Entscheidungsdatum
26.03.2018Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W264 2171947-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde des
XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministerium Service Landesstelle Wien vom 9.8.2017, OB XXXX , mit welchem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" abgewiesen wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16.2.2018 gemäß
§ 28 VwGVG zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte bei der belangten Behörde Sozialministerium Service Landesstelle Niederösterreich einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung in seinem Behindertenpass unter Verwendung des Formularvordrucks in der Version 08/2016 sowie einen Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises (Ausweises gemäß
§ 29b Straßenverkehrsordnung StVO (StVO 1960)) unter Verwendung des Formularvordrucks in der Version 11/2015, in welcher der folgende Hinweis enthalten ist: "Wenn Sie noch nicht im Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sind, gilt dieser Antrag auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass."
Diese Anträge - sowie eine Bevollmächtigung des KOBV - Der Behindertenverband - langten bei der belangten Behörde am 11.4.2017 ein.
2. Das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten
Dris. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 28.7.2017, basierend auf der persönlichen Untersuchung am 11.7.2017, ergab einen Gesamtgrad der Behinderung von
50 vH und führt unter Berücksichtigung der im Gutachten genannten vom BF vorgelegten Befundberichten im Wesentlichen Folgendes aus:
"Anamnese:
Morbus Crohn seit 25a Beschwerden, Diagnosestellung 2007 im Rahmen eines Befalls der Speiseröhre, Acathioprin und Humira nicht vertragen, 04/2016 Ileocoecalresektion. Derzeit Biologica-Therapie mit Vedolizumab.
Z.n. Karzinoid Rektum und OP 2008
Derzeitige Beschwerden:
Er leide an Durchfällen bis zu 25x/Tag, breiig bis flüssig. Er trage ständig Vorlagen, habe ständig Reingungsset und Wechselwäsche mit. Ständig auf der Suche nach Toiletten. Er sei fast immer mit dem Auto unterwegs.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Entyvio Infusion alle 4 Wochen beim Internisten. Vorlagen (Probepackung bestehend aus Einwegunterhose, kleiner Vorlage und Einwegwaschlappen) kann bei der Begutachtung vorgewiesen werden. Entobene im Bedarfsfall. Euro-Key kann vorgewiesen werden.
Sozialanamnese:
VS, Gymnasium mit Matura, Diplomierter Krankenhausbetriebswirt und akademisch geprüfter Krankenhausmanager, (Abschluss WU) Arbeitet im Gesundheitswesen (Amt der Nö Landesregierung). Verheiratet, 2 Kinder (19a, 16a).
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Befundbericht Dr. XXXX FA Innere Med 24.4.2017:
Herr XXXX ist seit 2012 in meiner Behandlung. Er leidet an einem schwierig zu
therapierenden M. Crohn (Beschwerdebeginn vor 25 Jahre), vor 10 Jahren wurde ein Befall des Ösophagus diagnostiziert. Zwischenzeitlich erhielt er eine Therapie mit Azathioprin, worunter er eine Zytopenie entwickelte. Eine Therapie mit Humira musste wegen Ineffektivität abgebrochen werden. 2016 war eine Ileocoecalresektion im XXXX Wien nötig. Herr XXXX leidet trotz derzeitiger Entyvio-Therapie (derzeit die neueste und effektivste) an starker Diarrhoe; im Status kann auch vermutet werden, dass wieder eine Perianalfistel aufgetreten ist. Es besteht daher die Indikation zur neuerlichen kompletten Gl-Abklärung inkl. Enteroklysma-MR und MR kleines Becken sowie Koloskopie, da hiervon die Entscheidung über die weitere Therapie abhängt.
Therapiezentrum XXXX Befundblatt Ergometrie 21.7.2016:
Leistungsfähigkeit 102%. Körpergewicht bei Entlassung 85,9kg.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
gut
Ernährungszustand:
normal
Größe: 184,00 cm Gewicht: 85,00 kg Blutdruck: anamnestisch unauffällig
Klinischer Status - Fachstatus:
Haut und sichtbare Schleimhäute gut durchblutet.
Kopf, Hals: Keine Stauungszeichen, keine Lippenzyanose, keine Atemnot.
Thorax: kardiopulmonal kompensiert
Abdomen: Leber am Rippenbogen, keine Resistenzen tastbar, Abdomen weich, keine Abwehrspannung. Auskultatorisch unauffällige Darmperistaltik. Blande Narben nach lapraskopischer Ileocoecalresektion.
Wirbelsäule, Becken: Der Verlauf ist gerade, keine verstärkte Kyphose der BWS.
