Entscheidungsdatum
03.04.2018Norm
AsylG 2005 §5 Abs1Spruch
W233 2171093-2/3E
W233 2171087-2/3E
W233 2171108-2/3E
W233 2171104-2/3E
W233 2171101-2/3E
W233 2171090-2/3E
W233 2171095-2/3E
W233 2162881-2/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. XXXX FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerden
1. des XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl: 1130887810 - 161309195,
2. der XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl: 1130888208 - 161309301,
3. der minderjährigen XXXX, amXXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, vertreten durch XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl:
1130888404 - 161309336,
4. der minderjährigen XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, vertreten durch XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl:
1130887004 - 161309352,
5. der minderjährigen XXXX, am XXXXgeboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, vertreten durch XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl:
1130886900 - 161309344,
6. des minderjährigen XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, vertreten durch XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl:
1130887102 - 161309379:
7. der minderjährigen XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, vertreten durch XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl:
1130887200 - 161309395 und
8. der minderjährigen XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, vertreten durch XXXX, am XXXX geboren, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.01.2018, Zahl:
11394391104 - 170410065,
beschlossen:
A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Absatz 3 2. Satz BFA-VG
stattgegeben, die Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz werden zugelassen und die bekämpften Bescheide behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Die Beschwerdeführer (BF bis BF 8) sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und brachten am 29.09.2016 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich ein.
Über die Beschwerdeführer (BF 1 und BF 2) sind im EURODAC-Informationssystem Treffermeldungen nach Asylantragstellung in der Republik Polen vom 22.07.2016 und 16.08.2017 gespeichert.
Am 29.09.2016 gab der BF 1 im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organen der Landespolizeidirektion Wien im Wesentlichen an, dass er an keinen Krankheiten oder Beschwerden leide, die ihn an dieser Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigten würden. Zu seiner Reiseroute befragt gab der BF 1 zu Protokoll, das er ca. einen Monat vor seiner Ankunft in Österreich beschlossen hätte seinen Herkunftsstaat zu verlassen. In der Folge wäre er mit seiner Familie mit einem Zug nach Weißrussland gereist und daran anschließend nach Polen weitergereist. In Polen wären sie von den Behörden angehalten und ihnen die Fingerabdrücke abgenommen worden. Er habe jedoch wissentlich keinen Asylantrag in Polen gestellt, sondern den polnischen Behörden mitgeteilt, dass sie nach Österreich reisen möchten. In Polen wären sie ca. eine Woche in einem Lager untergebracht gewesen. Da man ihnen gesagt hätte, dass sie nach Belarus abgeschoben werden würden, hätte er nach einer Woche dieses Lager mit seiner Familie verlassen und wäre mit einem Reisezug nach Österreich gereist. Über den Aufenthalt in Polen befragt, führte der BF 1 aus, dass sie dort "normal" gelebt hätten, jedoch ihnen nur ein Raum für die ganze Familie zur Verfügung gestanden hätte und sie darüber hinaus von den polnischen Behörden kaum beachtet worden seien. Ihr Reiseziel sei von Anfang an Österreich gewesen, da hier sein Schwiegervater lebe.
Als eigentlichen Fluchtgrund brachte der BF 1 vor, dass sein Schwiegervater in seinem Heimatland ein Menschenrechtsaktivist gewesen wäre und er deswegen vom "FSB" vorgeladen worden wäre. Er sei auch zweimal zusammengeschlagen worden und glaube, dass es sich bei diesen Leuten um Mitarbeiter des "FSB" gehandelt habe.
Die BF 2 gab im Rahmen ihrer Ersteinvernahme am 29.09.2016 an, dass sie an keinen Krankheiten oder Beschwerde leide, jedoch im achten Monat schwanger sei und dieser Einvernahme ohne Probleme folgen könne. Auch die BF 2 gab zu Protokoll, dass Österreich ihr Zielland gewesen sei, da hier ihr Vater aufhältig sei. Nachdem sie über Belarus in die Republik Polen eingereist seien, hätte man ihnen die Fingerabdrücke abgenommen und wären sie einvernommen worden. Sie hätten jedenfalls in der Republik Polen um politisches Asyl angesucht. Da aber ihr Vater in Österreich lebe, hätten sie sich entschieden nach Österreich zu kommen. In Polen seien sie eine Woche in einem Lager untergebracht und dort versorgt worden. Auch die BF 2 gab als eigentlichen Fluchtgrund an, dass ihr Vater seinem Heimatland ein Menschenrechtsaktivist gewesen sei und sich der Geheimdienst nun auch bei ihnen gemeldet hätte. Da sie Angst um ihre Familie gehabt hätte, hätten sie sich entschlossen ihren Herkunftsstaat zu verlassen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete sodann unter Hinweis auf die über den BF 1 und die BF 2 im EURODAC System gespeicherten polnischen Treffer am 11.10.2016 ein für die BF 1 bis BF 7 auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO") gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen. Mit Schreiben vom 13.10.2016 und vom 14.10.2016 stimmten die polnischen Behörden dem Ersuchen zur Wiederaufnahme aller sieben Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO ausdrücklich zu.
