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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art130 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Mag. Liebhart-Mutzl sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision des F S in S a B, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 12. Juli 2017, LVwG- 2017/23/1568-3, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird, soweit mit ihm das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der behaupteten Hausdurchsuchung eingestellt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Am 6. Juni 2017 fand auf einer - zum damaligen Zeitpunkt vom Revisionswerber betriebenen - näher genannten Tankstelle eine Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz (GSpG) durch Organe der Landespolizeidirektion Tirol (LPD) statt.
2 Um 12:50 Uhr wurde von diesen Organen die Betriebsschließung gemäß § 56a GSpG verfügt. Die Aufhebung der Betriebsschließung gemäß § 56a Abs. 7 GSpG erfolgte am 6. Juni 2017, um 16:53 Uhr.
3 Mit Bescheid der LPD vom 4. Juli 2017 wurde in der Folge mit Spruchpunkt I. gemäß § 56a Abs. 1 iVm. Abs. 3 GSpG die Betriebsschließung dieser Tankstelle ab 6. Juni 2017 um 12:50 Uhr angeordnet und mit Spruchpunkt II. diese Betriebsschließung gemäß § 56a Abs. 7 GSpG mit 6. Juni 2017 ab 16:53 Uhr widerrufen. Dieser Bescheid wurde am 6. Juli 2017 durch Zustellung erlassen.
4 Der Revisionswerber erhob wegen der "Amtshandlung vom 6. Juli 2017" mit Schreiben vom 30. Juni 2017 eine Maßnahmenbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG). Begründend führte er u.a. aus, dass sein Betrieb in den Anwendungsbereich des § 1 HausrechtsG falle. Bei der Vornahme einer Hausdurchsuchung sei die StPO zu beachten. Das zwangsweise Betreten der Tankstelle sei rechtswidrig gewesen. Darüber hinaus erweise sich sowohl die Durchsuchung als auch die Schließung des gesamten Tankstellengeländes als gesetzwidrig und unverhältnismäßig. Der Revisionswerber stellte die Anträge, es möge das Erkenntnis gefällt werden, dass er durch die vorgenommene Hausdurchsuchung in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Hausrechts verletzt worden sei und die Schließung der Tankstelle aus näheren Gründen rechtswidrig gewesen sei; überdies wurde Kostenersatz beantragt.
5 Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das LVwG das Beschwerdeverfahren ein, sprach aus, dass kein Kostenzuspruch erfolge und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig. Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt könnten gemäß § 56 Abs. 1 GSpG nur solange mit Beschwerde beim LVwG angefochten werden, bis ein die gesetzte Maßnahme abdeckender Bescheid erlassen worden sei. Werde ein solcher Bescheid erlassen und danach die faktische Amtshandlung angefochten, sei die Beschwerde zurückzuweisen, weil die in der faktischen Amtshandlung "liegende individuelle Norm Bestandteil des Bescheides" geworden sei und nicht mehr rechtlich selbstständig existent sei. Es könne dabei auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu Betriebsschließungen gemäß § 360 GewO zurückgegriffen werden. Aus diesem Grund sei das Verfahren mit Beschluss wegen Gegenstandslosigkeit einzustellen.
6 Gegen diesen Beschluss richtet sich die außerordentliche Revision, in welcher zur Zulässigkeit vorgebracht wird, dass der angefochtene Beschluss im Widerspruch zur näher genannten ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Recht auf Sachentscheidung stehe, weshalb eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliege. Die in Beschwerde gezogene Hausdurchsuchung sei nicht Gegenstand des Betriebsschließungsbescheides.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die vorliegende Revision erweist sich im Hinblick auf das
Zulässigkeitsvorbringen als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
8 § 50 Abs. 1 und 4 GSpG, BGBl. Nr. 620/1989 idF
BGBl. I Nr. 118/2016, lautet:
"STRAF- UND VERFAHRENSBESTIMMUNGEN
Behörden und Verfahren
§ 50. (1) Für Strafverfahren und Betriebsschließungen nach diesem Bundesgesetz sind die Bezirksverwaltungsbehörden, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, die Landespolizeidirektion zuständig. Gegen diese Entscheidungen kann Beschwerde an ein Verwaltungsgericht des Landes erhoben werden.
...
