TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/9 W147 1427775-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.04.2018
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Entscheidungsdatum

09.04.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W147 1427775-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23. Februar 2018, Zl. IFA:

574470510-14574125, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, und §§ 46, 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Erstes Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann XXXX , geb. XXXX sowie den minderjährigen Kindern XXXX , XXXX und XXXX am 04.12.2012 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten sie alle am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz. Am 23.12.2011 wurde im Bundesgebiet der weitere Sohn XXXX geboren, der Sohn XXXX war bereits im September 2011 eingereist.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.12.2011 gab die Beschwerdeführerin an, legal aus dem Herkunftsstaat ausgereist zu sein. Sie habe den Herkunftsstaat mit ihren Kindern am 15.10.2011 mit der Bahn von XXXX verlassen. Die Beschwerdeführerin und ihre Familie seien mit der Bahn nach XXXX und weiter nach XXXX (Weißrussland) gereist. Von dort seien sie nach Polen und später gemeinsam mit dem Ehegatten nach Österreich gelangt.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt, schilderte die Beschwerdeführerin, dass sie wegen der Gefährdung des Mannes ausgereist sei. Dieser sei zweimal von unbekannten maskierten Männern mitgenommen worden. Die Kinder hätten keine eigenen Gründe.

In der Folge wurden Dublin-Konsultationen mit Polen geführt, die keine Zuständigkeit dieses Staates ergeben haben.

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, EAST West, am 04.01.2012 bestätigte die Beschwerdeführerin eingangs, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben in ihrem Asylverfahren zu machen.

Sie verwies auf ihre Angaben in der Erstbefragung und schilderte erneut die Reisebewegung in einem Zug von XXXX bis Weißrussland/Polen.

In der folgenden Einvernahme vom 13.03.2012, nunmehr Außenstelle Wien, schilderte die Beschwerdeführerin ihr Leben im Heimatdorf XXXX , wo sie eine Schneiderei betrieben habe. Der Ehegatte sei im Jahr 2004 verschleppt und 2-3 Monate festgehalten worden, er sei dann von seinem Vater freigekauft worden. Die zweite Anhaltung habe sie nicht selbst gesehen, diesmal sei er ca. 2 Wochen festgehalten worden und erneut gegen Lösegeld freigelassen worden. Wer ihn festgehalten habe, das wisse sie nicht.

2. Mit Bescheid vom 21.06.2012, Zl. 11 14.612-BAW, wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte dieser den Status der Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I). Weiters wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II) und wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III).

Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Beschwerdeführerin keine Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat zu gewärtigen gehabt habe. Das Fluchtvorbringen ihres Ehemannes, auf das sie sich ebenfalls bezogen habe, sei nicht glaubwürdig.

Es hätten sich auch keine Umstände für die Erteilung subsidiären Schutzes ergeben und sei auch die Ausweisung im Lichte des Art. 8 EMRK notwendig und geboten gewesen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 04.07.2012 fristgerecht Beschwerde, in welcher dieser wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts bekämpft wurde. Die Beschwerde bezieht sich insbesondere auf das Fluchtvorbringen ihres Ehemannes.

4. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 18. 10. 2012, D14 427775-1/2012/2E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

Festgestellt wurde unter anderem:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und führt den im Spruch genannten Namen. An ihrer Identität hat sich infolge der Vorlage unbedenklicher Dokumente kein Zweifel ergeben.

Mit der Beschwerdeführerin halten sich gemeinsam im Bundesgebiet ihr Ehemann und ihre fünf minderjährigen Kinder auf. Deren Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesasylamtes wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass deren Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation zulässig ist.

Die Beschwerdeführerin hat keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, sondern sich ausschließlich auf die Gründe ihres Ehemannes bezogen.

Die Beschwerdeführerin war in ihrem Herkunftsstaat in der Vergangenheit keiner Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten ausgesetzt und drohen ihr solche auch in Zukunft nicht. Die von ihrem Ehemann vorgebrachten Gründe für die Ausreise aus der Russischen Föderation respektive Tschetschenien werden mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht festgestellt.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Nicht festgestellt werden kann darüber hinaus, dass die Beschwerdeführerin an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden würde, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausreichend ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführerin in Österreich vorliegt.

