TE Bvwg Erkenntnis 2018/3/22 W200 2165321-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2018
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Entscheidungsdatum

22.03.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W200 2165321-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am 01.01.

XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2017, Zahl: 1093930808-151716317, nach Durchführung einer Verhandlung am 08.01.2018 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer führt nach eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der paschtunischen Volksgruppe und dem sunnitischen Glauben an, und stellte am 06.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag nannte er als Fluchtgrund, dass in seinem Heimatdorf sein Vater von den Taliban bedroht worden sei. Dieser sei vor ca. einem Jahr verstorben. Dann sei er von den Taliban bedroht worden. Diese hätten von ihm verlangt, dass er für sie arbeite. Er hätte dies nicht gewollt und dies hätte zu Problemen geführt. Er sei immer wieder bedrängt worden und hätte um sein Leben und auch um das Leben seiner Mutter und seiner Geschwister gefürchtet. Er hätte dann beschlossen, Afghanistan zu verlassen. Er hätte seine Familie schützen wollen und auf keinen Fall für die Taliban arbeiten wollen. Im Fall einer Rückkehr würden ihn die Taliban früher oder später finden und umbringen.

Im Rahmen der Einvernahme am 15.05.2017 legte der Beschwerdeführer eine Kopie einer Tazkira vor und gab an, zwar einen Reisepass besessen zu haben, diesen jedoch während der Flucht in Bulgarien im Wald in seinem Rucksack verloren zu haben. Sein Vater sei einen natürlichen Tod gestorben. Er hätte die Schule ab seinem siebenten Lebensjahr bis ein Jahr vor seiner Ausreise besucht. Er hätte keine Berufsausbildung, sei im Dorfbasar als Verkäufer tätig gewesen und später im Distriktszentrumsbasar. Er hätte bis zur Ausreise ca. vier Jahre lang gearbeitet. Er hätte SIM-Karten selbständig verkauft. Im Herkunftsstaat würden noch seine Geschwister und die Mutter, ein Onkel mütterlicherseits leben. Mit den Verwandten väterlicherseits hätte er keinen Kontakt. Er hätte mit seinen Eltern und Geschwistern zusammengewohnt.

Im Heimatdorf seien nunmehr die Taliban an der Macht. Unter der ersten Amtszeit von Karzai sei die Regierung an der Macht gewesen.

Seine Familie hätte Grundstücke besessen und sie hätten auch mit der Ernte gehandelt. Er hätte sein Geld selbst verdient in seinem Geschäft und hätte für die Ausreise sich auch Geld von seinem Onkel ausgeborgt. Er sei bereits öfters in Kabul gewesen. Mit seinem Vater hätten sie manchmal den Onkel mütterlicherseits besucht, der dort gelebt hätte. Sie seien immer zwei bis drei Tage dort gewesen. Außerdem hätten sie die Verwandten väterlicherseits in Kabul. Nach dem Tod des Vaters sei es zum Streit gekommen und dann sei der Kontakt abgebrochen worden - wegen Grundstücksstreitigkeiten.

Nach dem Tod seines Vaters hätten die Taliban verlangt, dass er mit ihnen zusammenarbeite. Er hätte dies nicht gewollt und die Taliban hätten ihn bedroht. Wenn die Taliban jemanden bedrohen würden, werde man getötet. Er hätte aber ein normales Leben führen wollen. Deshalb hätte er sich entschieden, das Land zu verlassen.

Befragt, warum sein Vater von den Taliban bedroht worden sei, antwortete er, dass diese gewollt hätten, dass dieser sich ihnen anschließe. Er sei sechs Monate lang bedroht worden und dann gestorben. Er sei krank gewesen. Dann hätten die Taliban von ihm verlangt, dass er sich ihnen anschließe.

Befragt, wie er bedroht worden sei, antwortete er, dass die Taliban mehrmals zu ihm nach Hause gekommen seien und gesagt hätten, dass er sich ihnen anschließen solle. Er hätte auch Drohbriefe erhalten. Einen Drohbrief hätte er eines Abends persönlich von den Taliban erhalten, die mit dem Motorrad gekommen seien. Die anderen Drohbriefe seien an der Haustür angebracht worden. Insgesamt hätte er mehr als acht oder neun Drohbriefe bekommen. Vier davon hätte er gelesen, den Rest aber nicht, weil der Inhalt der Drohbriefe immer derselbe sei. Man fordere den Anschluss, sonst werde er getötet. Er wisse nicht, wo die Drohbriefe nun seien. Er hätte sie nicht behalten.