(4) Die Behörde nach Abs. 1 und die in Abs. 2 und 3 genannten Organe sind zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgaben berechtigt, Betriebsstätten und Betriebsräume sowie Räumlichkeiten zu betreten, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erforderlich ist. Veranstalter und Inhaber sowie Personen, die Glücksspieleinrichtungen bereithalten, haben der Behörde nach Abs. 1, dem Amtssachverständigen (§ 1 Abs. 3) und den Organen der öffentlichen Aufsicht umfassend Auskünfte zu erteilen, umfassende Überprüfungen und Testspiele unter Bereitstellung von Geld oder Spieleinsätzen zu ermöglichen und Einblick in die geführten Aufzeichnungen, in die Aufzeichnungen der Glücksspieleinrichtungen und in die nach diesem Bundesgesetz aufzulegenden Spielbeschreibungen zu gewähren sowie dafür zu sorgen, dass eine anwesende Person diesen Verpflichtungen gegenüber Kontrollorganen nachkommt. Die Behörde nach Abs. 1 und die in Abs. 2 und 3 genannten Organe sind ermächtigt, diese Überwachungsaufgaben mit unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen. Die Ausübung ist dem Betroffenen anzudrohen. Die Organe haben deren Ausübung zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde, sich zeigt, dass er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann oder der angestrebte Erfolg außer Verhältnis zu dem für die Durchsetzung erforderlichen Eingriff steht. Eine Gefährdung des Lebens oder eine nachhaltige Gefährdung der Gesundheit ist jedenfalls unzulässig."
9 § 56a GSpG, BGBl. Nr. 747/1996 idF BGBl. I Nr. 112/2012
sowie BGBl. I Nr. 118/2016, lautet:
"Betriebsschließung
§ 56a. (1) Besteht der begründete Verdacht, daß im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit Glücksspiele entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes veranstaltet oder durchgeführt werden, und ist mit Grund anzunehmen, daß eine Gefahr der Fortsetzung besteht, so kann die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren, aber nicht ohne vorher zur Einstellung der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes veranstalteten oder durchgeführten Glücksspiele aufgefordert zu haben, an Ort und Stelle die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes verfügen. Von einer Betriebsschließung ist Abstand zu nehmen, wenn eine weitere Gefährdung der Interessen des Glücksspielmonopols durch andere geeignete Vorkehrungen, wie die Stillegung von Einrichtungen, Beschlagnahmen oder sonstige Maßnahmen, mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
(2) Bei der Erlassung einer Verfügung nach Abs. 1 sind bestehende Rechte soweit zu schonen, als dies ohne Gefährdung der Ziele dieses Bundesgesetzes möglich ist. Eine Verfügung nach Abs. 1 ist unverzüglich aufzuheben, wenn feststeht, daß der Grund für ihre Erlassung nicht mehr besteht.
(3) Über eine Verfügung nach Abs. 1 ist binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die Verfügung als aufgehoben gilt. Ein Bescheid gilt auch dann als erlassen, wenn eine Zustellung an den Verfügungsberechtigten an dessen Unternehmenssitz oder an der Betriebsstätte nicht möglich ist. Die Zustellung des Bescheides kann in einem solchen Fall durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen.
(4) In einem Bescheid nach Abs. 3 können auch andere nach Abs. 1 zulässige Maßnahmen angeordnet werden.
(5) Ordentlichen Rechtsmitteln gegen Bescheide über Verfügungen nach Abs. 1 kommt keine aufschiebende Wirkung zu.
(6) Die Bescheide gemäß Abs. 3 treten, wenn sie nicht kürzer befristet sind, mit Ablauf eines Jahres außer Wirksamkeit. Durch einen Wechsel in der Person des Inhabers der von den einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen betroffenen Anlagen, Anlagenteile oder Gegenstände wird die Wirksamkeit dieser Bescheide nicht berührt.
(7) Liegen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Bescheides gemäß Abs. 3 nicht mehr vor und ist zu erwarten, dass in Hinkunft jene glücksspielrechtlichen Vorschriften, deren Nichteinhaltung für die Maßnahmen nach Abs. 3 bestimmend war, von der Person eingehalten werden, die die betriebliche Tätigkeit ausüben oder die Betriebsanlage betreiben will, so hat die Behörde auf Antrag dieser Person die mit Bescheid gemäß Abs. 3 getroffenen Maßnahmen ehestens zu widerrufen."
