TE OGH 2018/2/20 10ObS142/17f

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Veröffentlicht am 20.02.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Ing. Christian Stangl-Brachnik, MA BA und KAD Dr. Lukas Stärker (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W***** (vormals Mag. G***** als Masseverwalter, *****), gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1050 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, wegen Aufrechnung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. September 2017, GZ 7 Rs 54/16i-16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Bezeichnung der klagenden Partei wird auf W*****, berichtigt.

2. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Über das Vermögen der Klägerin wurde mit Beschluss vom 11. 6. 2015 das Konkursverfahren eröffnet. Mit dem an die Schuldnerin gerichteten Bescheid vom 11. 2. 2016 erklärte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, mit ihren Beitragsforderungen ab 1. 2. 2016 gegen den Leistungsanspruch der Schuldnerin auf Auszahlung einer Witwenpension aufzurechnen. Die Berechtigung dieser Aufrechnung ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Infolge der Postsperre wurde der Bescheid der beklagten Partei an den Masseverwalter zugestellt.

2. Der Konkurs über das Vermögen der Versicherten wurde mittlerweile rechtskräftig aufgehoben, der Sanierungsplan wurde rechtskräftig bestätigt (AZ ***** LG Leoben). Mit dieser rechtskräftigen Aufhebung des Konkurses erhielt die Schuldnerin das Recht wieder, über ihr Vermögen frei zu verfügen. Sie tritt eo ipso in den vom Masseverwalter geführten Prozess ein (RIS-Justiz RS0064696; vgl RS0064690). Die Bezeichnung des bisher als Kläger eingeschrittenen Masseverwalters ist von Amts wegen auf jene der früheren Schuldnerin richtigzustellen (RIS-Justiz RS0112123).

3. Eine Aufrechnung (§ 1438 ABGB) erfolgt in Ausübung eines Gestaltungsrechts durch die empfangsbedürftige Aufrechnungserklärung (RIS-Justiz RS0033712 [T3]). Dies gilt auch für die Aufrechnung durch den Sozialversicherungsträger; die normative Regelung im Bescheid entspricht der Aufrechnungserklärung (10 ObS 233/02s, SSV-NF 16/138).

4. Die Aufrechnung im Konkurs findet nach der Rechtsprechung nur gegen den Masseverwalter statt (RIS-Justiz RS0064293). Zufolge § 2 Abs 2 IO erstreckt sich die Vertretungsbefugnis des Masseverwalters jedoch nicht auf das konkursfreie Vermögen (10 ObS 48/17g; 10 ObS 95/17v).

5. Die Beklagte vertritt den Standpunkt, die Aufrechnung zu Recht nur gegenüber der (damaligen) Schuldnerin erklärt zu haben. Die monatliche Aufrechnungsrate finde jedenfalls im unpfändbaren Teil der zu erbringenden Versicherungsleistung (Witwenpension) Deckung. Über das pfändungsfreie, nicht der Insolvenzordnung unterliegende Einkommen dürfe nur die Schuldnerin verfügen. Nach Aufhebung des Konkurses seien Klägerin und Bescheidadressatin „zusammengefallen“.

6. In einer Konstellation, in der ausschließlich gegen konkursfreies Einkommen aufgerechnet wird, hätte der Bescheid jedoch als empfangsbedürftige Aufrechnungserklärung der Schuldnerin und Aufrechnungsgegnerin zugestellt werden müssen, was eindeutig nicht erfolgt ist. Dass die Aufrechnungserklärung der Schuldnerin sonst zugekommen sei, behauptet die Revisionswerberin nicht. Betrifft die Aufrechnung hingegen die Konkursmasse, müsste sie gegenüber dem Masseverwalter als Erklärungsempfänger und Bescheidadressat erfolgen.

7. Die – vom Berufungsgericht verneinte – Wirksamkeit der Aufrechnung betrifft ausschließlich eine materiell-rechtliche Frage, nämlich den Vollzug der Aufrechnung durch Zugang einer entsprechenden Aufrechnungserklärung an die Schuldnerin. In seinem Aufhebungsbeschluss, AZ 10 ObS 48/17g, klärte der Oberste Gerichtshof hingegen nur die (im Zweifel bejahte) Prozessführungsbefugnis des eingeschrittenen Masseverwalters, weshalb Fragen nach der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der erklärten Aufrechnung offen blieben und nicht bindend beantwortet wurden.

8. Scheitert eine Aufrechnung bereits am Erfordernis einer gegenüber der Schuldnerin wirksam gewordenen Aufrechnungserklärung, muss auch nicht mehr auf die in der Revision behandelte Frage eingegangen werden, ob sich die Forderungen zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung aufrechenbar gegenüberstanden.

Textnummer

E121112

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00142.17F.0220.000

Im RIS seit

15.04.2018

Zuletzt aktualisiert am

22.06.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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