HWS: frei beweglich
BWS: frei beweglich
LWS: Fingerbodenabstand 10cm. Beckenstand gerade.
Obere Extremität, Schultern: die Schulterbeweglichkeit ist frei, der Nackengriff ist durchführbar, der Schürzengriff ist durchführbar. Die grobe Kraft ist seitengleich und symmetrisch, Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke sind frei beweglich. Beidseits fester und vollständiger Faustschluss.
Untere Extremität: Die Haut ist altersentsprechend, keine Varizen, keine Ödeme. Die Hüft-, Knie- und Fußgelenke frei beweglich. Unauffällige seitengleiche Muskulatur, es werden keine sensiblen Ausfälle angegeben.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Trägt Konfektionsschuhe, geht frei ohne Hilfsmittel, harmonisches, flottes, flüssiges Gangbild, unbehinderte Abrollbewegung, Aufstehen ohne Abstützen, Zehen- Fersengang durchführbar, Einbeinstand beidseits durchführbar. An- und Entkleiden ohne Ausweichbewegungen, zügig und selbstständig.
Status Psychicus:
bewusstseinsklar, voll orientiert, gut affizierbar, Affekte angepasst, Stimmungslage ausgeglichen und stabil.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden - Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos. Nr.
GdB %
1
Morbus Crohn bei Zustand nach Entfernung des endlagigen Dünndarms und des Beginns des Dickdarms, anamnestisch anhaltende Durchfälle trotz Biologica-Therapie Unterer Rahmensatz, da bei gutem Allgemeinzustand, normalem Ernährungszustand und weitgehend gleichbleibendem Körpergewicht, keine Zeichen einer maßgeblichen Resorptionsstörung bestehen
07.04.06
50
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
xxxx
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Der im Befundbericht Dr. XXXX FA Neurologie, vom 24.7.2015 diagnostizierte Verdacht auf Schulterschmerzen plus Hypoästhesien linke Hand und die im Befundbericht TZ Buchberg angegebene rezidivierende Cervikalgie erreicht keinen Grad der Behinderung, da kein maßgebliches bleibendes Funktionsdefizit besteht.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
xxxx
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
xxxx X Dauerzustand
Herr XXXX kann trotz seiner Funktionsbeeinträchtigung mit Wahrscheinlichkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (allenfalls unter Zuhilfenahme von Unterstützungsstrukturen) einer Erwerbstätigkeit nachgehen:
X JA ??NEIN
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Trotz der chronisch entzündlichen Darmerkrankung ist das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen und der sichere Transport möglich, da entsprechend der Richtlinie zur Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel BMASK-41130/0016-IV/8/2015 im gegenständlichen Fall lediglich das Vorliegen einer schweren Darmerkrankung anhand der vorliegenden Befunde objektiviert werden kann, jedoch ist das Vorliegen häufiger Durchfälle nicht objektivbar. Es bestehen keine maßgeblichen Sekundärfolgen auf Grund der Resorptionsstörungen, der Ernährungszustand ist normal, das Körpergewicht ist weitgehend stabil, der Allgemeinzustand ist gut und es besteht eine gute körperliche Belastbarkeit.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? Nein"
2. Dem vom BF vorgelegten medizinischen Beweismittel - welches von der von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen Dr. XXXX berücksichtigt wurden, ist zu entnehmen wie folgt:
Aus dem Ärztlichen Entlassungsbericht des Therapiezentrums Buchenberg (Anm: Im Sachverständigengutachten Dris. XXXX fälschlich als "Buchberg" bezeichnet):
"Diagnosen (Auszug): Morbus Crohn (ED 2000) mit rezidiv. Schüben, perianale Fistel (MR 19.1.2016) , Z.n. Ileozökalresektion per lap. am 18.4.2016 ( XXXX Wien), St.p. Karzinoid-Rectum (OP 2008)
Herr XXXX wird aufgrund seiner Mb. Crohn-Erkrankung neuerlich im TZ-XXXX aufgenommen (Letztaufenthalt 01/2016). Im April 2016 war aufgrund einer massiven Verschlechterung eine Ileozökalresketion (per lap.) im XXXX Wien notwendig geworden. Herr XXXX erholte sich von der OP sehr gut. Die Zielvorstellung für den aktuellen Aufenthalt sind eine weitere Erholung und Kräftigung sowie Steigerung der Leistungsbreite. Die postoperativ stark erhöhte Stuhlfrequenz ist zuletzt wieder deutlich rückläufig. Unsere Ernährungsberatung im Haus trägt lt. Pat. zu einer weiteren deutl. Verbesserung der Situation bei. Omnibiotic wird von unserem Pat. gut vertragen und reduziert die Stuhlfrequenz auf max. 3x täglich."
