TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/27 W147 1419356-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.03.2018
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Entscheidungsdatum

27.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W147 1419356-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Fatma ÖZDEMIR-BAGATAR, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5. Mai 2017, Zl:

529249507-170100975, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24. Oktober 2017 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 10 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 55 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, und §§ 46, 52 Abs. 3 und Abs. 9 Fremdenpolizeigesetz (FPG) BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, sowie § 55 Abs. 1 bis 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 164/2013, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der Volksgruppe der Awaren, reiste am 28. August 2010 gemeinsam mit ihrer Mutter mittels Visum mit dem Flugzeug von Moskau kommend in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 3. September 2010 durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie in der Schule große Probleme gehabt habe. Neben der Schule habe sie die Koranschule besucht und ein Kopftuch getragen. Aus diesem Grund sei sie von den anderen Kindern geächtet und beschimpft worden. Deshalb habe die Beschwerdeführerin in letzter Zeit die Schule nicht mehr besucht. Außerdem sei die Beschwerdeführerin einmal von maskierten Männern wegen Problemen mit ihrem verschollenen Bruder XXXX mit einer Flasche niedergeschlagen worden.

Auch die Mutter der Beschwerdeführerin gab als Grund für das Verlassen des Heimatlandes Probleme wegen ihres Sohnes XXXX an. Dieser sei sehr religiös, aber kein radikaler Moslem. In ihrer Heimat gebe es viele Entführungen und der Sohn sei gegen solche Entführungen und habe an Protestaktionen gegen die Regierung teilgenommen. Ein ehemaliger Kollege des verstorbenen Mannes der Mutter der Beschwerdeführerin habe diese gewarnt, dass ihr Sohn nunmehr auf einer Liste stehe. Im Mai 2010 sei der Sohn bewusstlos geschlagen worden und habe zwei Tage jede Spur von ihm gefehlt. Eine Nachbarin habe den blutüberströmten Sohn in der Nähe des Hauses gefunden und die Mutter der Beschwerdeführerin verständigt. Ab diesem Zeitpunkt hätten maskierte Männer in schwarzen Uniformen in regelmäßigen Abständen das Haus der Mutter der Beschwerdeführerin durchsucht. Seit Juli 2010 sei der Sohn verschwunden. Ende Juli 2010 hätten die maskierten Männer mit einer Flasche auf den Rücken der Beschwerdeführerin und auch die Mutter verprügelt. Die Männer hätten gedroht, der Beschwerdeführerin etwas anzutun. Aus diesem Grund hätten sich die Mutter sowie die Beschwerdeführerin nicht mehr getraut, zu Hause zu schlafen. Aus Angst um die Beschwerdeführerin habe die Mutter beschlossen, das Heimatland zu verlassen.

2. Am darauffolgenden Tag legte die Beschwerdeführerin einen russischen Reisepass, Nr. 710669723, ausgestellt am 13. Mai 2010 von MC 05001 vor.

3. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 3. März 2011 gab die Mutter der Beschwerdeführerin im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache und in Anwesenheit ihres Rechtsanwaltes zu ihren Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, dass ihr Ehemann, ein Jurist und für die Sicherheitsunion tätig gewesen, XXXX nach Tschetschenien verschleppt und umgebracht worden sei. Der Leichnam des Ehemannes habe Folterspuren aufgewiesen. Darauf folgend sei auch die Mutter der Beschwerdeführerin verhört und über Dokumente befragt worden. Weiters führte die aus, dass in den letzten Jahren die Lage in Dagestan schwierig geworden sei. Junge Leute seien verhaftet und verdächtigt worden, Kämpfer zu sein. Ihr Sohn habe an Demonstrationen gegen die Entführungen teilgenommen. Seit dem Frühjahr 2010 sei die Familie wieder bedroht worden. Maskierten Leuten seien in Haus gekommen und hätten die Familie bedroht und den Sohn mitgenommen. Nach zwei oder drei Tagen sei der Sohn gefunden und stationär behandelt worden. Mitte Juli 2010 sei der Sohn erneut entführt worden. Ende Juli 2010 seien Personen, die sich als Behördenvertreter ausgegeben hätten, in das Haus der Mutter der Beschwerdeführerin gekommen und hätten nach Dokumenten betreffend den Sohn gefragt. Im Zuge dieses Vorfalls sei die Beschwerdeführerin tätlich angegriffen worden, indem man ihr mit einer vollen Wasserflasche auf den Rücken geschlagen habe. Auch habe man die Mutter der Beschwerdeführerin geschlagen und sei diese bedroht worden. Nach diesem Vorfall seien die Mutter und die Beschwerdeführerin verängstigt gewesen und bei Verwandten untergekommen. Aufgrund dieses Vorfalles hätten sie beschlossen, das Land zu verlassen. Des Weiteren habe die Beschwerdeführerin nach Angaben ihrer Mutter schulische Probleme gehabt. Laut Angaben der Mutter sei die Beschwerdeführerin in eine religiöse islamische Schule gegangen und habe sie begonnen sich zu verschleiern. Die Leute hätten daraufhin der Beschwerdeführerin zu verstehen gegeben, dass sie nicht dazu gehöre. Nach dem Verbleib des Sohnes befragt, gab die Mutter der Beschwerdeführerin an, dass sie gehört habe, dass der Sohn irgendwo in XXXX wohne und seine Frau schwanger sei.

Im Rahmen der Einvernahme legte die Mutter der Beschwerdeführerin die Sterbeurkunde ihres Ehemannes, Nr. XXXX , ausgestellt am XXXX vor.

4. Mit Schreiben vom 17. März 2011 brachte die Mutter der Beschwerdeführerin einen russischen Inlandspass der Beschwerdeführerin im Original, Nr. XXXX , ausgestellt am XXXX von Behörde XXXX sowie einen Ambulanzbrief der XXXX für Kinder- und Jugendchirurgie betreffend die Beschwerdeführerin vom 10. März 2011 in Kopie in Vorlage.

5. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. April 2011, Zl. 10 08.195-BAS, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), weiters der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Das Bundesasylamt stellte die Identität und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin fest, traf Länderfeststellungen zur Lage in der Russischen Föderation, und führte beweiswürdigend im Wesentlichen aus, dass die Angaben ihrer gesetzlichen Vertreterin hinsichtlich einer Gefährdung durch die Familienzugehörigkeit zu ihrem Bruder XXXX als unglaubhaft gewertet worden seien und habe auch für die Beschwerdeführerin keine Verfolgung oder begründete Angst vor Verfolgung in der Russischen Föderation erkannt werden können.

6. Dagegen erhoben die Beschwerdeführerin und deren Mutter mit gleichlautenden Schriftsätzen vom 16. Mai 2011 Beschwerde und wiederholte die Mutter der Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.

7. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 7. Mai 2012, Zl. D12 419356-1/2011/2E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3, 8, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

8. Mit Gültigkeit vom 22. August 2012 bis 21. August 2013 wurde der Beschwerdeführerin von der Bezirkshauptmannschaft XXXX ein Aufenthaltstitel "Studierender" erteilt. Zur Abholung dieses Aufenthaltstitels ist der Beschwerdeführerin ein Visum D ausgestellt worden. Der Aufenthaltstitel der Beschwerdeführerin wurde mit Gültigkeit vom 22. August 2013 bis 21. August 2014 von der BH XXXX verlängert.

Die BH XXXX erteilte der Beschwerdeführerin mit Gültigkeit vom 11. November 2014 bis 10. November 2015 den Aufenthaltstitel "Schüler". Zur Abholung wurde der Beschwerdeführerin wieder ein Visum D gewährt. Dieser Aufenthaltstitel wurde mit Gültigkeit vom 11. November 2015 bis 10. November 2016 verlängert.

9. Mit Bescheid der BH XXXX vom 22. Dezember 2016, Zl. 30206-353/538/1/6-2010, wurde der Verlängerungsantrag der Beschwerdeführerin vom 3. November 2016 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Schüler" mit der Begründung abgewiesen, da die Beschwerdeführerin einen mehrfach von der Behörde unter Setzung einer Nachfrist angeforderten Schulnachweis für das Schuljahr 2015/2016 nicht erbracht habe.