10 Die Materialien zur Schaffung der Möglichkeit der Betriebsschließung, RV 368 BlgNR 20. GP 6f, lauten wie folgt:
"Der neu geschaffene § 56a gibt der Behörde die Möglichkeit, Betriebe und betriebsähnliche Einrichtungen, in denen verbotenes Glücksspiel betrieben wird, außer Betrieb zu setzen. Eine ähnliche Regelung enthält zB auch § 360 Abs. 2 GewO, in dem vorgesehen ist, daß eine nicht genehmigte Betriebsanlage von der Behörde ua. auch dann gänzlich oder teilweise geschlossen werden kann, wenn diese eine unzumutbare Belästigung der Nachbarn hervorruft; vergleichbare Regelungen enthalten zB § 69 Arzneimittelgesetz, das Krankenanstaltenrecht (§ 12 KAG; vgl. auch die Ausführungsgesetze der Länder) und §§ 23f Lebensmittelgesetz 1975.
Wiewohl in diesen Fällen eine unmittelbare Gefährdung für Leib und Leben gegeben ist, was im Bereich des Glücksspiels zumindest nicht unmittelbar der Fall ist, ist es im ordnungspolitischen Interesse gerechtfertigt, im Glücksspielgesetz eine vergleichbare Regelung zu schaffen. Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg 12.165 vom 30. September 1989 ausdrücklich bestätigt, daß die Besonderheiten im Glücksspielbereich weitgehende Beschränkungen der Erwerbsfreiheit zu tragen vermögen. Ausdrücklich hat der Verfassungsgerichtshof auf die Gefahr wirtschaftlicher Existenzgefährdung von Menschen und der Gefahr des Eindringens krimineller Kreise in den Glücksspielbereich hingewiesen.
Neben den fiskalischen hat das GSpG ganz überwiegende ordnungspolitische Zielsetzungen. Die bundesweite Ausbreitung illegaler Glücksspielbetriebe dient weder den ordnungspolitischen Interessen des Bundes (Spielerschutz, Hintanhaltung der Geldwäscherei, Vermeidung von Beschaffungskriminalität usw.) noch den fiskalischen Interessen des Bundes auch nur näherungsweise. Insbesondere zum Schutz des Spielerpublikums sowie zur Hintanhaltung krimineller Handlungen sind daher rasch durchgreifende Maßnahmen erforderlich. Dazu kommt, daß sich solche illegal betriebenen Glücksspielbetriebe binnen kürzester Zeit amortisieren und in der Folge hohe Gewinne für den Betreiber abwerfen. Während anhängiger Verfahren lukrieren die Betreiber beträchtliche Gewinne aus der Veranstaltung dem Bund vorbehaltender Glücksspiele. Diese illegalen Glücksspielbetrieben werden im Regelfall von kapitalschwachen juristischen Personen betrieben und ist erkennbar, daß diese nach Beendigung anhängiger Verfahren - nach mehrjähriger Verfahrensdauer - Insolvenz anmelden werden und weder die verhängten Verwaltungsstrafen noch die Abgabenrückstände einbringlich sein werden. Es ist daher die Zielsetzung des Gesetzgebers, durch eine rasch greifende Betriebsschließungsbestimmung, das Erzielen von Gewinnen durch den illegalen Betrieb von Glücksspielen zu verhindern. Da die vorgesehenen Maßnahmen - insbesondere eine Betriebsschließung - einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Betroffenen bedeuten, sieht Abs. 1 abgestufte Möglichkeiten vor, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden sind. Die Behörden sind verpflichtet, das jeweils gelindeste noch zum Ziel führende Mittel anzuwenden. Dies bedeutet insbesondere, daß es sich bei der Betriebsschließung um eine Maßnahme handelt, die nur als letztes Mittel angewandt werden darf und daher gastronomische Betriebe, die nicht überwiegend zur Durchführung von dem Bund vorbehaltenen Glücksspielen verwendet werden, von dieser nicht betroffen sind.