Der BF war im Therapiezentrum XXXX von 21.7.2016 bis 11.8.2016 stationär aufgenommen.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 9.8.2017 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Dabei stützte sich die belangte Behörde beweiswürdigend auf das im vorangegangenen Ermittlungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten Dris. XXXX vom 28.7.2017, vidiert am 3.8.2017.
4. Gegen diesen Bescheid wurde von dem Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde mit Schreiben des KOBV-Der Behindertenverband vom 21.9.2017 erhoben. Zusammengefasst wurde moniert, dass die untersuchende Sachverständige zwar Durchfälle bis zu 20x pro Tag, breiig bis flüssig, festhält und aber anmerkt, dass das Vorliegen häufiger Durchfälle nicht objektivierbar sei. Der BF leide an einem histologisch gesicherten Morbus Crohn und aufgrund einer Komplikation eine Ileocoecalresektion im XXXX Wien erfolgt sei. Der BF erhalte diesbezüglich die medikamentöse Maximaltherapie, worunter die Erkrankung histologisch gut (jedoch nicht komplett) behandelt sei. Er leide an imperativem Stuhldrang bis zu 20x pro Tag und an Gewichtsschwankungen. Der untersuchenden Sachverständigen müsse klar sein, dass eine objektive Prüfung der bestehenden Diarrhoen mit imperativen Stuhldrang nicht möglich sei. Die vom BF gemachten Angaben stünden aber mit den allgemeinen ärztlichen Erfahrungen dieses Krankheitsbilds in Einklang und wären diese nicht in Zweifel zu ziehen, so die Beschwerde. Diesbezüglich sei das Gutachten nicht nachvollziehbar und wäre eines aus dem Fachgebiet der Internen Medizin einzuholen.
Verwiesen auf die im Beschwerdeverfahren beigebrachten Beweismittel "Ärztl. Stellungnahme Dris. XXXX vom 12.9.2017" und "Kurzbericht des Universitätsklinikum XXXX vom 4.7.2017".
Die Einholung eines Gutachtens aus dem Fachbereich der Internen Medizin wurde beantragt und wurde auf das Judikat des VwGH vom 21.4.2016, Ra 2016/11/0018, verwiesen.
Es wurde beantragt, den "erstinstanzlichen" Bescheid aufzuheben und dem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass stattzugeben, in eventu, den "erstinstanzlichen" Bescheid aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidungsfindung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.
5. Dem vom BF mit der Beschwerde vorgelegten medizinischen
Beweismittel ist zu entnehmen wie folgt:
Aus dem Kurzbericht des Universitätsklinikums XXXX vom 4.7.2017:
"Aufnahmegrund: Der Patient wird bei Zunahme seiner gastrointestinalen Beschwerden (ca 20mal täglich wässrigen und schleimigen Durchfälle) von Dr. XXXX zur Durchführung einer Kapselendoskopie zugewiesen. [...]
Zusammenfassung des Aufenthalts: Herr XXXX kommt zur geplanten Kapselendoskopie bei vorbestehendem Morbus Crohn. [...] Er berichtet über wässrig schleimigen Durchfall, ca 20x täglich seit einigen Monaten."
Der BF wurde am 3.7.2017 bis zum 4.7.2017 stationär aufgenommen und wurde am 4.7.2017 in gutem Allgemeinzustand in häusliche Pflege entlassen.
6. Mit Vorlagebericht vom 29.9.2017 wurde die Beschwerde samt Fremdakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt und langte am 29.9.2017 ein.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.2.2018 die öffentlichen mündliche Verhandlung durch, zu welcher der BF, dessen Vertreter KOBV - Der Behindertenverband, die belangte Behörde und als medizinischer Sachverständiger Dr. XXXX geladen wurden.
8. Dem medizinischen Sachverständiger Dr. XXXX wurde der gesamte Verwaltungsakt zur Kenntnis gebracht, dass dieser von dem Inhalt aller vom BF vorgelegten medizinischen Beweismitteln Kenntnis erlangte.
9. In der öffentlichen mündlichen Verhandlung brachte auf Befragen zu seinem Berufsleben und Freizeitverhalten vor, dass er als Beamter im Bundesland Niederösterreich tätig ist. Die Arbeitsstelle sei von seinem Wohnort 10 Autominuten entfernt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln habe er eine Wegstrecke von einer Stunde dorthin. Er habe auch Dienstreisen zu absolvieren und verwende hierfür seinen Privat-PKW.
In den letzten Jahren habe er keinen Sommerurlaub mehr verbracht. Früher, wenn er "auf Urlaub geflogen" sei, habe er "immer darauf Bedacht genommen, dass am Strand Toiletten vorhanden sind und das Zimmer in Strandnähe befindlich" sei.