10. Am 24. Januar 2017 brachte die Beschwerdeführerin durch deren rechtsfreundliche Vertretung beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK ein und brachte in einem die Geburtsurkunde der Beschwerdeführerin in Kopie (samt beglaubigter Übersetzung aus der russischen Sprache), eine Kopie des Spruches des Bescheides des Bundesasylamtes, eine Kopie des Spruches des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes, einen Versicherungsdatenauszug der Beschwerdeführerin mit Stand vom 20. Dezember 2016, Jahreszeugnisse der Beschwerdeführerin von der Neuen Mittelschule

XXXX für die Schuljahre 2010/11, 2011/12, 2012/13, 2014/15 sowie einen Widerspruch zur Ausweisung der Beschwerdeführerin von Studierenden der Abend-HAK XXXX vor. Handschriftlich wurde angeführt, dass eine Einstellungszusage nachgereicht werde.

11. Mit als Aufforderung zur Stellungnahme bzw. Parteiengehör bezeichnetem Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24. Januar 2017, Zl. 529249507 - 170100975, wurde die Beschwerdeführerin binnen 14 Tagen zur Stellungnahme aufgefordert.

12. Mit am 7. Februar 2017 beim BFA einlangendem Schreiben vom 6. Februar 2017 nahm die Beschwerdeführerin fristgerecht Stellung.

13. Mit weiteren Schreiben vom 9. Februar 2017 forderte das BFA die Beschwerdeführerin zu einer ergänzenden Stellungnahme auf.

14. Mit Schreiben vom 24. Februar 2017 forderte das BFA die BHAK/BHAS XXXX zur Stellungnahme betreffend den Ausbildungsstatus der Beschwerdeführerin auf, woraufhin fristgerecht Stellung genommen wurde.

15. Mit weiterer Stellungnahme vom 23. Februar 2017 brachte die Beschwerdeführerin eine Patenschaftserklärung des Herrn XXXX gemäß § 2 Abs. 1 Z 26 AsylG samt Beglaubigungsnachweis, eine Kopie eines Semesterzeugnisses der Beschwerdeführerin der HAK-B für das Schuljahr 2016/17, einen Bescheid einer Pensionsversicherungsanstalt vom 9. Juli 2010 den Ruhegenuss des Herrn XXXX betreffend, eine Einstellungszusage der Beschwerdeführerin als Hilfskraft im Servicebereich vom 21. Februar 2017, eine Monatsabrechnung des Herrn

XXXX für Januar 2017, einen Mietvertrag sowie ein ärztliches Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin und Psychosomatik vom 5. Dezember 2016 in Vorlage.

16. Mit Schreiben vom 3. März 2017 wurde die Beschwerdeführerin vom BFA zur ärztlichen Untersuchung geladen.

17. Mit weiterer Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 8. März 2017 wurden Unterlagen zum Ehepaar XXXX , wie ein Grundbuchsauszug, Bestätigungen diverser Banken und einer Gebietskörperschaft, eine KSV Selbstauskunft und Pensionsbescheide der XXXX in Vorlage gebracht.

18. In dem von XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin und für Psychotherapeutische Medizin, aufgrund des im Auftrag des BFA erstellten medizinischen Gutachtens vom 16. März 2017 wurde eine "Anpassungsstörung ggw. leicht" diagnostiziert und zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin zum Untersuchungszeitpunkt kompensiert erscheine, sodass eine Überstellung (im Sinne einer Reisefähigkeit) und eine allfällige medizinische Betreuung im Ankunftsland möglich sei.