Die Frage, ob er damit meine, dass er die Drohbriefe weggeworfen hätte, bejahte er. Auf den Vorhalt, dass er zuvor gesagt hätte, dass er nicht wisse, wo die Drohbriefe sind und er nunmehr sage, dass er sie weggeworfen hätte und dies widersprüchlich sei, gab er an, dass er zuvor gesagt hätte, dass er vier Drohbriefe weggeworfen hätte. Er wisse nicht, wo der Rest der Drohbriefe sei. Auf den Vorhalt, dass er dies zuvor nicht so gesagt hätte, schwieg der Beschwerdeführer.

Befragt, welche Arbeiten er für die Taliban verrichten hätte sollen, antwortete er, dass man mit Waffen herumgehen müsse. Dies sei alles.

Konkret nach der ersten und letzten Bedrohung befragt und nach dem Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftsstaates, antwortete er, dass die erste Bedrohung ca. drei Monate nach dem Tod des Vaters gewesen sei und die letzte Bedrohung ca. einen Monat vor seiner Ausreise stattgefunden hätte. Viermal hätte er die Taliban selbst persönlich gesehen, die anderen Male sei er nicht zu Hause gewesen.

Er könne nicht sagen, ob immer dieselben Taliban zu ihm gekommen seien, da diese maskiert gewesen seien. Er wisse, dass sie Taliban seien, dass sie eine weiße Flagge mit der Aufschrift "Kalima" mit sich geführt hätten.

Befragt, warum die Taliban gerade auf ihn zugekommen seien, antwortete er, dass auch die anderen (ein paar Freunde) betroffen gewesen seien. Diejenigen, die sich nicht angeschlossen hätten, seien getötet worden. Befragt, ob seine Brüder, Mutter und Onkel keine Probleme mit den Taliban hätten, antwortete er, dass die Brüder jung seien, sein Onkel ein Mullah und Lehrer sei und Frauen keine Probleme mit den Taliban hätten. Er wisse nicht, ob der Onkel bedroht worden sei. Wenn jemand Probleme hätte, würden die Taliban keinen Ersatz für diesen Menschen suchen.

Darauf hingewiesen, dass aber auch er der Ersatz für den Vater sei, antwortete er, dass der Onkel anderswo lebe und kein direktes Familienmitglied sei. Ob die Brüder jetzt mit den Taliban Probleme hätten, wisse er nicht. Seine Brüder seien noch jung, seine Mutter erzähle nichts. Befragt, warum er nicht mit den Taliban mitgegangen sei, antwortete er, dass er ein ruhiges Leben haben hätte wollen. Er wisse nicht, was er bekommen hätte, wenn er mit den Taliban mitgegangen sei. Er wisse nur, dass man getötet werde, wenn man kämpfen müsse. Er wisse auch nicht, wo ihn die Taliban hingebracht hätten. Man sei für ein paar Monate fort und besuche dann vielleicht einmal die Familie zu Hause. Ziele seien jedenfalls verschiedene Berge zum Kämpfen.

Im Fall einer Rückkehr hätte er Angst vor den Taliban. Diese würden ihn umbringen.

Befragt, ob er bei der Polizei oder beim Dorfältesten gewesen sei, antwortete er, dass das nicht möglich gewesen sei. In seinem Heimatdorf seien die Taliban an der Macht und wenn man Probleme hätte, wende man sich an die Taliban und nicht an die Regierung. Zum Dorfältesten sei er nicht gegangen, weil dieser für solche Probleme nicht zuständig sei. Wenn man sich an die Regierung wende, bekomme man noch mehr Probleme mit den Taliban. Deshalb sei er nicht zur Regierung gegangen.

Mit Bescheid des BFA vom 22.06.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nicht erteilt. Es wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für eine freiwillige Ausreise von zwei Wochen wurde gewährt.

