TE Bvwg Beschluss 2018/3/21 W183 2173848-1

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Veröffentlicht am 21.03.2018
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Entscheidungsdatum

21.03.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W183 2173848-1/10E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 13.02.2018 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

BESCHLUSSES UND ERKENNTNISSES

1. BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag.

Dr. Erika PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb.: XXXX , StA:

Somalia, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2017, Zl. 1101172406-160000663:

A)

Das Verfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 VwGVG, eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Erika PIELER über die Beschwerde von XXXX , geb.: XXXX , StA:

Somalia, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkte II. und III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2017, Zl. 1101172406-160000663, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.02.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG i. V.m. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigtem für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 30.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 01.01.2016 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 13.09.2017 wurde BF von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 04.10.2017) wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), gegen BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft dieser Rückkehrentscheidung beträgt.

3. Mit Schriftsatz vom 13.10.2017 erhob BF durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde.

4. Mit Schriftsatz vom 16.10.2017 (eingelangt am 18.10.2017) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.02.2018 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Somali eine mündliche Verhandlung durch, an welcher BF und seine Rechtsvertreterin teilnahmen. Das Bundesverwaltungsgericht verkündete den Beschluss und das Erkenntnis wie im Spruch oben angeführt. Nach einer Belehrung gem. § 29 Abs. 2a VwGVG verzichtete BF auf eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof sowie auf eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof.

6. Mit Schriftsatz vom 19.02.2018 ersuchte die belangte Behörde um eine schriftliche Ausfertigung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. BF zog in der mündlichen Verhandlung am 13.02.2018 seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurück.

1.2. BF stammt aus Maydh in Somalia (Somaliland) und ist somalischer Staatsangehöriger. Die Identität konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.

1.3. Den Angaben des BF zufolge befinden sich keine Familienangehörigen in Somalia. Es konnte nicht festgestellt werden, dass BF einen Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia hat.

1.4. Den ins Verfahren eingeführten Länderberichten ist zu entnehmen, dass weite Teile Somalias dürrebedingt derzeit von einer massiven Nahrungsversorgungsunsicherheit betroffen sind. Mehr als sechseinhalb Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, wobei die Zahl der akut Betroffenen in den vergangenen Monaten massiv angestiegen ist und übereinstimmende Prognosen eine weitere drastische Verschlechterung der Situation erwarten lassen. Die Unterernährung von Kindern sowie die Verbreitung von Krankheiten (z.B. Cholera) sind im Steigen begriffen, seit November 2016 wurden mehr als 700.000 Menschen dürrebedingt innerhalb Somalias vertrieben. Die Lage wird als an der Kippe zur Hungersnot beschrieben, einzelne Hungertote sind bereits bestätigt.

1.5. Es sind keine Aberkennungsgründe hervorgekommen und ist BF unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vollständig vorgelegten, unstrittigen Verwaltungsunterlagen, den eingebrachten Länderberichten zu Somalia-Somaliland sowie der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2018 und dem Strafregisterauszug vom 20.10.2017.

2.2. Die Angaben des BF zu seinen Familienangehörigen sind glaubhaft, weil er in der Verhandlung darlegte, dass er seit seinem Aufenthalt in Äthiopien keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hat. Bei seinem letzten Telefonat mit der Mutter sagte diese, dass auch sie flüchten wolle. Von seiner Frau habe er keine Telefonnummer. Anhaltspunkte, wonach BF über verlässliche familiäre Kontakte in Somalia verfügt, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

2.3. Betreffend die Feststellungen zur Situation in Somalia ist auszuführen, dass als Quellen das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, Wien am 25.4.2016 sowie das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia-Somaliland, Wien am 12.1.2018 herangezogen wurden. Aus diesen ist die prekäre Lage aufgrund der Dürre ersichtlich (vgl. insb. die Karte im LIB Somaliland S 31).

Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zu Stellungnahme. Den Länderfeststellungen wurde nicht entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund besteht, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu 1. - Beschluss, Spruchteil A)

3.1. Aus § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 31 Abs. 1 VwGVG folgt, dass im Falle der Zurückziehung einer Beschwerde das Verfahren mittels Beschluss einzustellen ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 Anm. 5). Im gegenständlichen Fall zog BF seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurück, weshalb das Verfahren in diesem Umfang einzustellen war.

Zu 2. - Erkenntnis

3.2. Zu A)

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gem. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2.2. Die gegenständlich relevante Rechtsgrundlage des § 8 AsylG 2005 lautet:

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

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1.-der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2.-dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

-wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

3.2.3. Aus der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137) ergibt sich zusammenfassend Folgendes:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 mwN). [Anm.: zuletzt auch VwGH 30.01.2018, Ra 2017/20/0406]

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 und 23.09.2009, 2007/01/0515 mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi und Elmi gg. Vereinigtes Königreich, RNr. 218 mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Nr. 25904/07, NA gg. Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR Sufi und Elmi, RNr. 217).

Thurin (Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung2 [2012] 203) fasst die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des EGMR dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases"), wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

Auch im jüngst ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, Nr. 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, beschäftigte sich der EGMR mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte u.a. aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (v.a. RNr. 91 und 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (vgl. RNr. 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (RNr. 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (RNr. 98).

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführgen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12, Diakité).

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH vom 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

Betreffend den Herkunftsstaat Somalia hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass dort eine notorische Dürrekatastrophe herrscht (VwGH 31.08.2017, Ra 2016/21/0296; 21.12.2017, Ra 2017/21/0135) und die Behörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht sich mit den Folgerungen für die konkrete Situation des Antragstellers auseinandersetzen muss.

3.2.4. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall folgt vor dem Hintergrund dieser Rechtsgrundlagen, dass bei einer Rückkehr des BF nach Somalia die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK besteht. So hat BF hinreichend glaubhaft vorgebracht, keinen Kontakt mehr zu seinen Familienangehörigen zu haben und auch sonst über kein familiäres und soziales Netzwerk mehr in Somalia zu verfügen. Weiters ist die durch die anhaltende Dürre dramatisch gewordene Nahrungsmittelknappheit auch in der angegebenen Herkunftsregion des BF vorhanden, sodass im Falle der Rückkehr des BF die ernsthafte Gefahr bestünde, dass dieser in eine ausweglose Lage geraten würde. Gesamtheitlich betrachtet ergibt sich in dem konkreten Fall des BF auf Grund mehrerer kumulativer Faktoren (keine familiären Bezugspunkte mehr in Somalia, Unsicherheit hinsichtlich der humanitären Situation in Form von Nahrungsmittelunsicherheit und Gewährleistung von Lebensgrundlagen) eine Situation, wonach davon auszugehen ist, dass BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung entgegen Artikel 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht BF nicht offen, weil die Dürre mittlerweile landesweit zu einer allgemeinen schlechten Lebensmittelversorgung führte und BF in ganz Somalia über keine verlässlichen familiären Kontakte verfügt.

Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des konkreten Falles kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass BF im Falle seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen zu werden. Eine Rückführung des BF würde diesen daher in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK verletzen.

Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind und BF andererseits strafrechtlich unbescholten ist.

Dem Antrag auf internationalen Schutz war daher in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stattzugeben und BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuzuerkennen. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 war BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigtem für die Dauer von einem Jahr zu erteilen.

3.3. Zu 1. und 2. jeweils B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter Punkt 3.2. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung, mündliche Verkündung, schriftliche
Ausfertigung, subsidiärer Schutz, Versorgungslage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W183.2173848.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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