TE Bvwg Beschluss 2018/3/23 W165 2137210-2

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Veröffentlicht am 23.03.2018
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Entscheidungsdatum

23.03.2018

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W165 2137209-2/6E

W165 2137210-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2017, Zlen. 1.) 1104709409/160193399 und 2.) 1104706004/160193402, beschlossen:

A)

Den Beschwerden wird gem. § 28 Abs. 3 VwGVG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), Staatsangehörige Afghanistans, gelangten aus ihrem Aufenthaltsstaat Iran über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Kroatien und Slowenien illegal in das österreichische Bundesgebiet und brachten am 08.02.2016 Anträge auf internationalen Schutz ein. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: 1. BF) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: 2.BF) sind ein Ehepaar.

Zu den BF liegen EURODAC-Treffer der Kategorie "2" zu Griechenland vom 28.01.2016 vor.

Im Verlauf ihrer polizeilichen Erstbefragung am 08.02.2016 brachten die BF vor, dass sie schlepperunterstützt über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien Serbien und Kroatien und Slowenien nach Österreich gelangt seien. Sie hätten Österreich erreichen wollen, da die Lage besser sei als in anderen Ländern. Zu den Ländern der Durchreise befragt, gaben die BF an, dass sie in allen Ländern gut behandelt worden und immer mit Bussen weitergereist seien. Sie hätten in keinem der Länder um Asyl angesucht und in keinem Staat ein Visum erhalten. Sie hätten keine Familienangehörigen oder sonstige Verwandten in Österreich.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) richtete am 31.03.2016 auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Dublin III-VO) gerichtete Aufnahmegesuche an Kroatien.

Mit Schreiben vom 08.06.2016 teilte das BFA der kroatischen Dublin-Behörde mit, dass auf Grund nicht fristgerecht erfolgter Antwort gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Verfristung eingetreten und Kroatien nunmehr zuständig für die Durchführung der gegenständlichen Asylverfahren sei.

In seiner Einvernahme vor dem BFA am 23.09.2016 gab der 1. BF nach durchgeführter Rechtsberatung an, dass er sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die Einvernahme zu absolvieren und gesund sei. Er habe im bisherigen Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und könne keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen. Er habe bis auf seine Ehefrau keine Familienangehörigen in Österreich und bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis zu einer im Bundesgebiet lebenden Person. Auf Hinweis, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag zurückzuweisen, da Kroatien seine Zustimmung durch Zeitablauf anerkannt habe, erklärte der 1. BF, dass ihm zwar in Kroatien nichts Gewaltsames widerfahren sei, ihm jedoch das aggressive und gewaltsame Verhalten der Polizei aufgefallen sei. Zur Frage, inwieweit sein Familien- und Privatleben betroffen wäre, wenn er Österreich verlassen müsste, erklärte der

1. BF, dass er einen Deutschkurs besuche und Fußball spiele. Zudem bringe er anderen Flüchtlingen in seiner Unterkunft das Zeichnen bei.

Die 2.BF brachte in der am selben Tag durchgeführten Einvernahme vor, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die Einvernahme zu absolvieren und gesund sei. Sie habe in der Einvernahme bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und könne keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen. Neben ihrem Ehegatten habe sie in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstige Verwandten. Das Länderinformationsblatt zu Kroatien habe sie nicht gelesen. Zur Lage in Kroatien befragt, gab die 2. BF an, dass sie bei ihrer Einreise nicht gewusst habe, dass es sich um Kroatien handle. Auf ihre Person bezogen habe es in Kroatien zwar keine besonderen Vorkommnisse gegeben, sie habe jedoch gesehen, wie kroatische Polizisten einen jungen Mann zusammengeschlagen hätten. Das Verhalten der Polizisten sei insgesamt sehr aggressiv gewesen. Zur Frage, inwieweit ihr Familien- und Privatleben betroffen sein könnte, sollte sie Österreich verlassen müssen, gab die 2. BF an, das sie Kroatien nicht kenne und daher auch nicht beurteilen könne, wie sie bei einer eventuellen Rückkehr behandelt würde. In Österreich gefalle es ihr jedenfalls, ihr Mann spiele in einer Fußballmannschaft. Sie sei mit ihrer Situation in Österreich zufrieden und würde auch weiterhin bleiben wollen.