Begründend wurde nach Wiedergabe der Erstbefragung und der Einvernahme die Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitische Glaubensrichtung festgestellt. Weiters wurde ausgeführt, dass die Identität nicht festgestellt hätte können. Er hätte acht bis neun Jahre die Grundschule besucht und sei ledig, er hätte als Verkäufer und als Landarbeiter in der familieneigenen Landwirtschaft gearbeitet. Die Familie besitze Grundstücke im Ausmaß von 13 Jerib und die Reisekosten hätte er selbst bezahlt. Er sei gesund.

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde festgestellt, dass er keine direkt gegen ihn gerichtete Bedrohungshandlung vorgebracht hätte. Es hätte auch nicht festgestellt werden können, dass eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban stattgefunden hätte. Selbst bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen hätten keine weiteren Ausreisegründe festgestellt werden können.

Zur Situation im Fall der Rückkehr wurde ausgeführt, dass er über Angehörige und über ein soziales Netz verfüge. Familienangehörige, sowie auch Freunde, würden nach wie vor in Afghanistan leben, von denen er soziale und finanzielle Unterstützung bekommen könne. Ein Rückkehrhindernis bestehe nicht. Er sei jung, gesund, sportlich und arbeitsfähig.

Im Rahmen der dagegen erhobenen Beschwerde wurden die Länderfeststellungen als mangelhaft kritisiert und es erfolgten Ausführungen zur Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger.

Weiters wurde ausgeführt, dass auch sein Bruder XXXX nunmehr von den Taliban bedroht und verfolgt wäre. Er sei mittlerweile in den Iran geflüchtet. Der Beschwerdeführer ist mit westlicher Orientierung, sowie als junger wehrfähiger Mann als potentielles Opfer einer Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte als Flüchtling im Sinne der GFK anzusehen.

Im Rahmen der am 08.01.2018 durchgeführten mündlichen öffentlichen Beschwerdeverhandlung wiederholte der Beschwerdeführer Afghane, Paschtune und muslimischer Sunnite zu sein. Er stamme aus der Provinz Nangarhar, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , habe acht Jahre die Schule besucht, sonst keine Berufsausbildung. Er habe selbst ein kleines Geschäft für Lebensmittel und sonstige Waren betrieben.

Die weitere Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

"VR: Schildern Sie mir den Grund für Ihre Auseise.

BF: Mein Vater wurde bedroht, aufgrund der Bedrohungen wurde er krank und ist verstorben. Danach haben die Taliban von mir verlangt, dass ich mich ihnen anschließen muss. Ich wollte aber nicht, ich war dagegen. Einige Zeit wurde ich bedroht, mehrmals. Da mein Leben dort in Gefahr war, habe ich entschieden, das Land zu verlassen.

VR: Wer hat Ihren Vater bedroht?

BF: Die Taliban.

VR: Was wollten sie von Ihrem Vater?

BF: Sie verlangten von ihm, dass er sich ihnen anschließen müsse.

VR: Was hätte er machen sollen?

BF: Das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass er für die Taliban hätte arbeiten müssen.

VR: Wie wurde Ihr Vater bedroht?

BF: Mein Vater hat am Anfang nicht klar gesagt, wie er bedroht wurde. Er hat nur zu Hause erwähnt, dass er von den Taliban bedroht wurde. Danach wurde er krank, aber er hat nicht darüber gesprochen, wie er bedroht wurde. Er ist krank geworden und gestorben. Er hatte vorher diese Krankheit nicht gehabt, Herzprobleme, er hat sich unter Druck gefühlt, er bekam Fieber und ist gestorben.

VR: Was war danach?

BF: Inzwischen bin ich 17 geworden und die Taliban haben mich unter Druck gesetzt, dass ich mich ihnen anschließen muss.

VR: Wer, was, wie, wo, wann?

BF: Ich habe viermal Drohbriefe bekommen. Ich habe die Taliban ca. viermal persönlich getroffen.

VR: Schildern Sie mir jetzt die persönlichen Bedrohungen.