Der Tag der Verhandlung sei für ihn "ein Tag wie jeder andere gewesen". Zu Mitternacht stehe er auf, um die Toilette aufzusuchen. In der Früh gehe er dreimal schon auf die Toilette und dann esse er sein Frühstück und während des Frühstücks suche er nochmals ein- bis zweimal die Toilette auf. Auf dem Weg in das Büro überlege er oft nochmals umzudrehen, um daheim das WC aufzusuchen und gäbe es auch in der Tiefgarage des Bürogebäudes ein WC. Das passiere ihm ein- bis zweimal pro Woche. Er gehe auch während Sitzungen im Büor des Öfteren hinaus auf die Toilette.
Am Tag der Verhandlung sei er vor dem Losfahren um 8 Uhr fünfmal auf der Toilette gewesen. Er habe für eine halbe Stunde in einer Seitengasse "hier in der Nähe" geparkt und vom Abholen seiner Kinder am in der Nähe des Bundesverwaltungsgerichts befindlichen Busbahnhof sei ihm erinnerlich, dass es dort eine Toilette gäbe. Diese habe er dann aufgesucht und im Gerichtsgebäude sei er bereits dreimal auf der Toilette gewesen.
Der BF wies auf Aufforderung die von ihm verwendeten Produkte vor und wurde eines der von ihm verwendeten Produkte als Beilage ./A zum Akt genommen, nämlich eine Einlage namens "Attends Soft 3 Extra" sowie ein Foto von dem von ihm verwendeten Produkt angefertigt und als Beilage ./B zum Akt genommen. Bei letzterem handelt es sich um Slipeinlagen der Marke "OLIVIA".
In dem vom BF vorgewiesen Täschchen waren Slipeinlagen, Toilettenpapier und eine Einweg-Unterwäsche befindlich.
Die Einlage "Attends Soft 3 Extra" schaffe er privat an und finanziere diese selbst. Von der Krankenkasse habe er keine erhalten, ebenso habe er den Eurokey privat bezahlt, so der BF.
Er wisse in St. Pölten bereits wo Behindertentoiletten befindlich sind und an ihm unbekannten Örtlichkeiten achte er "immer zuerst darauf, wo sich die Toilette befindet, um auch den Weg dorthin zu kalkulieren".
Der BF gab an, im Zeitpunkt der Verhandlung eine dünnere Einlage, nämlich "jene welche ich in der vorher gezeigten Tasche aufbewahre" in Verwendung gehabt zu haben. Der Durchfall fange morgens breiiger an und werde tagsüber flüssiger.
Befragt zu den in der Beschwerde thematisierten Gewichtsschwankungen, gab er an: "In kürzester Zeit waren das auch schon mal 20 kg. Ich schwanke zwischen Konfektionsgröße 48 bis 54, das sind 10 kg in einem Zeitraum von drei bis vier Wochen."
Die Frage worauf sich das zurückzuführen lasse, dass er dann in so kurzer Zeit wieder viel Gewicht zunehme, beantwortete er damit, dass er versuche, laktosefreie Speisen einzunehmen. Derzeit seien seine Blutfette sehr hoch und wisse er nicht weshalb. Nächste Woche habe er einen Termin beim Arzt, um dies abzuklären. Es gäbe viele Lebensmittel, welche er nicht vertrage, z.B. Laktose. Nur manchmal könne man das nicht vermeiden, dass man diese zu sich nimmt, so der BF.
Auf Befragen führte der SV Dr. XXXX aus, dass schnelle Zunahmen von Gewicht in dieser Zeit flüssigkeitsbedingt sein können. Eine schnelle Zunahme in Zusammenhang mit Morbus Crohn sei nicht bekannt, eine Gewichtsabnahme schon, so der SV Dr. XXXX .
Der SV Dr. XXXX richtete an den BF die Frage, ob dieser Blut im Stuhl habe und antwortete dieser: "Ja. Auf Befragen nach der abgesetzten Stuhlmenge gebe ich an, es ist handflächengroß bis zu kleiner Portion, nachts ein bis zweimal, ich gehe um 21 Uhr zu Bett und stehe um 5 Uhr, 5.30 Uhr wieder auf."
Auf Befragen ob es ihm schon einmal passiert ist, dass er Stuhl verloren habe, gab er an, dass ihm dies "noch nie passiert" sei und er versuche, sich immer in Toilettennähe aufzuhalten.
Der SV Dr. XXXX befragte den BF, ob sich dieser mit den vorgezeigten handelsüblichen Slipeinlagen ausreichend geschützt fühle und gab er an: "Nein, aber für größere schäme ich mich. Nachts trage ich keine Einlage."