Mit Bescheiden vom 27.09.2016 wurden die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Kroatien gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Prüfung der Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gem. § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Kroatien gem. § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

In den Bescheiden wird bezüglich des Gesundheitszustandes der BF festgehalten, dass sich aus deren eigenen Angaben weder eine schwere körperliche Krankheit noch eine krankheitswertige psychische Störung ergeben würden. Es bestünde die Zuständigkeit des Mitgliedstaates Kroatiens gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO. Hinweise darauf, dass die BF seit ihrer illegalen Reise nach Kroatien das Gebiet der Mitgliedstaaten wieder verlassen hätten, würden nicht vorliegen, weshalb ein Erlöschen der Zuständigkeit des Dublin-Staates Kroatien für die Asylverfahren nicht eingetreten sei.

Gegen die Bescheide vom 29.09.2016 wurden fristgerecht gleichlautende Beschwerden eingebracht.

Im Wesentlichen wird darin vorgebracht, dass kein illegaler Grenzübertritt in das Schengengebiet vorliegen würde. Die BF hätten Österreich im Flüchtlingsstrom auf Einladung der deutschen Bundeskanzlerin erreicht, in Mitwissen und Wohlwollen der diversen beteiligten europäischen Länder. Die kroatischen Behörden seien zu keinem Zeitpunkt außer Stande gewesen, ihre Grenzen zu sichern, sondern sei den Flüchtlingen auf diesem Weg gestattet worden, in das Schengengebiet einzureisen. Die vorgehaltenen Länderfeststellungen würden sich in allgemeinen Ausführungen erschöpfen. Zum konkreten Vorbringen und den höchstpersönlichen Befürchtungen der BF bestehe kein Zusammenhang, ein solcher werde seitens des BFA nicht einmal behauptet. Danach hätte eine persönliche Prognose getroffen werden müssen, ob im Hinblick auf die EMRK die Abschiebung nach Kroatien zulässig sei. Auch mit dem Privat- und Familienleben der BF sei nur eine unzureichende Auseinandersetzung erfolgt. Es stelle eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens dar, dass die Behörde es verabsäumt habe, sich mit der konkreten Situation der BF auseinanderzusetzen.

Mit E-Mail vom 29.11.2016 setzte das BFA die kroatische Dublin-Behörde von der Flüchtigkeit der BF und dem Erfordernis der Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate in Kenntnis (Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO).

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.03.2017, W165 2137209-1/15E bzw. W165 2137210-1/13E, wurden die Bescheide gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG im Hinblick auf zwischenzeitig beim EuGH zu Fragen der Auslegung des Tatbestandes der "illegalen Einreise" nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO anhängig gemachte Vorabentscheidungsverfahren Sloweniens und Österreichs behoben. Den angefochtenen Bescheiden würden Feststellungsmängel anhaften, wie sich die Ein- bzw. Durchreise der BF in das Gebiet der Mitgliedstaaten, insbesondere nach und durch Kroatien, gestaltet habe und ob es sich dabei um staatlich organisierte Maßnahmen gehandelt habe, die dem den Vorabentscheidungsverfahren zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar wären. Zur Aussetzung des Verfahrens aufgrund unbekannten Aufenthaltes der BF wurde ausgeführt, dass die Aussetzung durch das BFA aufgrund der Erfüllung des Tatbestandes des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zu Recht erfolgt sei. Der Beschluss des BVwG vom 06.03.2017 ist in Rechtskraft erwachsen.