BF: An die genaue Zeit erinnere ich mich nicht mehr, es war am späten Nachmittag. Es waren vier Personen auf zwei Motorrädern. Dreimal haben wir uns auf den Feldern getroffen. Einmal war es vor unserem Haus. Jedes Mal haben sie zu mir gesagt, dass ich mich den Taliban anschließen muss. Was ich genau hätte machen sollen, weiß ich nicht. Ich hatte keine Möglichkeit, ich hätte mich den Taliban anschließen müssen, oder sie hätten mich umgebracht. Ich hatte keine andere Wahl.

VR: Schildern Sie mir konkret eines dieser Treffen.

BF: Es war am späten Nachmittag, ich war auf den Feldern. Sie sind nicht jeden Tag zu mir gekommen, einmal an einem Monat, einmal nach einer Woche, sie sind zu einem unterschiedlichen Zeitraum zu mir gekommen.

VR: Was haben sie gesagt?

BF: Wie gesagt, es war am späten Nachmittag.

VR: Was haben sie zu Ihnen gesagt?

BF: Wir haben uns ca. gegen 15 Uhr getroffen und sie haben gesagt, dass mein Vater abgelehnt hat, sich ihnen anzuschließen. Ich sei jetzt groß geworden und es sei meine Pflicht, mich ihnen anzuschließen und jede Familie sei verpflichtet eine Person zu schicken und das Land gegen die Amerikaner zu schützen. Ich wollte das nicht, ich wollte nicht das Land vernichten.

VR: Was Sie mir jetzt schildern, ist ein ganz normales, höfliches Gespräch.

BF: Wenn man eine Zusammenarbeit mit den Taliban ablehnt, wird man getötet. Wenn man sich den Taliban anschließt, wird man auch getötet.

VR: Wer hätte Sie getötet, wenn Sie sich nicht angeschlossen hätten?

BF: Man wird von den Taliban getötet und - wenn man sich ihnen anschließt - wird man von der Regierung getötet.

VR: Warum wird man von den Taliban getötet, wenn man sich ihnen nicht anschließt?

BF: So sind die Regeln der Taliban, sie haben gesagt, dass unser Land von Ungläubigen, von Amerikanern angegriffen wurde und es sei unsere Pflicht, dagegen zu kämpfen.

VR: Hat man Ihnen angedroht, Sie umzubringen?

BF: Ich wurde beim letzten Mal bedroht und bekam Bedenkzeit, hätte ich es abgelehnt, hätten sie mich umgebracht.

VR: Wann ist Ihr Vater gestorben und wann waren die ersten Drohungen?

BF: Mein Vater ist ca. ein Jahr vor der Ausreise gestorben, ich war damals ca. 16 Jahre alt.

VR: Wie lange hat es gedauert, bis die Taliban Sie bedrohten?

BF: Mein Vater ist verstorben und als ich 17 wurde, hat es angefangen.

VR: Liegt es am Alter oder ist es Zufall?

BF: Wenn man groß wird, dann beginnen sie.

VR: Warum haben die Taliban Ihren Vater nicht umgebracht, sondern haben ihm solange Zeit gelassen?

BF: Bevor er von den Taliban getötet wurde, wurde er krank und ist verstorben.

VR: Trotzdem haben Sie ihm einige Zeit gelassen.

BF: Er wurde ein paar Monate, bevor er krank wurde, von den Taliban bedroht.

VR: Wie lange wurden Sie bedroht, wie lange hat das gedauert?

BF: Ca. fünf Monate hat das gedauert, die letzte Bedrohung war ca. ein Monat vor meiner Ausreise.

VR: Wo sind die ganzen Drohbriefe?

BF: Ich habe sie zerrissen und weggeschmissen.

VR: Alle?

BF: Ja.

VR: Wie kamen die Drohbriefe zu Ihnen? Wie sind sie bei Ihnen zu Hause eingelangt?

BF: Zwei habe ich in der Moschee bekommen, als ich beten ging.

VR: Hat Ihnen diese jemand persönlich in die Hand gegeben?

BF: Die waren vermummt, sie kamen zum Beten, die Briefe wurden mir gegeben.

VR: Wieso haben Sie das bis jetzt nicht gesagt?

BF: Ich wurde nicht so detailliert gefragt, wo ich die Drohbriefe bekommen habe.