Auf Befragen nach seinen Essgewohnheiten gab er an: "Ich esse gekochte Salate (Rote Rüben, Spinat) Ich vertrage keine Tomaten, ebenso keine Gurken, und auch kein Schlagobers, Vollkornprodukte auch nicht, Zitrusfrüchte und alles mit Körnern auch nicht, dass alles vertrage ich nicht. Ich esse Äpfel, gerieben oder gespalten, und vermeide alles Gebackene, Gegrillte oder Angebratene."
Auf Befragen des SV Dr. XXXX , ob er einen Zusammenhang zwischen Essen und Stuhldrang vernommen habe, gab er an: "Wenn ich ein Schnitzel esse, muss ich sofort rennen. Ich habe heute schon meine zwei, mir verordneten Medikamenten genommen, heute Enterobene (Generikum von Imodium), welches ich zwei- bis dreimal am Tag nehme. Aktuell wiege ich 85 kg und befragt zur letzte 10 kg Gewichtsschwankung, gebe ich an, dass ich 10 Kilo zugenommen habe. Über die Wintermonate nehme ich zu. Im Frühjahr nehme ich ab."
Auf Befragen des SV Dr. XXXX nach einer allfälligen Versorgung des Afters, gab der BF an: "Ich verwende Bepanthen oder Vitawund. Ich fahre gerne ins Waldviertel mit dem Auto und fahre da von einer Raststation zur anderen. Ich führe auch immer eine Schaufel im Auto mit. Heute bin ich von meinem Wohnsitz her eine Stunde 15 Minuten gefahren und bin nicht stehen geblieben."
Auf Befragen des SV Dr. XXXX wie lange in Minuten der BF es schaffe, den imperativen Stuhlgang hinauszuzögern, gab er an: "Ein paar Minuten. Gestern war ich auf der Bleib-Aktiv-Messe". Weil er dies vorbrachte, wurde er von der Vorsitzenden Richterin befragt, ob es dort etwas Besonderes gegeben habe und wurde dies vom BF verneint.
Auf Befragung des SV Dr. XXXX wie viel er esse, wie oft und ob er darüber ein Protokoll führe, führte der BF aus: "Ich führe kein Protokoll. In der Früh esse ich eine Semmel und trinke dazu ein großes Glas Wasser, ich versuche viel Wasser zu trinken, esse in der Landhausküche zu Mittag, am Nachmittag einen Apfel und am Abend eine Semmel. Ich bin einmal im Jahr auf Reha und dort gibt es ein Essenprotokoll, dieses kann ich gerne vorlegen."
Der BF gab an, er habe keine Laktoseintoleranz, jedoch eine Hühnereiweißallergie. Auf Ernährungsempfehlungen der Reha verwende er überhaupt kein Fett mehr und schmiere auch nichts aufs Brot.
Befragt nach fachärztlicher Behandlung, gab der BF an, er gehe alle vier Wochen Infusionen bei meinem Internisten, Doz. Dr. XXXX , holen.
Die vorsitzende Richterin richtete an den SV unter Hinweis darauf, dass der viele Produkte aufgezählt habe, welche er weglässt, die Frage "Sind das alles Produkte welche bei der Erkrankung Morbus Crohn weggelassen werden sollen?". Darauf führte der SV Dr. XXXX aus: "Die meisten der aufgezählten Produkte werden nach meiner Erfahrung von den Patienten selbst herausgefunden, ob sie diese gut vertragen oder nicht."
Die vorsitzende Richterin richtete an den SV Dr. XXXX die Frage, ob dieser nach allem, das in der Verhandlung gehört wurde, zu einem anderen Eindruck als bisher komme. Der SV Dr. XXXX führte aus:
"Zu dem Sachverständigengutachten vom 11.7.2017 ist hinsichtlich allgemeine Mobilität zu sagen, dass es zu keiner anderen Einschätzung kommt und eine erhebliche Ernährungseinschränkungen des bestehenden Zustandes ist zu verneinen. Und die imperativen Stuhlgänge sind nicht zu objektivieren. Aufgrund des Ernährungszustandes sind eine schlechtere Verwertbarkeit der Nahrung nicht anzunehmen und die die Stuhlgangshäufigkeit (Anm: im Verhandlungsprotokoll fälschlich als "Stuhltranshäufigkeit" festgehalten) ist nicht objektivierbar, hier muss man sich auf die Angaben des BF verlassen können. Die großen Mengen des abgesetzten Stuhls lassen sich mit dem Körpergewicht und dem Ernährungszustand nicht in Kongruenz bringen."