Im besonderen ist zu bemerken, daß Abs. 1 stets dann Anwendung findet, wenn Glücksspiele im Sinne des § 2 Abs. 1 ‚veranstaltet' werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Unternehmer spezifische Einrichtungen und Gegenstände bereithält, die für die Durchführung von Glücksspielen tatsächlich verwendet werden. Abs. 1 findet auch dann Anwendung, wenn in einem Betrieb zwar vom Betriebsinhaber keine Glücksspiele veranstaltet werden, wenn aber tatsächlich Glücksspiele in einem das ortsübliche Maß übersteigenden Ausmaß durchgeführt werden. Wird etwa im Rahmen eines Gastgewerbebetriebes ein eigener Raum zur Verfügung gehalten, der ausschließlich oder überwiegend zur Durchführung von Glücksspielen benutzt wird, so ist die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf diesen Raum gegeben; nicht aber dann, wenn - wie dies in verschiedenen Gegenden üblich ist - von Gästen neben ihrer Konsumation die ortsüblichen Spiele gespielt werden. In derartigen Abgrenzungsfragen wird stets entscheidend sein, ob durch die tatsächliche Durchführung von Glücksspielen durch Gäste der eindeutig überwiegende Charakter des Gastgewerbebetriebes erhalten bleibt: Ist dies der Fall, ist § 56a nicht anwendbar. Die gänzliche oder teilweise Schließung eines Betriebes wird nur dann Anwendung finden, wenn durch andere geeignete Maßnahmen die Einhaltung des Glücksspielgesetzes nicht sichergestellt ist; derartige andere geeignete Maßnahmen könnten zB auch ein Hausverbot für bestimmte Gäste (etwa Berufsspieler) sein.
Da eine nach Abs. 1 verfügte Maßnahme einen erheblichen Eingriff in wichtige Rechte des Betroffenen bedeutet, soll Abs. 3 einen möglichst raschen Zugang zum Rechtsschutzsystem eröffnen. Tritt eine Verfügung gemäß Abs. 3 außer Kraft, so ist die Behörde nicht daran gehindert - falls die Voraussetzungen vorliegen -, dieselbe Verfügung nochmals zu erlassen.
Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung ordentlicher Rechtsmittel gegen die Betriebsschließung ist erforderlich, um den Betreibern der Glücksspiele die Möglichkeit zum fortgesetzten Betriebe abzuschneiden. Die Betriebsschließung ist aber gemäß Abs. 2 von Amts wegen unverzüglich aufzuheben, wenn feststeht, daß der Grund für ihre Erlassung nicht mehr besteht."
11 Die Materialien zur Novelle BGBl. I Nr. 112/2012, mit der die Absätze 4, 5 und 6 des § 56a GSpG geändert wurden, lauten folgendermaßen (1960 RV BlgNR 24. GP 52):
"Mit der Neuregelung der Abs. 4, 6 und 7 wird die Betriebsschließung zu einer einstweiligen Zwangs- und Sicherungsmaßnahme nach dem Vorbild des § 360 GewO, deren vorzeitige Beendigung eines Antrages bedarf. Ferner wird geregelt, dass auch bei einem Wechsel in der Person des Betriebsinhabers (Lokalbetreibers) die Verfügung der Betriebsschließung bzw. der Betriebsschließungsbescheid weiterhin aufrecht bleibt. Damit soll vermieden werden, dass durch eine Betriebsaufgabe während aufrechter Betriebsschließung der Weiterbetrieb durch einen anderen Betreiber unter Fortführung des illegalen Glücksspiels erfolgt und somit die Betriebsschließung wirkungslos wird."
12 Zunächst ist festzuhalten, dass die Erhebung einer Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG an das Verwaltungsgericht voraussetzt, dass ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorliegt.
13 Ein solcher Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt dann vor, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar - d.h. ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen (vgl. VwGH 27.2.2013, 2012/17/0430, mwN).
14 Gemäß § 50 Abs. 4 GSpG sind die Behörden gemäß § 50 Abs. 1 leg. cit. (die Bezirksverwaltungsbehörden bzw. die Landespolizeidirektion) und die in § 50 Abs. 2 und 3 GSpG genannten Organe (Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Abgabenbehörden) zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgaben berechtigt, Betriebsstätten und Betriebsräume sowie Räumlichkeiten zu betreten, auch wenn dies sonst der Allgemeinheit untersagt ist, soweit dies zur Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des GSpG erforderlich ist. Die Behörde nach Abs. 1 und die in Abs. 2 und 3 genannten Organe sind ermächtigt, diese Überwachungsaufgaben mit unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen.
15 Eine Kontrolle nach § 50 Abs. 4 GSpG dient nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich der Überwachung der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes und nicht nur der Überwachung der Einhaltung des in den §§ 3 und 4 GSpG normierten Glücksspielmonopols. Sinn und Zweck einer Kontrolle gemäß § 50 Abs. 4 GSpG ist es, einen Sachverhalt festzustellen, der die Beurteilung ermöglicht, ob die Bestimmungen des GSpG und nicht nur jene das Glücksspielmonopol des Bundes betreffenden Bestimmungen eingehalten werden (vgl. VwGH 19.12.2016, Ra 2016/17/0038; 6.7.2017, Ra 2017/17/0451, mwN).