VR: Sie haben am 15.05.2017 auf die Frage " Wie wurden Sie bedroht" gesagt:

VR verliest Absatz 7, AS 73.

BF schweigt.

VR: Wie viele Drohbriefe haben Sie bekommen?

BF: Vier.

VR: Zwei in der Moschee und zwei an der Haustür?

BF: Ja, zwei bei mir zu Hause und zwei in der Moschee.

VR: Wo waren die bei Ihnen zu Hause?

BF: Bei der Eingangstür.

VR: Sie haben auf dieselbe Frage, "Wie wurden Sie bedroht" gesagt, dass Sie insgesamt mehr als acht oder neun Drohbriefe erhalten haben, heute sagen Sie, es waren vier.

BF: Insgesamt waren die Bedrohungen acht- oder neunmal, das habe ich gesagt.

VR: Im Protokoll ist vermerkt: "Insgesamt erhielt ich acht oder neun Drohbriefe. Vier davon las ich, den Rest aber nicht, weil der Inhalt der Drohbriefe immer derselbe war." Also waren es doch acht oder neun Drohbriefe?

BF: Generell wurde gefragt, wie oft waren insgesamt die Bedrohungen und nicht die Briefe, es waren insgesamt zwischen acht und neun Bedrohungen.

VR: Wo sind die Drohbriefe jetzt?

BF: Ich habe sie zerrissen und vernichtet.

VR: Haben Sie alle Drohbriefe gelesen?

BF: Ich habe vier gelesen, zwei habe ich nach Hause bekommen, zwei in der Moschee.

VR: Sie haben alle Ihre Drohbriefe gelesen?

BF: Ja.

VR: Wann haben Sie entschieden, dass Sie ausreisen?

BF: Einen Monat vor der Ausreise habe ich mich entschieden, das Land zu verlassen. Das war meine letzte Chance, hätte ich das nicht getan, sie würden mich umbringen.

VR: Was war jetzt der Auslöser für die Ausreise, ein Brief oder ein persönliches Aufeinandertreffen?

BF: Letztes Mal habe ich sie getroffen und mir wurde gesagt, das wäre meine letzte Chance und ich soll freiwillig zu ihnen kommen.

VR: Also das persönliche Gespräch war der Auslöser?

BF: Ja.

RV hat keine weiteren Fragen.

VR: Mir ist es unverständlich, warum Sie keinen der Drohbriefe aufgehoben und mitgenommen haben?

BF: Die Drohbriefe waren gefährlich. Ich habe das nicht so ernst genommen, dass ich es brauchen kann.

VR: Sie glauben, dass man Ihnen das einfach so glaubt?

BF: Ich sage die Wahrheit. Was ich erlebt habe, habe ich Ihnen gesagt. Ich habe immer die Wahrheit gesagt.

VR: Was würde Ihnen im Fall einer Rückkehr passieren?

BF: Sie werden mich töten, weil ich es nicht akzeptiert habe und geflüchtet bin. Sie werden mich beschuldigen mit Ungläubigen in Europa gelebt und gegessen habe und beschuldigen, dass ich kein Moslem mehr bin.

VR: Sind Sie gesund?

BF: Ja.

VR: Haben Sie noch Verwandte in Afghanistan? Wenn ja, wo leben die Verwandten?

BF: Seit fünf Monaten bin ich nicht mehr in Kontakt mit meiner Familie.

VR: Wo hat die Familie vorher gelebt?

BF: Zwei Brüder und meine Mutter haben noch im Heimatdorf gelebt, als ich das Land verlassen habe.

VR: Was ist Ihre letzte Information, seitdem Sie das Land verlassen haben?

BF: Ich weiß jetzt auch, dass mein Bruder das Land verlassen hat und er ist in den Iran gegangen.

VR: Woher wissen Sie das?

BF: Ich war schon in Österreich und meine Mutter hat es mir telefonisch mitgeteilt.

VR: Haben Sie Verwandte in Österreich?

BF: Nein.

VR: Was machen Sie hier in Österreich?

