Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §914;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des E in J, vertreten durch Dr. W und Dr. G, Rechtsanwälte in K, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 4. Mai 1998, Zl. LGS/Abt. 4/1218/98, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am 27. Februar 1998 bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Nach der vorgelegten Arbeitsbescheinigung war er seit 1. Juli 1977 als Angestellter beschäftigt; das Dienstverhältnis sei durch Aussetzungsvertrag beendet worden, die Bezüge seien bis 26. Februar 1998, Urlaubsentschädigung oder Urlaubsabfindung seien nicht ausbezahlt worden. Der in der Arbeitsbescheinigung erwähnte Aussetzungsvertrag vom 23. Februar 1998 hat folgenden Wortlaut:
"Aussetzungsvertrag
Das Dienstverhältnis zwischen dem Arbeitgeber ... und dem Dienstnehmer (Beschwerdeführer) endet am 26.02.1998.
Der Dienstnehmer (Beschwerdeführer) wird am 1.04.1998 wieder eingestellt. Die Zeit der Unterbrechung wird für alle Ansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, angerechnet.
Arbeitgeber (unleserliche Unterschrift) Arbeitnehmer (unleserliche Unterschrift)"
Mit Bescheid vom 31. März 1998 gab die regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice diesem Antrag mangels Arbeitslosigkeit keine Folge. In der Begründung heißt es, das Vermittlungsverfahren habe ergeben, dass im Falle des Beschwerdeführers Arbeitslosigkeit nicht vorliege, die Beschäftigung sei lediglich ausgesetzt worden.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin machte er geltend, das Dienstverhältnis habe laut vertraglicher Vereinbarung am 26. Februar 1998 geendet. Vom Dienstgeber sei ihm eine Wiedereinstellung mit 1. April 1998 in Aussicht gestellt worden. Aus § 12 Abs. 1 und 3 AlVG ergebe sich nicht, dass eine Wiedereinstellungszusage einen Verwirkungsgrund für den Anspruch auf Arbeitslosengeld darstelle.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie sprach im Spruch aus, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom 27. Februar 1998 bis 31. März 1998 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. In der Begründung stellte die belangte Behörde nach kurzer Darstellung des Verwaltungsgeschehens folgenden Sachverhalt fest:
Der Beschwerdeführer sei seit 1. Juli 1977 beschäftigt. Am 23. Februar 1998 habe er mit seinem Dienstgeber die Aussetzung des Dienstverhältnisses für die Zeit vom 27. Februar 1998 bis 31. März 1998 vereinbart. Es sei vereinbart worden, dass "für die Zeit der Unterbrechung alle Ansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, angerechnet werden".
Auf der vom Beschwerdeführer bei seiner Antragstellung vorgelegten Arbeitsbescheinigung sei vermerkt, dass das Dienstverhältnis nicht beendet, sondern ausgesetzt sei.
Die belangte Behörde führte aus, dass diese Feststellungen auf Grund des Aktes der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice sowie der Berufung und des vorgelegten Aussetzungsvertrages zu treffen gewesen seien.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens sei das Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers nicht beendet, sondern lediglich karenziert worden. Dies werde auch dadurch belegt, dass der Beschwerdeführer mit dem Arbeitgeber vereinbart habe, dass "alle Ansprüche, die sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses richten, anzurechnen sind."
Der Beschwerdeführer habe während eines karenzierten Dienstverhältnisses keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 29. November 1984, Slg. Nr. 11.600/A, ausführlich dargelegt, dass die bloße Karenzierung eines Arbeitsverhältnisses, an das die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpfte, keine Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 AlVG begründet. Liegt hingegen eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses vor, dann muss mangels von Anhaltspunkten für das Vorliegen der zweiten Tatbestandsvoraussetzung des § 12 Abs. 1 AlVG Arbeitslosigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 leg. cit. bejaht werden.
Bei der Lösung der demnach auch für den Beschwerdefall entscheidenden privatrechtlichen Vorfrage, ob eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses oder eine bloße Karenzierung vorliegt, kommt es auf den Inhalt der zwischen den Arbeitsvertragspartnern abgeschlossenen Vereinbarung an, die nach den Regeln der §§ 914 ff ABGB auszulegen ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1992, 92/08/0047, vom 20. April 1993, 91/08/0184, und vom 26. Jänner 2000, 95/08/0153, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Verwaltungsgerichtshof hat u.a. in den zitierten Erkenntnissen darauf hingewiesen, dass bei Auslegung des Vertrages nicht nur auf den Gebrauch bestimmter Wendungen, wie z.B. die Bezeichnung des Vertrages als "Aussetzungsvertrag" oder die Verwendung des Wortes "Unterbrechung" oder "Wiederaufnahme des Dienstverhältnisses" abzustellen ist, sondern in erster Linie die Absicht der Parteien zu erforschen ist. Es ist also nicht so sehr an der Wortwahl der Parteien zu haften, sondern es ist auf die von ihnen bezweckte Regelung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen abzustellen.