Im Übrigen wurde auf das Erkenntnis des Ehegatten der Beschwerdeführerin verwiesen.

5. Das Erkenntnis des Asylgerichtshofes wurde am 24. Oktober 2012 zugestellt. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 13.12.2012, Zl. U 2572/12-3, abgelehnt.

6. Die Beschwerdeführerin meldete sich ebenso wie ihr Gatte und die minderjährigen Kinder am 28.12.2012 zur freiwilligen Rückkehr in den Herkunftsstaat an (Freiwillige Rückkehr - Verständigungsformular vom 28.12.2012). Die Familie verblieb in weiterer Folge im Bundesgebiet.

Zweites Verfahren (in Rechtskraft erwachsen):

7. Mit Faxeingabe vom 29.01.2013 begehrte der Ehegatten der Beschwerdeführerin die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG.

Dieser Antrag wurde damit begründet, dass der Antragsteller anlässlich der Entscheidung des Asylgerichtshofes zunächst eine freiwillige Heimreise geplant habe. Im Jänner habe er jedoch Kontakt mit seinem Cousin XXXX aufgenommen, um herauszufinden, ob für ihn, seine Frau und seine Kinder eine Heimreise gefahrlos möglich sei.

Sein Cousin habe ihm am Telefon mitgeteilt, dass mittlerweile wieder nach ihm gesucht werden würde. Es seien zunächst Ladungen gekommen, danach seien auch Leute in Militäruniformen dagewesen, die nach ihm gefragt hätten. Der Antragsteller habe daraufhin seinen Cousin gebeten, die Ladungen in eingescannter Form nach Österreich zu übermitteln, was dieser am 25.01.2013 auch getan habe.

Die nunmehr vorgelegten Ladungen würden eindeutig beweisen, dass der Antragsteller im Zusammenhang mit den im Jahre 2011 gegen ihn erhobenen Vorwürfen auch aktuell von den Behörden gesucht werde.

Bei den nunmehr vorgelegten Ladungen handle es sich um "Beweismittel" im Sinne von § 69 Abs. 1 Z 2 AVG, die ohne Verschulden des Antragstellers im bisherigen Verfahren nicht geltend gemacht werden hätten können und durch deren Berücksichtigung voraussichtlich ein positiver Asylbescheid gefällt worden wäre.

Dem Antrag wurde ein E-Mail-Verkehr vom 25.01.2013 samt 2 Ladungen (in Kopie) beigelegt.

8. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 7.3.2013, D14 427773-2/2013/8E, wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 18.10.2012 zu Zl. D14 427773-1/2012/2E rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG abgewiesen.

Begründend hielt der erkennende Senat nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung fest:

"In der im Verfahrensgang wiedergegebenen Begründung der rechtskräftig negativen Entscheidung des AsylGH betreffend den Antragsteller vom 18.10.2012 wurde umfassend dargelegt, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat evidentermaßen keiner zielgerichteten, intensiven Verfolgung ausgesetzt gewesen ist und auch in Zukunft dahingehend keine Gefährdung besteht. Das vom Antragsteller getätigte Vorbringen betreffend eine Verfolgung durch die staatlichen Behörden im Zusammenhang mit der Widerstandsbewegung wurde als vollkommen unglaubwürdig bewertet.

Bereits aus dem Umstand, dass der ursprüngliche Grund für die Verfolgung nicht glaubwürdig ist, konnte dem auf dieser Verfolgung aufbauenden Vorbringen, wonach der Antragsteller unvermindert im Herkunftsstaat von den staatlichen Behörden gesucht werde, nicht gefolgt werden.

Es haben sich im Übrigen - wie bereits quer durch das erste abgeschlossene Asylverfahren - Widersprüche und Ungereimtheiten betreffend das neue Vorbringen des Antragstellers ergeben, die einzig den Schluss zulassen, dass dieses nicht den Tatsachen entspricht und der Wiederaufnahmeantrag bloß gestellt wurde, um eine drohende Abschiebung in den Herkunftsstaat zu verhindern.

Der Antragsteller stützt sich im Wesentlichen auf zwei eingescannte, per E-Mail übermittelte, handschriftlich ausgefüllte Ladungsvordrucke. Diese Ladungen würden eindeutig beweisen, dass der Antragsteller im Zusammenhang mit den im Jahr 2011 gegen ihn erhobenen Vorwürfen auch aktuell von den Behörden gesucht werde.