BF: Ich war ca. 10 Monate in einer Einrichtung, in einem Wald, wir hatten keine Möglichkeit, einen Deutschkurs zu besuchen. Jetzt bin ich in der Nähe von Salzburg und besuche zweimal pro Woche einen Deutschkurs. Ich habe ehrenamtlich für das Magistrat gearbeitet, darüber habe ich auch ein Zeugnis und werde es Ihnen nachreichen.

Ehrenamtlich arbeite ich auch in dieser Einrichtung, wo ich lebe:

ich putze.

VR: Sprechen Sie schon Deutsch?

BF auf Deutsch: Ja, ein bisschen.

VR: Schildern Sie mir einen ganz normalen Tag in Österreich von Ihnen?

BF schweigt.

VR ersucht D zu übersetzen.

BF auf Deutsch: ... Donnerstag acht Uhr Deutschkurs, am Freitag vier

Uhr Deutschkurs,

VR: Montag?

BF: Montag kein Deutschkurs.

VR: BF spricht kaum Deutsch und versteht kaum Deutsch.

VR an RV: Haben Sie noch Fragen?

RV: Nein.

VR: Möchten Sie noch etwas vorbringen, was Ihnen für Ihren Asylantrag wichtig erscheint und Sie noch nicht vorgebracht haben?

RV: Der BF als Staatsangehöriger Afghanistan hat im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan berechtigte Angst um sein Leben. Es darf auf einige der zahlreichen Berichte verwiesen werden, die belegen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan im Vergleich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung und Beschwerde im Sinne einer Verschlechterung verändert hat. Es ist notorisch, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schnell ändert. Besonders betont soll ein Bericht der Sbg Nachrichten werden, wo festgehalten wird, dass die UNO in einem Bericht an den Sicherheitsrat kürzlich eine Einstufung Afghanistans von "Postkonfliktland" zu "Land im Krieg" geändert hat. Des Weiteren soll auf vier Kommentare zum Gutachten von Mag. Mahringer, ergänzende Länderberichte hingewiesen werden und auf das BVwG Erkenntnis von Fr. Mag. XXXX von 29.12.2017 verwiesen werden."

Am 11.02.2018 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung des Magistrat Salzburg über die Teilnahme am sozialen Projekt "Gemeinnützige Beschäftigung für Asylwerbende" vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, Paschtune, Sunnit, aus Nangarhar stammend, stellte am 06.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er hat keine gesundheitlichen Einschränkungen und acht Jahre Schulbildung. Seine Familie besitzt ein Haus und Grundstücke im Ausmaß von 13 Jerib. Seine Mutter und zumindest sein jüngster Bruder leben noch im Heimatdorf. Der Beschwerdeführer hat ein eigenes kleines Geschäft für Lebensmittel und sonstige Waren betrieben. Sein Onkel mütterlicherseits lebt in Kabul.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm asylrelevante Gründe für das Verlassen seines Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan. Es ist nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung droht.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Dem Beschwerdeführer steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Kabul zur Verfügung. Er ist jung, gesund, arbeitsfähig und hat Berufserfahrung durch das Führen eines eigenen Geschäftes. Sein Onkel wohnt in Kabul. Überdies ist davon auszugehen, dass die Angehörigen des Beschwerdeführers ihn im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützen.

Der Beschwerdeführer hält sich nachweislich seit November 2015 in Österreich auf. Im Bundesgebiet verfügt er über keinerlei Familienangehörige und hat keine sonstigen intensiven sozialen Kontakte. Der Beschwerdeführer besuchte einen Deutschkurs. Er spricht schlecht Deutsch. Er lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Zu Afghanistan:

Neuste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 2 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (The Guardian; vgl. BBC 29.1.2018). Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (Asia Pacific 30.1.2018).

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert (Asia Pacific 30.1.2018).

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar (The Guardian 29.1.2018); die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind (BBC 24.1.2018). Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban) (NYT 28.1.2018).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 28.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (The Guardian 27.1.2018; vgl. The Guardian 28.1.2018). Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte (Reuters 28.1.2018).

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte (Reuters 28.1.2018).

Angriff auf die NGO Save the Children am 24.1.2018

Am Morgen des 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden dabei getötet und zwölf weitere verletzt. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich 50 Mitarbeiter/innen im Gebäude. Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018).

