Handelsblatt 20.12.2017).

In der Provinz Balkh ist ein militärischer Stützpunkt der Bundeswehr (Handelsblatt 20.12.2017).

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichneten in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profile Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In

Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP- Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

Aktualisierung der Sicherheitslage - Q2.2017

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016 - 31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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