TE Vwgh Erkenntnis 2018/3/15 Ra 2016/20/0291

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Veröffentlicht am 15.03.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2016/20/0292

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision 1. des H H S A, und

2. der I R K A, beide in M, beide vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2016, 1) Zl. L507 2130897-1/7E und 2) Zl. L507 2132942-1/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie die Nicht-Zuerkennung des Status des Asylberechtigten § 3 Abs. 1 AsylG 2005 bekämpft, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen - soweit Entscheidungen betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz, über die Erteilung eines Aufenthaltstitels, über die Rückkehrentscheidung, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und über eine Frist für die freiwillige Ausreise getroffen wurden - werden die angefochtenen Erkenntnisse wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien jeweils Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien, ein Ehepaar, sind irakische Staatsangehörige und stellten am 25. September 2015 Anträge auf internationalen Schutz.

2 Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gaben die revisionswerbenden Parteien - befragt zu ihren Fluchtgründen - im Wesentlichen an, dass sie Schiiten seien und bis zu ihrer Ausreise in Bagdad (Sadr-City) gelebt hätten. Der Erstrevisionswerber habe beobachtet, wie eine terroristische Bande eine Person aus einem Fahrzeug ausgeladen habe. Nachdem er dies der Polizei angezeigt habe, habe er einen Drohbrief bekommen. Die Polizei würde mit der terroristischen Bande zusammenarbeiten, weshalb er habe fliehen müssen. Die Zweitrevisionswerberin gab zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie wegen der Probleme ihres Mannes mit einer mafiösen Gruppierung geflohen sei.

3 Mit den Bescheiden vom 20. April 2016 hinsichtlich des Erstrevisionswerbers und vom 4. Mai 2016 hinsichtlich der Zweitrevisionswerberin wies das BFA die Anträge der revisionswerbenden Parteien gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erteilte ihnen gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei, sowie, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen betrage.

4 Mit den nunmehr angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

5 In der Beweiswürdigung der jeweiligen Erkenntnisse führte das BVwG aus, das BFA sei zu Recht davon ausgegangen, dass den revisionswerbenden Parteien weder der Status von Asylberechtigten noch der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen sei. Ebenso sei das BFA zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung der unrechtmäßigen Aufenthalte der revisionswerbenden Parteien im Bundesgebiet gegenüber den persönlichen Interessen der Revisionsweber am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und daher durch die angeordneten Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliege. Das BVwG schließe sich den Ausführungen des BFA (Hinweis: Das Fluchtvorbringen wurde als nicht glaubwürdig dargestellt erkannt) vollinhaltlich an. Die Beschwerden würden der substantiierten und schlüssigen Beweiswürdigung des BFA nichts entgegenhalten. Das ergänzende Vorbringen in der Beschwerde, dass ein im Irak lebender Bruder des Erstrevisionswerbers von Unbekannten angeschossen worden und am Bein verletzt worden sei, vermöge am Verfahrensergebnis nichts zu ändern, weil dieses Vorbringen, mit Ausnahme einer unleserlichen Spitalsbestätigung, nicht einmal präzisiert worden sei und auch Details fehlten, wann und wo der behauptete Anschlag stattgefunden habe. Zur Lage im Herkunftsstaat führte das BVwG in seiner Beweiswürdigung wörtlich aus:

"Die vom BFA getroffenen Länderfeststellungen basieren auf mannigfaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Diesen Länderfeststellungen wurde in gegenständlicher Beschwerde nicht entgegengetreten."

6 In der rechtlichen Beurteilung der Erkenntnisse führte das BVwG im Wesentlichen gleichlautend aus, es ergebe sich aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts, dass die Furcht der revisionswerbenden Parteien vor asylrelevanter Verfolgung nicht begründet sei und auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben seien. Die revisionswerbenden Parteien seien arbeitsfähige und gesunde Personen, bei denen die Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Der Erstrevisionswerber verfüge zudem über eine mehrjährige Berufserfahrung als Schweißer. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass den revisionswerbenden Parteien als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes drohte, seien nicht hervorgekommen. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidungen sei das BFA zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse überwiege. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine, habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben können.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das BVwG und nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

8 Zur Zulässigkeit der Revision machen die revisionswerbenden Parteien eine Abweichung von der Rechtsprechung des VwGH zur Beweiswürdigung, die Verletzung der Verhandlungspflicht, sowie Begründungsmängel in Bezug auf die Feststellungen zur Lage im Irak und - damit zusammenhängend - eine Fehlbeurteilung der Sicherheitslage im Irak geltend.

9 Soweit die Zulassungsausführungen die Beweiswürdigung des BVwG und die Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beanstanden, beschränken sie sich auf die bloße Wiedergabe von Rechtssätzen, ohne aber gleichzeitig darzustellen, inwiefern die konkret vorgenommene Beweiswürdigung von den Vorgaben des VwGH abweicht bzw. weswegen im konkreten Verfahren die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen wären. Die nicht weiter substantiierte Behauptung des Vorliegens von Verfahrensmängeln genügt dem Konkretisierungsgebot des § 28 Abs. 3 VwGG aber nicht (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0053; 12.8.2015, Ra 2015/16/0065, 0066).

10 Die Revision ist jedoch im Hinblick auf den geltend gemachten Begründungsmangel in Bezug auf die Feststellungen zur Lage im Irak hinsichtlich der Nicht-Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zulässig und auch begründet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076, und daran anschließend VwGH 25.4.2017, Ra 2017/18/0049 bis 0051, mwN).

12 Im Hinblick auf die Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts wird der Anforderung, dass die maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen müssen, entsprochen, wenn dieser in den wesentlichen Punkten in der Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wiedergegeben wird. Im Übrigen ist aber ein Verweis auf die Entscheidungsgründe des Bescheides der belangten Behörde zulässig (vgl. VwGH 28.11.2014, Ra 2014/01/0085, mwN).

13 Die angefochtenen Erkenntnisse enthalten keine Feststellungen zur Situation im Irak. Lediglich in seiner Beweiswürdigung verweist das BVwG auf die vom BFA getroffenen "Länderfeststellungen". Im gegenständlichen Fall wird somit schon infolge des gänzlichen Fehlens von für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen zur Lage im Irak der Anforderung, dass jedenfalls die wesentlichen Punkte der diesbezüglichen Feststellungen in der Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts selbst enthalten sein müssen, nicht entsprochen und maßgeblich gegen die Verwaltungsgerichte treffende Begründungspflicht verstoßen. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich, die angefochtenen Entscheidungen in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen (vgl. VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0059; 28.1.2015, Ra 2014/18/0097; 24.3.2015, Ra 2014/19/0063; 16.6.2015, Ra 2015/19/0036).

14 Inwiefern das gänzliche Fehlen von Feststellungen zur Lage im Irak über die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz hinaus auch im Hinblick auf die Frage der - ausschließlich wegen des nicht glaubwürdig dargebrachten Fluchtvorbringens versagten - Asylgewährung relevant wäre, zeigt die Revision dagegen nicht auf.

15 Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher hinsichtlich der Nicht-Zuerkennung subsidiären Schutzes und der weiteren, rechtlich aufeinander aufbauenden Entscheidungen im spruchgemäßen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. März 2018

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016200291.L00.1

Im RIS seit

12.04.2018

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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