Der jüngste Angriff auf eine ausländische Hilfseinrichtung in Afghanistan unterstreicht die wachsende Gefahr, denen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in Afghanistan ausgesetzt sind (The Guardian 24.1.2018).

Das Gelände der NGO Save the Children befindet sich in jener Gegend von Jalalabad, in der sich auch andere Hilfsorganisationen sowie Regierungsgebäude befinden (BBC 24.1.2018). In einer Aussendung des IS werden die Autobombe und drei weitere Angriffe auf Institutionen der britischen, schwedischen und afghanischen Regierungen (Reuters 24.1.2018).

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018).Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft (DW 21.1.2018). Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden(BBC 21.1.2018). Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

Wie die Angreifer die Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen konnten, ist Teil von Untersuchungen. Erst seit zwei Wochen ist eine private Firma für die Sicherheit des Hotels verantwortlich. Das Intercontinental in Kabul ist trotz des Namens nicht Teil der weltweiten Hotelkette, sondern im Besitz der afghanischen Regierung. In diesem Hotel werden oftmals Hochzeiten, Konferenzen und politische Zusammentreffen abgehalten (BBC 21.1.2018).

Zum Zeitpunkt des Angriffes war eine IT-Konferenz im Gange, an der mehr als 100 IT-Manager und Ingenieure teilgenommen hatten (Reuters 20.1.2018; vgl. NYT 21.1.2018).

Insgesamt handelte es sich um den zweiten Angriff auf das Hotel in den letzten acht Jahren (NYT 21.1.2018). Zu dem Angriff im Jahr 2011 hatten sich ebenso die Taliban bekannt (Reuters 20.1.2018).

Unter den Opfern waren ausländische Mitarbeiter/innen der afghanischen Fluggesellschaft Kam Air, u.a. aus Kirgisistan, Griechenland (DW 21.1.2018), der Ukraine und Venezuela. Die Fluglinie verbindet jene Gegenden Afghanistans, die auf dem Straßenweg schwer erreichbar sind (NYT 29.1.2018).

Quellen:

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Asia Pacific (30.1.2018): Taliban and IS create perfect storm of bloodshed in Kabul,

https://www.channelnewsasia.com/news/asiapacific/taliban-and-is-create-perfect-storm-of-bloodshed-in-kabul-9909494, Zugriff 30.1.2018

-

BBC (29.1.2018): Kabul military base hit by explosions and gunfire, http://www.bbc.com/news/world-asia-42855374, Zugriff 29.1.2018

-

-BBC (24.1.2018): Save the Children offices attacked in Jalalabad, Afghanistan, http://www.bbc.com/news/world-asia-42800271, Zugriff 29.1.2018

-

BBC (21.1.2018): Kabul: Afghan forces end Intercontinental Hotel siege, http://www.bbc.com/news/world-asia-42763517, Zugriff 29.1.2018

-

DW - Deutsche Welle (21.1.2018): Taliban militants claim responsibility for attack on Kabul hotel, http://www.dw.com/en/taliban-militants-claim-responsibility-for-attack-on-kabul-hotel/a-42238097, Zugriff 29.1.2018

-

NYT - The New York Times (28.1.2018): Attack Near Kabul Military Academy Kills 11 Afghan Soldiers, https://www.nytimes.com/2018/01/28/world/asia/kabul-attack-afghanistan.html, Zugriff 29.1.2018

-

NYT - The New York Times (21.1.2018): Siege at Kabul Hotel Caps a Violent 24 Hours in Afghanistan,

-

Reuters (28.1.2018): Shock gives way to despair in Kabul after ambulance bomb,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-blast/shock-gives-way-to-despair-in-kabul-after-ambulance-bomb-idUSKBN1FG086, Zugriff 29.1.2018

-

Reuters (24.1.2018): Islamic State claims attack on Jalalabad in Afghanistan,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-blast-claim/islamic-state-claims-attack-on-jalalabad-in-afghanistan-idUSKBN1FD1HC, Zugriff 29.1.2018

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Reuters (20.1.2018): Heavy casualties after overnight battle at Kabul hotel,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attacks/heavy-casualties-after-overnight-battle-at-kabul-hotel-idUSKBN1F90W9, Zugriff 29.1.2018