Die Vertreterin des KOBV fragte den SV Dr. XXXX Folgendes: "Die Stuhltranshäufigkeit wird ja nie objektivierbar sein?" Dr. XXXX führte aus: "Die Häufigkeit wird nie ganz objektivierbar sein, aber bei zwanzig Stuhlgängen in der vom BF beschriebenen Menge am Tag wäre eine größere Einschränkung des Ernährungszustandes wahrzunehmen."
Die Vertreterin des KOBV gab diesbezüglich zu bedenken, dass der BF ja angegeben habe, dass die Stuhlgänge sowohl breiig als auch flüssig seien und ja nicht alle handflächengroß seien.
Nach Durchsicht des Verhandlungsprotokolls gab der BF zum Festgehaltenen "Auf Befragen ob es mir schon einmal passiert ist, dass ich Stuhl verloren habe, gebe ich an ich versuche mich immer in Toilettennähe aufzuhalten, das ist mir noch nie passiert." an, dies so verstanden zu haben, ob er ihn so verloren habe, dass er hinten nachtropft. Es sei nämlich schon vorgekommen, dass es passiert sei und in der jeweils von mir verwendeten Einlage befindlich gewesen sei.
Von Seiten der beiden Vertreterinnen der belangten Behörde wurden an den BF oder an den beigezogenen SV Dr. XXXX keine Fragen gerichtet, keine Beweisanträge gestellt und auch sonst nichts vorgebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich der Beschwerdeführer mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war - wie vom Beschwerdeführer beantragt - die Beschwerde zu prüfen.
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Behinderung mit dem Gesamtgrad in der Höhe von 50 von Hundert im Besitz eines Behindertenpasses.
1.2. Bei dem Beschwerdeführer liegt die Funktionsbeeinträchtigung "Morbus Crohn bei Zustand nach Entfernung des endlagigen Dünndarms und des Beginns des Dickdarms, anamnestisch anhaltende Durchfälle trotz Biologica-Therapie" vor.
1.3. Die sachverständig festgestellte Funktionsbeeinträchtigung wirken sich nicht auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
1.4. Eine schwere Erkrankung des Immunsystems liegt nicht vor.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die unter II.1.1. getroffene Feststellung zum Behindertenpass gründet auf dem Inhalt des vorgelegten Fremdaktes.
2.2. Die unter II.1.2. bis II.1.4. getroffenen Feststellungen basieren - in freier Beweiswürdigung - auf den im vorgelegten Fremdakt einliegenden vom BF vorgelegten Beweismitteln und dem von der belangten Behörde eingeholten auf Untersuchung des BF fußenden Gutachten Dris. XXXX in Zusammenschau mit den Ausführungen des gerichtlich beigezogenen Sachverständigen Dr. XXXX in der Verhandlung am 16.2.2018 und werden diese betreffend die Auswirkungen der Funktionseinschränkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Es bestehen seitens des Bundesverwaltungsgerichtes keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachten Dris. XXXX und steht die fachliche Einschätzung der vom BF in der Verhandlung vorgetragenen Leiden durch den gerichtlich beigezogenen SV Dr. XXXX im Einklang mit dem Sachverständigengutachten
Dris. XXXX .
Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte werden das Gutachten Sachverständigengutachten Dris. XXXX und die sachverständigen Ausführungen des
Dr. XXXX in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung verwertet.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG, welcher gemäß § 17 VwGVG vor dem Verwaltungsgericht anzuwenden ist) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheids niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des
§ 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist.
2.3. In seiner Beschwerde moniert der BF, dass bei seinem Krankheitsbild ("bis zu
20 Stuhlgänge pro Tag mit imperativem Stuhldrang") die Kriterien für die Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vorliege.
In der - beantragten - öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde daher der BF dazu befragt. Der BF legte dem Gericht die von ihm benutzten (Inkontinenz-)Produkte vor und wurde als medizinischer Sachverständiger Dr. XXXX beigezogen.
Der medizinische Sachverständige Dr. XXXX kam nach Anhörung der mündlichen Schilderungen des BF in der Verhandlung zu dem Schluss, dass die imperativen Stuhlgänge nicht zu objektivieren sind. Aufgrund des Ernährungszustands des BF sind eine schlechtere Verwertbarkeit der Nahrung nicht anzunehmen und die Stuhlgangshäufigkeit ist nicht objektivierbar. Die großen Mengen des abgesetzten Stuhls lassen sich mit dem Körpergewicht und dem Ernährungszustand nicht in Kongruenz bringen.