In einer ergänzenden Einvernahme vor dem BFA am 29.03.2017 führte der 1. BF aus, dass es ihm gut gehe und er nicht in medizinischer Behandlung stehe. Zum Reiseweg befragt, gab dieser zu Protokoll, dass sie von Griechenland aus mit einem Bus nach Mazedonien gefahren seien und von Mazedonien aus nach Serbien. In weiterer Folge seien sie mit dem Zug nach Slowenien oder Kroatien und dann mit dem Bus weiter nach Österreich gefahren. Befragt, ob sie an den Staatsgrenzen kontrolliert worden seien, erklärte der 1. BF, dass sie von der Polizei immer weiter gebracht worden und mit dem Flüchtlingsstrom nach Österreich eingereist seien. Niemand habe sie kontrolliert, in Mazedonien habe man lediglich einen Zettel erhalten, den man beim Passieren der Grenzen vorzeigen hätten müssen. Befragt, was unter "die Polizisten hätten sie immer weiter gebracht" zu verstehen sei, erläuterte der 1. BF, dass ihnen die Polizei den Weg gezeigt und ihnen die entsprechenden Busse bzw. Züge genannt habe. Durch Kroatien seien sie nur durchgefahren und habe er lediglich durch andere Flüchtlinge in Österreich erfahren, dass die Polizei in Kroatien brutal sei und Flüchtlinge schlagen solle. In Kroatien sei es kalt gewesen und sie hätten kein Essen bekommen. Seine Frau sei schwanger gewesen, habe das Kind jedoch verloren, als sie erfahren habe, dass sie möglicherweise nach Kroatien zurückkehren sollten. Seiner Frau gehe es psychisch sehr schlecht. Sie habe einige Male versucht, Selbstmord zu begehen. Er habe dies jedoch verhindert. Er müsse stets auf sie aufpassen.

Die 2. BF gab im Rahmen ihrer Einvernahme am selben Tag zu Protokoll, dass es ihr psychisch sehr schlecht gehe. Als sie erfahren habe, dass sie möglicherweise nach Kroatien abgeschoben werden könnte, sei es ihr sehr schlecht gegangen. Sie sei schwanger gewesen und habe ihr Kind verloren. Seit sieben oder acht Monaten gehe es ihr psychisch schlecht und sie nehme Tabletten für ihr Nervensystem ein. Bezüglich der Fluchtroute und den Reisemodalitäten bestätigte die 2. BF die Angaben ihres Ehegatten.

Die 2. BF betreffend wurden folgende medizinische Unterlagen vorgelegt:

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Bestätigung eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 01.12.2016, wonach diese seit 28.12.2016 wegen Lumbago und Fußschmerzen in Behandlung sei und bis 07.12.2016 in Behandlung verbleibe,

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Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 12.12.2016:

Diagnose: Depression, Psychosomatose, SMG, Cephalea; Zustand ist akut; regelmäßige Kontrolle und Behandlung ist notwendig,

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Aufenthaltsbestätigung eines Landesklinikums vom 30.01.2017 mit der Diagnose "Verhaltene Fehlgeburt".

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Befund eines Forensisch Therapeutischen Zentrums vom 15.03.2017 mit der Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung",

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Befund eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 31.07.2017, wonach die 2. BF seit 12.12.2016 bei diesem in Behandlung stehe,

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Patientenbrief der medizinischen Überwachungsstation eines Krankenhauses über einen stationären Aufenthalt vom 11.08.2016 bis 16.08.2017:

Aufnahmegrund: Die stat. Aufnahme der Pat. erfolgte auf die Überwachungsstation aufgrund von Medikamentenintoxikation mit Alprazolam (ca. 10 mg) und Duloxetin (1,2 g), vermutlich in suizidaler Absicht; Diagnosen bei Entlassung:

Schlaftablettenvergiftung mit Suizidabsicht, akute Belastungsreaktion, posttraumatische Belastungsstörung, St. p. Abort 2016; Durchgeführte Maßnahmen: Laborbefund einschließlich Toxikologie, Harnbefund, C/P-Röntgen, Konsil Psychiatrie; Empfohlene Medikation:... Am 16.08.2016 konnte Frau... in stabilem Allgemeinzustand internistisch entlassen werden und zur weiteren Betreuung an der Psychiatr. Amb. wie vereinbart vorgestellt.

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Patientenbrief einer psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses über einen stationären Aufenthalt vom 16.08.2017 bis 29.08.2017:

Aufnahmegrund: Die Aufnahme erfolgt am 16.08.2017. Die Pat. wird über die Medizinische Abteilung ho. vorstellig. Dort war die Pat. seit 11.08.2017 im Rahmen einer Medikamentenintoxikation in suizidaler Absicht... stationär aufgenommen gewesen. Dort hätte die Pat. versucht, sich durch einen Fenstersprung das Leben zu nehmen... weiterhin keine eindeutige Distanzierung von Suizidideen; Diagnosen bei Entlassung: Posttraumatische Entlassungsstörung, schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome.