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The Guardian (29.1.2018): Afghanistan: gunmen attack army post at Kabul military academy,

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/29/explosions-kabul-military-academy-afghanistan, Zugriff 29.1.2018

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The Guardian (28.1.2018): 'We have no security': Kabul reels from deadly ambulance bombing,

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/28/afghanistan-kabul-reels-bomb-attack-ambulance, Zugriff 29.1.2018

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The Guardian (27.1.2018): Kabul: bomb hidden in ambulance kills dozens,

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/27/scores-of-people-wounded-and-several-killed-in-kabul-blast, Zugriff 29.1.2018

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The Guardian (24.1.2018): Isis claims attack on Save the Children office in Afghanistan,

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/24/explosion-attack-save-the-children-office-jalalabad-afghanistan, Zugriff 29.1.2018

KI vom 21.12.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017).

Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT 11.12.2017).

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sich von einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindlichen Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahr eine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.9. - 15.11.2017) 3.995 sicherheitsrelevante Vorfälle; ein Rückgang von 4% gegenüber dem Vorjahreswert. Insgesamt wurden von 1.1.-15.11.2017 mehr als 21.105 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, was eine Erhöhung von 1% gegenüber dem Vorjahreswert andeutet. Laut UN sind mit 62% bewaffnete Zusammenstöße die Hauptursache aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs [Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen], die in 17% der sicherheitsrelevanten Vorfälle Ursache waren. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von den südlichen Regionen - zusammen wurde in diesen beiden Regionen 56% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Gezielte Tötungen und Entführungen haben sich im Vergleich zum Vorjahreswert um 16% erhöht (UN GASC 20.12.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden vom 1.1.-30.11.2017 24.917 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan registriert (Stand: Dezember 2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017).Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe:

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahr schwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017).

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der IS zu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe

Serienartige gewalttätige Angriffe gegen religiöse Ziele, veranlassten die afghanische Regierung neue Maßnahmen zu ergreifen, um Anbetungsorte zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempeln vor Angriffen zu schützen (UN GASC 20.12.2017).

Seit 1.1.2016 wurden im Rahmen von Angriffen gegen Moscheen, Tempel und andere Anbetungsorte 737 zivile Opfer verzeichnet (242 Tote und 495 Verletzte); der Großteil von ihnen waren schiitische Muslime, die im Rahmen von Selbstmordattentaten getötet oder verletzt wurden. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017).

Im Jahr 2016 und 2017 registrierte die UN Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Seit 1.1.2016 wurden 27 gezielte Tötungen religiöser Personen registriert, wodurch 51 zivile Opfer zu beklagen waren (28 Tote und 23 Verletzte); der Großteil dieser Vorfälle wurde im Jahr 2017 verzeichnet und konnten großteils den Taliban zugeschrieben werden. Religiösen Führern ist es möglich, öffentliche Standpunkte durch ihre Predigten zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US-amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017).

Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Der UN zufolge versuchten die Taliban weiterhin von ihnen kontrolliertes Gebiet zu halten bzw. neue Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen - was zu einem massiven Ressourcenverbrauch der afghanischen Regierung führte, um den Status-Quo zu halten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive unternahmen die Taliban keine größeren Versuche, um eine der Provinzhauptstädte einzunehmen. Dennoch war es ihnen möglich kurzzeitig mehrere Distriktzentren einzunehmen (SIGAR 30.10.2017):

Die Taliban haben mehrere groß angelegte Operationen durchgeführt, um administrative Zentren einzunehmen und konnten dabei kurzzeitig den Distrikt Maruf in der Provinz Kandahar, den Distrikt Andar in Ghazni, den Distrikt Shib Koh in der Farah und den Distrikt Shahid-i Hasas in der Provinz Uruzgan überrennen. In allen Fällen gelang es den afghanischen Sicherheitskräften die Taliban zurück zu drängen - in manchen Fällen mit Hilfe von internationalen Luftangriffen. Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es, das Distriktzentrum von Ghorak in Kandahar unter ihre Kontrolle zu bringen - dieses war seit November 2016 unter Talibankontrolle (UN GASC 20.12.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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