Entscheidungsdatum
27.03.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
W209 2151576-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer in der Beschwerdesache XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Salzburg, vom 20.02.2017, OB:
710-600853-002, betreffend Abweisung eines Antrages auf Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung gemäß § 4 Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG) beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (im Folgenden die Beschwerdeführerin) stellte am 26.01.2017 einen Antrag auf Übernahme der Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung wegen einer durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung erlittenen Gesundheitsschädigung. Begründend führte sie aus, dass sie am 29.11.2011 in einem Lokal vermutlich unter Drogen gesetzt worden sei und es dann in einem Auto, von dem sich gedacht habe, dass es sich um ein Taxi handle, zu einem sexuellen Übergriff gekommen sei. Anzeige habe sie nicht erstattet. Dem Antrag waren eine Kopie des Staatsbürgerschaftsnachweises sowie zahlreiche ärztliche Befunde der Beschwerdeführerin angeschlossen. Aus einem Arztbrief des Klinikums XXXX vom 22.11.2016 (Abl. 7) geht hervor, dass die Beschwerdeführerin berichtet habe, im Jahr 2014 Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Auch der Ehegatte der Beschwerdeführerin sei zu der seit längerem bestehenden psychischen Erkrankung der Beschwerdeführerin (generalisierten Angststörung; Reaktion auf schwere Belastung, nicht näher bezeichnet; dissoziative Stupor; ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung) anamnestisch befragt worden.
2. Mit Parteiengehör vom 31.01.2017 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Hilfeleistung nach dem VOG nicht erfüllt seien. Diese stünden nur zu, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass es sich bei der dem Antrag zugrundeliegenden Tat um eine vorsätzliche und mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitstrafe bedrohte rechtswidrige Handlung handle. Da bis heute kein objektiver Nachweis für eine solche Handlung vorliege, komme eine Gewährung von Hilfeleistungen nach dem VOG nicht in Betracht.
3. Mit Stellungnahme vom 13.02.2017 teilte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde mit, dass sie sich erst seit kurzer Zeit in Psychotherapie befinde und mehrere Krankenhausaufenthalte gehabt habe, weswegen sie nicht in der Lage sei, eine Anzeige zu erstatten bzw. ein Verfahren durchzustehen. Die Therapie kostet pro Einheit €
75, die Kärntner Gebietskrankenkasse erstatte ihr jedoch nur € 22. Sie habe erst drei Therapiestunden in Anspruch genommen. Die Therapie sei für sie dringend notwendig, weshalb sie um nochmalige Überprüfung ihres Antrages und um Gewährung eines Kostenzuschusses auf dem Kulanzweg ersuche. Dem Schreiben war eine Bestätigung der die Beschwerdeführerin behandelnden Psychotherapeutin, Dr. XXXX Z XXXX , angeschlossen, aus der hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin derzeit wegen einer generalisierten Angststörung, Panikattacken und einer posttraumatischen Belastungsstörung in Reaktion auf eine schwere Belastung in Behandlung stünde.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.02.2017 wurde der Antrag auf Übernahme der Kosten für die psychotherapeutische Krankenbehandlung abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin keine Anzeige erstattet habe. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 4 VOG seien Personen von Hilfeleistungen nach dem VOG ausgeschlossen, wenn sie es schuldhaft unterlassen haben, zur Aufklärung der Tat, zur Ausforschung des Täters oder zur Feststellung des Schadens beizutragen. Zur Aufklärung der Tat gehöre auch, dass unverzüglich Anzeige erstattet, die zur Aufklärung der Tat erforderlichen Aussagen gemacht und gegebenenfalls Beweismittel zur Verfügung gestellt werden.
5. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, dass die Beschwerdeführerin nunmehr bei der Polizei Anzeige erstattet habe. Der Beschwerde waren die Anzeige samt Zeugenvernehmung der Beschwerdeführerin durch die Landespolizeidirektion Kärnten vom 21.03.2017 sowie ein neuer Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung angeschlossen.
6. Am 30.03.2017 einlangend legte die belangte Behörde die Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung aufgrund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder aufgrund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Nach dem klaren Wortlaut des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen notwendiger Ermittlungen des Sachverhaltes seitens der belangten Behörde.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als gravierend mangelhaft:
Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG ist - soweit im gegenständlichen Fall relevant - zunächst das wahrscheinliche Vorliegen einer mit mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung, durch die wahrscheinlich eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten wurde.
Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung lediglich auf die unterlassene Anzeige und wertet dies als mangelnde Bereitschaft der Beschwerdeführerin, an der Aufklärung der Tat mitzuwirken.
Mittlerweile hat die Beschwerdeführerin jedoch eine Anzeige erstattet, weswegen dieser Ausschlussgrund jedenfalls nicht mehr vorliegt.
Darüber hinaus ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt des angeschuldigten Ereignisses verheiratet war und ihr Ehegatte von den behandelnden Ärzten zum psychischen Zustand der Beschwerdeführerin anamnestisch befragt wurde. Aus der Anzeige ergibt sich weiters, dass die Beschwerdeführerin sich ihrer Schwester anvertraut und ihr von dem sexuellen Übergriffen erzählt habe. Anhaltspunkte, wieso die Behörde davon ausgegangen ist, das nähere Umfeld der Beschwerdeführerin nicht zur vorgebrachten strafbaren Handlung befragen zu müssen, liegen nach der Aktenlage nicht vor. Zudem wurde auch die Beschwerdeführerin nicht einvernommen, obwohl sich die belangte Behörde dadurch einen persönlichen Eindruck von ihrer Glaubwürdigkeit verschaffen hätte können.
Damit hat die belangte Behörde nicht alle verfügbaren Beweismittel genutzt, um entsprechende Feststellungen zum Vorliegen einer Straftat iSd § 1 Abs. 1 VOG treffen zu können. Dies offenkundig in der Erwartung, dass die mangelnde Beweisaufnahme in der Folge ohnehin durch das Verwaltungsgericht nachzuholen sein wird, womit das Verfahren im Sinne der oben aufgezeigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an einem groben Verfahrensmangel leidet, der das Verwaltungsgericht berechtigt, die Angelegenheit zu Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde somit alle zweckmäßigen Ermittlungen zum Sachverhalt tätigen müssen, dies insbesondere im Hinblick auf die Frage des wahrscheinlichen Vorliegens einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung.
Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Sollte in der Folge feststehen, dass wahrscheinlich eine solche strafbare Handlung konkret vorliegt, wobei eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs. 1 VOG erst dann gegeben ist, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (vgl. VwGH vom 21.11.2013, Zl. 2011/11/0205 mit Verweis auf VwGH vom 26.04.2013, Zl. 2012/11/0001), hat die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, das Ausschluss darüber gibt, ob die bestehende Gesundheitsschädigung auf das angeschuldigten Ereignis zurückzuführen ist. Dabei ist bei der rechtlichen Würdigung des Ergebnisses des medizinischen Sachverständigenbeweises auf die Theorie der wesentlichen Bedingung Bedacht zu nehmen, wonach es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch ein vom Gesetz erfasstes schädigendes Ereignis zurückgehen könnte - erforderlich ist, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist (VwGH 06.01.2012, Zl. 2011/09/0113).
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht liegt im Lichte obiger rechtlicher Ausführungen und unter Berücksichtigung der bereits genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Sinne des Gesetzes. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - auch nicht ersichtlich.
B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W209.2151576.1.00Zuletzt aktualisiert am
10.04.2018