Auf Vorhalt der Vertreterin des KOBV, dass die Stuhlgangshäufigkeit "ja nie objektivierbar sein wird", gab der SV Dr. XXXX an, dass die Häufigkeit nie ganz objektivierbar sein wird, aber bei 20 Stuhlgängen in der vom BF beschriebenen Menge am Tag wäre eine größere Einschränkung des Ernährungszustands wahrzunehmen.
Der BF gab auf die Frage der vorsitzenden Richterin "Wie oft waren Sie heute schon am WC?" an, am Tag der Verhandlung (16.2.2018) bereits fünfmal vor dem Losfahren auf der Toilette gewesen zu sein, dann auf der Toilette am nahegelegenen Busbahnhof und im Gerichtsgebäude dreimal. Die Verhandlung begann um 11.25 Uhr, sodass der BF bis zur Mittagszeit des Verhandlungstags ein neunmaliges Aufsuchen der Toilette angab.
Bei den vom BF vorgezeigten Produkten handelt es sich um folgende:
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Quelle: http://www.attends.at/products/soft-3-extra (Zugriff: 23.3.2018)
Das vorgelegte Produkt "OLIVIA" (fotografisch in Beilage ./B der Verhandlungsschrift festgehalten) ist eine Eigenmarke eines Lebensmitteldiskonters und wird auf dessen Website das Produkt beschrieben wie folgt:
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Quelle: https://www.aldi-sued.de/de/sortiment/eigenmarken/olivia/ (Zugriff: 23.3.2018)
Die Frage des SV Dr. XXXX , ob er sich mit den vorgezeigten handelsüblichen Slipeinlagen der Marke "OLIVIA" ausreichend geschützt fühle, verneinte der BF und gab Schamgefühl beim Tragen einer größeren Einlage an. Der BF gab darauffolgend an: "Nachts trage ich keine Einlage."
Unter der Annahme, dass der BF am Verhandlungstag bereits neunmal vor Beginn der Verhandlung um 11.25 Uhr auf der Toilette war, ist es nicht nachvollziehbar, dass der BF des Nächtens keine Einlage zum Schutz vor imperativen Stuhldrängen trägt und nur zu Mitternacht aufsteht, um die Toilette aufzusuchen (das Aufsuchen der Toilette zwischen den Stunden nach Mitternacht und dem Aufstehen um 5 Uhr bzw
5.30 Uhr brachte er nicht vor). Dies ist auch in Zusammenschau mit den Ausführungen des SV. Dr. XXXX , wonach bei zwanzig Stuhlgängen in der vom BF beschriebenen Menge am Tag eine größere Einschränkung des Ernährungszustands wahrzunehmen wäre, nicht nachvollziehbar.
Der BF brachte mit seiner Angabe es "ein paar Minuten" zu schaffen, den imperativen Stuhlgang hinauszuzögern zum Ausdruck, dass es ihm - entgegen dem dem VwGH-Judikat vom 21.4.2016, Ra 2016/11/0018, zugrundeliegenden Fall - möglich ist, den Stuhldrang für willentlich (wenn auch nur für ein paar Minuten) zu unterdrücken.
Eine mit Stuhlgängen einhergehende Geruchsentwicklung, welche dem BF etwa unangenehm ist, wurde weder im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht, noch wurde eine solche in der Verhandlung vom BF vorgebracht. Ein Unbehagen mit der Tatsache, die von ihm vorgezeigten Produkte "Attends Soft 3 Extra" und "Olivia" zu tragen, führte der BF nicht ins Treffen. "Unbehagen" bedeutet laut Duden ein unangenehmes, jemandes Wohlbehagen störendes, Verstimmung, Unruhe, Abneigung, Unwillen hervorrufendes Gefühl. Solches brachte der BF nicht vor.
Er gab in der Verhandlung bloß an, dass aufgrund dessen, dass er sich für größere Einlagen schäme, die Slipeinlagen der Marke Olivia und "Attends Soft 3 Extra" (laut Hersteller: Hygiene-Einlage bei leichter Blasenschwäche) verwende.
In Anbetracht dessen, dass der Hersteller der Hygiene-Einlage "Attends Soft 3 Extra" diese für "leichte Blasenschwäche" und als sehr diskreten, hygienischen Schutz bei regelmäßigem Verlust von größeren Flüssigkeitsschüben und spürbarem Harndrang beschreibt und die "Olivia" Einlage auf der Website des Händlers als "maßgeschneiderte Problemlösung bei Problemen mit einer schwachen Blase" beschreibt, ist darauf hinzuweisen, dass die vom BF verwendeten Produkte für Blasenschwäche entwickelt wurden und werden Slipeinlagen als "grundsätzlich ähnlich aufgebaut wie Inkontinenzprodukte", jedoch als zur Inkontinenzversorgung kaum oder gar nicht geeignet" beschrieben (Quelle: Pharmazeutische Zeitung Online, Ausgabe 20/2010,
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=33845, Zugriff:
23.3.2018).
