TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/28 B2222/97

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Veröffentlicht am 28.11.1997
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

ZivildienstG §2 idF BGBl 788/1996
ZivildienstG §76a idF BGBl 788/1996

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung durch Feststellung des Nichteintretens der Zivildienstpflicht infolge fälschlicher Annahme des Ruhens des Rechts auf Abgabe der Zivildiensterklärung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der am 29. April 1981 zum Wehrdienst tauglich befundene Beschwerdeführer wurde mit dem ihm am 28. Jänner 1997 (durch Hinterlegung) zugestellten Einberufungsbefehl des Militärkommandos Niederösterreich (erstmals) zur Ableistung des Grundwehrdienstes einberufen. Am selben Tag (28. Jänner 1997) übersendete er dem Militärkommando eine schriftliche Zivildiensterklärung, die dort am 29. Jänner 1997 einlangte.

Das Bundesministerium für Inneres entschied über diese vom Militärkommando weitergeleitete Zivildiensterklärung mit Bescheid vom 5. August 1997, dessen Spruch wie folgt lautet:

"Gem. §5a Abs4 iV mit §5a Abs3 Z4 ZDG, BGBl. Nr. 679/86 idgF., wird festgestellt:

Das Recht zur Abgabe Ihrer Zivildiensterklärung vom 28011997 war zu diesem Zeitpunkt gem. §5a Abs1 Z3 iV mit §2 Abs2,

2. Satz ZDG infolge Ruhens dieses Rechtes ausgeschlossen. Ihre Zivildiensterklärung hat daher Zivildienstpflicht nicht eintreten lassen."

Zur Begründung führte das Bundesministerium für Inneres an, daß gemäß §2 Abs2 zweiter Satz ZDG das Recht zur Abgabe einer Zivildiensterklärung vom zweiten Tag vor einer Einberufung zum Präsenzdienst bis zur Entlassung aus diesem oder bis zur Behebung des Einberufungsbefehls ruhe. Gemäß §5a Abs1 Z3 ZDG gelte das Ruhen des Rechtes zur Abgabe einer Zivildiensterklärung als Ausschlußgrund gemäß §5a Abs3 Z4 ZDG. Der Einberufungsbefehl zum Präsenzdienst sei dem Beschwerdeführer am 28. Jänner 1997 zugestellt worden; er habe jedoch erst am 28. Jänner 1997 die Zivildiensterklärung eingebracht. Demnach sei das Recht zur Abgabe der Zivildiensterklärung am Einbringungstag ausgeschlossen gewesen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde nach Art144 B-VG, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend macht und die Bescheidaufhebung begehrt.

Das Bundesministerium für Inneres legte die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.Die Beschwerde ist zulässig und erweist sich auch als gerechtfertigt.

1. Das Bundesministerium für Inneres setzte sich in der Begründung seines Bescheides mit dem durch die Zivildienstgesetz-Novelle 1996, BGBl. 788, neu gefaßten §76a ZDG nicht auseinander, welcher folgenden Wortlaut hat:

"§76a. (1) (Verfassungsbestimmung) Für Wehrpflichtige, deren Tauglichkeit vor dem 1. Jänner 1994 festgestellt worden ist und seither fortbesteht und die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes noch keinen Grundwehrdienst geleistet haben, ruht das Recht, eine Zivildiensterklärung abzugeben. Nach Ablauf von fünf Jahren ab Abschluß des Stellungsverfahrens kann in diesen Fällen während eines Zeitraumes von sechs Wochen wieder eine Zivildiensterklärung abgegeben werden.

(2) Die in Abs1 genannten Wehrpflichtigen sind vom Bundesminister für Landesverteidigung über die neuerliche Möglichkeit der Abgabe einer Zivildiensterklärung rechtzeitig in Kenntnis zu setzen."

Die nunmehr belangte Behörde stützte ihren Bescheid vielmehr - ohne Berücksichtigung des eben wiedergegebenen Paragraphen - auf den zweiten Satz im Abs2 des durch die erwähnte Novelle ebenfalls neu gefaßten §2 ZDG, der (auszugsweise) wie folgt lautet:

"§2. (Verfassungsbestimmung) (1) Wehrpflichtige im Sinne des Wehrgesetzes 1990 - WG, BGBl. Nr. 305, die zum Wehrdienst tauglich befunden wurden, können erklären (Zivildiensterklärung),

1. die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können, weil sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden, und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würden und

2. deshalb Zivildienst leisten zu wollen.

(2) Die Ausübung dieses Rechtes ist dem Wehrpflichtigen mindestens sechs Monate nach Abschluß jenes Stellungsverfahrens, bei dem er erstmals für den Wehrdienst tauglich befunden wurde, gewährleistet, es sei denn, der Wehrpflichtige hätte darauf ausdrücklich und schriftlich verzichtet. Das Recht ruht vom zweiten Tag vor einer Einberufung zum Präsenzdienst bis zur Entlassung aus diesem oder bis zur Behebung des Einberufungsbefehls. Wird nach der Einberufung zum Grundwehrdienst dieser vollständig geleistet, ruht das Recht darüber hinaus drei Jahre, gerechnet vom Tage, für den der Wehrpflichtige einberufen war.