Laut einer durch das BFA in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme einer Ärztin für Allgemeinmedizin, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin vom 06.09.2017 sei zum Untersuchungszeitpunkt (05.09.2017) eine mittelgradige Depression ohne psychotische Symptome und ohne akute Suizidalität vorgelegen. Im Falle einer Überstellung sei eine Verschlechterung nicht sicher auszuschließen, eine Affekthandlung scheine nach den vorliegenden Informationen über stattgehabte Suizidversuche möglich.

In einer weiteren Einvernahme vor dem BFA am 08.09.2017 gab der 1. BF zu Protokoll, dass es seiner Ehefrau psychisch nicht gut gehe und diese bereits einen Selbstmordversuch hinter sich habe. Er habe Angst, dass sie sich im Falle einer Abschiebung etwas antue.

Die 2. BF führte im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag aus, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage fühle, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu machen. Sie nehme Medikamente ein, wisse aber nicht, wie diese heißen. Als sie vom Krankenhaus entlassen worden sei, sei ihr mitgeteilt worden, dass sie eine psychologische Behandlung in Anspruch nehmen solle. Sie habe bisher jedoch noch keinen Termin bekommen. Durch die Medikamenteneinnahme habe sich ihr Zustand insgesamt nur ein bisschen verbessert.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 11.09.2017 wurden die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 abermals als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Kroatien gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Prüfung der Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gem. § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Kroatien gem. § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Im die 2. BF betreffenden Bescheid wird bezüglich ihres Gesundheitszustandes festgehalten, dass aus medizinischer Sicht nichts gegen die Rücküberstellung ihrer Person nach Kroatien sprechen würde. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen hätten sich im Verfahren keine Hinweise ergeben, dass die

2. BF an einer schweren körperlichen Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung leiden würde. Die 2. BF habe zwar eine mittelgradige Depression, stehe diesbezüglich jedoch in medikamentöser Behandlung. Auch aus dem Befund eines Krankenhauses vom 29.08.2017 ergebe sich, dass die 2. BF eine Depression gehabt habe, zum damaligen Zeitpunkt noch schweren Grades, sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Der Zustand der 2. BF habe sich jedoch während ihres vergleichsweise kurzen stationären Aufenthalts offenbar stark gebessert, so habe sie am 29.08.2017 zu einem Zeitpunkt entlassen werden können, wo keine Hinweise auf akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorgelegen wären. Unter Berücksichtigung des gesamten vorliegenden Sachverhaltes würden im Fall der 2.BF derzeit keine Hinweise auf eine nicht gegebene Transportfähigkeit bestehen.

Gegen die Bescheide, zugestellt am 14.09.2017, wurden am 27.09.2017 fristgerecht gleichlautende Beschwerden eingebracht. Begründend wurde ausgeführt, dass sich bei der 2. BF deutliche Symptome einer Depression, vermutlich nach Abortus und drohender Überstellung, zeigen würden. Zum Zeitpunkt der Befundaufnahme durch eine Ärztin sei eine mittelgradige Episode vorgelegen, dem Gutachten sei jedoch zu entnehmen, dass im Falle einer Überstellung der 2. BF nach Kroatien eine Verschlechterung nicht ausgeschlossen werden könne. Eine Affekthandlung scheine nach den vorliegenden Informationen über stattgehabte Suizidversuche möglich. Auch wenn in Kroatien gesundheitliche Beschwerden grundsätzlich behandelbar seien und die Versorgung für Asylwerber in Kroatien gewährleistet sei, würden die vorgelegten ärztlichen Bestätigungen sowie auch das von der Behörde eingeholte Gutachten auf eine Selbstgefährdung der 2. BF schließen lassen, was von der Behörde gänzlich ignoriert worden sei. Am 24.09.2017 habe die 2. BF erneut versucht, sich das Leben zu nehmen und befinde sich bis auf weiteres in stationärer Behandlung. Von einer Überstellungsfähigkeit der 2. BF könne daher keine Rede sein. Vielmehr sei davon auszugehen, dass bei der 2. BF außergewöhnliche Umstände vorliegen würden, die bei einer Überstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung gemäß Art. 3 EMRK führen würden. Aufgrund des Krankheitbildes und der drohenden Selbstgefährdung sei ein fachärztliches Gutachten zum psychischen Gesundheitszustand und zur Überstellungsfähigkeit der 2. BF angezeigt und werde ein diesbezüglicher Antrag gestellt.