Die Achtbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte für diese ihre gesetzliche Vertretung am 04.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Schriftsatz vom 13.04.2017 teilte das Bundesamt der polnischen Dublin Behörde im Sinne von Art. 20 Abs. 3 der Dublin III-VO mit, dass sich die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrages der neugeborenen Achtbeschwerdeführerin nach der Zuständigkeit ihrer Mutter, der Zweitbeschwerdeführerin, richte, deren Wiederaufnahme Polen bereits mit Schreiben vom 14.10.2016 zugestimmt habe.
Nach Durchführung dieses ersten Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt mit als "Bescheid" bezeichneten Ausfertigungen vom 06.11.2016 die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer (BF 1 bis BF 7) ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass Polen für die Prüfung der jeweiligen Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit c der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkte I.). Die Außerlandesbringung der Beschwerdeführer (BF 1 bis BF 7) wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkte II.). Diese als "Bescheid" bezeichneten Schriftstücke wurden am 15.11.2016 gem. § 8 Abs. 3 (sic!) iVm § 23 Zustellgesetz ohne vorherigen Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt.
Mit Bescheid vom 06.06.2017 wurde der Antrag der Achtbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
In der Folge wurden alle acht Beschwerdeführer am 26.07.2017 nach Polen überstellt.
Aufgrund der mit Schriftsatz vom 10.08.2017 gegen die "Bescheide" der BF 1 bis BF 7 eingebrachten Beschwerden hat das BVwG mit Beschluss vom 28.09.2017 diese mangels rechtswirksamer Zustellung als unzulässig zurückgewiesen und unter einem der Beschwerde der BF 8 mit selben Beschluss stattgeben und den bekämpften Bescheid behoben.
Am 02.10.2017 reisten die Beschwerdeführer erneut nach Österreich ein und sprachen in der Polizeiinspektion Traiskirchen vor. Im Zuge dieser Einvernahme brachte der BF 1 vor, dass er gesund sei und an keinen Beschwerden oder Krankheiten leide, die diese Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen. In der Republik Polen hätten sie im August 2017 Asylanträge gestellt, wären dazu auch einvernommen worden, hätte aber noch keine Entscheidung der polnischen Behörden erhalten. Nachdem man sie von Österreich aus in die Republik Polen überstellt habe, wären sie in Polen in einem Lager namens "Grotniki" untergebracht gewesen. Sie hätten gehört, dass in diesem Lager nur Asylwerber untergebracht werden, die abgeschoben werden. Daher wären sie am 01.10.2017 mit einem Kleinbus von Polen aus wieder nach Österreich gereist.
In der Folge richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter Hinweis auf die über den BF 1 und die BF 2 im EURODAC System gespeicherten polnischen Treffer am 04.10.2017 neuerlich ein für alle acht Beschwerdeführer auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO") gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an die Republik Polen.
Die Republik Polen stimmte mit Schreiben vom 16.10.2017 dem Ersuchen zur Wiederaufnahme aller acht Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO ausdrücklich zu.