..."

Der Sache nach zum Verhältnis der beiden wiedergegebenen Bestimmungen zueinander hat der Bundesminister für Inneres in einem (vom Beschwerdeführer in der Beschwerdesache B564/97 (deren Gegenstand der erteilte Einberufungsbefehl ist) in Kopie vorgelegten) Schreiben an den zuständigen Volksanwalt vom 6. Feber 1997 folgende Rechtsauffassung dargelegt:

"§76a Abs1 ZDG 1986 enthält zwei Fristen, die

5-Jahres-Frist und die 6-wöchige Fallfrist.

Die Fallfrist hat mit Inkrafttreten der ZDG-Novelle 1996, somit mit 1. Jänner 1997 zu laufen begonnen.

Die 5-Jahres-Frist gilt für sämtliche Wehrpflichtige, deren Tauglichkeit vor dem 1. Jänner 1994 festgestellt worden ist, somit auch für jene Wehrpflichtigen, deren Tauglichkeit vor dem 1. Jänner 1992 festgestellt worden ist.

Dies bedeutet, daß Wehrpflichtige, deren Tauglichkeit vor dem 1. Jänner 1994 festgestellt worden ist, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des ersten Satzes des §76a ZDG 1996 in jenen Fällen, in denen die 5-Jahres-Frist des zweiten Satzes nach Inkrafttreten der Zivildienstgesetz-Novelle 1996 abläuft, innerhalb von sechs Wochen ihre Zivildiensterklärung abgeben können; Wehrpflichtige, bei denen die 5-Jahres-Frist vor Inkrafttreten der Novelle abgelaufen ist, können ihre Erklärung innerhalb eines sechswöchigen Zeitraumes, beginnend mit dem 1. Jänner 1997, abgeben."

Der Verfassungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung an, für welche vor allem die Erwägungen sprechen, daß für eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten sogenannter "Altfälle" - nicht zuletzt unter dem Aspekt des Gleichheitsgebotes - kein einsichtiger Grund gefunden werden könnte sowie daß dem Verfassungsgesetzgeber nicht zugesonnen werden darf, für eine bestimmte Gruppe von "Altfällen" - nämlich solche, in denen die 5-jährige Frist des §76a Abs1 ZDG bei Inkrafttreten der ZDG-Novelle 1996 schon verstrichen war - eine in Wahrheit nicht handhabbare Berechtigung, also eine insoweit geradezu sinnleere Regelung zu schaffen. Die in Rede stehende Rechtsmeinung findet weiters in den Gesetzesmaterialien eine Stütze (RV zur ZDG-Novelle 1996, 458 BlgNR 20. GP, S. 16), in denen gleichfalls keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Gruppen von "Altfällen" getroffen und überdies betont wird, daß §76a ZDG eine lex specialis zur Verfassungsbestimmung des §2 ZDG bildet. Der Gerichtshof ist schließlich der Meinung, daß das in der Äußerung des Bundesministers für Inneres der Sache nach beschriebene Verhältnis zwischen §2 Abs2 und §76a ZDG (jeweils in der Fassung der Novelle 1996) auch in Ansehung des von der belangten Behörde herangezogenen zweiten Satzes im §2 Abs2 ZDG gegeben ist, der die Wirkung der Einberufung in bezug auf das Antragsrecht zum Gegenstand hat. Die hier enthaltene Regelung tritt nämlich gegenüber der des - im Bereich des §76a ZDG jedenfalls ausgeschlossenen - ersten Satzes im §2 Abs2 ZDG (sechsmonatige Frist nach Abschluß des Stellungsverfahrens) zurück, was sich bereits aus dem auch insoweit völlig eindeutigen Wortlaut des ersten Satzes (arg.: "mindestens sechs Monate ...") ergibt.

2. Zusammenfassend folgt aus den dargelegten Erwägungen, daß die belangte Behörde, indem sie §76a ZDG idF der ZDG-Novelle 1996 unberücksichtigt ließ, eine materiell-rechtlich verfehlte Entscheidung traf und den (innerhalb der sechswöchigen Frist dieser Verfassungsbestimmung eingeschrittenen) Beschwerdeführer dadurch in dem ihm verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ausnahme von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung verletzte (vgl. z.B. VfSlg. 14288/1995).

Der angefochtene Bescheid war demgemäß aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

III.Dieses Erkenntnis wurde

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

Schlagworte

Zivildienst, Fristen (Zivildienst)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2222.1997

Dokumentnummer

JFT_10028872_97B02222_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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