Widersprüchlich gestaltet sich bereits, wie der Antragsteller von den Ladungen erfahren haben will. So wird im Antrag unmissverständlich dargelegt, dass der Antragsteller im Jänner mit seinem Cousin XXXX Kontakt aufgenommen habe, um herauszufinden, ob eine Heimreise für ihn, seine Frau und seine Kinder gefahrlos möglich sei. Sein Cousin habe ihm dabei am Telefon mitgeteilt, dass der Antragsteller mittlerweile wieder gesucht werden würde. Es seien zunächst Ladungen gekommen, danach seien auch Leute in Militäruniformen da gewesen, die nach ihm gefragt hätten. Der Antragsteller habe daraufhin seinen Cousin gebeten, die Ladungen in eingescannter Form nach Österreich zu übermitteln, was dieser am 25.01.2013 auch getan habe. In der Beschwerdeverhandlung am 19.02.2013 erklärte er im krassen Gegensatz zum eindeutigen Wortlaut im Antrag, dass er von der unverminderten Verfolgung im Herkunftsstaat über Skype vom Bruder seiner Frau erfahren habe. Dass er davon von XXXX per Telefon erfahren habe, hat der Antragsteller in der Beschwerdeverhandlung geradezu ausgeschlossen. Die Rechtfertigungsversuche des Antragstellers, wonach er dies bei der Besprechung des Antrages bei der CARITAS wahrscheinlich verwechselt habe bzw. sich ein Mensch in seiner Lage irren könne (S. 5, Verhandlung 19.02.2013), müssen als bloße Schutzbehauptungen gewertet werden. Der Antragsteller hat seinen Antrag mit Hilfe einer Mitarbeiterin der CARITAS in Anwesenheit eines Dolmetschers verfasst. Zumal es einen gravierenden Unterschied darstellt, eine Information per Skype von Person A oder per Telefon von Person B zu erhalten, bleibt für Irrtümer bzw. Verwechslungen kein Raum.

Besagter XXXX soll die Ladungen seinerzeit in Empfang genommen haben. Die Ladungen sollen im März und April 2012 XXXX übergeben worden sein. Für den erkennenden Senat stellt sich in diesem Zusammenhang die berechtigte Frage, weshalb der Antragsteller von besagten Ladungen erst im Jänner 2013 erfahren haben will, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass der Vater des Antragstellers vor dem Asylgerichtshof am 29.01.2013 erklärte, dass er mit XXXX seit seiner Einreise nach Österreich regelmäßig etwa einmal im Monat telefoniere. Der Vater gab weiter an, auch im Jahr 2012 regelmäßig - etwa einmal im Monat - telefoniert zu haben, da er ihn doch fragen müsse, wie es zuhause sei, ob alles in Ordnung sei. (S. 7, Verhandlung 29.01.2013 im Akt des Vaters, Zl. D14 318934-1/2008/7Z)

Unabhängig davon, wer letztlich die beiden Ladungen übermittelt hat, ist nicht nachvollziehbar, weshalb XXXX , bei tatsächlicher Existenz von zwei Ladungen und der Suche nach dem Antragsteller durch bewaffnete Militärs, den Vater bzw. den Antragsteller selbst nicht sofort über diesen Umstand informiert hat, zumal diese Informationen wohl wesentlich für das Verfahren des Antragstellers und seines Vaters gewesen wären.

Stattdessen hat sich der Antragsteller nach Zustellung der negativen Entscheidung des Asylgerichtshofes am 24.10.2012 sowie nach Ablehnung der Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde am 28.12.2012 zur freiwilligen Rückkehr in den Herkunftsstaat mit seiner Ehefrau und seinen Kindern entschlossen, was er wohl nicht getan hätte, wenn er im Herkunftsstaat Verfolgung im asylrelevantem Ausmaß befürchten würde. Der Antragsteller hat nämlich noch im Herbst in seinem Asylverfahren behauptet, dass das Schrecklichste passieren würde und er nach einer Rückkehr sofort wieder verfolgt werden würde. Lässt dieses Vorgehen einmal mehr erkennen, dass das Vorbringen des Antragsteller nicht den Tatsachen entspricht, erscheint in diesem Zusammenhang im Übrigen geradezu absurd, dass der Antragsteller sich im Dezember 2012 zur freiwilligen Rückkehr in den Herkunftsstaat entschließt und erst danach damit beginnt, seine Angehörigen im Herkunftsstaat zu fragen, ob eine derartige Rückkehr sicher ist, zumal der Antragsteller und sein Vater zu jeder Zeit während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet in regelmäßigem Kontakt mit den Angehörigen im Herkunftsstaat gestanden sind (S. 3, Verhandlung 19.02.2013).