Mit der Beschwerde wurden folgende medizinische Unterlagen die 2. BF betreffend zur Vorlage gebracht:

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Bestätigung eines Betreuungszentrums für Folter und Kriegsüberlebende vom 21.09.2017, wonach die 2. BF ein Abklärungsgespräch wahrgenommen habe,

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Aufenthaltsbestätigung eines Krankenhauses vom 25.09.2017, dass sich die 2. BF seit 24.09.2017 bis auf weiteres in dortiger Pflege befinde.

Mit Schreiben des BVwG an die Rechtsvertreterin der BF vom 09.10.2017 erging die Aufforderung, einen allenfalls bereits vorhandenen Entlassungsbefund zum stationären Krankenhausaufenthalt der 2. BF (Aufnahme seit 24.09.2017) vorzulegen.

Mit Schriftsatz der Rechtsvertreterin der BF vom 11.10.2017 wurde ein Patientenbrief einer psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses über einen stationären Aufenthalt der 2. BF vom 24.09.2017 bis 06.10.2017 vorgelegt:

Aufnahmegrund: Frau... kommt mit der Rettung in Begleitung ihres Ehemannes auf die Station. Sie wollte sich in suizidaler Absicht aus dem Fenster stürzen, der Ehemann konnte sie davon abhalten. Die Pat. erscheint in einem schwer depressiven Zustandsbild, weinerlich, in sich gekehrt, affektiv nicht erreichbar, zurückgezogen und wird zum Selbstschutz stationär aufgenommen... Selbstgefährdung gegeben.

Mit Beschluss des BVwG vom 12.10.2017 wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der unter I. dargelegte Verfahrensgang. Darüber hinaus wird festgestellt, dass die BF im Zuge der sog. Massenfluchtbewegung im Februar 2016 über Serbien illegal nach Kroatien und letztlich nach Österreich gelangt sind. Die Ein- und Durchreise nach Kroatien von Serbien kommend und auch die Weiterreise über Slowenien nach Österreich, erfolgten behördlich organisiert (siehe hiezu im Folgenden).

Am 13.09.2016 legte der Oberste Gerichtshof der Republik Slowenien (Vrhovno sodisce Republike Slovenije mit Beschluss (Zahl C-490/16) dem EuGH Fragen hinsichtlich der Auslegung des Tatbestandes der "illegalen Einreise" nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO vor. Am 14.12.2016 legte der VwGH zu Zl. EU 2016/0007,0008-1 (Ra 2016/19/0303 und 304) dem EuGH eine dem slowenischen Vorabentscheidungsersuchen "ähnlich gelagerte Konstellation" zur Vorabentscheidung vor.

Der Gerichtshof der Europäischen Union stellte in seiner Entscheidung vom 26.07.2017 zum Vorabentscheidungsersuchen Sloweniens vom 14.09.2016 (EuGH Zl. C-490/16) sowie zum Vorabentscheidungsersuchen Österreichs vom 14.12.2016 (EuGH Zl. C-646/16), klar, dass Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO dahingehend auszulegen ist, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Einreise von den Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation geduldet wird, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat, dessen grundsätzlich geforderte Einreisevoraussetzungen sie nicht erfüllen, durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 13 Abs. 1 "illegal überschritten" hat (vgl. C-646/16, Rn 92). Art. 12 iVm Art. 2 lit. m Dublin III-VO ist diesfalls dahingehend auszulegen, dass kein "Visum" im Sinne von Art. 12 vorliegt. Der Umstand, dass das Überschreiten der Grenze in einer Situation erfolgt ist, die durch die Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl an internationalen Schutz begehrenden Drittstaatsangehöriger gekennzeichnet ist, kann keinen Einfluss auf die Auslegung oder die Anwendung der Bestimmungen der Dublin III-VO haben (C-646/16, Rn 93).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen beruhen auf der Aktenlage, insbesondere den vorgelegten Unterlagen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

...