Im Beschwerdefall hat sich die belangte Behörde bei Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage lediglich auf den oben wiedergegebenen "Aussetzungsvertrag" gestützt. Sie vertrat hiezu die Auffassung, dass sich bereits aus dem Wortlaut des Vertrages allein ergebe, dass das Beschäftigungsverhältnis nicht beendet, sondern lediglich karenziert worden sei. Dies wird nach Ansicht der belangten Behörde auch dadurch belegt, dass der Beschwerdeführer mit seinem Arbeitgeber vereinbart habe, dass alle Ansprüche, die sich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses richten, anzurechnen seien. Die belangte Behörde meint damit offenbar, dass die Vereinbarung, wonach die Zeit der Unterbrechung für alle Ansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, angerechnet wird, für eine Karenzierung spreche.
Wie der Beschwerdeführer in der Beschwerde mit Recht ausführt, reichen weder diese Erwägungen noch die knappen tatsächlichen Feststellungen für eine abschließende Beurteilung der entscheidungswesentlichen Frage, ob eine Karenzierung oder eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses des Beschwerdeführers vereinbart wurde, aus. Aus dem Wortlaut der Vereinbarung ergibt sich nämlich nicht der Zweck des "Aussetzungsvertrages". Im Übrigen hat der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung ausgeführt, dass das Dienstverhältnis einvernehmlich beendet wurde. Da es nach der dargestellten Rechtslage auf den von den Vertragsparteien beabsichtigten Zweck der Regelung ankommt, hätte die belangte Behörde insbesondere durch Vernehmung der Parteien des Aussetzungsvertrages die gesamten Umstände, unter denen diese Vereinbarung zu Stande kam, ihren Zweck und ihre Durchführung (wozu insbesondere die Art der Abwicklung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zu zählen ist) ermitteln und entsprechend den §§ 60 und 67 AVG in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse dieses Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen gehabt. Bei dieser vorzunehmenden rechtlichen Bewertung des ausreichend festgestellten Sachverhaltes ist, wie der Verwaltungsgerichtshof im oben zitierten Erkenntnis vom 29. November 1984, 83/08/0083, näher dargelegt hat, zu beachten, dass zwar auch eine Vereinbarung der Arbeitsvertragspartner, das Arbeitsverhältnis nur deswegen zu unterbrechen und nicht zu karenzieren, damit der Arbeitnehmer im Unterbrechungszeitraum Leistungen der Arbeitslosenversicherung erlangen kann, kein solche Leistungen schlechthin ausschließendes Umgehungsgeschäft darstellt, dass aber nicht deshalb, weil die Vertragspartner eine solche Absicht (dem Arbeitnehmer Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu ermöglichen) haben, die Vereinbarung schon als Unterbrechungsvereinbarung zu werten ist; für diese Bewertung ist vielmehr die durch die Vereinbarung von den Parteien ernstlich bezweckte und nicht nur nach außen zum Schein vorgeschützte konkrete Ausgestaltung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen während des Unterbrechungs- bzw. Aussetzungszeitraumes maßgebend, für deren Ermittlung, wie bereits ausgeführt wurde, nicht nur der Wortlaut der Vereinbarung, sondern die gesamten Umstände, unter denen die Vereinbarung zu Stande kam, und ihre Durchführung (nämlich Prüfung der Frage, wie ernstlich die Parteien ihre aus der behaupteten Beendigung des Dienstverhältnisses entstandenen Ansprüche verfolgt bzw. auf Grund welcher Motive sie darauf verzichtet haben: vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1986, 86/08/0129-138) entscheidend sind.
Da die belangte Behörde die zur Beurteilung des Sachverhaltes im aufgezeigten Sinn erforderlichen Feststellungen unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 29. März 2000
Schlagworte
Besondere Rechtsprobleme Verhältnis zu anderen Normen Materien Sozialversicherung Zivilrecht Vertragsrecht Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998080164.X00Im RIS seit
18.10.2001