Der Antragsteller stützte sich in der mündlichen Verhandlung auf den Umstand, dass besagter XXXX nichts von den Ladungen erzählt habe, da dieser Angst vor einem solchen Vorgehen gehabt hätte, da die Telefone abgehört werden würden (S. 3, Verhandlung 19.02.2013). Bei der behaupteten Angst von XXXX ist aber überhaupt nicht nachvollziehbar, weshalb sich dieser bereit erklärt haben soll, auf den Besitz des Antragstellers und seines Vaters zu achten und sich dort aufzuhalten. Bei der dargelegten Angst von XXXX ist auch nicht nachvollziehbar, warum dieser jahrelang mit dem Antragsteller und seinem Vater telefoniert, obwohl beide in Tschetschenien gesucht werden sollen. Wenn XXXX nämlich mit gesuchten Rebellen monatlich telefoniert, steht er doch ebenfalls in Verdacht, ein Rebell zu sein.

Der Antragsteller meinte auf diesen Vorhalt, dass er gehört habe, dass die Telefone abgehört werden würden (S. 3, Verhandlung 19.02.2013).

Umso erstaunlicher erscheint es, dass der Antragsteller in der Folge mit dem Bruder seiner Frau über Skype über die konkrete Lage des Antragstellers im Herkunftsstaat gesprochen haben soll. So soll ihm dieser über Skype von den Ladungen und der Suche nach dem Antragsteller durch bewaffnete Militaristen erzählt haben.

Auf Nachfrage erklärte der Antragsteller, dass er seit etwa zwei Monaten Kontakt per Skype habe. Seine Verwandten hätten ihm von der Existenz der Ladungen und den Hausdurchsuchungen nicht schon früher erzählt, da sie den Antragsteller nicht beunruhigen hätten wollen. Über Telefon hätten sie nicht darüber sprechen wollen. (S. 4, Verhandlung 19.02.2013) Auch betreffend die weiteren Verwandten war es demnach als vollkommen unplausibel zu werten, dass diese es einerseits in Kauf nehmen, mit einem gesuchten Rebellen zu telefonieren und in der Folge sogar mit diesem zu skypen, sich jedoch nicht sagen trauen, dass Ladungen für den Antragsteller vorliegen.

Hätte demnach tatsächlich eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat bestanden, wäre der Beschwerdeführer wohl durch seine Verwandten umgehend darüber informiert worden.

Der Antragsteller hat im Übrigen am 28.12.2012 seine Absicht bekundet, freiwillig in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits per Skype mit seinen Verwandten im Herkunftsstaat in Kontakt. Es wäre doch nur logisch nachvollziehbar gewesen, dass der Antragsteller im Vorfeld eines derart schwerwiegenden Schrittes die Verwandten im Herkunftsstaat gefragt hätte, ob eine gefahrlose Rückkehr für ihn möglich sei bzw. ihm die Verwandten davon abgeraten hätten. Die Ende Dezember 2012 geäußerte Absicht des Antragstellers, freiwillig in den Herkunftsstaat zurückzukehren, muss demnach als Indiz gegen die Glaubwürdigkeit der nunmehr behaupteten Verfolgung gewertet werden.

Besondere Berücksichtigung muss schließlich dem Umstand beigemessen werden, dass sich der Antragsteller mit den von ihm vorgelegten Ladungen in keiner Weise auseinandergesetzt hat und in der mündlichen Verhandlung über deren Inhalt nicht Bescheid gewusst hat.