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 34 (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist;

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind".

§ 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF lautet:

§ 28 (1) sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das

Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4)...

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 18 Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird.

In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Art. 20 Einleitung des Verfahrens

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Art. 22 Antwort auf ein Aufnahmegesuch

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Im gegenständlichen Verfahren ging die Behörde unter Zugrundelegung der Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens zu Reiseweg und Reisemodalitäten der BF nach und durch Kroatien zwar grundsätzlich zutreffend davon aus, dass in materieller Hinsicht die Zuständigkeit Kroatiens zur Prüfung der in Rede stehenden Anträge auf internationalen Schutz besteht. Die Zuständigkeit Kroatiens ist in materieller Hinsicht in Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO begründet, da die BF aus einem Drittstaat (Serbien) kommend, die Landgrenze Kroatiens illegal überschritten haben (siehe hiezu bereits oben unter 1. Feststellungen). Die Verpflichtung Kroatiens, die BF aufzunehmen, beruht auf Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO, da Kroatien den Aufnahmegesuchen durch Verschweigung zustimmte. Zwar sind die BF ursprünglich über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, haben dort jedoch keinen Asylantrag gestellt, sodass mit dem folgenden Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten nach Mazedonien der Durchreise durch Griechenland nach dem Versteinerungsprinzip der Dublin III-VO, das auf einen Sachverhalt abstellt, der zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragsstellung gegeben ist, keine Relevanz zukommt. Angesichts der erstmaligen Asylantragstellung in Österreich ist vielmehr die Einreise vom Drittstaat Serbien nach Kroatien maßgeblich. Dies entspricht der ständigen Judikatur des Asylgerichtshofes und nunmehr auch des BVwG. Der dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegene Sachverhalt entspricht jenem im gegenständlichen Verfahren (Einreise von der Türkei kommend, über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien auf der sogenannten Westbalkanroute im Zuge der Massenfluchtbewegung) und hat der EuGH keinen Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates als Kroatien erkannt. Hinweise, dass die Zuständigkeit Kroatiens zwischenzeitig erloschen sein könnte, bestehen nicht.

Ungeachtet der grundsätzlich bestehenden Zuständigkeit Kroatiens zur Führung der Asylverfahren sind die gegenständlichen Entscheidungen des BFA - die vorliegenden Verfahren sind aufgrund des zu führenden Familienverfahrens gem. § 34 AsylG 2005 untrennbar miteinander verbunden - jedoch auf der Grundlage eines ergänzungsbedürftigen Verfahrens ergangen, weshalb, wie im Folgenden näher dargelegt wird, eine Behebung nach § 28 Abs. 3 VwGVG zu erfolgen hatte. Aufgrund der erfolgten Verfahrenszulassung durch die die ersten Bescheide des BFA vom 27.09.2016 behebenden Entscheidungen des BVwG vom 06.03.2017 ist verfahrensgegenständlich hiefür § 28 Abs. 3 VwGVG maßgeblich.

Das BFA hat sich lediglich ungenügend mit dem Gesundheitszustand der an schweren psychischen Beeinträchtigungen leidenden 2. BF auseinandergesetzt. Bereits Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung hatte sich die 2. BF - befundmäßig gesichert - nach einem Selbstmordversuch (Medikamentenintoxikation in suizidaler Absicht) immerhin 19 Tage in ununterbrochener stationärer Krankenhausbehandlung befunden. Im Anschluss an die stationäre Versorgung der Vergiftungserscheinungen auf einer medizinischen Abteilung erfolgte die Verlegung der 2. BF auf eine psychiatrische Abteilung des Krankenhauses und wurde die 2. BF nur wenige Tage vor der Bescheiderlassung aus der Spitalsbehandlung entlassen. Im Zuge dieses Krankenhausaufenthaltes ist es, wie dem Patientenbrief der Psychiatrie vom 29.08.2017 - der der Behörde im Entscheidungszeitpunkt vorgelegen ist - zu entnehmen ist, zu einem weiteren Suizidversuch durch einen Fenstersprung gekommen.