19. Im Zuge des nunmehr verfahrensgegenständlichen Verfahrens vor dem BFA wurde die Beschwerdeführerin am 12. April 2017 im Beisein ihrer Rechtsvertreterin niederschriftlich einvernommen und gab zu Beginn der Befragung an, dass sie einverstanden sei, in der deutschen Sprache einvernommen zu werden. Sie spreche überall deutsch und könne sich auch mit komplexeren Themen auseinandersetzen. Befragt, was die Beschwerdeführerin in ihrer Freizeit unternehme, gab sie im Wesentlichen an, dass sie Freunde treffe und gerne Judo betreibe. Auch sei sie in einer Tanzgruppe tätig und sei bei Aufführungen in XXXX und XXXX dabei gewesen. Die Tanzgruppe habe keinen Namen, sei kein Verein und werde nicht unternehmerisch betrieben. Auch spiele die Beschwerdeführerin gerne Volleyball. Seit Juni 2016 habe die Beschwerdeführerin nicht mehr trainiert und sich nur noch auf das Tanzen konzentriert. Befragt, benannte die Beschwerdeführerin ihre engste Freundin mit ihrem Vornamen, konnte jedoch den Nachnamen nicht nennen. Weitere Personen würden der Beschwerdeführerin nicht einfallen und verweise sie auf ihre Freundesliste. Namentlich konnte die Beschwerdeführerin zwei Freundinnen benennen, mit denen sie schon ihre Freizeit verbracht habe. Hinsichtlich ihrer Zukunftspläne in Österreich gab die Beschwerdeführerin an, dass sie die Matura abschließen und studieren wolle. Zum Verhältnis mit ihrer Mutter befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie nicht oft mit ihrer Mutter rede. Sie wohne zurzeit mit ihrer Mutter und sei das Verhältnis neutral. Sie wolle von ihrer Mutter wegziehen. Des Weiteren gab die Beschwerdeführerin an, dass sie an der BHAK/BHAS XXXX Probleme mit ihrem Klassenvorstand gehabt habe. Zu dem Verhältnis zu Herrn XXXX befragt, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie Herrn XXXX im August oder September 2012 kennengelernt habe. Seither unterstütze er die Beschwerdeführerin und sei dieser wie ein Großvater anzusehen. Das letzte Mal habe die Beschwerdeführerin Herrn XXXX anlässlich der medizinischen Untersuchung gesehen, sie würden oft telefonieren und er wisse, dass das Verhältnis mit der Mutter der Beschwerdeführerin nicht gut sei. Deswegen unterstütze er sie. Im Heimatland habe die Beschwerdeführerin eine Tante väterlicherseits, in Moskau würden nicht nahestehende Verwandte leben und in Dagestan sei die Großmutter der Beschwerdeführerin beheimatet. Auch Freunde der Beschwerdeführerin würden im Heimatland leben. Nachgefragt, bei welcher Station die Beschwerdeführerin in XXXX mit den öffentlichen Verkehrsmitteln aussteige, konnte diese keine genaue Station namentlich benennen, sondern lediglich die vorletzte oder letzte Station angeben. In der Nähe würde sich eine Sommerrodelbahn befinden.

Nach Durchsicht des bisherigen Einvernahmeprotokolls ergänzte die Beschwerdeführerin, dass sie weder den Nachnamen ihres Tanzlehrers XXXX noch den ihrer Freundin angeben wolle. Zu den ergänzenden Fragen der belangten Behörde gab die Beschwerdeführerin an, dass Herr XXXX keinen Kontakt zu den Freunden der Beschwerdeführerin gehabt habe und diese nur von Fotos und sozialen Netzwerken kenne.

20. Mit Schreiben vom 18. April 2017 teilte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin der belangten Behörde die Namen der Freundin und des Tanzlehrers mit.

21. Mit Schreiben vom 27. April 2017 teilte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin mit, dass sie hinsichtlich des medizinischen Gutachtens keine Einwendungen erheben werde und vertrat die rechtsfreundliche Vertretung zu der Stellungnahme der BHAK/BHAS vom 7. Februar 2017 die Meinung, dass sich zum einen um ein Missverständnis und zum anderen um ein Problem mit dem Klassenvorstand der Beschwerdeführerin gehandelt habe. Die in der Stellungnahme erwähnten Verstöße der Beschwerdeführerin seien als eher geringfügig anzusehen.

22. Am 2. Mai 2017 übermittelte die Rechtvertretung eine Unterstützungserklärung eines ehemaligen Lehrers der Beschwerdeführerin.

23. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5. Mai 2017, Zl: 529249507-170100975, wurde der Antrag der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK vom 24. Januar 2017 gemäß § 55 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen und wurde gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und unter einem gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkte I. und II.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III.)

Das Bundesamt stellte Identität und Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin fest und traf umfangreiche Feststellungen zur Lage in deren Herkunftsstaat. Aus dem eingeholten medizinischen Gutachten seien keinerlei Gründe ersichtlich, welche gegen eine Rückkehrentscheidung sprechen würden. Die Beschwerdeführerin leide an einer Anpassungsstörung, welche sie aufgrund des Todes ihrer Tante erlitten habe und habe die Beschwerdeführerin dem Gutachten nicht widersprochen. Die Beschwerdeführerin sei vom 30. August 2010 bis zum 13. Juli 2012 sowie vom 30. August 2012 bis 11. Juli 2013 und vom 20. November 2014 bis zu diesem Zeitpunkt im österreichischen Bundesgebiet aufhältig. Es stehe fest, dass sich die Beschwerdeführerin nicht durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten habe, sondern insgesamt circa fünf Jahre. Durchgehend habe sich die Beschwerdeführerin sohin keine drei Jahre im Bundesgebiet befunden. Rechtmäßig habe sich die Beschwerdeführerin während der Zeit ihres Asylverfahrens, vom 3. September 2012 bis zum 9. Mai 2012 aufgehalten. Fest stehe, dass die Beschwerdeführerin sich fallweise, trotz erteilter Aufenthaltstitel, nicht in Österreich aufgehalten habe.

Die belangte Behörde hielt im Weiteren fest, dass ein Familienleben im Sinne des Artikel 8 EMRK nicht festgestellt habe werden können. Die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrer Mutter sei als neutral beschrieben worden und wolle die Beschwerdeführerin auch aus dem gemeinsamen Haushalt ausziehen. Finanziell werde sie von Herrn XXXX unterstützt und stehe sie in regelmäßigem Kontakt zu ihm. Im Bundesgebiet pflege die Beschwerdeführerin keinen nennenswerten Freundschaften und gehe keinen regelmäßigen Hobbies nach.

Die Beschwerdeführerin spreche sehr gut Deutsch, habe erfolgreich die Schule besucht, wobei es aufgrund von Missachtungen der Hausordnung zu Problemen mit dem Lehrpersonal gekommen sei. Von 1. Dezember 2015 bis 31. März 2016 sei die Beschwerdeführerin einer geringfügigen Beschäftigung nachgekommen, sonst sei sie nicht erwerbstätig gewesen.

Darüber hinaus würde die Beschwerdeführerin intakte starke Verbindungen zu ihrem Heimatstaat pflegen. Ihre beste Freundin würde im Heimatstaat leben, sie spreche die russische Sprache und habe die Beschwerdeführerin den Großteil ihres Lebens im Herkunftsstaat verbracht. Eine Eingliederung sei daher möglich. Abschließend würdigte die belangte Behörde, dass bei der Beschwerdeführerin kein relevantes Familienleben festgestellt habe werden können und habe die Beschwerdeführerin ein Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein haben müssen. Eine Rückkehrentscheidung erweise sich insofern als zulässig.

24. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 2 BFA-VG vom 8. Mai 2017 wurde der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die "ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

25. Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 5. Mai 2017, Zl: 529249507-170100975, wurde mit Schriftsatz vom 22. Mai 2017 fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben und die erstinstanzliche Erledigung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang angefochten.

26. Am 24. Oktober 2017 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und im Beisein der Rechtsvertreterin eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher die Beschwerdeführerin zu Familien- und Privatleben und allfälligen Integrationsaspekten sowie Gesundheitszustand befragt wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl blieb der Verhandlung unentschuldigt fern.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdeführerin ein ärztliches Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin und Psychosomatik vom 23. Oktober 2017, zwei Semesterzeugnisse einer B-HAK für die Schuljahre 2016/17 vom 10. Februar 2017 und vom 7. Juli 2017 sowieso diverse Unterstützungserklärungen vor.