16 Dabei ist es den Organen bei Kontrollen nach dem GSpG unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gestattet, jene Maßnahmen zu setzen, die für den reibungslosen Ablauf einer glücksspielrechtlichen Kontrolle notwendig sind (vgl. VwGH 15.12.2014, 2011/17/0333).
17 Es ist nicht Voraussetzung für ein derartiges Betreten von Betriebsstätten zu Kontrollzwecken, dass schon vor dem Betreten feststeht, dass eine Übertretung des Glücksspielgesetzes stattgefunden habe. Sinn und Zweck einer Kontrolle ist es - wie bereits ausgeführt -, einen Sachverhalt festzustellen, der die Beurteilung ermöglicht, ob die Bestimmungen des GSpG eingehalten werden (VwGH 18.12.2013, 2013/17/0293; 6.7.2017, Ra 2017/17/0451).
18 Dieses Betretungsrecht ist seit der Novelle BGBl. I Nr. 118/2015 nach dem expliziten Gesetzeswortlaut auch mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchsetzbar, sodass verschlossene Haus- oder Zimmertüren geöffnet werden dürfen (vgl. die Materialien RV 684 BlgNR 25. GP 33).
19 Als "Hausdurchsuchung" definiert § 1 HausrechtsG, RGBl. 88/1862, eine "Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten". Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist für das Wesen einer Hausdurchsuchung charakteristisch, dass nach Personen oder Sachen, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden, gesucht wird (vgl. VfSlg. 11.650/1988 mwN). Ein bloßes Betreten einer Wohnung, ist nicht als Hausdurchsuchung zu beurteilen (vgl. VfSlg. 14.864/1997, mwN).
20 Soweit Art. 8 EMRK über den von Art. 9 StGG garantierten Schutzbereich hinausgeht, ist jedoch festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Räumlichkeiten, die bestimmungsgemäß der Öffentlichkeit zugänglich sind, keinesfalls unter den Schutzbereich des Art. 8 EMRK fallen (vgl. VfSlg. 12.056/1989).
21 Das von § 50 Abs. 4 GSpG erfasste Betreten ist dabei von einer Hausdurchsuchung zu unterscheiden, wobei sowohl das zwangsweise Betreten einer Liegenschaft als auch die Durchführung einer Hausdurchsuchung jeweils als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren ist (vgl. zu § 50 Abs. 4 GSpG VwGH 22.11.2017, Ra 2016/17/0302).
22 Aber auch die Verfügung einer Betriebsschließung gemäß § 56a Abs. 1 GSpG durch die Behörde ist ein solcher Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt:
23 Gemäß § 56a Abs. 1 GSpG kann die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren, aber nicht ohne vorher zur Einstellung der entgegen den Bestimmungen des GSpG veranstalteten oder durchgeführten Glücksspiele aufgefordert zu haben, an Ort und Stelle die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes verfügen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit Glücksspiele entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes veranstaltet oder durchgeführt werden und mit Grund anzunehmen ist, dass eine Gefahr der Fortsetzung besteht.
24 Das Rechtsinstitut der Betriebsschließung gemäß §56a GSpG dient der Hintanhaltung von Verstößen gegen das im öffentlichen Interesse liegende Glücksspielmonopol des Bundes (vgl. VfSlg 19.077/2010, 19.717/2012, 19.972/2015) und zielt - wie in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage dargelegt - darauf ab, die Ausbreitung der Veranstaltung oder Durchführung illegaler Glücksspiele - im Interesse des Spielerschutzes und der Bekämpfung von mit dem illegalen Glücksspiel in Zusammenhang stehenden kriminellen Handlungen - zu verhindern (VfGH 30.11.2017, E 3302/2017).
25 Der Gesetzgeber wollte mit § 56a GSpG der Behörde die Möglichkeit geben, mit einer "rasch durchgreifende(n) Maßnahme" Betriebe "außer Betrieb zu setzen". Da die vorgesehenen Maßnahmen einen erheblichen Eingriff darstellten, sehe Abs. 1 abgestufte Möglichkeiten vor, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden seien; es sei jeweils das "gelindeste noch zum Ziel führende Mittel" anzuwenden (so 368 RV BlgNR 20. GP 6f).