All dies wird in den Bescheidausführungen jedoch völlig ausgespart, indem "stark verkürzt" lediglich davon die Rede ist, dass die 2. BF zwar eine Depression gehabt habe, die sich während ihres - aus Sicht der Behörde - vergleichsweise kurzen stationären Aufenthaltes jedoch offenbar stark gebessert habe, sodass diese zu einem Zeitpunkt entlassen habe werden können, wo keine Hinweise auf akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorgelegen seien. Die 2. BF habe zwar eine mittelgradige Depression, stehe diesbezüglich jedoch in medikamentöser Behandlung. Zur Überstellungsfähigkeit der 2. BF hält die Behörde formelhaft fest, dass durch eine Überstellung der 2. BF nach Kroatien keine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte erfolge, da keine schwerwiegenden Erkrankungen oder schwerwiegenden psychischen Störungen bestünden.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass auch in der seitens des BFA eingeholten gutachterlichen ärztlichen Stellungnahme vom 06.09.2017 davon gesprochen wird, dass durch eine Überstellung eine Verschlechterung des Zustandes der 2. BF nicht sicher auszuschließen und eine Affekthandlung nach den vorliegenden Informationen über stattgehabte Suizidversuche möglich sei.

Nur wenige Tage nach Bescheiderlassung ist es schließlich abermals zu einem Selbstmordversuch der 2. BF gekommen, der neuerlich einen stationären Krankenhausaufenthalt auf einer Psychiatrie in der Dauer von weiteren 13 Tagen nach sich gezogen hat.

Innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes von nicht einmal zwei Monaten sind sohin nicht weniger als drei Selbstmordversuche der 2. BF befundmäßig dokumentiert und hat sich diese damit im Zusammenhang stehend insgesamt 32 Tage in einschlägiger stationärer Krankenhausbehandlung befunden.

Hat der von der Behörde festgestellte Sachverhalt dem psychischen Gesundheitszustand der 2. BF schon zum damaligen Zeitpunkt nur ungenügend Rechnung getragen, weist der Sachverhalt aufgrund des vorstehend erwähnten neuerlichen psychiatrischen Krankenhausaufenthaltes von nicht unerheblicher Dauer, auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG bezogen, jedenfalls nicht die gebotene Vollständigkeit und Aktualität auf. Hinsichtlich der 2. BF liegt somit keine abschließende Beurteilung des Gesundheitszustandes vor, wie sich dieser nach seriellen Selbstmordversuchen aktuell darstellt. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist dem BVwG eine Beurteilung, ob außergewöhnliche Umstände gegeben sind, die im Fall einer Überstellung der 2. BF zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen könnten, nicht möglich. Das BVwG hat Ermittlungen angestrengt und sich den Entlassungsbefund zum bis dato zuletzt bekannten Spitalsaufenthalt der 2. BF vorlegen lassen. Darüber hinausgehende Ermittlungen durch das BVwG sind nicht im Interesse der Raschheit und Zweckmäßigkeit gelegen.

Nach dem Gesagten wird die Behörde im fortgesetzten Verfahren zur Abklärung des gegenwärtigen psychischen Gesundheitszustandes und zur Beurteilung der damit im Zusammenhang stehenden Überstellungsfähigkeit der 2. BF insbesondere ein fachärztliches Gutachten einzuholen haben.

Am Rande sei angemerkt, dass nach Vorliegen der Ermittlungsergebnisse im Hinblick auf die bisherige Verweildauer der BF im Bundesgebiet, die auch durch die zur Frage der illegalen Einreise nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO beim EuGH anhängig gemachten Vorabentscheidungsverfahren entstandene Rechtsunsicherheit mitbedingt war, die Möglichkeit eines Selbsteintritts Österreichs angedacht werden könnte.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 VwGVG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W165.2137210.2.00

Zuletzt aktualisiert am

09.04.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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