So wurde der Antragsteller in der Beschwerdeverhandlung zu den Ladungen näher gefragt, wo und zu welchem Zweck er sich nach dem Inhalt der Ladungen einfinden solle, woraufhin er unbestimmt meinte, dass es sich vermutlich um den ROWD in XXXX handle, wobei er es nicht genau wisse. Befragt, wann und aus welchem Grund er dort hinkommen solle, erklärte er, dass die Ladungen im Zusammenhang mit seiner zweiten Anhaltung im Jahr 2011 stehe würden. Auf der Ladung stehe nur, dass er kommen solle. Dort stehe geschrieben, dass er geladen werde, andernfalls werde er verfolgt. Er wisse nicht genau, in welcher Eigenschaft er geladen worden sei. Er glaube, er sei als Zeuge geladen worden - irgendwas mit Verhör. Er wisse es nicht genau. (S. 2, Verhandlung 19.02.2012)

Der Antragsteller will mit den beiden vorgelegten Ladungen beweisen, dass er tatsächlich im Herkunftsstaat verfolgt wird. Umso erstaunlicher erscheint, dass er sich mit den von ihm vorgelegten zentralen Beweismitteln offensichtlich in keiner Weise auseinandergesetzt hat und an deren Inhalt keinerlei Interesse zeigt.

Der Antragsteller gestand auch ein, dass er die Ladungen gar nicht so genau durchgelesen habe. (S. 5, Verhandlung 19.02.2012)

So hätte der Antragsteller laut vorgelegten Ladungen nicht wie von ihm behauptet beim ROWD sondern beim OMVD vorsprechen müssen.

Seltsam ist auch, dass der Antragsteller laut den vorgelegten Ladungen, die zeitlich nur wenige Wochen auseinanderliegen, einmal als Zeuge geladen wird, bei der zweiten Ladung ist diese Rubrik gar nicht ausgefüllt.

Bei den Ladungen handelt es sich also um schlecht gescannte, händisch ausgefüllte Vordrucke, die dem Antragsteller per E-Mail von Verwandten im Herkunftsstaat übermittelt worden sind. Eine Überprüfung der Ladungen auf ihre Echtheit und Richtigkeit war demnach nicht möglich, wobei die bereits aufgezeigten Indizien, die gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens sprechen, den Schluss zulassen, dass es sich bei den vorgelegten Ladungen um Fälschungen bzw. Gefälligkeitsleistungen handelt.

Weshalb der Antragsteller nunmehr im Jahr 2012 vor die staatlichen Behörden geladen worden sein will bzw. weshalb die staatlichen Behörden den Antragsteller aufgrund Jahre zurückliegender Ereignisse nunmehr im Jahr 2012 offiziell laden hätten sollen, erscheint auch insofern wenig nachvollziehbar, als der Antragsteller sowohl im Jahr 2004 als auch im Jahr 2011 ohne Vorwarnung verschleppt worden sein will.

Der Antragsteller will ebenso wie sein Bruder und sein Vater aufgrund der Involvierung in die Widerstandsbewegung seit Jahren von den staatlichen Behörden gesucht worden sein. Der Asylgerichtshof hat im rechtskräftigen Erkenntnis vom 18.10.2012 die Ausführungen des Antragstellers sowie seines Vaters und seines weiteren im Bundesgebiet aufhältigen Bruders einer umfassenden Beurteilung unterzogen, wobei zu den massiven Widersprüchen im Vorbringen auf die im Verfahrensgang zitierten beweiswürdigenden Überlegungen im rechtskräftigen Erkenntnis vom 18.10.2012 verwiesen wird.

Für den erkennenden Senat hat sich infolge der im gegenständlichen Verfahren zusätzlich entstandenen Ungereimtheiten und Widersprüche sowie insbesondere aufgrund des persönlichen Eindrucks, den der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung vermittelt hat, der Eindruck verstärkt, dass der Antragsteller von Beginn seines Asylverfahrens an nicht den Tatsachen entsprechende Ausführungen getätigt hat und die neuerliche Antragstellung lediglich den Zweck verfolgt, eine Abschiebung in den Herkunftsstaat zu verhindern.

Insgesamt betrachtet hat der Antragsteller im abgeschlossenen Asylverfahren ausreichend Gelegenheit gehabt, alle für sein Asylverfahren relevanten Umstände darzulegen. Seinem Vorbringen, wonach ihm bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung drohe, wurde die Glaubwürdigkeit versagt. Die entsprechenden Ausführungen im rechtskräftigen Erkenntnis vom 18.10.2012 wurden schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Auch die relevante Lage im Herkunftsstaat zum Entscheidungszeitpunkt ist hinreichend in die Beurteilung eingeflossen. Der Antragsteller konnte zum Entscheidungszeitpunkt am 18.10.2012 somit eine drohende aktuelle Gefährdung im Heimatland weder zum Zeitpunkt der Ausreise noch aktuell glaubhaft machen, woran die mit gegenständlichem Wiederaufnahmeantrag vorgelegten Beweismittel nichts ändern konnten. Diese waren nämlich - wie dargelegt - nicht geeignet, eine Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 18.10.2012 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zu begründen, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme daher jedenfalls spruchgemäß abzuweisen war."

9. Auch dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft und verblieb die Familie nach wie vor im Bundesgebiet.

Drittes verfahrensgegenständliches Verfahren

10. Am XXXX kam eine weitere Tochter der Beschwerdeführerin in Österreich zur Welt. Für diese wurde mit Schriftsatz vom 16. Jänner 2014 schriftlich ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.

11. Am 30.04.2014 brachte die Beschwerdeführerin ebenso wie die weiteren Familienangehörigen gegenständlichen Folgeantrag ein, wobei anlässlich der niederschriftlichen Erstbefragung im Wesentlichen vorgebracht wurde, dass die "alten" Asylgründe nach wie vor aufrecht und auch sehr aktuell seien. Es bestehe für den Ehegatten der Beschwerdeführerin und die Familie nach wie vor Lebensgefahr in Tschetschenien.

Die Beschwerdeführerin selbst und die gemeinsamen Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Nach Zulassung des Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin am 22.09.2015 und am 15.11.2017 von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, im Beisein eines Dolmetschers der Sprache Russisch niederschriftlich einvernommen, wobei sie im Wesentlichen bestätigte, keine eigenen Fluchtgründe zu haben.

Mit nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 30. April 2014 gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine First zur Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Schließlich wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).

12. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 28. Februar 2018 wurde der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird.

13. Am 2. März 2018 wurde der Bescheid des Bundesasylamtes durch persönliche Übernahme zugestellt.

14. Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde mit Schriftsatz vom 23. März 2018 fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde für alle Familienmitglieder erhoben und die erstinstanzliche Erledigung wegen mangelhaftem Verfahren und Rechtswidrigkeit des Inhaltes in vollem Umfang angefochten. In Einem wurde der Antrag auf aufschiebende Wirkung gestellt.

15. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 4. April 2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation, wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und führt den im Spruch genannten Namen. An ihrer Identität hat sich infolge der Vorlage unbedenklicher Dokumente kein Zweifel ergeben.

Mit der Beschwerdeführerin halten sich gemeinsam im Bundesgebiet ihr Ehegatte und ihre sechs minderjährigen Kinder auf. Deren Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Weiters wurde eine Rückkehrentscheidung ausgesprochen und festgestellt, dass deren Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation zulässig ist.

Die Beschwerdeführerin, die sich auch im nunmehrigen Verfahren auf die Fluchtgründe ihres Gatten bezog, hatte in ihrem Herkunftsstaat keinerlei politische oder sonstige Probleme. Die Beschwerdeführerin wird in ihrem Herkunftsstaat weder aus religiösen, politischen, ethnischen oder sonstigen Gründen verfolgt. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle asylrelevante Gefährdung der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Nicht festgestellt werden kann darüber hinaus, dass die Beschwerdeführerin an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden würde, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausreichend ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführerin in Österreich vorliegt.

Die Beschwerdeführerin ist illegal eingereist, hat zwei unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt und war nicht gewillt, nach negativem Ausgang des ersten Verfahrens freiwillig das Bundesgebiet zu verlassen.

1.2. Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (11.2014a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 2.4.2015

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CIA - Central Intelligence Agency (20.6.2014): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 2.4.2015

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2015a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900, Zugriff 2.4.2015

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2015c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 2.4.2015

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:

The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 1.4.2015

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Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 1.4.2015

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 1.4.2015

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Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 1.4.2015

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.4.2015b): Russische Föderation - Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 1.4.2015

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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Quellen:

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation, Zugriff 1.4.2015

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Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 1.4.2015

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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/295447/430479_de.html, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

Tschetschenien

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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