26 Vor dem Hintergrund dieser Materialien sowie angesichts des Wortlautes des § 56a Abs. 1 GSpG, wonach von der Betriebsschließung (als schärfstem Mittel) Abstand zu nehmen ist, wenn eine weitere Gefährdung der Interessen des Glücksspielmonopols durch Beschlagnahmen oder "sonstige Maßnahmen" mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist klar ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Betriebsschließung als eine Zwangsmaßnahme vorsehen wollte, die auch zwangsweise mit den jeweils angemessenen Mitteln durchgesetzt werden kann. Andernfalls hätte der Gesetzgeber in den Materialien nicht durchgängig die Wichtigkeit des Rechtsschutzes sowie die Verhältnismäßigkeit der "Maßnahme" betont sowie in § 56a Abs. 6 GSpG normiert, dass durch einen Wechsel in der Person des Inhabers der von den "einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen betroffenen Anlagen" die Wirksamkeit des Bescheides nicht berührt wird (vgl. überdies RV 1960 BlgNR 24. GP 52: Betriebsschließung als einstweilige Zwangs- und Sicherungsmaßnahme). Der Gesetzgeber geht daher - sogar im Zusammenhang mit einer bereits bescheidmäßig verfügten Betriebsschließung - davon aus, dass eine Betriebsschließung als "Zwangs- und Sicherheitsmaßnahme" zu qualifizieren ist.
27 Eine von der Behörde gemäß § 56a Abs. 1 GSpG verfügte Betriebsschließung ist daher - solange kein Bescheid gemäß § 56a Abs. 3 GSpG erlassen worden ist - als Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen (vgl. dazu auch bereits VwGH 28.6.2016, Ra 2015/17/0114).
28 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass der Rechtsbehelf der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dem Zweck dient, eine Lücke im Rechtsschutzsystem zu schließen. Es sollten mit dieser Beschwerde aber nicht Zweigleisigkeiten für die Verfolgung ein und desselben Rechtes geschaffen werden. Was in einem Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kann daher nicht Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein, wobei die Zulässigkeit dieser Beschwerde insbesondere auch nicht von der (allenfalls längeren) Dauer des sonst zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stehenden Verwaltungsverfahrens abhängt (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0421, mwN).
29 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber eine Maßnahmenbeschwerde zum einen gegen die behauptete Hausdurchsuchung und zum anderen gegen die verfügte Betriebsschließung erhoben.
30 Hinsichtlich der Betriebsschließung wurde am 6. Juli 2017 durch Zustellung ein Bescheid der LPD erlassen.
31 Die Betriebsschließung war daher nur solange mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar, bis die Behörde diesen Betriebsschließungsbescheid erlassen hat (vgl. zur Beschlagnahme:
VwGH 22.11.2017, Ro 2016/17/0003, mwN, sowie zu einer Betriebsschließung nach dem Wr. Wettengesetz: VwGH 9.6.2017, Ra 2017/02/0060).
32 Die Betriebsschließung war daher ab Erlassung des Betriebsschließungsbescheides vom 4. Juli 2017 nicht mehr mit einer Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar.
33 Die Subsidiarität der Maßnahmenbeschwerde bezieht sich im Falle einer Betriebsschließung jedoch nicht auf jene Akte, welche durch den später erlassenen Betriebsschließungsbescheid keiner verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen werden. Dies hat der Verwaltungsgerichtshof etwa bereits im Fall einer Beschlagnahme beim Abdecken eines Kameraobjektives angenommen (vgl. näher VwGH 27.2.2013, 2012/17/0430).
34 Eine solche nicht vom Betriebsschließungsbescheid erfasste Maßnahme ist im vorliegenden Fall die vom Revisionswerber behauptete Hausdurchsuchung. Da es kein anderes Verfahren gibt, um die Durchführung der Kontrolle gemäß § 50 Abs. 4 GSpG in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu überprüfen, bleibt die Maßnahmenbeschwerde im Umfang der behaupteten Hausdurchsuchung zulässig.
35 Das LVwG hätte somit über die Maßnahmenbeschwerde in Bezug auf diese behauptete Hausdurchsuchung nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens entscheiden müssen. Indem das LVwG das Beschwerdeverfahren insgesamt mit Beschluss einstellte, belastete das LVwG diesen Beschluss insoweit, als damit auch die Maßnahmenbeschwerde hinsichtlich der behaupteten Hausdurchsuchung eingestellt wurde, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
36 Der angefochtene Beschluss war daher in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
37 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. März 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170937.L00Im RIS seit
12.04.2018Zuletzt aktualisiert am
22.11.2018