27. Am 7. November 2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu den Länderberichten zur Lage in der Russischen Föderation ein und legte diese in einem einen Sozialversicherungsdatenauszug ihrer Mutter vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, den Ergebnissen der Beschwerdeverhandlung und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Die ledige, kinderlose und strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Awaren zugehörig und muslimischen Glaubens.

Die zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführerin reiste am 28. August 2010 gemeinsam mit ihrer Mutter legal mit einem Visums mit dem Flugzeug von Moskau kommend in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 3. September 2010 durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Verfahren wurde mit Rechtskraft vom 5. September 2012 in zweiter Instanz auch in Bezug auf eine Ausweisung negativ entschieden.

Mit Gültigkeit vom 22. August 2012 bis 21. August 2013 wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel "Studierender" erteilt. Der Aufenthaltstitel der Beschwerdeführerin wurde mit Gültigkeit vom 22. August 2013 bis 21. August 2014 verlängert.

Die BH XXXX erteilte der Beschwerdeführerin mit Gültigkeit vom 11. November 2014 bis 10. November 2015 den Aufenthaltstitel "Schüler". Dieser Aufenthaltstitel wurde mit Gültigkeit vom 11. November 2015 bis 10. November 2016 verlängert.

Mit Bescheid der BH XXXX vom 22. Dezember 2016, Zl. 30206-353/538/1/6-2010, wurde der Verlängerungsantrag der Beschwerdeführerin vom 3. November 2016 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Schüler" mit der Begründung abgewiesen, dass die Beschwerdeführerin einen mehrfach von der Behörde unter Setzung einer Nachfrist angeforderten Schulnachweis für das Schuljahr 2015/2016 nicht erbracht habe. Mangels Erhebung eines Rechtsmittels erwuchs dieser Bescheid in Rechtskraft.

Die unbescholtene Beschwerdeführerin hat lediglich einen verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkt durch ihre Mutter im Bundesgebiet.

Die Beschwerdeführerin spricht fließend Russisch und Deutsch. Während ihres knapp siebenjährigen Aufenthaltes, wobei sich die Beschwerdeführerin mehrmals, darunter auch für einen Zeitraum von über einem Jahr, im Heimatland aufhielt, baute sie sich einen Bekanntenkreis im Bundesgebiet auf. Freunde hat sie nur wenige gefunden. Sie besucht die Schule, ist nicht erwerbstätig und lebt mit ihrer Mutter, zu der jedoch kein enges Nahverhältnis besteht, in einer Wohnung und wird von einem Bekannten mit monatlich € 300,00 finanziell unterstützt. Eine Selbsterhaltungsfähigkeit der Beschwerdeführerin ist nicht gegeben.

Die Beschwerdeführerin musste sich während der gesamten Zeit ihres Aufenthaltes der Unsicherheit eines weiteren respektive dauerhaften Aufenthaltes im Bundesgebiet bewusst sein.

Die Beschwerdeführerin, welche aus Dagestan stammt, verbrachte den Großteil ihres Lebens in ihrem Herkunftsstaat, wobei sie dort die Schule besuchte und während eines einjährigen Aufenthaltes im Sommer 2013 in XXXX als Tanzlehrerin arbeitete. In der Russischen Föderation leben die Großmutter der Beschwerdeführerin, bei welcher sie auch während ihres Aufenthaltes in XXXX lebte, und ihre beste Freundin.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und ist zur eigenständigen Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in der Lage.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Artikels 8 EMRK kamen nicht hervor.

1.2. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation wird zunächst prinzipiell auf die im Akt einliegenden und der Beschwerdeführerin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen.

Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (11.2014a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 2.4.2015

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CIA - Central Intelligence Agency (20.6.2014): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 2.4.2015

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2015a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900, Zugriff 2.4.2015

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2015c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 2.4.2015

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:

The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 1.4.2015

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Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 1.4.2015

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 1.4.2015

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Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 1.4.2015

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.4.2015b): Russische Föderation - Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 1.4.2015

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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Quellen:

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation, Zugriff 1.4.2015

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Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 1.4.2015

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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/295447/430479_de.html, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

Tschetschenien

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).

Quellen:

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Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 19.3.2015

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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