TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/29 W137 2190206-1

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Veröffentlicht am 29.03.2018
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Entscheidungsdatum

29.03.2018

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs1

Spruch

W137 2190206-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2018, Zl. 831820200/180273235, sowie die fortdauernde Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit 21.03.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde hinsichtlich des Schubhaftbescheides wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und dieser für rechtswidrig erklärt. Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft seit 21.03.2018 für rechtswidrig erklärt.

II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vorliegen.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag des Bundes auf Ersatz des Aufwands wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der russischen Föderation. Über ihn wurde am 21.03.2018 die Schubhaft angeordnet. Über seinen jüngsten - insgesamt dritten - Antrag auf internationalen Schutz war mit Bescheid vom 19.03.2018 erstinstanzlich entschieden worden. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung war die aufschiebende Wirkung aberkannt worden. Diese Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer am 20.03.2018 in der Strafhaft zugestellt.

2. Am 23.03.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde (samt Vollmacht vom 22.03.2018) ein, die sich "gegen den Bescheid vom 21.03.2018" (Schubhaft-Bescheid) sowie gegen die "Anordnung der Schubhaft und die fortdauernde Anhaltung des BF in Schubhaft seit 21.03.2018" richtet. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass vor dem Hintergrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 05.10.2017, Ro 2017/21/0009, die Anwendung der Rückführungs-RL nicht zulässig sei, solange noch keine die Person betreffende durchführbare Rückkehrentscheidung vorliege.

Beantragt werde daher a) eine mündliche Verhandlung durchzuführen;

b) den Schubhaftbescheid zu beheben und diesen sowie die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären; c) auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorliegen würden; d) der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen aufzuerlegen.

3. Am 26.03.2018 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein. Unter einem übermittelt wurde eine ausführliche Stellungnahme, in der insbesondere auf Art. 8 Abs. 3 lit. e Aufnahme-RL Bezug genommen worden ist. Diese Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer im Wege seiner bevollmächtigten Vertreterin übermittelt und ihm Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt. Mit Schreiben vom 28.03.2018 verwies der Beschwerdeführer neuerlich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger der Russischen Föderation. Sein jüngstes Asylverfahren ist lediglich erstinstanzlich (seit 20.03.2018) beendet; die Beschwerdefrist ist noch offen. Der Beschwerdeführer ist beruflich in Österreich nicht integriert; er ging auch vor Verbüßung seiner letzten Freiheitsstrafe keiner legalen Beschäftigung nach. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich bereits mehrfach strafrechtlich verurteilt und verbüßte teils mehrmonatige Freiheitsstrafen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. 831820200/180273235 (Schubhaft) sowie den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes. An der russischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers bestanden nie Zweifel. Der Stand seines dritten Asylverfahrens ist unstrittig. Unstrittig sind auch die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers; eine legale Beschäftigung wurde nie behauptet.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

2.2. Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

"§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Zu Spruchteil A)

2.3. Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft seit 21.03.2018:

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 05.10.2017, Ro2017/21/0009, nach Zitierung des Art. 8 der Aufnahme-RL unter anderem Folgendes ausgeführt:

"20 Der letzte Satz des Art. 8 Abs. 3 der Aufnahme-RL normiert also, dass die Haftgründe im einzelstaatlichen Recht geregelt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Fälle, in denen nach Art. 8 der Aufnahme-RL Haft in Betracht kommt, einer Ausgestaltung im nationalen Recht eines jeden Mitgliedstaats bedürfen. Das Fehlen entsprechender Vorschriften im innerstaatlichen Recht bewirkt, dass Schubhaft nicht auf die in Art. 8 Abs. 3 Aufnahme-RL genannten Gründe gestützt werden darf (vgl. in diesem Sinn Rn. 28 und 47 des Urteils des EuGH vom 15. März 2017, C-528/15, "Al Chodor").

(...)

22 Dieser Anforderung wird allerdings - sieht man von § 76 Abs. 6 FPG ab, worauf noch zurückzukommen sein wird - nur der "Dublin-Konstellationen" erfassende Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 2 Z 2 (iVm Abs. 3) FPG gerecht, der insoweit Art. 8 Abs. 3 lit. f der Aufnahme-RL umsetzt. Der hier im Schubhaftbescheid herangezogene Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG, der als Haftgrund im Ergebnis nur auf das Vorliegen von Fluchtgefahr abstellt, lässt sich hingegen auf keinen der in Art. 8 Abs. 3 der Aufnahme-RL abschließend normierten "Ausnahmefälle" zurückführen.

23 3.3. Insbesondere findet er, entgegen der in den Stellungnahmen des BMI und des BFA vertretenen Ansicht, auch in Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL keine inhaltliche Deckung."

3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat damit unmissverständlich klar gemacht, dass er Art. 8 Abs. 3 lit. e der Aufnahme-RL nur dann für im nationalen Recht anwendbar erachtet, wenn dieser konkret in nationales Recht umgesetzt wird. Eine derartige Novellierung des § 76 FPG wurde vom Gesetzgeber - entsprechend der österreichischen Realverfassung, nach der vom Parlament beschlossene Gesetzesänderungen überwiegend auf Regierungsvorlagen basieren, aber auch vom Bundesminister für Inneres - in den vergangenen knapp 5 Monaten verabsäumt. Das (juristisch grundsätzlich problemlose) Schließen dieser evidenten Lücke in der Vollziehung von Sicherungsmaßnahmen zur Sicherstellung einer Außerlandesbringung hat offenkundig keinen Platz auf der Prioritätenliste des dafür zuständigen Ministers oder jener Nationalratsabgeordneten, die sich gerne öffentlich einer markigen "law and order" - Rhetorik befleißigen.

3.3. Soweit das Bundesamt in seiner Stellungnahme versucht, eine Umsetzung des Art. 8 Abs. 3 lit. e im Rahmen der Bestimmung des § 76 Abs 2 Z 1 FPG zu argumentieren, scheitert dies an der oben zitierten Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes. Dies auch unabhängig davon, ob die von den betroffenen Personen ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die fehlende Ernsthaftigkeit ihrer Asylanträge offenkundig sind.

3.7. Aus diesen Gründen erweisen sich der angefochtene Bescheid vom 21.03.2018 und die darauf gestützte Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft als rechtswidrig.

4. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ist festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen:

4.1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

4.2. Zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt ist keine Änderung der oben festgestellten Sach- und Rechtslage eingetreten. Bis zur etwaigen Anordnung einer weiteren Schubhaft hat das Bundesamt jedenfalls vier Wochen ab Erlassung des Asylbescheides (20.03.2018) sowie sieben Tage ab Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zuzuwarten.

4.3. Es war daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen (weiterhin) nicht vorliegen.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.

6. Kostenersatz

6.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

6.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Dem Bund gebührt als unterlegene Partei daher kein Kostenersatz, der Beschwerdeführer hat als (vollständig) obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang, soweit dieser Deckung im gegenständlichen Verfahren findet.

7. Gelinderes Mittel

Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Anordnung eines (allenfalls auch engmaschigen) gelinderen Mittels nicht entgegensteht.

Ein solches könnte allenfalls auch noch vor der mit Erlassung dieser Entscheidung erforderlichen Entlassung aus der Schubhaft angeordnet werden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Dies liegt im gegenständlichen Fall angesichts der unmissverständlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht vor.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Folgeantrag, Kostenersatz, Rechtsanschauung des VwGH,
Rechtsgrundlage, Rechtswidrigkeit, Schubhaftbeschwerde, Strafhaft,
strafrechtliche Verurteilung, Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W137.2190206.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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