Am 25.01.2018 erfolgte nach durchgeführter Rechtsberatung, im Beisein einer Rechtsberaterin, die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführer (BF 1 und BF 2) vor dem Bundesamt. Hierbei gab der BF 1 zu Protokoll, dass er gesund sei. Konfrontiert mit dem Umstand, dass die Republik Polen für die Prüfung ihrer Asylanträge zuständig sei, führte der BF 1 aus, dass er nicht nach Polen zurückkehren möchte. Konkret nachgefragt, warum er eine Überstellung nach Polen ablehne, gab der BF 1 zu Protokoll, dass es in Polen nicht gut gewesen wäre und es sich wie in Russland angefühlt hätte. Jede Person könne aus Russland nach Polen einreisen und ihn in Gefahr bringen. Polen sei jedenfalls nicht sicher. Man würde sie in Polen finden. Zudem kenne er in Polen niemanden und wolle daher dort nicht bleiben. Seine Kinder seien krank und wäre es für sie nicht gut nach Polen überstellt zu werden. Seine Frau sei ebenfalls in Gefahr und bestünde bei ihr aufgrund ihrer Schwangerschaft die Gefahr einer Fehlgeburt. In Österreich sei sein Schwiegervater aufhältig und bestünde zu ihm eine sehr gute Beziehung und würde er ihnen helfen und ihnen Geld geben. Befragt nach dem Verfahrensstand in seinem polnischen Asylverfahren gab der BF 1 diesmal an, eine negative Entscheidung erhalten zu haben.
Die BF 2 bestätigte im Wesentlichen das Vorbringen ihres Ehmanns, des BF 1, wobei sie ergänzend zu den Gründen warum sie nicht nach Polen überstellt werden wollen ausführte, dass sie gesehen hätten das tschetschenische Asylwerber aus Polen abgeschoben werden würden.
Beide Beschwerdeführer gaben auf Einladung, dass ihnen die aktuellen Länderfeststellungen über die Republik Polen übersetzt zur Kenntnis gebracht werden, an, dass sie dies nicht wünschen.
Die während der Einvernahme anwesende Rechtsberaterin stellte den Antrag auf Zulassung der Asylverfahren in Österreich und begründet dies damit, dass die Zweitbeschwerdeführerin mittlerweile im achten Monat schwanger sei.
Nach Durchführung dieses zweiten Ermittlungsverfahrens wies die belangte Behörde mit Spruchpunkt I. der beschwerdegegenständlichen Bescheide die Anträge aller acht Beschwerdeführer gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurück und sprach aus, dass Polen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO") für die Prüfung dieser Anträge zuständig sei.
Mit Spruchpunkt II. der beschwerdegegenständlichen Bescheide wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Polen gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer durch ihre Vertretung mit Schriftsatz vom 09.03.2018 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde und hielten fest, dass die Bescheide vollinhaltlich angefochten werden. Gleichzeitig wurden die Anträge gestellten, den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Die Beschwerden langten am 14.03.2018 in der Gerichtsabteilung W 233 des Bundesverwaltungsgerichtes ein.
Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom 16.03.2018 wurden den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die Beschwerdeführer (BF 1 bis BF 7) stellten am 22.07.2016 in der Republik Polen einen Asylantrag und suchten nach ihrer irregulären Einreise in das Hoheitsgebiet der Republik Österreich am 28.09.2016 auch in Österreich um Asyl an.
Die Achtbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte für diese ihre gesetzliche Vertretung am 04.04.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Viertbeschwerdeführerin leidet nach einem offensichtlich im Verwaltungsakt der Achtbeschwerdeführerin irrtümlich einliegenden Ambulanzbrief des SMZ-Süd - Kaiser-Franz-Josef-Spital vom 14.05.2017 (AS 202-203 des Verwaltungsaktes der BF 8) seit ihrer Geburt an einer bilateralen bein- und rechtsbetonten Tetraparese. Laut diesem Ambulanzbrief werden bei der Viertbeschwerdeführerin regelmäßige neuropädiatrische und neuroorthopädische Kontrollen notwendig sein. Laut einer ebenfalls im Verwaltungsakt der Achtbeschwerdeführerin einliegenden Ambulanzkarte des Kaiser-Franz-Josef-Spital vom 20.03.2017 leidet die Viertbeschwerdeführerin an einer klinisch spastischen bilateralen rechts und beinbetonten CP mit deutlich erhöhtem Muskeltonus an UE, dynamischer Verkürzung der Muskulatur, bds neurogene Knicksenkfüße, etc. (AS 204-205 des Verwaltungsaktes der BF 8).
Die belangte Behörde hat keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes der Viertbeschwerdeführerin mit dem Ziel vorgenommen, eine Grundlage für die Entscheidung zu schaffen, ob - und allenfalls unter welchen Auflagen - ihre Überstellungsfähigkeit nach Polen gegeben ist um eine Gefährdung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund allfällig gegebener gesundheitlicher Beeinträchtigungen auszuschließen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellung zur Tatsache, dass die Beschwerdeführer (BF 1 bis BF 7) in Polen am 22.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, ergibt sich aus den in den Akten der Beschwerdeführer einliegenden positiven EURODAC-Treffermeldungen.
2.2. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Viertbeschwerdeführerin ergeben sich aus der Aktenlage, dem Vorbringen der gesetzlichen Vertretung der Viertbeschwerdeführerin und insbesondere den vorgelegten ärztlichen Bestätigungen.
2.3. Aus der Aktenlage ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die erstinstanzliche Behörde eine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustands der Viertbeschwerdeführerin nicht für erforderlich gehalten hat und aus welchen Gründen ohne eine solche Beurteilung die gegenständlichen nunmehr angefochtenen Bescheide erlassen wurden.
2.4. Im Einzelnen ist zu dieser von der belangten Behörde geführten Beweiswürdigung wie folgt auszuführen:
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vermag nicht nachvollziehbar darzutun, warum es von der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ausgegangen ist. Insbesondere liegt keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustands der Viertbeschwerdeführerin vor. In diesem Zusammenhang führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass zwar mit § 5 Abs. 3 AsylG 2005 eine gesetzliche "Beweisregel" geschaffen wurde, die es - im Hinblick auf die vom Rat der Europäischen Union vorgenommene normative Vergewisserung - grundsätzlich nicht notwendig macht, die Sicherheit des Asylwerbers vor "Verfolgung" im nach dem Dublin-System zuständigen Mitgliedstaat von Amts wegen in Zweifel zu ziehen. Die damit aufgestellte Sicherheitsvermutung ist jedoch unter näher bezeichneten Voraussetzungen widerlegbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. September 2015, Ra 2015/17/0113 bis 0120, mwN auf die bisherige hg. Rechtsprechung).
2.4.1. Im Besonderen stellt die aufgrund der von den gesetzlichen Vertretern der Viertbeschwerdeführerin ins Verfahren eingebrachten russischsprachigen medizinischen Unterlagen von der belangten Behörde veranlasste Übersetzung und in der Folge Übermittlung dieser übersetzten Dokumente an eine Ärztin für Allgemeinmedizin zur Erstellung einer "gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren" (vgl. AS 147 - 153 im Verwaltungsakt der Achtbeschwerdeführerin) keinen geeigneten Ermittlungsschritt dar, um den wirklichen und entscheidungsrelevanten Sachverhalt in Bezug auf den Gesundheitszustand des Viertbeschwerdeführerin darzulegen. Dies insbesondere deshalb, da dieser Ärztin für Allgemeinmedizin von der belangten Behörde eine reine Befundbewertung ohne Patientenkontakt aufgetragen worden ist und diese ärztliche Stellungnahme ausdrücklich darauf hinweist, dass nur das vorliegende Material (also die der Ärztin in Übersetzung übermittelten ärztlichen Unterlagen) beurteilt werden können, sodass akut oder neu aufgetretene Erkrankungen der Viertbeschwerdeführerin oder solche, über die keine Befunde vorgelegt worden sind, keine Aussagen getroffen werden können. Unter Punkt 3 der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren heißt es sodann, dass diese in russischer Sprache verfassten Befunde aus dem Jahre 2007 stammen und kaum verwertbar seien und sollte es Befunde aus Österreich geben, ersucht werde, diese nach zu reichen. Unter der Rubrik "Beurteilung" wird festgehalten, dass die Übersetzungen aus dem Russischen schwer verständlich seien. Verstanden werde jedenfalls, dass das Kind schwer behindert sein dürfte und eine lebenslange Betreuung erforderlich sein werde. Unter den in dieser gutachterlichen Stellungnahme unter Punkt 4 - "Psychologische Schlussfolgerungen" aufgezählten Unterpunkten betreffend das Vorhandensein einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung und der Frage nach sonstigen psychischen Krankheitssymptomen finden sich keinerlei Feststellungen oder Angaben. Auch die Punkte "Befund" und "Schlussfolgerung" weisen keine Begründungen auf. Ebenso blieben auch die restlichen Fragen über den Gesundheitszustand der Viertbeschwerdeführerin bzw. über allfällige notwenige therapeutische Maßnahmen und Behandlungen als auch die in diesem Zusammenhang relevante Frage der Auswirkungen einer Überstellung auf den psychischen und physischen Zustand der Viertbeschwerdeführerin unbeantwortet. Einzig unter Punkt 5 - "Sonstige Bemerkungen" ist vermerkt, dass eine schwere körperliche und geistige Behinderung von Geburt an vorhanden sei.
Schließlich ist auch festzuhalten, dass die belangte Behörde die ihr mit Vorlage der Beschwerde vom 20.06.2017 zur Kenntnis gelangten ärztlichen Unterlagen einer österreichischen Krankenanstalt über den Gesundheitszustand der Viertbeschwerdeführerin nicht wie von der zur Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren von der belangten Behörde beauftragen Ärztin für Allgemeinmedizin zur allfälligen Ergänzung ihrer gutachterlichen Stellungnahme angeregt, nachgereicht hat.
Somit hat sich die belangte Behörde mit dem aufgrund der Vorlage von Ambulanzbriefen untermauerten Gesundheitszustand der Viertbeschwerdeführer nicht auf demselben fachlichen Niveau auseinandergesetzt.
3. Rechtliche Beurteilung: Zu A) Stattgebung der Beschwerde
3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lauten:
"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zu-ständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) [...]
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten:
§ 21 Abs. 3 BFA-VG: "Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 3 BFA-VG (vgl. jüngst Ra2016/19/0208-8 vom 5. Oktober 2016 mwN) hat eine Entscheidung nach § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG in Form eines (das Beschwerdeverfahren beendenden und nicht bloß verfahrensleitenden) Beschlusses zu ergehen.
3.3. Im vorliegenden Fall ist Dublin III-VO anzuwenden:
"KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Art. 3 - Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Art. 7 - Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Artikel 16 - Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des
Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese
Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17 - Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
KAPITEL V
PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 18 - Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.
Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.
In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen."
3.4. Die Dublin III-VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Anträge auf internationalen Schutz von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
3.5. Gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
3.6. Zwar ist hinsichtlich der Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung der gegenständlichen Asylverfahren dem Bundesamt beizupflichten, dass sich aus dem fest-gestellten Sachverhalt grundsätzlich die Zuständigkeit Polens ergibt. Dies folgt aus den Regelungen des Art. 18 Dublin III-VO.
Dennoch geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Polen nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte.
Dies aus folgenden Erwägungen:
3.6.1. Hinsichtlich des Vorbringens der Viertbeschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrem Gesundheitszustand, ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken zu verweisen. Demnach haben im Allgemeinen Fremde kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie an einer schweren Krankheit leiden oder selbstmordgefährdet sind. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR 22.06.2010, 50068/08, Al-Zawatia; EGMR Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N./Vereinigtes Königreich, Rn. 42ff; EGMR 03.05.2007, 31246/06, Goncharova & Alekseytsev; 07.11.2006, 4701/05, Ayegh; 04.07.2006, 24171/05, Karim; 10.11.2005, 14492/03, Paramsothy; VfGH 21.09.2009, U 591/09; 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 31.03.2010, 2008/01/0312; 23.09.2009, 2007/01/0515).
3.6.2. In seiner rezenten Entscheidung im Fall "Paposhvili vs. Belgium" (EGMR, Große Kammer, 13.12.2016, 41738/10) hat der EGMR das Vorliegen von "ganz außergewöhnlichen Fällen" näher präzisiert. Demnach ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Abschiebung eines schwer kranken Menschen auch dann vom nach Art. 3 EMRK geschützten Bereich umfasst sein könnte - auch wenn dieser sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet - wenn wegen des Fehlens einer geeigneten Heilbehandlung im Zielstaat oder wegen des mangelnden Zugangs zu einer solchen Heilbehandlung eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustands, die ein starkes Leid zur Folge hätte, oder diese Person eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zu erfahren hätte, einer realen Gefahr ausgesetzt wäre (RN 183). Weiters stellt der Gerichtshof fest, dass es hier um die negative Verpflichtung, Personen nicht der Gefahr einer durch Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung auszusetzen, handelt (RN 188). Was die zu berücksichtigten Faktoren betrifft, müssen die Behörden des abschiebenden Staates im Einzelfall prüfen, ob die im Zielstaat allgemein verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten in der Praxis ausreichend und geeignet für die Behandlung der Krankheit des Betroffenen sind, um zu verhindern, dass dieser einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wird. Dabei gehe es jedoch nicht darum, zu ermitteln, ob die Heilbehandlung im Zielstaat gleichwertig oder schlechter wäre als die durch das Gesundheitswesen des abschiebenden Staates zur Verfügung gestellte Heilbehandlung (RN 189). Jedenfalls muss der abschiebende Staat, wenn nach Prüfung der relevanten Informationen ernsthafte Zweifel über die Auswirkungen der Abschiebung der betreffenden Person bestehen bleiben, sei es wegen der allgemeinen Lage im Zielstaat oder wegen der individuellen Situation der Betroffenen, als Vorbedingung der Abschiebung, vom Zielstaat eine individuelle und ausreichende Zusicherung einholen, das eine geeignete medizinische Versorgung für die betroffene Person verfügbar und zugänglich sein wird, sodass sie sich nicht in einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Situation befindet (RN 191).
3.6.3. Gerade zur Beurteilung der Frage, ob bei der Viertbeschwerdeführerin eine solche ganz außergewöhnliche Situation gegeben ist, die einer Überstellung nach Polen widersprechen würde, hat die belangte Behörde keine Beweiserhebungen zur Feststellungen des Sachverhalts getroffen, sondern die abschließende Beurteilung ihres Gesundheitszustandes unterlassen. Somit bedarf es aktueller Feststellungen zu ihrem psychischen und physischen Gesundheitszustand, um eine Grundlage für eine Entscheidung zu schaffen, ob eine Überstellungsfähigkeit der Viertbeschwerdeführerin nach Polen gegeben ist und um eine Gefährdung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausschließen zu können. Dem Bundesverwaltungsgericht ist es zum Entscheidungszeitpunkt jedoch nicht möglich, aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen zu beurteilen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung der Viertbeschwerdeführerin zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten.
3.6.4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich trotz des Vorbringens der Vierbeschwerdeführerin, dass sie von Geburt an schwer behindert sei, zu wenig mit ihrem aktuellen Gesundheitszustand auseinandergesetzt. Insbesondere wurde - wie unter Punkt II - Beweiswürdig ausführlich dargelegt - nicht abgeklärt, ob bei der Viertbeschwerdeführerin die - allenfalls auch unter welchen Auflagen - Überstellungsfähigkeit nach Polen gegeben ist bzw. aufgrund einer abschließenden Beurteilung ihres jeweiligen Gesundheitszustandes eine aktuelle Gefährdung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgeschlossen werden kann.
3.7. Das Bundesamt wird daher im fortgesetzten Verfahren bei der Viertbeschwerdeführerin durch die Veranlassung der Einholung entsprechender medizinischer Gutachten abzuklären haben, ob bei ihr tatsächlich eine ganz außergewöhnlichen Fallkonstellationen vorliegt, die im Falle ihrer Überstellung nach Polen - auch wenn sich diese nicht in unmittelbarer Lebensgefahr befindet - eine ernste, schnelle und irreversible Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes, die ein starkes Leid zur Folge hätte, oder zu einer erheblichen Verringerung der Lebenserwartung führen würde. Im Besonderen wird dieses Gutachten auch den erforderlichen Behandlungsbedarf festzustellen und darüber hinaus allfällige erforderliche Rehabilitationsmaßnahmen und ob bei der Viertbeschwerdeführerin eine dauernde oder bloß vorübergehende Reiseunfähigkeit vorhanden ist bzw. die Frage, ob die Abschiebung nach Polen nur unter Auflagen und bejahendenfalls unter welchen Auflagen durchgeführt werden darf, zu behandeln haben.
3.9. Nach Vorliegen der unter Bezugnahme auf den unter Punkt 3.7. entsprechend erhobenen Ermittlungsergebnissen wird von der belangten Behörde letztlich auch zu prüfen sein, ob eine Einzelfallprüfung im gegenständlichen Verfahren nicht einen Selbsteintritt Österreichs gebieten würde.
3.10. Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob bei der Viertbeschwerdeführerin eine reale Gefährdung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigten im Falle ihrer Überstellung nach Polen vorliegt.
3.11. Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zwingend vorzugehend war.
3.12. Da im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren vorliegt waren auch die Bescheide des Erst-, der Zweit, der Dritt-, der Fünft-, des Sechst-, der Siebent- und der Achtbeschwerdeführerin gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zu beheben.
3.13. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W233.2171090.2.01Zuletzt aktualisiert am
16.04.2018