Von dem Hersteller der vom BF verwendeten Hygiene-Einlage "Attends Soft 3 Extra" gibt es überdies speziell für Stuhl-Inkontinenz produzierte Einlagen namens Attends Contours Regular und Attends Contours Air Comfort (siehe
http://www.attends.at/products/contours-regular-6 und http://www.attends.at/products/contours-air-comfort-5; jeweils Zugriff am 23.5.2018). Dass er vom Hersteller speziell für Stuhlinkontinenz empfohlene Produkte verwendet, brachte der BF nicht vor. Von ihm wurden dem Gericht die vom Hersteller Attends mit der Saugstärke 3 von 10 beworbene Hygiene-Einlage "Attends Soft 3 Extra" sowie die Slipeinlage "Olivia", vorgelegt und gab er den Hinweis, diese tagsüber zu verwenden.
Der BF brachte auf Befragen durch den SV Dr. XXXX vor, dass es schon vorgekommen sei, dass Stuhl in der jeweils von ihm verwendeten Einlage befindlich war. In Anbetracht dessen, dass der BF unter anderem mit einer herkömmlichen Einlage der Marke "OLIVIA" das Auslangen findet, Nachts Einlagen gänzlich weglässt und weder eine Geruchsbelästigung noch ein Unbehagen im Zusammenhang mit der bei ihm vorhandenen Funktionsbeeinträchtigung vorbrachte und aus Sicht des medizinischen SV Dr. XXXX die vom BF ins Treffen geführte Häufigkeit von Stuhldrang (behauptete 20x pro Tag) mit dem Ernährungszustands des BF nicht in Einklang zu bringen sind und er überdies angab, den Stuhldrang ein paar Minuten hinauszuzögern zu können, erscheint ihm die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die maßgeblichen formellrechtlichen Rechtsgrundlagen sind jene des Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) und des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG).
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Im Bundesbehindertengesetz normiert § 45 Abs 3, dass in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses oder auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grad der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch Senat zu erfolgen hat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor und war entsprechend dem § 45 Abs 4 ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundiger Laienrichter hinzuzuziehen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte - mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes - ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß
Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Die maßgeblichen materiellrechtlichen Bestimmungen sind jene des Bundesbehindertengesetz (BBG) und der Verordnung des BMASK über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (BGBl II 495/2013).
Zu A) - Entscheidung in der Sache
Unter Behinderung iSd Bundesbehindertengesetz ist gemäß dessen § 1 Abs 2 die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 45 Abs 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses - dessen nähere Ausgestaltung im § 42 BBG normiert ist - sowie Anträge auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt gemäß § 45 Abs 2 BBG Bescheidcharakter zu.
§ 47 BBG beinhaltet eine Verordnungsermächtigung, wonach der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt ist, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach
§ 40 ff auszustellenden Behindertenpass und die damit verbundenen Berechtigungen festzusetzen.
Entsprechend der Verordnungsermächtigung der §§ 42 und 47 BBG sowie aufgrund des
§ 29b Abs 1 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) wurde die Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen erlassen (BGBl II 495/2013 idF BGBl II 263/2016). Diese normiert im § 1 Abs 4 Z 3, dass auf Antrag des Menschen mit Behinderung ua jedenfalls die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, in den Behindertenpass einzutragen ist.
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird u.a. Folgendes ausgeführt (Quelle: https://www.sozialministeriumservice.at/cms/site/attachments/2/2/6/CH0003/CMS1385116932323/beilage_2__erlaeuterungenaktuell[1].pdf)
(auszugsweise):
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3:
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Die Voraussetzung des vollendeten 36. Lebensmonats wurde deshalb gewählt, da im Durchschnitt auch ein nicht behindertes Kind vor dem vollendeten 3. Lebensjahr im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Wegstrecken nicht ohne Begleitung selbständig gehen kann. Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:
-
gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,
-
bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar."
§ 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung normiert:
Demnach ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und hinzukommend
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten,
Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs 4 Z 1 lit. b
oder § 1 Abs 4 Z 1 lit. d vorliegen.
Die zuvor genannte Verordnung normiert im § 1 Abs 5 als Grundlage für die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen für die in § 1 Abs 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind zumutbare therapeutische Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl II 495/2013 idF BGBl II 263/2016 wird ua ausgeführt, dass mit der vorliegenden Verordnung präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden und dabei die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze Berücksichtigung finden.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschä