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23/01 Konkursordnung;Norm
ASVG §67 Abs10;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Mizner und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. April 1995, Zl. Ma 15-II-R 14/94, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 31. März 1994 wurde der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der A. H. GmbH gemäß § 67 Abs. 10 ASVG verpflichtet, die auf dem Beitragskonto der Beitragsschuldnerin rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 18. März 1994) im Betrag von S 321.874,75 zuzüglich Verzugszinsen seit 19. März 1994 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.
Nach der Begründung seien die im beiliegenden Rückstandsausweis vom 21. März 1994 ausgewiesenen Beiträge samt Nebengebühren unbeglichen. Über das Vermögen der Beitragsschuldnerin sei der Konkurs eröffnet worden. Aufgrund des derzeitigen Standes des Konkursverfahrens habe festgestellt werden können, dass die Beiträge samt Nebengebühren im Ausmaß von 95 % uneinbringlich seien. Daraus ergebe sich der im Spruch genannte Haftungsbetrag. Der Beschwerdeführer sei als Geschäftsführer zur Vertretung des Beitragsschuldners berufen. Zu den Pflichten des Geschäftsführers gehöre es, dafür zu sorgen, dass die Beiträge ordnungsgemäß entrichtet würden. Da dies schuldhaft unterblieben sei und der Beitragsrückstand nicht zur Gänze habe eingebracht werden können, sei die Haftung auszusprechen gewesen.
Im dagegen erhobenen Einspruch brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, bereits in den Jahren 1991 und 1992 sei die finanzielle Situation der Beitragsschuldnerin derart angespannt gewesen, dass die laufenden Verbindlichkeiten nur schleppend hätten erledigt werden können. Der Beschwerdeführer habe alles unternommen, um sämtliche Gläubiger zumindest anteilsmäßig zu befriedigen.
Dem Beschwerdeführer wurde daraufhin von der belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung vom 10. November 1994 aufgetragen, innerhalb von sechs Wochen einen Nachweis der Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit anderen Verbindlichkeiten der Beitragsschuldnerin vorzulegen.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 1994 ersuchte der Beschwerdeführer um Fristerstreckung bis 20. Jänner 1995, da die entsprechenden Rechnungsunterlagen von der Masseverwalterin noch nicht hätten besorgt werden können.
Nach Bewilligung dieses Antrages ersuchte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 19. Jänner 1995 um eine weitere Fristerstreckung bis 10. Februar 1995. Aufgrund dieses Schreibens wurde die Frist "letztmalig" auf den 20. Februar 1995 erstreckt.
Am 24. Februar 1995 langte bei der belangten Behörde ein weiteres Schreiben des Beschwerdeführers ein, in dem dieser erklärte, einige Male ohne Erfolg versucht zu haben, von der Masseverwalterin die erforderlichen Dokumente zu bekommen. Er kündigte an, sich im Laufe der nächsten Woche mit der zuständigen Referentin zwecks Vereinbarung eines Termines in Verbindung zu setzen.
Eine Kontaktaufnahme erfolgte allerdings nicht.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bestätigt. Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens und der anzuwendenden Gesetzeslage vertrat die belangte Behörde in der Begründung die Auffassung, der Beschwerdeführer habe den Nachweis der Gleichbehandlung nicht erbracht, weshalb von einer schuldhaften Pflichtverletzung auszugehen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften unter anderem die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Zu den im § 67 Abs. 10 ASVG genannten "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen" gehören auch die Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 19. September 1989, Zl. 88/08/0283).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zur rechtzeitigen Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung - für deren Beurteilung die von Lehre und Rechtsprechung zu § 9 und § 80 BAO entwickelten Grundsätze herangezogen werden (vgl. das Erkenntnis vom 14. April 1988, Zl. 88/08/0025) - kann z.B. darin liegen, dass der Geschäftsführer die Beitragsschulden insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0016).
Bereits leichte Fahrlässigkeit reicht für die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG aus (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 19. März 1991, Zl. 89/08/0331).
Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist es auch im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren Sache des haftungspflichtigen Geschäftsführers darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Beitragsschulden rechtzeitig (zur Gänze) entrichtet wurden und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Denn ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt - über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus - die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist. Allerdings darf diese besondere Behauptungs- und Beweislast einerseits nicht überspannt, andererseits nicht so aufgefasst werden, dass die Behörde jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0217).
Da der Beschwerdeführer nach seinem Schreiben vom 20. Februar 1995 die angekündigte Kontaktaufnahme mit der belangten Behörde unterließ, handelte diese zunächst nicht rechtswidrig, wenn sie bei dieser Sachlage davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführer den von ihm geforderten Entlastungsbeweis nicht erbracht hat. Auf den in der Beschwerde erhobenen Einwand, die Masseverwalterin sei nicht "herausgabebereit", war schon wegen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehenden Neuerungsverbotes (§ 41 VwGG) nicht einzugehen.
In der Beschwerde wird allerdings ferner unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften gerügt, die belangte Behörde habe die Konkursquote nicht exakt ermittelt. Die bloße Erklärung, dass nach Auskunft der Masseverwalterin eine Quote von 5 % "voraussichtlich nicht erreicht" werde, sei weder verifiziert noch seien entsprechende Berechnungsgrundlagen vorgelegt worden.
Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.
Wesentliche (und primäre) sachliche Voraussetzung der subsidiären Haftung eines Vertreters nach § 67 Abs. 10 ASVG ist die objektive (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit der betreffenden Beiträge beim Primärschuldner. Erst wenn sie feststeht, ist auf die Prüfung der für eine Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen. Andernfalls, d.h. wenn (noch) nicht einmal eine teilweise (ziffernmäßig bestimmbare) Uneinbringlichkeit feststeht, kommt eine Haftung (noch) nicht in Betracht. Aus der Tatsache der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen einer GmbH allein kann noch nicht zwingend auf die (gänzliche oder zumindest teilweise) Uneinbringlichkeit der gegenüber der Gesellschaft entstandenen Abgabenforderungen geschlossen werden. Andererseits bedarf es zur Beurteilung dieser Uneinbringlichkeit auch nicht notwendig der vollständigen Abwicklung (bis zur Aufhebung) des Konkurses; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, sobald im Lauf des Insolvenzverfahrens feststeht, dass die Abgabenforderung im Konkurs mangels ausreichenden Vermögens nicht (nicht einmal mit einem ziffernmäßig bestimmbaren Teilbetrag) wird befriedigt werden können. Allgemeine und durch die Bezugnahme auf die "bisher überblickbare Situation" oder die Erwartungen nach dem "derzeitigen Stand" unbestimmt gehaltene Auskünfte des Masseverwalters sind dabei aber keine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Es bedarf konkreter, im Einzelnen nachprüfbarer Feststellungen der Behörde über die Befriedigungsaussichten, insbesondere über das zur Befriedigung der Konkursforderungen verfügbare Massevermögen (vgl. dazu das Erkenntnis vom 16. März 1999, Zl. 94/08/0276, mit Hinweis auf Vorjudikatur).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann die Erklärung der Masseverwalterin vom 28. Dezember 1993, die Höhe der Befriedigungsquote könne "noch nicht angegeben werden", es stehe aber fest, dass eine Quote von 5 % "voraussichtlich" nicht erreicht werden könne, nicht als ausreichende Beurteilungsgrundlage angesehen werden.
Der Sachverhalt bedarf daher in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.
Wien, am 29. März 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1995080140.X00Im RIS seit
20.11.2000